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Comicverfuehrer

  • 1. Juni 2023

Ein Alptraumsommer, heiße Kisten, neblige Düsternis: Drei schöne Comics scheitern an ihrer Story – die Outtakes (3)

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Illustration: Pascal Rabaté - Splitter Verlag

Skrupellose Sommerliebe

Eine seltsame Geschichte: 1962. Drei Jungs in einem französischen Küstenort. Der letzte Sommer vor der Uni – alle drei wollen Karriere machen wie ihre Eltern. Dann trifft Odette die drei am Strand, zieht sich wortlos aus und badet mit ihnen nackt. Nachts darauf schlägt sie vor, man könnte in leerstehende Villen einsteigen und dort vögeln. Und während zwei Jungs sich schon mal nackig machen, lässt Odette ihre Komplizen rein, die sie überraschend fotografieren. Zwecks Erpressung: Odette und ihre Komplizen räumen die Häuser aus, die Erpressten können als Informanten hinterher nicht mal zur Polizei. Ende?

Nein: Odette hat sich in einen der Jungs verliebt. Und er hängt sich fasziniert an sie und drängt sich in die Einbrecherbande….


Was ist „Unter den Kieseln der Strand“ nun? Die Geschichte einer Sommerliebe? Eine Abrechnung mit der spießigen Gesellschaft, die sich erst vor kurzem mit ihren Nazis arrangiert hat und bald ihr eigenwilliges Rechtsverständnis zeigen wird? Pascal Rabaté, Zeichner und Autor macht es einem nicht leicht. Die Bilder der Sommerliebe sind zart und hübsch, aber auch kühl, weil Rabaté den Gelbanteil praktisch auf Null reduziert. Auch zum Identifizieren taugen die Liebenden nicht recht: sie sind zwiespältig, nicht immer ehrlich – sie sind nur wegen ihrer Jugend am entschuldbarsten. Das ist letztlich das Problem: Der guten Geschichte, die vieles aufgreift, fehlt jemand, dem man folgen mag.



Wie frisch aus der Waschanlage

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Illustration: Jaouen Salaün - Schreiber & Leser

Gerade Autofans könnten Jaouen Salaüns „Asphalt Blues“ mindestens anfangs mögen. Salaün zeigt eine nahe Zukunft, in der noch immer viel gefahren wird. Die Bilder sind ansehnlich, aber zu sauber und zu glatt. Liegt vermutlich auch an der Technik: digital gezeichnet kann sehr abwaschbar aussehen. Vor allem, wenn dann auch kein richtiger Grund zum Weiterlesen kommt: Ein Paar streitet, aber so ausgedehnt und reizlos, dass schon wieder das Auto, in dem sie unterwegs sind, das Interessanteste darin ist. Salaün kann Wasser und Oberflächen zeichnen und Leute mit Sonnenbrillen – aber er kann ihnen nichts zu tun geben.



Die Nebelmaschine

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Illustration: Dave McKean - Cross Cult

So ist das eben auch manchmal: Da fängt ein Comic schön rätselhaft an, minimalistisch, wortkarg, wie diese Geschichte von dem Falkner, der mit seinem Vogel an irgendeiner merkwürdig nebligen Küste etwas erlegt, was aussieht wie eine gigantische Staubmilbe. Und man denkt die ganze Zeit: Super, das ist ein Gefühl, als hätte man sich total verlaufen, jetzt macht mir das bloß nicht kaputt...


Und dann ändert sich der Stil, und es wird jede Menge und immer mehr Zeug geredet und die Handlung wird immer wirrer. Sich im Nebel verlaufen ist mystisch, sich im Geschwafel verlaufen ist anstrengend und wird dann irgendwann auch ein bisschen fad. Was bleibt, das sind Dave McKeans streckenweise hübsche Bilder. Aber die sind, zugegeben, sehr hübsch.




