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Comicverfuehrer

Da schau her: „Der große Indienschwindel“ wirkt auf den ersten Blick wie Standardware – und überrascht dann mit einer trickreichen Gauner-Komödie in Blockbuster-Optik


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Illustration: Juanjo Guarnido/Alain Ayroles - Splitter

Vorurteile. Jeder hat sie. Ich auch. Ich schaue zum Beispiel in „Der große Indienschwindel“, und ich mag sofort den Stil nicht. Vor allem die Gesichter. Es ist zu offensichtlich eine Komödie, das ist sofort klar, weil jede Geste so deutlich überzogen ist. Dicke sind eine Spur zu dick, Dünne etwas zu dünn, wer genervt oder überrascht ist, sagt das und zeigt es auch noch dazu mit reichlich Grimassen und Augenbrauen. Letztlich sabotieren sich dann alle Bestandteile gegenseitig: Sie zeigen, dass die Einzelteile für sich allein offenbar nicht genügen. Wie bei diesen Krimi-Theater-Abendessen. Der Krimi ist mau, das Ensemble dritte Wahl, die Küche freut alles, was vom Essen ablenkt. „Der große Indienschwindel“ hat allerhand von diesem Zuviel. Deshalb hätte ich fast übersehen, dass Szenarist Alain Ayroles und Zeichner Juanjo Guarnido hier ein extrem unterhaltsames Gaunerstück abliefern.


Vier gute Gründe, weiterzulesen


Es beginnt auf See. Wir sind im frühen 17. Jahrhundert, der charmante Taugenichts Pablos betrügt auf einem Segelschiff die Mannschaft beim Kartenspiel und wird über Bord geworfen. Pablos strandet an einer Küste bei einer Gruppe ebenfalls gestrandeter Sklaven, die ihn aufnehmen, weil sie hoffen, der gebildete Weiße könnte ihnen helfen. Der gebildete Weiße hat allerdings keine Ahnung, wie man eine Landkarte hält, einen Sextanten bedient oder auch nur eine Muskete lädt. Ich bin auf Seite 30, und obwohl mir die Optik immer noch etwas zu comedyhaft ist, höre ich nicht auf zu lesen. Bis hier gibt’s nämlich schon ungefähr vier gute Gründe, die mich bei der Stange halten.


Zum Beispiel zeichnet Guarnido exzellente Landschaften, schöne Segelschiffe, er wechselt einfallsreich Größe, Perspektive, schneidet geschickt, mir gefällt eigentlich alles bis auf das Aussehen der Figuren. Zusätzlich lässt Ayroles die Geschichte doppelt erzählen: In einer geschönten, pathosgeschwängerten Variante von Pablos selbst im Voice-Over, und parallel dazu in entlarvenden Bildern. Das kann lustig wirken, oder mörderisch: Pablos begleitet etwa einen Trupp Landarbeiter, der ein neues Tal für den Zuckerrohrbau herrichten soll. Leider kann man die dort lebenden Indios zu nichts gebrauchen. Was der Text mit keiner Silbe erwähnt, zeigen die Bilder: Wie die Bauern/Söldner samt ihren Bluthunden die nackten Indios abschlachten.


Raffinierter Schelmenroman


Der Kniff ist nicht neu, aber immer wieder gut, den kennt man doch von – na klar, Simplicissimus. Tatsächlich haben Ayroles/Guarnido hier die Anregung her: Von einem ähnlichen, knapp 400 Jahre alten Schelmenroman aus Spanien, sie sagen einfach, es wäre eine Fortsetzung. Doch ihr Schelm erzählt seine Geschichte nicht freiwillig: Immer wieder kommen wir aus seiner Schilderung in die Gegenwart – er ist gealtert und verwahrlost, festgeschnallt auf einer Streckbank und wird gerade verhört.


