Die Outtakes (9): Wie man Träume notiert, einen Roman auswalzt und eine Ikone aufs Abstellgleis schiebt
Pippi im Ruhestand
Oh, was habe ich Aster geliebt: Eine leicht verpeilte, unordentliche Teenagerin, die sich pippilangstrumpftough durch eine Endzeitwelt schlägt und ihre Welt retten muss, indem sie ein Völkerballspiel gewinnt. Unfug? Klar, aber „Mechanica Caelestium“ war leicht verständlich, dazu grandios und liebenswert gezeichnet, umwerfend charmant. In Teil zwei ist davon leider nur noch die Optik übrig. Die Handlung ist bis zur Unverständlichkeit kompliziert. Noch schlimmer: Aster wird praktisch zur Nebenfigur – ohne dass ein anderer Charakter sie ersetzen würde. Dass man den Band durchhält, liegt einzig an den explosiven Panels, anhand derer man um so mehr bedauert, dass man keine Ahnung hat, was da eigentlich los ist und wem man folgen soll.
Traumhaft
Die Hamburgerin Jul Gordon hat etwa anderthalb Jahre lang ihre Träume auf-gezeichnet. Schnell, krakelig, wie direkt nach dem Aufstehen. Tja, ist das jetzt gut? Einzigartig, spannend: ja! Weil komplett rätselhaft und seltsam. Gordons skizzenhafte Traumsequenzen haben genau das Wunderlich-Selbstverständliche, das Träume so eigenwillig macht. Diese realistische Welt, in der einem so viele merkwürdige Zwänge und Sachverhalte völlig klar sind. Dieses Eindringliche, das man oft Anderen nach dem Aufwachen zu erzählen versucht, das man ihnen aber nie so richtig nahebringen kann. Comicverführerisch ist das allerdings nur begrenzt, denn die Methode nutzt sich ab und ist auch nicht bei allen von Gordons Träumen gleich effektiv. Trotzdem: ein sehr, sehr unterhaltsames Experiment.
Jetzt mit Bildern!
So bitte eher nicht: Michel Houellebecq hat seinen Roman „Karte und Gebiet“ eingedampft und mit Zeichner Louis Paillard eine Graphic Novel draus gemacht. Glaubt er wahrscheinlich. Denn so schön der Band aussieht, so gern man ihn in die Hand nimmt, letztlich erzählt hier niemand grafisch: Tatsächlich werden dem Text nur Bilder hinzugefügt. Das kann zwar gut gehen: Erst kürzlich hat Rebecca Dautremer ja mit ihren Illustrationen John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ einen echten Zusatzeffekt verliehen. Paillards Panels und das textlastige Layout gelingt es jedoch, Houellebecqs ohnehin zur Langatmigkeit neigende Ausführungen zusätzlich in die Länge zu ziehen. Andererseits: Wer findet, dass man gute Kunst vor allem daran erkennt, dass sie anstrengt, sollte unbedingt zugreifen!
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Ralf König, der Herr der Knollennasen, zeichnet sich durch die Urzeit: „Stehaufmännchen“ ist erstaunlich vielseitig, überraschend wandelbar und dennoch angenehm vertraut
Irgendwann hab ich Ralf König ein wenig aus den Augen verloren. Ich kann nicht mal sagen, dass es seine Schuld war, oder naja, höchstens ein ganz kleines bisschen: Ich fand wohl „Bis auf die Knochen“ eher mau, aber wenn ich jetzt so mal in seinem Gesamtwerk nachblättere, dann war das ja schon 1990, und dann kamen doch ziemlich schnell danach schon Konrad und Paul, die eigentlich wieder sehr gut waren. Hm. Woran lag’s also dann? Wieso kommt’s mir so vor, als wäre „Stehaufmännchen“, der neue Ralf König-Comic, ein Comeback nach einer jahrzehntelangen Auszeit?
