- 9. Mai 2023
Fünf Mangas in fünf Minuten (III): Diesmal finden sich zwischen Monstern, Geistern und Kampfhähnen auch – ganz normale Leute

Der Gockel rockt
Eine Parodie, die mindestens reizvoll anfängt: Monster überfallen die Welt, und wer rettet uns? Ein Gockel! Das geht schön albern los, und die Monster sind außergewöhnlich zurechterfunden: Das erste ist hochhaushoch, mit drei Hälsen und drei gehörnten Köpfen und einer übergewichtigen Figur, aber im BH. Das zweite eine Spinne mit Fingern als Beinen, einem gehörnten Menschenkopf mit Seitenscheitel und einer Krawatte. Die Fights sind ausbaufähig, der Hahn kann nämlich nur schnell flitzen und laut krähen. Das ist auf Dauer ein bisschen sparsam, weshalb der Hahn bald ein Team bildet, und zwar mit einer Schildkröte. Naja. Aber die abgedrehte Monsterpalette verfolge ich gerne weiter.
„Hanako vom Mädchenklo“

Sorry, der Titel ist nicht von mir: Der Reim sagt, wo’s lang geht. „Mein Schulgeist Hanako“ ist ein Comedy-Romantik-Spuk. Nene ist unglücklich verliebt – und hat eine Sage gehört: Auf der Toilette der Schule gibt’s einen Geist, der hilft. Und tatsächlich, „Hanako vom Mädchenklo“ ist zur Stelle, aber aufgrund einiger Missgeschicke kriegt Nene die erstrebten Jungs nicht und muss Hanako ab sofort als Magd dienen. Das klingt so zurechtgekrampft wie „Seinfelds“ Butler-Plot, wird aber passend mit der Brechstange erzählt. Die Magd muss ab sofort täglich die Klos putzen (wieso eigentlich?), wird gelegentlich nassgespritzt und lernt, dass der Geist möglicherweise ihr wahrer Freund ist. Okay, ist für eine junge Zielgruppe. Die sollte dann aber (Klo putzen! Nassgespritzt! Haha!) wirklich noch nicht viel anderes gelesen haben.
Geschickt geködert

Mangas arbeiten häufig mit langen Handlungsbögen: Fans schwärmen dann von unglaublichen Wendungen ab Band 9 oder so. Auch „Jojo’s Bizarre Adventure“ gehört dazu. Aber: So weit muss man erstmal kommen. Deshalb begeistert mich „20th Century Boys“.
Die Story beginnt 1969: Vier Buben bauen sich ein Versteck, erfinden Geschichten und ein Symbol. 30 Jahre später treffen wir die Jungs wieder: Jetzt passieren seltsame Dinge, Menschen sterben auf mysteriöse Weise, und das Symbol taucht wieder auf – als Logo der bizarren Sekte eines Mannes, der sich „der Freund“ nennt.
Zwei Elemente machen die Story für mich sofort genießbar: Erstens die Enthüllungen und Querverweise, die's zwar nur in homöopathischen Mengen gibt, aber dafür von Anfang an. Und zweitens: die Charaktere, denen Naoki Urasawa ein richtiges Leben gibt, richtige Dialoge, richtig viel Platz und Zeit. Kenji, der unscheinbare Antiheld, trägt beispielsweise ständig ein Baby auf dem Rücken, das Kind seiner Schwester, die abgehauen ist. Er hat den Schnapsladen seines Vaters in einen Supermarkt umgewandelt und wird dafür von seiner Mutter ständig beschimpft. Und der Leiter der Supermarkt-Kette stellt ihn wegen Umsatzrückgangs vor die Wahl „Supermarkt oder Baby“. All das ergibt (auch emotional) starke Szenen, die elegant verzögern, aber doch immer wieder zur eigentlichen Story führen: denn man will ja wissen, was es mit der Sekte und den Morden auf sich hat.
Durch die Brust ins Auge