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Comeback für Robert Deutschs „Turing“ und Robert Crumbs „Mr. Natural“. Doch beide Bände haben ihre Tücken – ein Beipackzettel


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Illustration: Robert Deutsch - avant-verlag

Alan Turing kennen Sie, oder? Vom Hollywood-Blockbuster mit Benedict Cumberbatch? Der britische Mathematiker, der im Zweiten Weltkrieg die legendäre deutsche Chiffriermaschine „Enigma“ geknackt hat? Der zu einer Zeit schwul war, in der man es nicht sein durfte? Der sich dann dieser grauenhaften Hormontherapie unterzog? Großes Dramamaterial, aus dem Robert Deutsch 2017 eine sehenswerte Graphic Novel machte.


Drama für Genuss-Seher


Wunderschöne Farbkombinationen, ganzseitige Splashes, da will das Auge drin gewälzt sein wie ein Schnitzel in der Panade. Deutsch kommt auf diesen Seiten immer wieder ganz nahe an Brecht Evens ran, da ist es kein Wunder, dass die (sehr oft erfreulich gut orientierte) Berthold Leibinger Stiftung ihn förderte. Zwei Designpreise hat er auch noch abgeräumt, völlig zu Recht.

Aber.

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Illustration: Robert Deutsch - avant-verlag

Deutsch ist kein Erzähler. Oder will keiner sein: Dass Turings Homosexualität mehr im Focus steht, ist okay – aber die Story, die auch mit dieser Betonung mindestens voller Ängste, Heimlichkeiten, Lüste sein könnte, ist oft so langsam, fast dröge, dass man sich angesichts der wunderbaren Bilder die Augen reibt und zurückblättert, ob man nicht irgendwo was übersehen hat. Hat man leider nicht.

Andererseits: Wer den Film unnötig unterhaltsam fand, empfindet den Comic womöglich als erfrischend todernst.



Anti-Gags vom Rauschebart

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Illustration: Robert Crumb - Reprodukt

Bei Robert Crumb gibt’s immer wieder Missverständnisse. Die gehen so: Crumb – „Fritz The Cat“ – haha, alles klar. Aber: eben nicht! Gerade auch bei „Mr. Natural“. Der Guru in Toga und Rauschebart ist eine Parodie, die aber erstaunlich wenig Wert auf ausgearbeitete Pointen legt. Manches aus dieser ausgesprochen erfreulichen Sammlung stammt aus Crumbs Sketchbooks, anderes wurde in den 60er/70er Jahren in Underground-Magazinen veröffentlicht. Skeptiker und Misanthrop Crumb parodiert hier folgerichtig nicht nur Gurus, Sekten und den Traum vom weisen Welterklärer, sondern genauso den Comicmarkt selbst.


So trifft Mr. Natural etwa von Beginn an auf seinen alten Gegenspieler/Schüler/Kunden Flakey Foont. Crumb führt ihn genauso brachial ein wie eine neue Figur in einer Soap, indem Mr. Natural laut denkt: „Jede Wette, dass er mir wieder einen seiner ollen Streiche spielen will!“ Wer denkt, er hätte was verpasst: Diese Streiche gab's nie , und es werden auch keine stattfinden.

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Illustration: Robert Crumb - Reprodukt

Ebenso auffallend: Alle Abenteuer von Mr. Natural, seien sie eine halbe, ganze oder mehrere Seiten lang, beginnen halbwegs seriös, wie eine Episode mit Donald Duck, wirken aber bald improvisiert. Sie halten sich mit Nebensächlichkeiten auf, wechseln unvermittelt die Erzählrichtung und hören gerne mal einfach auf. Und zwar so abrupt, dass man als Hauptgrund vermuten muss, dass die verabredete Seitenzahl vollgezeichnet war. Das Ende sieht gerne so aus: Mr. Natural schläft ein oder geht weg, Crumb serviert dazu einen absichtlich lieblosen Schlusssatz, das war’s.


Nostalgie mit Leck-mich-am-Arsch-Qualität


All das macht „Mr. Natural“ zu einem merkwürdigen Genuss in einer eigenwillig-herzhaften Leck-mich-am Arsch-Qualität, der zugleich immer wieder in reizvollem Kontrast zu den liebevoll nostalgischen Zeichnungen steht. Wer allerdings seine Cartoons gerne mundgerecht zubereitet genießt, wird mit Enttäuschungen rechnen müssen. Ein, zwei Mitschüler von mir hätten anno Tobak wohl gesagt: „Reiß mir ein Bein raus, damit ich lachen kann.“

Ich schaff's aber auch zweibeinig.



