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Comicverfuehrer

5 Mangas in 5 Minuten (2.1): Zwei Jahre gehen rasch ins Land, neue Mangas fluten die Republik. Hier ist das Comeback des Mangatests

Illustration: Takehiko Inoue - Egmont Manga
Illustration: Takehiko Inoue - Egmont Manga

Wie hieß der Satz? Genau: Immer, wenn eine Industrie viel produziert, muss neben einer Menge Schrott auch was Gutes rauskommen. Und wer hat's gesagt?

Ach ja, ich selber.

Weshalb ich nach zwei Jahren wieder im großen Mangahaufen wühle. Nicht in den absonderlichen Ecken, sondern bei den in den letzten zwei Jahren dazugekommenen Topsellern der Verlage. Hier der erste Fünferpack. Die Uhr läuft ab... jetzt!

Tell bis zum Erbrechen

Illustration: Tadatoshi Fujimaki - Manga Cult
Illustration: Tadatoshi Fujimaki - Manga Cult

Okay, die Story ist Schablone. In „Kuroko’s Basketball“ treffen sich Schüler im Basketballkurs. Einer wuchs in den USA auf und spielt daher (klar!) super. Ein anderer eher unscheinbar, obwohl er von einer Wunderschule kommt. Aber man könnte was draus machen. Eigenheiten enthüllen, Teambildung zeigen. Zumal die Zeichnungen gut sind. Leider ist das einer der Mangas, die die Regel „Show, don’t tell“ ignorieren. Zugunsten der Regel „Tell bis zum Erbrechen“. Sobald Unscheinbarbub unscheinbar spielt, denkt wer: „Hä, spielt der aber unscheinbar – der kommt doch von der Wunderschule“. Sobald sich das Unauffällige als Vorteil entpuppt, heißt es sofort: „Oh, spielt er extra unscheinbar? Ist das sein Vorteil?“ Dahinter steckt zweierlei: A) ist es schwer, Sportszenen zu entwickeln, in denen der Leser derlei selbst merkt. B) wüsste es die Kundschaft wohl nicht mal zu schätzen. Stimmt vielleicht sogar. Heißt aber auch, man könnte genauso ein paar Kids mit Bällen reinstempeln, dazu die Standard-Staunfressen, in der Sprechblase steht „Häääh? Ist er etwa gut“ oder „Waaah! Ist er etwa schlecht?“ Das kann’s doch nicht sein, oder?




Nasse Bluse, harte Kolben

Illustration: Mann Izawa/Yumiko Igarashi - panini manga
Illustration: Mann Izawa/Yumiko Igarashi - panini manga

„Uwääh“, wie's im Manga gern heißt: „Georgie“ ist wirklich klebrig. Wir sind Ende des 19. Jahrhunderts in Australien, wo die blonde Georgie mit untertassengroßen Augen und zwei Brüdern aufwächst, die sie schon ab Seite 12 oder so „als Frau wahrnehmen“. Abel, der Ältere, muss daraufhin sofort zur See fahren, weil er’s sonst gar nicht mehr packt, der Jüngere macht auch irgendeinen Schrott, dann lernt die Blonde einen reichen Erben kennen, der wenigstens nicht mit ihr verwandt ist. Trotzdem werden dauernd alle nass und die Blusen durchsichtig und die Jungs rennen ohne Hemd herum und huch und hach und wir machen einen Bumerangwettbewerb um die Maiskolbenmaschine. Wer den auf einem Anime der 80er basierenden Quark durchlesen will, nehme eine Flasche Himbeergeist dazu, anders ist der Kleister kaum auszuhalten.