Über den Tellerrand hinaus in den Hosenstall
Womöglich hielt ich meine König-Phase und damit meine Toleranzausbildung für beendet. Das war ja auch exzellent gemacht, damals in den 80ern: Humor und schwuler Sex gemischt und dann aber nicht nur der Gay-Community angeboten, sondern den neugierigen Heteros untergejubelt. Wer damals König gelesen hat, war superaufgeschlossen, der hat über den Tellerrand hinausgesehen, direkt in den Hosenstall.
Und weil aber die Schwulen bei König keine besseren Menschen sind, sondern eben nur dasselbe in rosa, hat man eben doch eigentlich nur über sich selber gelacht. Naja, und natürlich halb neugierig, halb neidisch verfolgt, ob und wie die über Sex reden und ob sie mehr und besseren oder anderen Sex haben als man selber, weil: sind ja am Ende des Tages doch alles Männer, und die denken dann wohl ebenfalls alle immer nur an das Eine. Das könnte doch Manches vielleicht etwas einfacher machen.
Das Provokante schwindet, das Schwule wird normal
Letztlich hat man bei König gelesen, dass es dann aber wohl offenbar doch nicht alles einfacher ist und wohl deshalb hab auch ich allmählich das ganz große Interesse an König verloren. Aber genau so war es doch auch gedacht gewesen, oder? Dass Schwulitäten auf diese Art so normal werden, dass sie das Provokante verlieren und man allenfalls noch mal die Augenbraue hochzieht, wenn einer mal „Faustfickvideo“ sagt. Und damit konnte man doch König beruhigt zu den Akten legen. Aber „Stehaufmännchen“ zeigt, dass man so auch Einiges verpasst haben könnte. Zum Beispiel zeichnerisch.
Klar, seinen Stil, schon ganz früh (und ganz offiziell, nie bestritten) von Claire Bretécher übernommen, ändert König nicht mehr. Aber diesen Stil hat er stets um einige Elemente erweitert, beispielsweise hat er irritierend ansehnliche Erektionen in Szene gesetzt, die hm, eigentlich kaum noch Karikaturen waren. Und jetzt, weil „Stehaufmännchen“ zu der Urzeit spielt, als die Frühmenschen von den Bäumen in die Savanne wechseln, da nimmt er sich immer mal wieder die Freiheit, Landschaften ganz- oder doppelseitig und in Farbe auszubreiten.
Eine seiner Stärken: Dialoge
Das kann er sehr hübsch, dochdoch, wusste ich vorher nicht. Das ist auch nicht nur Spielerei: König will da nicht nur Bilder haben, sondern auch Lesepausen, weil er, wie immer, viele Dialoge hat, die er nicht einfach so abklappern mag.
Diese Dialoge sind eine weitere Stärke von ihm, die er mit den Jahren weiter verfeinert hat: König war ja schon immer gut, wenn er die alltäglichen Gespräche und Beziehungsstreits nachgespielte. Er hat aber schnell gemerkt, dass Dialoge, die mit Lecken und Blasen funktionieren, eigentlich mit jedem anderen kontroversen Thema ähnlich gut klappen könnten. Eine Zeit lang hat er sich dann ein bisschen arg an der Religion abgearbeitet, aber vielleicht war das nötig, um die jetzige, deutlich elegantere Form zu entwickeln.
Feuer taugt nicht, aufrecht gehen ist ungesund
Das Elend mit der Welt, behauptet König in „Stehaufmännchen“, begann, als die Menschen von den Bäumen stiegen. Und die Debatten darüber, ob man nun auf dem Baum hocken soll oder runtersteigen und aufrecht gehen, die lässt er vorwiegend von Hockfreunden und Stehgegnern führen, und das auch noch möglichst unsachlich an jedem sinnvollen Punkt vorbei. Entscheidende Argumente sind: Wo hat man mehr Sex, Feuer taugt nichts, aufrecht gehen ist ungesund und früher im Baum war alles besser. Ob es überhaupt noch Bäume zum Obenbleiben gibt, wird praktisch nicht thematisiert, und das ist natürlich – wie wir beim sehr hübschen Blick in die weite, weite Savanne oft genug sehen – der Hintersinn des Ganzen. Würde uns heute natürlich nicht mehr passieren, oder kennen wir das nicht von irgendwoher?