Denn die zwei Edelleute, die ihn ausquetschen, haben Grund zur Annahme, dass Pablos weiß, wo El Dorado ist, das sagenhafte Goldland. Ach so, und eines ist sowieso klar: das ist eindeutig mehr als nur Komödie. Ab hier wird es schwierig: Viel Handlung mag ich nicht verraten, weil Ayroles/Guarnido damit ein sehr schönes Verwirrspiel aufziehen, „Die üblichen Verdächtigen“ fallen einem ein, diverse klassische Bankräuberkrimis, das will man keinem kaputtmachen. Ist aber auch nicht nötig, weil es noch genug anderes gibt, von dem man schwärmen kann.


Arroganter Adel, stinkfauler Antiheld


Die Wahl des Antihelden zum Beispiel, der zugleich schlicht und aufgeweckt wirken kann, aber immer zuverlässig so stinkfaul ist, dass er – als eigentlich privilegierter Weißer im kolonialen Südamerika – lieber betteln würde, als einen Job anzunehmen. Es gibt auch eine schöne Auswahl an dummen oder arroganten Adligen, denen er begegnet. Prediger, die beseelt von der Liebe zu Gott den Indios die heiligsten Stätten niederbrennen, und immer wieder ganz normale Leute, die für ein Leben, das ein bisschen besser ist, jederzeit jeden ausrauben, betrügen oder auch umbringen, der ein bisschen schwächer ist.



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Illustration: Juanjo Guarnido/Alain Ayroles - Splitter

Auch sehr erfreulich: Der Mut, mal die Klappe zu halten. Natürlich gehört zur Suche nach El Dorado auch eine zünftige Expedition in den Regenwald, samt reißenden Flüssen, Wasserfällen, Indioattacken, wilden Tieren (Raub- und Kriech-). Diese endlose, mörderische Wanderung breitet Guarnido wunderschön abwechslungsreich aus, nicht auf vier, nicht auf acht, sondern auf zwölf Seiten, gekrönt von einem Splash samt komplett humorlosem Actionspektakel im Gewittersturm, betextet mit insgesamt vier Buchstaben, ich wiederhole: vier. Jawoll, Herrschaften, so wird das gemacht!

Und die Gesichter?

Ich weiß nicht, vielleicht hab ich mich dran gewöhnt. Oder Guarnido hat sich gegen Ende zurückgehalten oder was auch immer. Pillepalle. Pipifax. Ist mir wurscht. Ich meine, was interessiert mich mein dummes Genörgel vom Anfang, wenn mir einer so eine Geschichte serviert?


Alain Ayroles/Juanjo Guarnido, Der große Indienschwindel, Splitter Verlag, 35 Euro


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

Nick Drnasos "Sabrina" wurde 2018 als erste Graphic Novel für den Booker Preis nominiert, jetzt erscheint sie auf deutsch - und macht mich ziemlich ratlos.


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Illustration: Nick Drnaso - Blumenbar

Tja, jetzt gibt es sie auf deutsch: Die erste Graphic Novel, die für den Booker-Preis nominiert wurde. Der Sprung von der Longlist unter die letzten Fünf gelang „Sabrina“ von Nick Drnaso zwar schon nicht mehr, aber trotzdem: großes Aufsehen. Auch in Deutschland gibt’s jetzt einen besonderen Auftritt, weil sich der Aufbau-Verlag den Titel gesichert hat. Aufbau will den Unterverlag Blumenbar ausbauen, und da ist ein Booker-Preis-Kandidat natürlich schon ein ordentlicher Startschuss. Sollte man jedenfalls meinen.


Nicht schief, sondern langsam


Tatsächlich klingt vieles verheißungsvoll. Die Story ist mysteriös, die Titelheldin verschwindet plötzlich, ihr letzter Freund Terry zieht bei einem Kumpel ein, um Abstand von dem Schicksalsschlag zu gewinnen. Plötzlich wird ihre Monatskarte gefunden, ein Mordvideo taucht auf. Täter ist ein Junge, der so harmlos wirkt, dass eine Menge Internet-Irrer die Geschichte anzweifeln. Sabrina sei überhaupt nicht tot, ihr Freund und der Kumpel, bei dem er wohnt, sind böse Schauspieler und, und, und… Klingt spannend und brandaktuell, denn wir leben doch in einer Welt, in der Trolle und andere Leute ohne Leben und Verstand sich ihre Realität zurechtschrauben. Der Klimawandel ist so erfunden wie der Massenmord an der Sandy Hook Grundschule und Hillary Clinton missbraucht Kinder in einer Pizzeria. Eine gute Geschichte hat Drnaso da also. Was kann da schief gehen?


