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Comicverfuehrer

Ein Schiff voller Leichen, eine Nation vor dem Neuanfang: „Aale und Gespenster“ erzählt urlaubsfrisch von einer zwielichtigen Vergangenheit

Illustration: Marius Schmidt - avant verlag
Illustration: Marius Schmidt - avant verlag

Es weht ein frischer Wind durch die Vergangenheitsbewältigung. Erst kürzlich hat Hannah Brinkmann die Opferperspektive durch die mindestens genauso spannende Täterperspektive fruchtbar ergänzt, jetzt verlässt mit „Aale und Gespenster“ schon wieder ein Titel die so ausgetretenen Pfade der allgemein üblichen Standard-NS-Berichterstattung. Schön!


Debüt vor starkem Hintergrund

Der Band stammt vom Berliner Graphic-Novel-Debütanten Marius Schmidt. Der 42-Jährige strickt rund um ein historisches Ereignis einen Krimi, aber der Krimi bringt es grade mal zur Rahmenhandlung – Gottseidank. Denn das Eingerahmte ist viel besser.

Illustration: Marius Schmidt - avant verlag
Illustration: Marius Schmidt - avant verlag

1945 wird in der Lübecker Bucht das ehemalige Kreuzfahrtschiff „Cap Arcona“ bombardiert und versenkt. Das Schiff ist vollgestopft mit Tausenden von KZ-Häftlingen. Die Rettungswege und Rettungsboote sind von den Deutschen unbrauchbar gemacht, denn die ahnen oder hoffen, dass die Engländer ihnen mit einem Bombardement die Arbeit abnähmen, die unliebsamen Zeugen des Massenmords selbst versenken zu müssen. Genau weiß man’s nicht, zum Zeitpunkt des Untergangs sind jedoch erstaunlich wenige Deutsche an Bord. Aber das ist nur der Hintergrund der eigentlichen Geschichte, die direkt nach dem Krieg spielt.


Plünderfahrten zum Gespensterschiff


Casimir ist um die 20, aus Danzig geflohen, er arbeitet als Fischer und freundet sich mit dem ehemaligen Zwangsarbeiter Rimsky an. Gemeinsam beginnen sie, mit dem Boot zum nur halb versunkenen Wrack der „Cap Arcona“ zu fahren und sie auszuplündern. Trotz Gefahr und Gespenstergrusel ernten sie gut verkäufliches Blech, Besteck, Drähte, Kupfer – Schmidt breitet ein lebensnahes Bild von Deutschland unmittelbar nach dem Krieg aus.

Illustration: Marius Schmidt - avant verlag
Illustration: Marius Schmidt - avant verlag

Denn der ist noch überall gegenwärtig. In den Kriegsversehrten mit den Einschussnarben, in den Bildern vom Afrikakorps. Immer wieder tauchen Knochen im Boden auf, gibt es traumatisierte Veteranen. Jeder dreht was, jeder macht was, jeder nutzt seine Kontakte, alles ist halb illegal, halb geduldet, und von Hitlerporträts nutzt man nur noch den Rahmen. Selbstverständlich verlieben sich auch die beiden jungen Männer. Casimir in die Tochter seiner Vermieter, die erst spitzkriegt, womit die beiden Jungs ihr Geld verdienen – und dann mit an Bord will.


Schöne Legende statt Massenmord


Sie will ihren Vater reinwaschen, denn die Altnazis streuen bereits eine Legende, die viel schöner ist als die Sache mit den ermordungsbereit eingedosten KZ-Häftlingen: Die ganze Regierung hätte mit viel Nazigold nach Norwegen fliehen wollen, um den Kampf fortzusetzen – und die KZ-Häftlinge hätte man dort ja zum Festungsbau noch dringend gebraucht…

Illustration: Marius Schmidt - avant verlag
Illustration: Marius Schmidt - avant verlag

Vieles ist erfreulich an diesen munter-düsteren 200 Seiten. Die frische Erzählung mit den vielen Neuanfängen der Verliebten und Verlierer, die eigenwillig formbare Nachkriegswelt, die vielen kleinen und großen Lügen und Geheimnisse. Schön ist auch, dass Schmidt weder moralinsauer predigt noch irgendwen reinwäscht. Seine Optik unterstützt das: Obwohl sein Meer oft düster ist, zwischen blauschwarz und feldgrau, bläst Schmidt die Szenen mit jeder Menge Sandgelb und vor allem viel Weiß geradezu urlaubsfrisch auf. Scheinbar schludrige Linien, sorglose Farbflächen – im ganzen Band ist kein einziger gerader Strich, die Welt erscheint so gründlich verbogen wie das ganze Land nach zwölf Jahren selbstgewählter NS-Diktatur. Weshalb sich die Frage von selbst stellt: Wurden die Fehler 1945 gemacht? Oder nicht eher doch schon 1933?