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Ein Horrorfisch und eigenwillige Folterwitze: Manche Idee klingt überzeugender als ihre Umsetzung – die Outtakes (2)


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Illustration: Ryan Ottley - Cross Cult

Fish out of water


Leidlich angespaßt, jedoch recht vorhersehbar: „Grizzlyshark“ ist einerseits eine Splatterparodie, die Haie im Wald blutreich zubeißen lässt. Andererseits kann sich der Comic nicht gegen die Faszination der Haie und Bären wehren. So sind die Gags letztlich nur Vorwand für absurd-aufregende Pics: ohne Hai wären die Gags nicht stark genug, aber mit Hai sind sie eigentlich überflüssig. Weshalb der Spaß sehr schnell nachlässt und sich aufs „Krass, Alter, schau dir das an!“ beschränkt.



Hübsch, aber ohne Härte

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Illustration: Kerascoët (Zeichnungen), Flore Vesco (Text) - Reprodukt

Die Arbeit des Duos Kerascoët muss sich leider immer wieder an „Jenseits“ messen lassen, bei dem Marie Pommepuy und Sébastien Cosset ihre niedlichen Zeichnungen mit einer exzellent greulichen Geschichte konterkarierten. Das ist ihnen seither nicht mehr gelungen, und auch „Mit Mantel und Worten“ (Text: Flore Vasco) ist zwar immer wieder schön anzusehen, lässt aber Doppelbödigkeit vermissen.


Erzählt wird das Abenteuer eines cleveren, einfallsreichen Mädchens, das sich am Hof der französischen Königin gegen allerlei Intrigen durchsetzt. Ungewöhnlich ist neben einigen erotischen Anspielungen vor allem eine schwarzhumorige Zutat in Form von Folterwitzen. Denn die wirken angesichts einer weltweiten Folterrenaissance wie eine recht orientierungslose Provokation. Insgesamt ein schöner, optisch oft an Sempé erinnernder Band, der dennoch zwischen brav und boshaft auf halber Strecke versumpft.



Gut gespart, Löwe!


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Illustration: Matthias Lehmann - Reprodukt

So lass ich mir den Computer eingehen: Für „Zur Sonne“ nutzt Matthias Lehmann gerade nicht die Opulenz der Möglichkeiten, sondern er spart an allem. Keine Farben, viel Weiß, einige Linien, viele großflächige Schatten, die fünf versammelten Episoden sehen schon sehr schön aus, geradezu bastienviveshaft. Leider sind die Storys um Kneipenwirt Frank nicht so interessant wie ansehnlich. Schon klar, das Große im Kleinen und so, aber ein bisschen was sollte einen schon reinziehen. Ich gebe aber zu: Normale Leute machen normale Sachen, das ist als Thema schon eine von den härteren Nüssen.



Freundlich nur für Follower

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Illustration: Aude Picault - Reprodukt

Sind furchtbare Töchter im Trend? In „Höre nur, schöne Márcia“ gab’s grade eine, die nächste findet sich in Aude Picaults „Amalia“: Benimmt sich wie der Rotz am Ärmel, und kann nur dann freundlich sein, wenn sie Schminktipps für ihre paar Follower ins Internet stellt. Aber auch Amalia und ihr Mann jagen in „Amalia“ einem seltsamen Glück der Perfektion nach. Aude Picault hat das bereits mit dem gut beobachteten „Ideal Standard“ thematisiert, doch diesmal gelingt es ihr nicht so gut – auch, weil in der sympathisch gezeichneten Geschichte vieles zu plakativ daherkommt. Wenn Amalias Mann unter dem furchtbaren Industriebrot seiner Fabrik leidet, soll er halt irgendwo Ökobrot backen. Wenn Amalia Stress hat, soll sie halt lernen, auch mal „nein“ zu sagen. Während „Ideal Standard“ geschickt die persönliche Entwicklung der Hauptfigur aufzeigte, repariert „Amalia“ alles, als läge für jedes Problem der passende Tesafilm einfach herum.



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