Es geht tatsächlich auch nicht schief. Sondern langsam. Sehr langsam. Das ist das erste, was auffällt: Wir sehen Sabrina zu Besuch bei ihrer Schwester, ein Dialog. Zehn Seiten. Sabrina schmust mit der Katze. Sie reden über Männer, Weihnachtsgeschenke, Kreuzworträtsel, Urlaubspläne. Ein normales Gespräch unter Schwestern, nichts davon wird später Bedeutung gewinnen. Dargereicht wird das in strenger Form, auf zwölf Panels pro Seite, drei mal vier, alle gleich groß. Am Ende geht Sabrina ins Bett, tags darauf aus dem Haus. Hm. Ein Feuerwerk der guten Laune ist das nicht, und dass es nicht als solches angelegt ist, macht es keinen Deut unterhaltsamer.


Das Prinzip ist klar, der Sinn nicht


Schnitt: Sabrinas Freund taucht bei seinem Kumpel Calvin auf. Der holt ihn vom Flughafen ab. Einige der Panels werden jetzt größer, aber die Basis bleibt immer das drei-mal-vier-Raster. Die beiden Männer kennen sich kaum, also reden sie praktisch nichts oder nur Oberflächliches. Jede Menge Panels bleiben jetzt wortlos. Man merkt, da steckt ein Prinzip dahinter, aber wozu? Soll das symbolisch sein, für eine Gesellschaft, die sich nichts zu sagen hat? Da gibt’s doch bessere Symbole als zwei schweigsame Typen, die sich nicht kennen.

In der Tat ist die Sprachlosigkeit immer wieder Thema. Aber immer wieder in Situationen, in denen auch Hella von Sinnen nicht viel reden würde. Es ist, als würde man behaupten, alle Menschen trügen schwarz, und als Beleg zeigt man dann einen Kaminkehrer. So dusslig kann Booker-Preis-Kandidat Drnaso nicht sein, oder? Aber was soll das Ganze denn dann?


Viel Stil, wenig Unterhaltung


Leider helfen auch die Zeichnungen nicht weiter. Man könnte sogar sagen, sie kommen erschwerend hinzu: Das ist alles zwar durchgestylt, sieht hinten und vorne wie Kunst aus, aber unterhaltsam wird’s nicht: Drnaso zeichnet in klaren Linien, extrem reduziert, meist nur Umrisse und Farbflächen ohne jede Schattierung. Die Figuren sehen meist aus wie große laufende Süßkartoffeln, ihre Gesichter bestehen aus der Frisur und ein paar Punkten darunter. Weshalb man an Calvins Arbeitsplatz bei der US-Armee die Figuren kaum noch unterscheiden kann: Hier tragen alle Süßkartoffeln Tarnfleck.


Sie reden in ähnlich gebremsten Dialogen über eine Stelle, die frei wird, Calvins Familie, von der er getrennt lebt, private Probleme, ob man mal essen gehen sollte. Das ist, zugegeben, alles sehr echt. Aber auch sterbensfad. So fad, dass man dankbar ist, dass irgendwann endlich, endlich, ENDLICH das Video mit dem Mord an Sabrina auftaucht.


... und dann gehen die Optionen aus


Es folgen: viele Atempausen. Geschichte wird irgendwie gemacht, voran geht es nicht. Die Handlung wird dünn verteilt wie Crepeteig. Die Internet-Trolle breiten ihre Mischung aus Mobbing und Hass aus, aber naja, man kommt damit schon auch klar. Calvin hat Waffen zuhause, packt sie aber nicht aus. Terry hört im Radio immer mehr Verschwörungstheorien, findet das Waffenversteck. Spätestens an diesem Punkt gehen auch die Optionen aus: Wenn Terry Amok liefe, wäre das arg vorhersehbar. Wenn nicht, wäre es wieder fad. Ohne zu spoilern: Auch Drnaso findet hier keine Lösung, weder spannend noch überraschend.