Reaktionär wie ein Erzbischof
All das ist recht angenehm und entspannt und dennoch zielführend: König kann so weit gehen, seinen homosexuellen Hauptprotagonisten Flop zum fanatischen Zwangsschwulen zu machen, dass darauf beharrt, dass Männchen einander notgedrungen vögeln, weil nur das Anführer-Männchen des Stammes die Weibchen bekommt. Denn der Sachverhalt „von Natur aus schwul“ ist noch nicht entdeckt, weshalb Flop aus Angst, womöglich Sex mit Frauen haben zu müssen, zur Verteidigung seiner praktischerweise so wunschgemäß erzwungenen Homosexualität reaktionärer wettert als jeder verkalkte Erzbischof.
Sicher, handwerklich und pointentechnisch kommt einem bei König durchaus einiges bekannt vor. Und trotzdem macht es Freude, ihm dabei zuzusehen, wie er die menschlichen Wünsche, Vorstellungen, Egoismen und Sehnsüchte munter durcheinanderwürfelt und gegeneinander ausspielt. Ich muss wohl dringend einige mittelalte Königs nachlesen.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Religiöse Debatten im nostalgisch-verträumten Urlaubsflair: Ein Wiedersehen mit Joann Sfars „Katze des Rabbiners“ und ihrem besonderen Blick auf den Glaubens-Irrsinn
Diese Comic-Katze hab ich wirklich vermisst. Gibt ja einige, auf die man problemlos verzichten kann, ich sage nur mal: Garfield. Und ganz besonders Garfield. Aber diese hier fehlt einem gelegentlich schon sehr. Schaitan heißt sie manchmal, meistens ist sie einfach nur „Die Katze des Rabbiners“. Weitere drei Alben sind jetzt im neuen und inzwischen dritten Sammelband von Joann Sfar vereint, empfehlen kann und muss man sie alle. Vorausgesetzt, man mag’s verspielt und hat nichts dagegen, wenn die Dinge ein wenig rätselhaft bleiben, unzweideutig, unaufgelöst und unaufgeräumt.
Eine Katze, die Jude werden will
Die Katze des Rabbiners ist ein Kater, grau, dünn, mit riesigen Ohren (wer bei Whiskas nachschlägt, kriegt Devon Rex oder Siamkatze angeboten). Er kann sprechen, seit er einen Papagei gefressen hat – was soll man sagen, ein Wunder eben. Das erste Abenteuer bestand schon mal darin, dass der Rabbi seiner Katze daraufhin den Umgang mit seiner Tochter verbot, weshalb die Katze – weil sie die hübsche Tochter liebt und verehrt – dringend Jude werden will. Und genau diese Frage, ob ein Kater Jude werden kann, skizziert schon mal ganz gut, worum es geht und mit welchem Humor man zu rechnen hat.
Die Katze ist widerspenstig, hemmungslos egoistisch und nicht auf den Mund gefallen, es gibt boshafte Debatten über den Sinn und die Logik von Religion, Sex, Beziehungen zwischen Mann, Frau und Katze und all das im Algier der 20er Jahre – was dem Projekt ein unschuldig verträumtes Nostalgieflair verleiht.
Gekalkte Häuschen, blaues Mittelmeer
Vieles in der „Katze“ erinnert an Sfars Reihe „Klezmer“. Aber während Klezmer manchmal derart frisch zusammengenagelt aussieht, dass man fürchtet, sich beim Anfassen Spreißel in den Finger zu ziehen, ist die „Katze“ viel hübscher lackiert. Hier sitzen keine bettelarmen Musiker in Russland zusammen und lassen sich volllaufen, hier ist man belesen und bürgerlich. Man sitzt in hübschen weißgelb gekalkten Häuschen am Mittelmeer, der Blick geht über den Hafen in die Hügel, da geht einem das Herz auf und das nächste Reisebüro nicht mehr aus dem Kopf.