 


Titanenkampf: Rektor gegen Hirsch

Illustration: Keiichi Arawi - Egmont Manga
Illustration: Keiichi Arawi - Egmont Manga

Keiichi Arawis „Nichijou“ kann man gut mögen. Ein Episoden-Comedy-Comic, der an einer Schule spielt und mit verschrobenem Humor daherkommt. Wir haben etwa das Robotermädchen, das unbedingt für einen Menschen gehalten werden will, was schon daran scheitert, dass a) es alle wissen, weil sie b) mit einem gigantischen Aufziehschlüssel im Rücken rumrennt. Arawi schaukelt die Episoden auch hemmungslos hoch: Wenn die Klassenpfeife vor die Tür geschickt wird und nichts sehnlicher will, als wieder reinzustürzen und die Sensation zu verkünden, die sie vor der Tür beobachtet: Wie der Schulrektor in immer abstruseren Varianten gegen einen Hirsch kämpft. Auch schön: Die blitzartigst eskalierende Gewalt seit Clever & Smart. Nicht alles klappt, aber viel öfter als nicht: So viel Spaß hatte ich mit einem Manga schon lang nicht.

 


Schluss mit der Gratiswelt

Illustration: singNsong/Sleepy-C - C-Lines
Illustration: singNsong/Sleepy-C - C-Lines

Das Intro von „Omniscient Reader’s Viewpoint“ langt ordentlich hin: der Berufsanfänger Dokja hat in den letzten zehn Jahren alle 3149 Kapitel eines unbekannten Webromans gelesen. Thema: Weltuntergang. Und grad, als er fertig ist, wird der Roman Wirklichkeit: Weshalb Dokja als einziger weiß, was passiert und wie‘s ausgeht. Ja, seltsam, wer schreibt für einen Leser 3000 Kapitel? Aber vermutlich ist Dokja irgendwie auserwählt. Trotzdem: Wenn Größenwahn, dann richtig. Und die Schlagzahl bleibt hoch, auch wenn der Manhwa (Manga aus Korea) so hölzern erzählt, dass die Spreißel aus den Seiten ragen. Dokja trifft in der U-Bahn die Firmenschönheit, dann verkündet ein teddybärhafter Dämon das Ende der Gratiswelt: Ab jetzt wird bezahlt. Nicht mit Geld, sondern mit Punkten aus einer Art Weltvideospiel. Erste Aufgabe: Wer in den nächsten 30 Minuten keinen killt, stirbt selbst. Das ist nicht wirklich gut, aber immerhin dreist und tröstet darüber hinweg, dass durch die „Roman-wird-wahr-Konstruktion“ der titelgebende Leser noch mehr erklärt als im Manga eh üblich.

 


Bemerkenswert brachial

Illustration: Takehiko Inoue - Egmont Manga
Illustration: Takehiko Inoue - Egmont Manga

Es gibt reichlich Blut, vom Start weg. „Vagabond“ ist eine brachial-bemerkenswerte Heldensaga. Zwei junge Männer, Takeza und Matahachi, überleben halbtot eine Schlacht. Als ein Trupp der Sieger das Gelände nach überlebenden Gegnern absucht, töten die beiden den Trupp und verbergen sich in einem nahen Dorf. Das sieht authentisch aus, es gibt weder Zauber noch Superschwert, man tötet derart brutal mit Steinen, Ästen, allem Greifbarem, dass es beim Zuschauen wehtut, gerade in diesem Großformat. Dennoch ist die Handlung abwechslungsreich und aufwändig gezeichnet: Sie wechselt die Perspektive, baut überraschend erotische Elemente ein, portioniert die Gewalt so geschickt wie geduldig und baut immer wieder eigenwillige Gegenspieler auf. Was soll man da noch sagen außer: rundum überzeugend?

 



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Birgit Weyhes „Schweigen“ zeigt Argentiniens mörderische Militärdiktatur aus einem besonderen Blickwinkel: dem der dorthin geflohenen Juden

Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag
Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag

Comics von Birgit Weyhe sind hervorragend gezeichnet, stets für eine aufwühlende Geschichte gut, aber .. naja... hm... häufig etwas anstrengend. Da, jetzt isses raus, ich hab's gesagt. Das a-Wort. Aber stimmt das denn? Wenn ich ehrlich bin: Beim neuen Band „Schweigen“ nur abschnittweise. Ich hab ihn recht schnell weggelesen, vor allem, weil er eine richtig empörende Story aufbereitet.