Mein erster Impuls: Da wüsste ich ein Dutzend anderer Graphic Novels, die ins Raster passen und dringender geehrt werden müssen (Charles Burns‘ „Black Hole“, nur mal als Beispiel). Aber klar, jeder kennt was, das er besser findet. Aufschlussreicher ist daher die Frage: Wenn man eine Graphic Novel als Literaturpreis-Kandidat ehren will, muss man dann auf „Sabrina“ warten? Denn das Genre der vielschichtigen, anspruchsvoll stilisierten Melancholie ist ja nicht neu, da findet man doch jedes Jahr mindestens einen Comic, der genauso trübsinnig ist. Aber vielleicht hab ich ja auch nur wieder mal null begriffen. Dann hilft nur: Selber rausfinden.



Dieser´Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

  • 21. Feb. 2019

Gute Nachrichten für „Babylon Berlin“-Fans: Jason Lutes' Mega-Epos „Berlin“ ist dem Serienhit mehr als ebenbürtig – wenn man auf die Krimizutaten verzichten kann


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Illustration: Jason Lutes - Carlsen

Bis zur dritten Staffel „Babylon Berlin“ ist’s ja noch lange hin: Mai 2019 soll sie abgedreht sein. Was soll man da machen, in der Zwischenzeit? Zu Weihnachten habe ich noch „Berlin 1931“ empfohlen, was zugegebenerweise nicht ganz dieselbe Kerbe trifft. Aber jetzt ist mir was in die Hände gefallen, also – ich bin ganz baff: Es heißt, noch kürzer: „Berlin“. Und ist fast stärker als die TV-Serie. Dabei mag ich nicht mal den Stil.


Atmosphäre schlägt Action


Autor Jason Lutes zeichnet schwarz-weiß, sehr ligne claire, man denkt an Charles Burns, und das hat dann gerade in den Bewegungen immer auch was Hölzernes. Wenn man beispielsweise in „Der nasse Fisch“ reinguckt, Arne Jyschs Comic-Version von Volker Kutschers Bestseller, dann findet man dort ruckzuck die eleganteren Action-Szenen, die moderneren Bildaufteilungen. Bei Lutes hingegen stauben immer diese komischen Hergé-artigen, altbackenen Kringel hinter rennenden Personen oder fahrenden Autos her, mit denen ich mich noch nie anfreunden konnte. Schlechte Voraussetzungen also, und trotzdem hat mich Lutes überzeugt, mehr noch als der auch recht ordentliche Jysch. Warum?


Vielleicht, weil ich irgendwann gemerkt habe, dass ich den Gereon Rath eigentlich nicht brauche. Weil ich die erste Babylon-Staffel stärker fand als die zweite. Da wohnt Charlotte noch in erbärmlichsten Verhältnissen, arbeitet tagsüber im Polizeidienst und schmuggelt sich abends in dieses erstaunliche Nachtleben, in dem alles, aber auch alles nicht nur möglich ist, sondern auch ausprobiert wird.


Die Freizügigkeit des Internets – aber analog


Man stelle sich vor: Die Freizügigkeit des Internets, aber analog – die Leute damals haben das wirklich gemacht, nicht nur angeklickt. Eine Stadt, über die eine zügellose Neuzeit hereinbricht, eine schwindelerregende Flut an Möglichkeiten, Millionen Menschen zwischen Herausforderung und Überforderung. Und genau das, diese schillernde, anziehend-abstoßende Charlotte-Welt schildert Jason Lutes, über 500 Seiten lang. Kein Wunder, dass er damit weit vor Volker Kutscher angefangen hat (Kutscher, der für die Gesamtausgabe ein bewunderndes Vorwort geschrieben hat, macht auch kein Geheimnis draus).


