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Comicverfuehrer

Französische Ernte (II): Wie ein großes Comicangebot übersehenen Perlen zur zweiten Chance verhilft  etwa der bittersüßen Zauberwelt des Cyril Pedrosa

Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt
Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt

Was hat ein Comicfreund vom Frankreichurlaub, wenn er die Sprache nicht complètement connait? Wie (hust) immer noch ich? Beispiel 2: Er flipperkugelt in der Pariser Rue Saint Jacques von einem Comicshop in den nächsten. Die nicht nur bestimmte Themen abgrasen, sondern überhaupt von allen Autoren auch noch die komplette Backlist bereithalten. Weshalb man sich fragt: Warum hab ich nicht mehr von Cyril Pedrosa gelesen? Der sieht doch geradezu unverschämt gut aus!


Null Action, sanfter Witz

Pedrosas „Jäger und Sammler“ ist eine Herzenssache. Als der Titel 2016 auf deutsch erschien, hab ich ihn ignoriert, weil er „irgendwie anstrengend“ aussah. Und dem Leser so wenig entgegenkommt: Er erzählt von verschiedenen Menschen, man weiß nicht, was sie miteinander zu tun haben, es gibt null Action, nur sanften Witz. Was den Comic vorm Weglegen rettete, waren die Figuren und die Bilder.

Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt
Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt

Wie Pedrosa Menschen beobachtet und sich bewegen lässt, macht große Freude. Die Körperhaltung beim Rauchen, Streiten, In-der-Handtasche-kramen, da ist es völlig egal, worüber sie gerade reden, weil das Gespräch durch die Zeichnungen so viel Leben gewinnt. Obendrein inszeniert Pedrosa Szenen und Dialoge so vielseitig und ideenreich, dass man völlig vergisst, wie unscheinbar die Gesprächsthemen sind.


Die richtige Pose im richtigen Moment


Er wechselt nicht nur die Perspektive, die Panelgröße, er wechselt das Licht, die Farben, den Fokus. Er reduziert etwa in berührenden Momenten die Schärfe, bis nur noch die Gesichter klar sind. Er entfernt die Konturen, tönt Doppelseiten in blaugrau oder auch in pink, Pedrosa öffnet ein regelrechtes Füllhorn der Optionen, dessen Output er aber auch passend dosiert. Als er beispielsweise zwei Doppelseiten Ex-Ehestreit an Weihnachten abfeuert, verzichtet er auf jeden Zusatz, weil ja der Zoff die Szene trägt. Ich brauchte bis zu diesem Streit, um endlich Zugang zu finden.

Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt
Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt

Denn alle Charaktere sind gleichwertig, und weil sie wenig miteinander zu tun haben, sitzt man anfangs da wie vor einem Haufen Puzzleteile. Man muss sich über die Ecken und Ränder reintasten. Und ich vermute: Je älter man ist, desto lohnender wird’s. Pedrosas Charaktere sind fast alle 40 aufwärts, sie rätseln über das Leben und seine Endlichkeit, ohne dafür alleingültige Wahrheiten liefern zu können.


Muss. Mehr. Pedrosa. Lesen.


Mit 20 hätte ich vermutlich gegähnt. Aber ich bin nicht mehr 20. Vielleicht sollten aber auch nur eine Menge Comics dem Leser einfach im richtigen Alter begegnen. Oder im richtigen Moment. Oder in Paris. Muss. Mehr. Pedrosa. Lesen.

Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt
Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt





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Schnelles Superhelden-Update: Wie sich auch der verstörendste Maskierte um den heißen Brei drückt

Illustration: Tom King/Jorge Fornés - Panini
Illustration: Tom King/Jorge Fornés - Panini

Kürzlich hatte ich über everybody's darling Superhelden genölt: Weil alle Trump ignorieren (oder nur verschämt thematisieren), obwohl Diktatoren und deren Vorstufen zur absoluten Superhelden-DNA gehören. Daraufhin wurde mir Tom Kings „Rorschach“ empfohlen. Und tatsächlich: Der Figur aus Alan Moores Antihelden-Universum wäre mehr zuzutrauen. Ich also: sofort „Rorschach“ besorgt. Und?


Watchmen - 35 Jahre danach


Wir befinden uns 35 Jahre nach der „Watchmen“-Handlung, eine junge Frau und ein Mann im Rorschach-Outfit werden erschossen, als sie versuchen, den US-Präsidentschafts-Kandidaten Turley zu töten. Turley ist steht kurz davor, den seit vier Amtszeiten herrschenden Präsidenten Redford abzulösen. Ein Cop soll die Hintergründe ausleuchten, weil Turley vermutet, Amtsinhaber Redford stecke dahinter. Nach einer altmodisch langatmigen Ermittlung scheint das auch so auszusehen, die toten Attentäter sind zudem selbst leicht verstrahlt: Rorschach glaubt, eine Wiedergeburt des echten Rorschach zu sein, und so weiter und so kompliziert. Zu guter Letzt sind alle korrupt und der Cop bringt Turley dann selber um. Was sagt uns das?