Man trinkt Tee und Kaffee und schnabuliert kleine Leckereien im Schatten der Palmen auf der Dachterrasse. Nachts schläft man außen, tagsüber flieht man vor der Hitze ins Orientalisch-Schattige. Sfar legt bunte Teppiche aus, fliest seine Wohnräume immer wieder neu, und die hübsche Tochter des Rabbiners, die in den neuen Bänden trotz Pluderhosen noch etwas knapper bekleidet durch die Panels huscht als sonst schon, kriegt samt ihren Freundinnen fröhlich gemusterte Kleider.
Wie im Netz: Der Katz fehlen die Likes
Was passiert diesmal? Die Tochter hat nicht nur geheiratet und ist ausgezogen, sie kriegt zum Leidwesen der Katze von ihrem blöden Mann auch noch ein Kind. Wie die Katze ihr Wohlergehen ausschließlich an der Aufmerksamkeit bemisst – da kann man jetzt streiten, ob das ein Kommentar zur „Like mich, bemerk mich, bestätige mich“-Welt des Internets sein soll. Wenn die Katze seitenlang beim Huschen über die Dächer der Sommernacht darüber klagt, dass sie keine Lust auf Veränderungen hat, dass sie möchte, dass alles bleibt wie es ist oder mal war oder mal gewesen sein soll, gemütlich und vertraut und mit warmer Milch und Sorglosigkeit und vielviel Früher, da kann man natürlich wehmütig nicken.
Man kann aber auch Herrn Trump und seine Wähler drin erkennen, die – nicht völlig unverständlich – den schönen Heckflossenautos der 50er nachweinen. Und wenn der Rabbiner seine Synagoge den Muslimen zum Gotteshaus-Sharing anbietet, weil ihre Moschee gerade einen Wasserschaden hat und wenn dann die unbürokratische Hilfe nicht am neuen, aber am alten Imam scheitert, am Rabbiner des Rabbiners und an ihren beiderseits völlig vernagelten Gläubigen, da kann man natürlich einen hochpolitisch-aktuellen Kontext festhalten. Man kann das alles aber auch einfach genießen als Einblick in den schönen Schwachsinn der Menschheit.
Der Zeitsprung zurück hilft beim Entschärfen
Denn die Nostalgie verleiht den Geschichten einen angenehm spätsommerlichen Glanz. Die Handlung spielt in den 20er Jahren, Israel ist noch nicht gegründet, alle reden noch miteinander und bewerfen sich nicht als Allererstes mit Bomben. Das macht die religiöse Thematik erstaunlich zugänglich: „Anfangs hab ich den Comic für mich gezeichnet“, sagt Sfar in einem Interview, „aber nach zehn Jahren hab ich gemerkt, dass er Auswirkungen hat. In einer Schule hat mir dann mal ein Mädchen gesagt: ,Erst wollten wir das nicht lesen, aber dann haben wir’s gemocht, weil wir gesehen haben, dass Juden und Araber gleich doof sind.‘ Genau das wollte ich: die Beziehung von Christen, Juden, Moslems entspannen.“
Und nicht nur die: Männer gehen fremd, Frauen verlieben sich neu, wissen sich gewitzt durchzusetzen, es gibt kein Problem, das man nicht lösen oder wenigstens besser ertragen könnte, indem man einer Katze den Bauch krault oder das Kinn oder oben zwischen den Ohren. Mit einer traurigen Ausnahme: Die Katze des Zeichners, genannt Imhotep, das reale Vorbild der Rabbinerkatze, ist 2018 leider gestorben.
Joann Sfar, Die Katze des Rabbiners, Avant Verlag, Bände 1-3, je 29,95 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.