Mörderischer Irrsinn spezial


„Schweigen“ verknüpft die Länder Deutschland und Argentinien über eine spezielle Gruppe von Einwohnern – deutschstämmige Juden. Weyhe dröselt auf, wie in den 30er Jahren viele Juden ihre Kinder retteten: Sie schickten sie nach Argentinien. 45.000 Juden wanderten dorthin aus, viele davon Kinder und Jugendliche. Was in all dem mörderischen Irrsinn zu einer mörderischen Besonderheit führte.

Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag
Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag

Viele dieser Kinder blieben nämlich in Argentinien, bekamen selbst Kinder. Die – als dort das Militär putschte – es geradezu für ihre Pflicht hielten, den Mund aufzumachen: Weil sie ja wussten, was in den 30ern mit ihren Eltern geschehen war. Die Junta schlug zurück, folterte und ließ Menschen verschwinden, weil das Angehörige noch mehr verunsichert als ein sichtbarer Staatsmord. Eine Spezialität, die sie wo nochmal gelernt hatte? Richtig, bei den Nazis, bei Hitlers „Nacht- und-Nebel-Erlass“.


Rechtsstaat nutzt Unrechtsstaat


Die bundesdeutsche Außenpolitik übte sich jahrzehntelang in unterlassener Hilfeleistung. Bis zu 30.000 Menschen verschwanden in Argentiniens Junta-Jahren, mindestens 100 waren deutsche Staatsbürger. Das weiß man, weil diese Fälle um 2000 in Deutschland angezeigt wurden. Aber die Gerichte lehnten bestimmte Fälle auch konsequent ab. Welche? Die der Juden, weil die Nazis denen ja weiland die Staatsbürgerschaft entzogen hatten. Damit konnte man behaupten, man sei nicht zuständig, der Rechtsstaat beruft sich auf den Unrechtsstaat – da geht einem das Messer in der Tasche auf.

Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag
Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag

Weyhes erklärende „Kontext“-Kapitel sind extrem stark: Eine Gruppe, die erst die Eltern, dann die Kinder verliert – und von der Gesellschaft allein gelassen wird. Weil alle lieber schweigen: Als man die Juden deportiert, als nach dem Krieg die Verantwortlichen gesucht werden. Als man mit Argentinien so schönes Geld verdienen kann, als man als amtierender Weltmeister 1978 zur Fußball-WM fahren darf. Als Opfer und Angehörige wahlweise wie Störenfriede behandelt werden, wie Nervensägen oder wie Terroristen vom RAF-Kaliber. Weyhe schlüsselt auf, stellt Zusammenhänge her, und wenn sie die Folter bebildert, schnürt es einem die Kehle zu.


Dialoge á la Lindenstraße


Leider flicht Weyhe immer wieder Dialogszenen ein, und die sind richtige Durchhänger. Leute erklären sich gegenseitig, was sie schon wissen und deklamieren Streitgespräche wie dereinst in der Lindenstraße, weshalb zwischen den „Kontext“-Knüllern die heiße Wut des Lesers jedes Mal wieder abkühlt. Auch, weil Weyhe beim Bebildern hier weniger als sonst ihre klugen Assoziationen spielen lässt, sondern meist das arg didaktische Gerede 1:1 abfilmt.

Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag
Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag

Das kann aber auch Geschmackssache sein: Weyhes für mich eher unnötige Dialogstrecken treffen nämlich einen derzeit sehr erfolgreichen Tonfall genau, den der anspruchsvollen Dokumentation mit eingeflochtenen Spielszenen. Wenn Sie das mögen, haben Sie statt einem Kritikpunkt sogar ein Sahnehäubchen vor sich.




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Hello, America! Fliehende Wissenschaftler gab's schon mal: „Rhapsodie in Blau“ schildert in traumhaften Bildern die Zeit, als die USA noch Zukunft hatten

Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser
Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser

Boah, so satt war ich schon lange nicht mehr nach einem Comic. Weil, es heißt ja manchmal, dies oder das wäre „Food for thought“. Gedankenfutter, sozusagen. Dieser Comic ist aber auch noch Augenfutter. Und all das funktioniert obendrein doppelt und dreifach gut, weil ich ihn erst ewig nicht gelesen habe. Sondern erst jetzt, nach vier Jahren im Regal. Der Comic heißt „Rhapsodie in Blau“ und stammt von Andrea Serio.