Illustration: Tom King/Jorge Fornés - Panini
Illustration: Tom King/Jorge Fornés - Panini

Vor allem, dass King null Ahnung hat, was man heute macht, wenn man seit vier Amtszeiten regiert: Man wirft die Konkurrenz unter fadenscheinigen Vorwänden in den Knast (siehe Russland, Belarus, Türkei, demnächst USA). Fall erledigt. Der Rest von Kings Handlung kommt an Verworfenheit nicht über Watergate hinaus, das ist Politkritik auf dem Level von 1972. Ein weiteres Mal wäscht sich ein Superheld den Pelz, ohne sich nass zu machen. Das ist, man muss es so deutlich sagen, arm.


Es geht nicht um Albert Huber aus Jodelland


Als Captain America sein erstes Abenteuer bestritt, bekämpfte er keinen Albert Huber aus Jodelland. Superhelden erfinden keine Look-Alikes und nennen Verbrecher bei ihrem richtigen Namen. Ich gebe zu, dass derlei einfacher ist, wenn der Verbrecher nicht Präsident des eigenen Landes ist. Aber wer da Angst kriegt, sollte weder Superhelden erfinden noch zeichnen noch betexten noch verkaufen.

 


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Unverschämt trifft unbedarft: Was klingt wie ein Manga-Klischee wird in den Händen von Mariko Tamaki zum einfühlsamen Coming-of-age-Knüller

Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen
Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen

Ist das jetzt noch LGBTQIA-Zeug, frage ich mich. Und dass ich mich das frage, finde schon mal sehr gut. Ich bin erneut auf den Spuren des Vorwerks von Mariko Tamaki, diesmal lese ich „Laura Dean und wie sie immer wieder mit mir Schluss macht“, gerate aber anfangs ins Stolpern.


Kein Junge namens Freddy


Ein Junge namens Freddy schreibt aus dem Off an eine Ratgebertante, dass er in ein Mädchen namens Laura Dean verliebt ist, was offenbar sehr schwer ist. Laura Dean ist so eine junge Brünette, und Freddy ist so ein kurzhaariger Blonder, der sich ein bisschen arschmäßig benimmt, warum beklagt er sich denn dann? Und ziemlich schnell wird klar, dass ich da was nicht gecheckt habe: Freddy ist gar nicht der Junge, sondern die Brünette. Und der blonde Arschmäßige ist ebenfalls ein Mädchen, eben jene Laura Dean.

Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen
Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen

Mein erster Gedanke, logisch, ist: „Warum sagt einem das denn keiner?“ Einfache Antwort: Weil hier jemand einfach mal mit der Lesberei nicht hausieren geht. Wozu auch: Freddys beste Freundin Doodle ist selbst lesbisch, und Heteros reden ja auch nicht dauernd darüber, dass sie hetero sind: Sie wissen's ja.


Ein ziemlicher Arsch

Ill.: M. Tamaki/R. Valero-O’Connell - Carlsen
Ill.: M. Tamaki/R. Valero-O’Connell - Carlsen

Sofort begreift man hingegen auch dank des Titels, dass Laura Dean ein ziemlicher Arsch ist. Sie benutzt Freddy nach Strich und Faden, lässt sie bei Langeweile als Pausenkasper antanzen und und bei jeder besseren oder mittelmäßigen Gelegenheit sitzen. Und ansonsten sieht sie zu, dass sie dank ihres Schulstar-Faktors möglichst bessere Gesellschaft findet oder mehr Bewunderer um sich schart, oder, oder, oder.


Wo reicht's?


Elegant gewählt ist, dass diese toxische Liebe keiner 30-Jährigen zustößt, sondern einem Mädchen, bei dem noch einige Stofftiere im Zimmer herumkugeln. Dem diese ganze Erotik-Sex-Liebes-Sache neu ist und das richtige Verhalten komplett rätselhaft. Das erst lernen muss: Was muss man eigentlich hinnehmen? Und wo darf’s einem dann auch mal reichen?


Flirtkampf: David gegen Goliath


Vieles an dieser Coming-of-age-Novel ist nicht neu, aber trotzdem rührend und vor allem spannend. Denn Laura Dean ist zwar nicht viel älter, dennoch so haushoch überlegen, dass man sich einfach auf Freddys Seite schlagen muss. Erfreulich ist auch, wie wurscht das Lesbenthema ist, obwohl es doch ständig präsent bleibt.

Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen
Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen

Liebe ist Liebe ist Liebe, aus, fertig. Mit einer drolligen Ausnahme: Obwohl Freddy und ihre Freundinnen sich schon sehr progressiv fühlen, halten sie zugleich stur daran fest, dass je zwei Leute sehr exklusiv zusammengehören, nicht etwa drei oder acht. Was da wohl die Polyamourösen dazu sagen?


Mariko Tamaki (Text), Rosemary Valero-O’Connell (Zeichnungen), Annette von der Weppen (Üs.), Laura Dean, und wie sie immer wieder mit mir Schluss macht, Carlsen, vergriffen, aber gebraucht günstig verfügbar, etwa hier.




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