Erstaunlicher Anfang: In „Der Sommer, in dem Hikaru starb“ sitzen die Schulfreunde Hikaru und Yoshiki vor einem Kiosk und essen Eis. Bis Yoshiki Hikaru sagt, er könne unmöglich Hikaru sein. Woraufhin Hikaru das halbe Gesicht abfällt und er antwortet: „Ich dachte, ich hätte ihn perfekt kopiert...“
Gut, oder? Aber jetzt wird es schwierig.
Yoshiki und der falsche Hikaru bleiben Freunde, hängen miteinander ab. Es gibt Schwierigkeiten in der Schule, eine seltsame alte Frau warnt Yoshiki, und bizarre erotische Elemente kommen dazu: Yoshiki darf durch einen Schlitz in der Brust in Hikaru hineinfassen...
Oft schimpfe ich, dass Mangas vieles überdeutlich erklären: Bei „Der Sommer, in dem Hikaru starb“ schlägt das Pendel zu weit in die Gegenrichtung.
Denn Yoshiki stellt die allernaheliegendste Frage nicht: Was oder wer ist der Typ mit dem abnehmbaren Gesicht? Was so unverständlich ist, dass man dem Helden nur noch zweifelnd in die Geschichte folgt. Aus ungewissem Grusel wird Mystery mit der Brechstange, und die Story geht durch die Brust ins Auge.
Pikapika allerseits

Jetzt wird's ganz schlimm, weshalb man es am besten seinen Kindern antut: „Pokémon Reisen“ ist derselbe Blödsinn wie Pokémon Irgendwas, nur noch liebloser erzählt. Dabei ist noch verständlich, dass Kinder Pikachu niedlich finden und seine Dialogzeilen („Pikachu“, „Pika“ oder „Pikapika“) süß. Die Hauptfigur heißt Ash, schreit im ersten Panel „Ich heiße Ash“ und falls man es DANN noch nicht begriffen hat, steht in einem Kasten drunter: „Hauptfigur Ash“. Satzbau? Szenenaufbau? Alles scheißwurscht, nimm 'ne Figur, kleb 'nen Kasten dran, geht auch! Geht das Abendland deshalb unter? Unmöglich: Kann man ja auf einen Zettel „Abendland“ schreiben und ihn irgendwo hin kleben. Na dann: Pikapika allerseits.
... wird natürlich fortgesetzt
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- 6. Mai 2023
Ein Horrorfisch und eigenwillige Folterwitze: Manche Idee klingt überzeugender als ihre Umsetzung – die Outtakes (2)

Fish out of water
Leidlich angespaßt, jedoch recht vorhersehbar: „Grizzlyshark“ ist einerseits eine Splatterparodie, die Haie im Wald blutreich zubeißen lässt. Andererseits kann sich der Comic nicht gegen die Faszination der Haie und Bären wehren. So sind die Gags letztlich nur Vorwand für absurd-aufregende Pics: ohne Hai wären die Gags nicht stark genug, aber mit Hai sind sie eigentlich überflüssig. Weshalb der Spaß sehr schnell nachlässt und sich aufs „Krass, Alter, schau dir das an!“ beschränkt.
Hübsch, aber ohne Härte

Die Arbeit des Duos Kerascoët muss sich leider immer wieder an „Jenseits“ messen lassen, bei dem Marie Pommepuy und Sébastien Cosset ihre niedlichen Zeichnungen mit einer exzellent greulichen Geschichte konterkarierten. Das ist ihnen seither nicht mehr gelungen, und auch „Mit Mantel und Worten“ (Text: Flore Vasco) ist zwar immer wieder schön anzusehen, lässt aber Doppelbödigkeit vermissen.
Erzählt wird das Abenteuer eines cleveren, einfallsreichen Mädchens, das sich am Hof der französischen Königin gegen allerlei Intrigen durchsetzt. Ungewöhnlich ist neben einigen erotischen Anspielungen vor allem eine schwarzhumorige Zutat in Form von Folterwitzen. Denn die wirken angesichts einer weltweiten Folterrenaissance wie eine recht orientierungslose Provokation. Insgesamt ein schöner, optisch oft an Sempé erinnernder Band, der dennoch zwischen brav und boshaft auf halber Strecke versumpft.
Kerascoët (Zeichnungen), Flore Vesco (Text), Ulrich Pröfrock (Üs.), Mit Mantel und Worten, Reprodukt, 24 Euro
Gut gespart, Löwe!