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Beispielhaft gesehen: Cartoonist Luz illustriert Raubkunst aus der Perspektive eines Gemäldes – und wir sind immer im Bild

Illustration: Luz - Reprodukt
Illustration: Luz - Reprodukt

So kann man’s natürlich auch machen! Der französische Karikaturist Luz (der hier Humor und Trauer sensationell kombinierte), hat für seinen Sachcomic „Zwei weibliche Halbakte“ ein Problem gewitzt gelöst, das vielen Sachcomics in die Quere kommt. Denn so wichtig das Thema ist – vom Start weg ist es oft recht unsexy. Luz‘ Thema heißt: „Restitution“ bzw. „NS-Raubkunst“. In München haben beispielsweise die staatlichen Museen damit gerade richtig Ärger. Und Luz wird zeigen: Den Ärger haben sie zu Recht.

 

Wir sehen, was das Bild sähe

 

Der Titel des Comics stammt von einem Bild, das es wirklich gibt: Otto Mueller hat es 1919 gemalt, heute hängt es in Köln – und Luz beschreibt genau diesen Weg. Von einem Wald nahe bei Berlin bis Köln. Aber Luz zeigt ihn durch die nicht vorhandenen Augen des Bildes. Was ihm einen wunderbaren, sogar preisgekrönten Einstiegstrick ermöglicht

Illustration: Luz - Reprodukt
Illustration: Luz - Reprodukt

Denn, klar, die Leinwand sieht anfangs noch nichts, die ist ja noch kein Bild. Aber die ersten Farbstriche zeigen schon etwas Wald, etwas Mueller, und so, wie er malt, füllen sich langsam die ersten Panels, bis das Rechteck voll ist. Wir sehen Mueller, wie er pinselt und mit seinem Modell Maschka plaudert, abschließend guckt Maschka ins Bild, weil sie wissen will, wie sie geworden ist – schlanker als in echt. Muntere Idee. Und die Leser sind im Bild.


In Littmanns Arbeitszimmer


Von da geht’s ins Atelier, wo wir als Bild an der Wand hängen. Wir ziehen mit nach Breslau, weil dort der Kunstmarkt besser ist und Mueller eine Professur kriegt. Wir werden von Kunstsammlern begutachtet, wir werden gerahmt, entdeckt, und in den 20er Jahren kauft uns ein reicher Herr Littmann. Wir werden verpackt, heimgetragen, bei Littmann an die Wand gehängt. Und von da sehen wir durchs Fenster nach draußen.

 

Illustration: Luz - Reprodukt
Illustration: Luz - Reprodukt

Da passieren üble Dinge, orthodoxe Juden werden geschlagen, die Mauer mit Parolen und Hakenkreuzen beschmiert, und Littmann, selbst Jude, verliert wichtige Kunden. Die Situation wird aussichtslos, und Littmann nimmt Gift. Die Familie muss die Bilder verkaufen, aber sie werden noch im Auktionshaus beschlagnahmt – und landen in der Ausstellung „Entartete Kunst“, und mehr sag‘ ich jetzt nicht, weil die Irrfahrt des Gemäldes natürlich zum Reiz gehört.

 

Geschick gewählt, wütend gezeichnet


Vieles von diesem Reiz liegt natürlich an der Auswahl der Szenen, die sich Luz für seine kräftigen, wütenden Zeichnungen herauspickt. Der Gegensatz von Wertschätzung und Verachtung desselben Bildes beispielsweise. Oder die Tatsache, dass die Nazis die von ihnen gehassten Bilder in ihrer Schmähausstellung auch noch explizit unansehnlich zusammengepferchten, aus (berechtigter?) Angst, ihre Kundschaft wäre zu blöd um ohne Holzhammerhinweise zu merken, dass die „blöde“ Kunst blöd sei.  

Illustration: Luz - Reprodukt
Illustration: Luz - Reprodukt

Und danach? Hat das Museum Ludwig alles richtig gemacht? Ohne Fachmann zu sein: Sie machten auf jeden Fall weniger Theater. 1999, heißt es, bekam man erstmals mit, dass das Bild vor der Beschlagnahmung wem gehört hatte. Da kann man jetzt vielleicht nörgeln, aber in jedem Fall gab’s einen handfesten Namen mit einem Rechtsanspruch. Und die Kölner zierten sich nicht, gaben das Bild zurück – und kauften es anschließend nochmal rechtmäßig ein.

