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Gottes verschwundene Kinder

  • Autorenbild: Timur Vermes
    Timur Vermes
  • vor 6 Tagen
  • 2 Min. Lesezeit

Birgit Weyhes „Schweigen“ zeigt Argentiniens mörderische Militärdiktatur aus einem besonderen Blickwinkel: dem der dorthin geflohenen Juden

Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag
Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag

Comics von Birgit Weyhe sind hervorragend gezeichnet, stets für eine aufwühlende Geschichte gut, aber .. naja... hm... häufig etwas anstrengend. Da, jetzt isses raus, ich hab's gesagt. Das a-Wort. Aber stimmt das denn? Wenn ich ehrlich bin: Beim neuen Band „Schweigen“ nur abschnittweise. Ich hab ihn recht schnell weggelesen, vor allem, weil er eine richtig empörende Story aufbereitet.


Mörderischer Irrsinn spezial


„Schweigen“ verknüpft die Länder Deutschland und Argentinien über eine spezielle Gruppe von Einwohnern – deutschstämmige Juden. Weyhe dröselt auf, wie in den 30er Jahren viele Juden ihre Kinder retteten: Sie schickten sie nach Argentinien. 45.000 Juden wanderten dorthin aus, viele davon Kinder und Jugendliche. Was in all dem mörderischen Irrsinn zu einer mörderischen Besonderheit führte.

Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag
Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag

Viele dieser Kinder blieben nämlich in Argentinien, bekamen selbst Kinder. Die – als dort das Militär putschte – es geradezu für ihre Pflicht hielten, den Mund aufzumachen: Weil sie ja wussten, was in den 30ern mit ihren Eltern geschehen war. Die Junta schlug zurück, folterte und ließ Menschen verschwinden, weil das Angehörige noch mehr verunsichert als ein sichtbarer Staatsmord. Eine Spezialität, die sie wo nochmal gelernt hatte? Richtig, bei den Nazis, bei Hitlers „Nacht- und-Nebel-Erlass“.


Rechtsstaat nutzt Unrechtsstaat


Die bundesdeutsche Außenpolitik übte sich jahrzehntelang in unterlassener Hilfeleistung. Bis zu 30.000 Menschen verschwanden in Argentiniens Junta-Jahren, mindestens 100 waren deutsche Staatsbürger. Das weiß man, weil diese Fälle um 2000 in Deutschland angezeigt wurden. Aber die Gerichte lehnten bestimmte Fälle auch konsequent ab. Welche? Die der Juden, weil die Nazis denen ja weiland die Staatsbürgerschaft entzogen hatten. Damit konnte man behaupten, man sei nicht zuständig, der Rechtsstaat beruft sich auf den Unrechtsstaat – da geht einem das Messer in der Tasche auf.

Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag
Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag

Weyhes erklärende „Kontext“-Kapitel sind extrem stark: Eine Gruppe, die erst die Eltern, dann die Kinder verliert – und von der Gesellschaft allein gelassen wird. Weil alle lieber schweigen: Als man die Juden deportiert, als nach dem Krieg die Verantwortlichen gesucht werden. Als man mit Argentinien so schönes Geld verdienen kann, als man als amtierender Weltmeister 1978 zur Fußball-WM fahren darf. Als Opfer und Angehörige wahlweise wie Störenfriede behandelt werden, wie Nervensägen oder wie Terroristen vom RAF-Kaliber. Weyhe schlüsselt auf, stellt Zusammenhänge her, und wenn sie die Folter bebildert, schnürt es einem die Kehle zu.


Dialoge á la Lindenstraße


Leider flicht Weyhe immer wieder Dialogszenen ein, und die sind richtige Durchhänger. Leute erklären sich gegenseitig, was sie schon wissen und deklamieren Streitgespräche wie dereinst in der Lindenstraße, weshalb zwischen den „Kontext“-Knüllern die heiße Wut des Lesers jedes Mal wieder abkühlt. Auch, weil Weyhe beim Bebildern hier weniger als sonst ihre klugen Assoziationen spielen lässt, sondern meist das arg didaktische Gerede 1:1 abfilmt.

Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag
Illustration: Birgit Weyhe - avant-verlag

Das kann aber auch Geschmackssache sein: Weyhes für mich eher unnötige Dialogstrecken treffen nämlich einen derzeit sehr erfolgreichen Tonfall genau, den der anspruchsvollen Dokumentation mit eingeflochtenen Spielszenen. Wenn Sie das mögen, haben Sie statt einem Kritikpunkt sogar ein Sahnehäubchen vor sich.




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