So lass ich mir den Computer eingehen: Für „Zur Sonne“ nutzt Matthias Lehmann gerade nicht die Opulenz der Möglichkeiten, sondern er spart an allem. Keine Farben, viel Weiß, einige Linien, viele großflächige Schatten, die fünf versammelten Episoden sehen schon sehr schön aus, geradezu bastienviveshaft. Leider sind die Storys um Kneipenwirt Frank nicht so interessant wie ansehnlich. Schon klar, das Große im Kleinen und so, aber ein bisschen was sollte einen schon reinziehen. Ich gebe aber zu: Normale Leute machen normale Sachen, das ist als Thema schon eine von den härteren Nüssen.
Freundlich nur für Follower

Sind furchtbare Töchter im Trend? In „Höre nur, schöne Márcia“ gab’s grade eine, die nächste findet sich in Aude Picaults „Amalia“: Benimmt sich wie der Rotz am Ärmel, und kann nur dann freundlich sein, wenn sie Schminktipps für ihre paar Follower ins Internet stellt. Aber auch Amalia und ihr Mann jagen in „Amalia“ einem seltsamen Glück der Perfektion nach. Aude Picault hat das bereits mit dem gut beobachteten „Ideal Standard“ thematisiert, doch diesmal gelingt es ihr nicht so gut – auch, weil in der sympathisch gezeichneten Geschichte vieles zu plakativ daherkommt. Wenn Amalias Mann unter dem furchtbaren Industriebrot seiner Fabrik leidet, soll er halt irgendwo Ökobrot backen. Wenn Amalia Stress hat, soll sie halt lernen, auch mal „nein“ zu sagen. Während „Ideal Standard“ geschickt die persönliche Entwicklung der Hauptfigur aufzeigte, repariert „Amalia“ alles, als läge für jedes Problem der passende Tesafilm einfach herum.
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- 22. Dez. 2022
Ein junger Mieter in einem bizarren Haus: Daniel Hulets „L'état morbide“ kriegt nach 30 Jahren eine Neuauflage. Besteht die Gruseltrilogie den "Test of time"?

Es hat was Bestätigendes: Der Splitter-Verlag hat die drei Bände von „L’état Morbide“ wieder ausgegraben. Dahinter verbirgt sich eine Grusel-Serie des 2011 verstorbenen Belgiers Daniel Hulet, deren ersten Teil ich so um 1990 in die Finger bekam und ziemlich gut fand - aber, wie die Neuauflage zeigt, eben nicht nur ich. Schön!
Die Story: Der junge Comic-Zeichner Charles Haegeman zieht in ein merkwürdiges altes Haus mit seltsamen Mietern, die Atmosphäre ähnelte sehr der in „Rosemarys Baby“, wenn auch das Haus etwas moderner wirkt. Und das Ganze endete auch nicht sauber aufgeräumt, sondern mit einer gruselig-verwirrenden Schlusspointe, nach der man sich die Teile zwei und drei kaum noch vorstellen konnte.
Diese Teile fand ich aber lange nicht.
Das heißt: Teil drei schon, irgendwann mal in einer Ramschkiste. Aber den hab ich nie genauer angesehen, weil ich ja Teil zwei noch nicht hatte. Jetzt also gibt’s bei Splitter alle drei auf einmal. Und ich erfahre endlich wie’s ausgeht!
Der Anfang: beunruhigend gut
Aber irgendwie ist diese Begegnung mit der Vergangenheit ziemlich zwiespältig. Anfangs ist noch alles im grünen Bereich. Hulet lässt Charles das alte Haus mit der eigenwillig modernen Fassade entdecken (das es übrigens tatsächlich gibt, am Boulevard d’Ypres 34 in Brüssel). Hulet hat es in ein anderes Viertel versetzt, zeigt es an einem düsteren blaugrüngrauen Nachmittag, und das Bewerbungsgespräch bei der Hausverwalterin mit ihren Katzen, der Gang durch die finstere Bude, das alles funktioniert heute schon immer noch so bedrückend gut, wie ich es in Erinnerung habe.