Da kann man dann, wie im Münchner Fall, natürlich insgeheim murmeln: „Das kann aber teuer werden.“ Aber so ist das eben mit Faschismus und seinen Folgen: Schnäppchen macht man da nur, solange man Raub für ein erlaubtes Geschäft hält.






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Alexander Brauns „Black Comics“: 400 Seiten über schwarze Künstler und Figuren – empörend, ermutigend, atemberaubend interessant

Illustration: Hugo Pratt - German Academy Of Comic Art - Panini
Illustration: Hugo Pratt - German Academy Of Comic Art - Panini

Heute gibt’s wieder mal ein Buch über Comics, von Alexander Braun. Heißt: Dick, aber nicht schlimm, weil sich die Masse an Informationen in „Black Comics“ unterhaltsam liest. Was wichtig ist bei 400 Seiten, die sich diesmal (ergänzend zur gleichnamigen Ausstellung) dem schwarzen Comic widmen. „Schwarz“ bedeutet dabei beides: Mit schwarzen Charakteren, aber auch von schwarzen Künstlern. Beides ist selten – und heikel.


Zeitgemäß im Wandel der Zeit


Warum? Erstens: Fällt Ihnen auf Anhieb eine schwarze Comicfigur ein? Zweitens: Ist diese Comicfigur dann auch zeitgemäß verarbeitet? Und „zeitgemäß“ bedeutet hier ja auch immer öfter: Unserer Gegenwart angemessen, nicht unbedingt der Gegenwart der Entstehung. Was ist zum Beispiel mit Franklin, der einzigen schwarzen Figur der „Peanuts“? War die okay, ist sie es noch oder nicht oder wie oder was?

ERSTER SCHWARZER SERIENHELD: PORE LIL MOSE BESUCHT EDISON        Illustration: Richard F. Outcault - Panini
ERSTER SCHWARZER SERIENHELD: PORE LIL MOSE BESUCHT EDISON Illustration: Richard F. Outcault - Panini

Weil die Beantwortung solcher Fragen nicht einfach ist, schwoll Brauns Buch von geplanten 200 Seiten auf die doppelte Menge an. Das Erfrischende: Es wird nie akademisch, ist zugleich streitlustig, provokativ, sachlich und nicht zuletzt – empathisch. Denn tatsächlich kämpft Braun diesmal gleich doppelt: Für die oft vergessenen Verdienste des unterschätzten Mediums – und für Elemente, die im Bemühen um Diversitätsgerechtigkeit wieder vergessen werden sollen. Aber bevor man den Überblick verliert: Geht's nicht vor allem um Comics?


Raritäten im Giftschrank


Das ist nicht so leicht zu trennen: Das Medium ist doppelt weiß geprägt. Ende des 19. Jahrhunderts machten weiße Zeichner die Comics – wie Braun bereits schilderte – in Tageszeitungen zum Megaseller. Sie experimentierten erzählerisch und künstlerisch, wurden reich und zu einer Elite. Das Aufkommen billiger Comichefte in den 30ern/40ern hingegen war stark geprägt von Außenseitern, aber eben keinen schwarzen, sondern meist von jungen Juden. Es gibt darum gar nicht so viel schwarzes Personal und Material, und von dem wenigen soll auch noch einiges heute in den rassistischen Giftschrank. Brauns These: nicht immer zu Recht – und zur Untermauerung muss er ausholen. Brauns Ausholereien sind allerdings zuverlässig eine Lesefreude.

ZWEITVERWERTUNG, AUS WEISS WIRD SCHWARZ .    Illustration: John Rosenberg - Panini
ZWEITVERWERTUNG, AUS WEISS WIRD SCHWARZ . Illustration: John Rosenberg - Panini

Das liegt nicht zuletzt an der üppigen Bebilderung. Nicht nur beim Comic-Material buddelt Braun Originale und gelungene Beispiele aus, auch wenn er den US-Rassismus dokumentiert. Er umgeht hundertmal gesehene Fotos, hält so wach, und seine Schilderungen lassen unmöglich kalt. Gerade dieses Vorgehen macht es dann auch so bedenkenswert, wenn Braun etwa Unterschiede beim Blackfacing erörtert.


Sorgsam aufgedröselt


Moment mal – gibt’s die denn? Ist Blackfacing, das früher praktizierte Schwarzschminken weißer Schauspieler, nicht per se schlimm? Braun sagt: Nein. Der Unterschied liegt darin, ob man Blackfacing betreibt – oder jemanden beim Blackfacing zeigt. Wie etwa Micky Mouse in einem Kurzfilm über „Onkel Tom’s Hütte“. Eine Satire von Comicfiguren über die boomende und fragwürdige Theaterverwertung des antirassistischen Romans: Braun dröselt sauber die unterschiedlichen Ebenen auf, denn – der Film gilt mittlerweile als Giftschrankmaterial.