Sommer ohne Jackett

 

Warum steht ein Comic lang im Regal und wird nicht aussortiert? Weil das Cover zu gut aussieht. Ein Mann im Hemd geht an einer schattigen Mauer entlang. Das Jackett hat er über dem Arm, es ist Sommer. Hinter der Mauer ragt ein lehmfarbenes Fabrikgebäude auf, das sehr flach geziegelte Dach legt nahe: Wir sind in Italien, wo auch schmuckloses verträglich ist.

Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser
Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser

All das wird dominiert von: Blau. Der Himmel, der Schatten, der auch von einem riesigen Baum kommt, all das mit Buntstift oder auch Kreidestrichen, heiß und kühl und so attraktiv, dass die Frau, die mit mir in der Wohnung wohnt, sofort sagt: „Das ist aber schön.“ Und genauso macht Serio weiter.


Prädikat: augenfreundlich


Mit einem Schiff auf dem Meer. Es sind offenbar US-Soldaten, auf dem Weg nach Europa im Jahr 1944. Viel Blau in großzügigen, augenfreundlichen Panels, selten mehr als fünf pro Seite, mit Stiften und Kreiden schön satt angelegt. Und dann eine Rückblende, denn der Soldat Goldstein war nicht immer Soldat.

Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser
Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser

Er ist Italiener. 1938 badet Goldstein mit seinen Freunden im kroatischen Medea, 20 Kilometer Luftlinie vom italienischen Triest. Strand, Spaß, Pinienhaine, junge Studenten, die das Leben vor sich haben. Bis Mussolini spricht, und den Studenten die Zukunft nimmt. Denn sie sind Juden.


Neue Heimat in New York


Goldstein und seinen Freunden gelingt es, auszuwandern. Nach Amerika. Serio erzählt auch das in großen Bildern mit viel Meer, viel Dampfer, Abschiedsschmerz und tiefblauem Fernweh. Denn Goldstein findet in New York ein neues aufregendes Zuhause, das Serio ebenso großzügig in Bildern schildert wie zuvor Meer und Strand und Italien.

Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser
Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser

Aber die Nazis sind dadurch nicht weg. Sie versenken Schiffe vor Manhattan. Goldstein beendet sein Studium, aber  er findet, er müsste mehr tun. Also meldet er sich zur Armee, um Europa und Italien zu befreien. Das Schöne dabei: Serio debattiert das nicht aus, er zeigt die Zerrissenheit des Auswanderers in superknappen Dialogen und extrem attraktiven Panels. Das ist dennoch keine Schönfärberei, sondern vor allem eines: ungemein anregend.


Statt Löwenmut: bunkerndes Eichhörnchen


Denn die Gedanken drängen sich von selbst auf: Junge Wissenschaftler, denen man die Zukunft nimmt,  fliehen? In die USA? Geht das nicht heute gerade andersherum? Wenn auch (noch) nicht mit einer rassistischen Komponente, sondern aus schierer Blödheit? Und waren diese USA nicht mal ein löwenmutiges Land, das Demokratie exportierte, Menschen eine Chance gab und dadurch reich wurde? Anstelle sich wie ein verschrecktes Eichhörnchen damit zu begnügen, die eigenen Nüsslein zu bunkern?

Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser
Illustration: Andrea Serio - Schreiber & Leser

Serio stellt all diese Fragen, gibt aber keine Antworten. Wie auch: Der Comic entstand 2019. Damals stand eher Europas Rechtsruck Pate, Trump 1.0 wirkte noch wie ein vorübergehende Verirrung. Heute kommt man ins Grübeln, aber ein Teil der Grübelei wurzelt auch im überwältigenden Gegensatz von trostarmer Gegenwart – und diesen melancholischönen Buntstiftwelten.

 





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