Aber schon beim Besuch von Charles‘ Freundin zeigen sich erste Mängel, die sich garnicht mehr so mit meiner Erinnerung decken: Der Dialog ist arg mau. Da reden nicht zwei miteinander, sondern halten sich Vorträge. Die Sprechblasen sind gigantisch und randvoll gestopft, weil sich die beiden ständig alles erklären müssen – und trotzdem leuchtet nicht ein, warum Charles in ein derart ungemütliches Haus zieht und die Freundin mit ihm in einem Zimmer schläft, in dem die Kakerlaken aus der Wand kommen. Viel stärker als das Gelaber wirken Hulets Bilder, die Unbehaglichkeit des Zimmers und immer wieder der Blick auf die Hausfassade mit der großen, stehengebliebenen Uhr.
Ab hier versinkt Charles zunehmend in diesem düsteren Haus, es hätte genügt, das alles zu zeigen – aber stattdessen denkt er endlose Selbstgespräche und liest dann auch noch das Tagebuch eines geheimnisvollen Selbstmörders vor. Wir erfahren Mysteriöses aus der Brüsseler Vergangenheit, aber es wirkt nicht so aberwitzig wie William Gulls London-Führung in Alan Moores „From Hell“, sondern ziemlich geschwätzig. Als auch noch Charles‘ Kumpels dazukommen, wird wieder im XXXL-Format geschwafelt. Doch wegen dreier nach wie vor sehr überzeugend funktionierender Elemente breche ich den nostalgischen Horror-Trip nicht vorzeitig ab.
Manches floppt: drei Elemente bleiben wirksam
Element Nummer eins ist das Entdecken des Hauses von innen: Die alten Wohnungen in schwarzgrünlicher Finsternis, das Forschen nach den anderen Mietern ist schön spooky, vor allem auch deshalb, weil hier alle einfach mal die Klappe halten und Hulet stattdessen die Augen des Lesers im verunsichernden Halbdunkel unkommentiert herumführt.
Element Nummer Zwei ist die Bild-Aufteilung. Es gibt auf den kompletten 140 Seiten praktisch kein einziges rechtwinklig angelegtes Panel, permanent wechselt der Ausschnitt, jede Doppelseite ist zersplittert wie ein heruntergefallener Spiegel, der noch dazu sehr unorthodox zerbrochen ist. Und der permanente Zwang, sich neu orientieren zu müssen, unterstützt tatsächlich das Unheimliche der Geschichte.
Element drei ist natürlich die Neugier auf Band zwei.
Das Unerklärliche bekommt eine Erklärung
Der wechselt etwas die Richtung: Hulet liefert einen Verantwortlichen für die Vorgänge im Haus, der weiterhin sein Unwesen treibt. Hulet fallen dazu auch viele einschüchternde Momente und Varianten ein. Leider bestätigt sich auch diesmal, dass die Ungewissheit vorher erschreckender war. Was Hulet wiederum zwingt, in Teil drei immer mehr fantastische Elemente aufzufahren, und das alles wird wieder gründlich erklärt und ist nur noch sehr, sehr mittelgut. Schade.
Aber ein guter Anfang ist besser als nix. Und wer bei Dialogen nicht so empfindlich ist wie ich, hat vermutlich nicht nur mit dem ersten Band auch heute noch seine dunkle Freude.
