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Comicverfuehrer

Seit 2011 dokumentiert der Italiener Igort die brutale Seite russischer Außenpolitik jetzt erscheint sein Band über den Überfall auf die Ukraine

Illustration: Igort - Reprodukt

Wenig habe ich so gespannt erwartet wie Igorts neue „Berichte aus der Ukraine“. Weil seine „Berichte“ aus der UdSSR-Ukraine (2011) und aus dem Kaukasuskrieg (2013) nicht nur ziemlich erschütternd waren, sondern schon vor Putin warnten, als der noch gar nicht auf der Krim war. Diesmal, bei Putins jüngstem Überfall, ist Igort (der eigentlich Igor Tuveri heißt und Italiener ist) zeitlich noch dichter dran, er berichtet sozusagen live. Das muss doch dann so direkt sein, dass es einen praktisch umhaut! Oder?


Erst bomben, dann helfen


Ist es irgendwie nicht. Igort hat zwar offenbar exzellente Kontakte nach Russland und in die Ukraine. Aber so gut er Vergangenes aufbereiten kann: ein Kriegsberichterstatter ist er nicht. Er sitzt viel am Telefon, er erfährt Geschichten aus erster Hand, gewiss, doch er kann nur auf dieselben Bildquellen zurückgreifen wie wir alle.


Weshalb man als Leser permanent den Eindruck hat, man kenne dies oder das schon aus dem Fernsehen. Ein Problem, das die Vorgängerbände nicht hatten: Die stalinistischen Verbrechen waren westlichen Lesern ähnlich unvertraut wie Putins allgemein verdrängter Terrorkampf gegen Georgier und Tschetschenen. Igorts Bildumsetzungen waren also konkurrenzlos, diesmal sind sie es nicht. Weshalb Empörung vor allem in Momenten besonderer Absurdität aufwallt: Etwa angesichts der „humanitären russischen Hilfe“ fürs zerstörte Mariupol. Weil das ungefähr so ist als rammte man jemandem ein Fleischermesser in den Bauch und brächte ihm danach ein Heftpflaster.


Butscha ist schon im Bildgedächtnis


Aber so wütend wird man selten. Was freilich andere Einsichten ermöglicht. Dass man schon so an diesen Krieg gewöhnt ist, dass es neue Bilder braucht. Dass die Leichen auf den Straßen von Butscha längst im kollektiven Bildgedächtnis sind, wie der tote Flüchtlingsjunge am türkischen Strand. Und dass die klareren Fronten den Krieg inzwischen geregelter erscheinen lassen als zuvor, als zu den Verbrechen des Angriffskriegs die der anarchistischen Stümperei hinzukamen: befördert durch Frust, schlechte Versorgung, Überforderung und die Versuche, vorige Untaten durch zusätzliche zu vertuschen. Man kann sich freilich ausmalen, welche Enthüllungen im Falle weiterer ukrainischer Befreiungen bevorstehen.


Igort, Myriam Alfano (Üs.), Berichte aus der Ukraine – Tagebuch einer Invasion, Reprodukt, 26 Euro

Igort, Federica Matteoni (Üs.), Berichte aus Russland – Der vergessene Krieg im Kaukasus, Reprodukt, 26 Euro

Igort, Giovanni Peduto (Üs.), Berichte aus der Ukraine – Erinnerungen an die Zeit der UdSSR, Reprodukt, 26 Euro

 


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Härtetest für Kindercomics (9): „Hände weg von unserem Wald!“ behandelt Umwelt kindgerecht. Julia (11) findet überraschende Vorteile

Illustration: Nora Dåsnes - Klett Kinderbuch

Ich habe kein richtig gutes Gefühl bei Nora Dåsnes' „Hände weg von unserem Wald!“: Zu lieb, zu gut gemeint, alles ein bisschen „Sei deine eigene Greta Thunberg“. Andererseits: Könnte auch im Trend liegen, also wer weiß?


„Die übertreibt manchmal!“


Die Geschichte ist zeitgemäß: An Baos Schule soll der nahe Wald abgerissen werden, um einen Parkplatz für Eltern und Lehrer zu bauen. Bao sitzt zwar als Schülervertreterin im Beirat, wird aber überstimmt. Und organisiert dann den Protest: Mit „Banner aufhängen“ auf dem Schuldach und allem drum und dran. Dann wird der Wald besetzt, die Eltern helfen mit, und es findet sich ein Fehler im Gutachten, wegen dem der Bau schließlich abgeblasen wird. Schön und gut gemeint, aber insgesamt schon sehr viel Schema F, denke ich. Und dass Bao in ihrer Spaßbremsenhaftigkeit der echten Greta ziemlich nahe kommt, mag zwar realistisch sein, fördert aber nicht meine Lesefreude.


Julia schlägt sich interessanterweise nicht komplett auf Baos Seite. Sie will zwar auch keinen Parkplatz, sagt aber: „Die übertreibt manchmal!“ Auf Dächer klettern würde Julia nicht. Und noch etwas übertreibt Bao: Sie textet soviel am Handy, und diese ganzen Chatverläufe fand Julia eindeutig langweilig.


Auch im Comic gibt's Filmfehler


Überhaupt gab’s bei Bao wenig zu lachen, dafür einige Fehler zu finden: Für ihre Klettertour braucht Bao ein Seil, um hoch zur Feuerleiter zu kommen. Aber kaum hängt sie an der Leiter, ist das Seil weggepackt. In die Hosentasche? Einarmig? Julia klettert selbst in der Halle und weiß: Das geht nicht. Und als Bao in den angeschwollenen Bach fällt, wird sie von ihren Freundinnen gerettet, die erst am Ufer stehen – zwei Bilder später ist das Ufer eine Insel.