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Illustration: Jason Lutes - Carlsen

Seit 1996 hat Lutes das Epos heftchenweise herausgegeben. Seine Erzählung erstreckt sich über die Jahre von 1928 bis 1933, aber anders als Kutscher wählt er eine geradezu Lindenstraßen-artige Bandbreite von Personen. Sicher, er lässt am Anfang schnell die (rath-artig aus Köln kommende) Kunststudentin Marthe Müller dem Journalisten Kurt Severing begegnen. Aber er verlässt beide auch so immer wieder so leicht, dass man beide erst nach und nach als Hauptcharaktere identifiziert. In schneller Folge kommt die Proletarierfamilie von Gudrun und Otto hinzu, die jüdische Familie Schwartz, der Obdachlose Pavel, die Lesbe Anna, der alte Polizist Lemke und, und, und, ständig erweitert Lutes das Personal. Dennoch führt der Reigen nicht dazu, dass man den Faden verliert: Die Szenen funktionieren meist, ohne dass man die Protagonisten kennt, weshalb die Figuren wie beiläufig eingeführt werden können.


Man begegnet Wessel, Goebbels, dem Berliner Blutmai


Dazwischen gibt’s historische Begebenheiten (jawohl, auch hier den Berliner Blutmai) und Personen, Künstler und Politiker. Erfreulicherweise wirkt das nur selten so zwanghaft, als müsste Lutes alles und jedes mitnehmen. Im Gegenteil, normalerweise lässt Lutes das geschmeidig und elegant einfließen, wie bei dem heruntergekommenen Nazi, der seine Miete nicht zahlt. Die Vermieterin, selbst nicht gerade reich, lässt kommunistische Kontakte spielen, um die Miete einzutreiben – allerdings wird der Mann daraufhin erschossen. Später erlebt man Joseph Goebbels, der ein Begräbnis nutzt, um den Verstorbenen zum Märtyrer zu machen. Der Tote heißt Horst Wessel. Erst beim Googlen hab ich gemerkt: Wessel war eben jener erschossene Mietpreller.


Armut, Jazz, Hitler, von nichts rührt Lutes zu viel in seinen Bilderbogen, alles ist drin und vermischt sich in seinen Händen zu einer strudelartigen Komposition, in der die von ihrer Offenheit berauschte Gesellschaft allmählich im Chaos versinkt. Die Menschen wissen nicht, was sie zu verlieren haben, sie suchen die Sicherheit der Vergangenheit und wählen dafür die der Zukunft in den beiden Utopien, die damals noch nicht durch die Praxis widerlegt sind – Faschismus und Kommunismus.


Die Zermürbung der Vernunft


Wie die Vernunft zwischen diesen beiden Fronten zermürbt und zerrieben wird, chancenlos und ohne Rückhalt in Staat und Gesellschaft, kann und konnte man schon oft lesen – aber Jason Lutes macht es spürbar. Verblüffend ist, wie europäisch das Werk des Amerikaners geraten ist. Lutes erzählt geduldig, dabei rauher, kantiger als man es vom US-Comic kennt. Das ist kein „Stauffenberg“ mit Tom Cruise, auch nicht wie „Schindler’s Liste“, die Mischung ist eher umgekehrt geworden, wie ein Western nach einem Hartwaschgang von Sergio Leone. Die deutsche Übersetzung hat dabei zum Original den zusätzlichen Vorteil, mit ihrem stellenweise eingefügten Berliner Dialekt noch authentischer, dabei aber weicher und derber zugleich wirken zu können.


Tja. Ich hab den kantigen Zwei-Kilo-Wälzer nicht an einem Tag geschafft, aber doch in dreien, er war so schwer aus der Hand zu legen wie eine Tüte Kartoffelchips. Wenn Sie’s nicht stört, dass Sie grob wissen wie die Geschichte ausgeht, wenn Sie die Kutscher’sche Krimi-Würzung nicht unbedingt benötigen – zugreifen!


Jason Lutes, Berlin, Carlsen, 45 Euro

Arne Jysch, Volker Kutscher, Der nasse Fisch, Carlsen, 20 Euro.


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

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