SCHWARZ-WEISSES BUBENDUO „BLONDIN ET CIRAGE“              Illustration: Jijé - Panini
SCHWARZ-WEISSES BUBENDUO „BLONDIN ET CIRAGE“ Illustration: Jijé - Panini

Auch wenn man zwischendurch manchmal zweifelt: Braun argumentiert stets am Comic entlang. Die blutige Kolonialgeschichte des Kongo, die schwer erträglich bebilderten Greuel der Belgier führen zu Hergés „Tim und Struppi“, die sich derart rassistisch durch Afrika hindurchoberlehrern, dass einem himmelangst wird. Die Geschichte des Ku-Klux-Klan führt wiederum zum Belgier Jijé, der nicht nur in seinem Western „Jerry Spring“ das Thema aufgriff, sondern schon 1939 mit der Serie „Blondin et Cirage“ ein gleichberechtigtes schwarz-weißes Buben-Duo schuf. Was ist Rassismus, was nicht? Was war früher mal fortschrittlich? Unermüdlich sortiert und argumentiert Braun, zitiert Fachleute (inkl. Einordnung ob afroamerikanisch oder nicht), serviert dazu Facts und Funfacts, und hier kommt man langsam zu dem einen Punkt, an dem man ihn dann doch tadeln kann, womöglich sogar muss.


Die Sache mit den Fußnoten


Denn Braun liefert weder ein vollständiges Literaturverzeichnis noch Fußnoten. Wenn er also beispielsweise feststellt, dass ein Viertel (!) der US-Cowboys schwarz war, glaube ich ihm zwar – kann’s aber weder nachschlagen noch nutzen, weil ich weder einen Beleg habe noch wüsste, wo ich suchen muss. Das ist mehr als ärgerlich, auch weil es Braun und seiner Sache schadet: Er macht ja seine fulminante Arbeit vor allem, um Dinge vorm Vergessen zu bewahren. Zur wissenschaftlichen Überprüfung/Auswertung seiner scharfen Beobachtungen, Analogien und Argumentationen wären Quellen und Literaturangaben jedoch Voraussetzung. Sein Vorgehen wirkt allerdings sofort weit angemessener, sobald Braun ins Stöbern kommt.

Illustration: Jack Kirby/Stan Lee/Joe Sinnott - Marvel Entertainment - Panini
Illustration: Jack Kirby/Stan Lee/Joe Sinnott - Marvel Entertainment - Panini

Da übernehmen dann die zahlreichen Bildbeispiele die Belegpflicht. Militärcomics, in denen die Druckerei schwarze Soldaten einweißte, weil sie lieber an einen Irrtum bei der Farbgebung glaubte als an die gleichberechtigte Abbildung. Das allmähliche Auftauchen schwarzer Superhelden, schwarzer Menschen in Romantik-Comics, pädagogische Comics für schwarze Beteiligung, Positives, Negatives, erstaunlich Kritisches aus dem „Simplicissimus“, Braun gräbt aus, Braun bildet ab, vertieft, und alle Details und Nebeninfos, die ihm im Fließtext verloren gehen, schaufelt er manisch-akribisch in die oft blockstarken, aber immer lesenswerten Bildunterschriften.


„Intellektueller Eiertanz“


„Intellektueller Eiertanz“ nennt Alexander Braun das Ergebnis ironisch-selbstkritisch, aber tatsächlich liefert er weit mehr: Nachvollziehbare Kriterien für die Suche nach einer jeweils angemessenen Bewertung und zugleich eine Grundlage für einen sachlichen Streit, der zielführender ist als das vollautomatische Ankreiden von Wörtern oder Schreibweisen.

Foto: Charles Harris - Carnegie Museum Of Art - Panini
Foto: Charles Harris - Carnegie Museum Of Art - Panini

Und dennoch, so bedauert er, passte nicht alles rein: Charles M. Schulz' Franklin etwa. Zu dem und seiner Entstehung findet sich allerdings einiges bei Wikipedia, sogar mit Quellenangaben. Da dürfen Sie sich dann, alexanderbraungeschult, selbst eine Meinung bilden.



Die Ausstellung zum Katalog ist noch bis 11. Mai 2025 zu besichtigen, gratis und praktisch: Am Dortmunder Hauptbahnhof raus, ca. 73,4 Meter über den Königswall schlurfen und hinein in den Schauraum comic + cartoon.




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