Sieht nicht gut aus, denke ich – doch dann kommt plötzlich Lob: „Das Beste war Baos Klimabericht“. Leicht verständlich, prägnant, mit einleuchtenden Zeichnungen. Es ist eindeutig, dass Julia sich für ihre Referate was davon abgucken wird.


Die beste Stelle: Der Klimabericht.

Die niedlichste Stelle: Es wird nicht so richtig niedlich.


Nora Dåsnes, Katharina Erben (Üs.), Hände weg von unserem Wald!, Klett Kinderbuch, 18 Euro


Julias Entscheidung


Selbstporträt: Julia

Klimabericht hin oder her, „Alldine“ hat an der Spitze nichts zu befürchten. Auch „Zack!“ zittert nicht, erst bei „Boris, Babette...“ wird es interessant, und das führt dazu, das...




  • 1. Alldine & die Weltraumpiraten

  • 2. Das unsichtbare Raumschiff

  • 3. Zack!

  • 4. Hugo & Hassan forever

  • 5. Boris, Babette und lauter Skelette

  • 6. Hände weg von unserem Wald!

  • 7. Trip mit Tropf

  • 8. Willkommen in Oddleigh

  • 9. Karl der Kleine: Printenherz

  • 10. Superglitzer




... wird natürlich fortgesetzt



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Schonungslos und seeehr unterhaltsam: Helena Baumeister zeichnet mit "oh cupid" eine wunderbare Momentaufnahme der Sex-Suche im Internet

Illustration: Helena Baumeister - avant-verlag

Sensation: Die Frau, die mit mir in der Wohnung wohnt, hat über diesen Comic gelacht. Mehrfach. Und ihn weitergelesen, freiwillig. Ich selber auch: mehrfach gelacht. Und weitergelesen, gern. Dabei habe ich zuerst genau dasselbe gedacht wie vermutlich derdieeineoderandere Leser auch: Oooch, Bleistift. Aber: garnicht ooch! Sondern: geil! Muss ja auch: Geht schließlich in Helena Baumeisters „Oh cupid“ um Sex.


Online Dating: Das Ziel ist der Weg


Baumeister erzählt die Geschichte von Helena, Single, zwischen 20 und 30. Helena datet online. Man sieht, wer grade in der Gegend verfügbar ist, textet herum ob man sich mag, dann trifft man sich. Und, Älteren muss man dazusagen: Das ist nicht wie analog Flirten. In Discos sind manche nur zum Tanzen, Leute auf der Dating-Plattform überspringen hingegen einen Schritt und sehen Sex von vornherein als Option. Helena ist schon länger auf der Plattform, wir begleiten sie zum vierten Date.


Eine sanfte Warnung muss dazu, weil weil Helena Baumeisters Stil zunächst unattraktiv wirken kann. Aber: Unbedingt dranbleiben, es lohnt sich! Vor allem wegen der Einblicke in Helenas Innenleben. So fährt Helena per Bahn zum Date und findet das Ticket recht teuer. Mitten in der kribbeligen Vielleichtsex-Stimmung. Und doch kann sie den Sparfuchs nicht ganz abschalten... Kennen Sie das?


Aus zwei Händen werden acht


In der Bahn hübscht Helena sich auf, aus ihren zwei Händen werden acht … Und so geht das weiter: Das Date schlägt zum Kennenlernen eine Mietrad-Tour vor. Baumeister findet Bilder zum wackligen Einfahren und für die ganz normale Überforderung: Helena will fit wirken, geschickt plaudern, nicht zu viel sagen, nicht zu wenig, interessiert aussehen, feststellen, ob es heute schon Sex geben soll, überlegt, ob Sex-Absagen blöd ist, ob er sie ohne Sex ein zweites Mal treffen wird. „Ich nervöses Huhn laber den total voll!“, schimpft sie sich still, und schon radelt ein Huhn gackernd neben dem Typ, der dann komisch schaut, mit drei Köpfen und sechs Augen.


Die Unbehaglichkeit, Unsicherheit, das Fremdschämen, all das spürt man förmlich. Auch dank der überraschenden Bilder: Als Helena entscheidet, dass es (noch) keinen Sex gibt, biegt sie doppelt ab: Ihr Bike knickt in der Kurve in den Rädern zur Seite, sie fährt rechtwinklig weiter, und dann als sie sagt: „Ich komm später nicht mit zu dir!“, sind die Gesichter so lang wie die ganze Seite hoch.


Zähneklappernd zur Zärtlichkeit


Das zweite Treffen läuft besser, Sex steht Helena ins Gesicht geschrieben, sie ist so aufgeregt, dass ihre Zähne klappern, und auch hier passt ihr krakeliger Stil unerwartet gut: Schließlich findet man sich selbst beim ersten Mal auch oft eher krakelig als aufregend. Und genauso passgenau kriegt Baumeister schließlich die Kurve zum großen Danach.


Helena übernachtet bei ihrem Date. Es ist neu, es ist aufregend – und durchzogen von der Sehnsucht nach Geborgenheit. Doch dafür ist die App nicht da: Sie kann den Schritt zum Sex vereinfachen – aber sie entlastet nicht von der bangen Frage: bin ich für ein weiteres Treffen qualifiziert? Oder sogar für etwas Dauerhaftes? Oder ist der ungelenke Abschied zugleich ein Schlussstrich?


Liebesreise ins Ungewisse


Helena Baumeisters „oh cupid“ hat alles, was zu einer Liebesreise ins Ungewisse gehört. Und legt dabei wunderlich einleuchtend nahe, dass sich im Grunde garnichts ändert – und das pflegeleichte Internet nur die Momente der Unsicherheit verschiebt. Die Ängste bleiben – kein Wunder: die sind ja analog.

Helena Baumeister, oh cupid, avant-verlag, 18 Euro


 


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