top of page

Comicverfuehrer

Pop goes neunte Kunst: Drei Comic-Bände versuchen sich an der Verzeichnung von David Bowie, AC/DC und Trio – mit wechselndem Erfolg


Illustration: Nadine Redlich - Ventil Verlag
Illustration: Nadine Redlich - Ventil Verlag

Comics über Musik sind verführerisch. Weil ja meist jene Musik zu solchen Ehren kommt, die viele Leute schätzen. Eine Hürde ist allerdings stets zu überwinden: Comics sind stumm. Drei Bände versuchen es derzeit wieder mal, und die Musik(er) dahinter sind über jeden Zweifel erhaben: David Bowie, AC/DC und – Trio.


Biker Bowie in Berlin

Illustration: Reinhard Kleist - Carlsen
Illustration: Reinhard Kleist - Carlsen

Der Berliner Reinhard Kleist widmet sich zum zweiten Mal David Bowie, diesmal den Berliner Jahren des Superstars. Zeichnerisch ist das erneut ungemein ansehnlich, erzählerisch meistert Kleist allerdings nicht alle Probleme gleich gut. Zu seiner Verteidigung muss man sagen: Diese Episode aus Bowies Leben ist auch nicht einfach zu schildern. In den 70ern ist Bowie vom Superstar-Dasein ausgelaugt und flieht in die deutsche Anonymität. Dort findet er wieder zu sich und begegnet einer Menge interessanter Figuren des Musik- und Nachtlebens. Man muss also viel erzählen und erklären. Kleist ringt tapfer mit dem Stoff, aber eine elegante Lösung des Problems findet er (wie andere Biographen oft auch) nicht. Vieles muss Bowie selbst explizit aufsagen. Und oft ist Bowie in einem berühmten Studio, ein anderer Musik-Kumpel kommt rein, wird dem Leser irgendwie vorgestellt, hat sofort eine Idee, dann entsteht ruckzuck der oder jener Hit, der berühmte Harmonizer rückt ins Bild – vor lauter Fact- und Namedropping wird hier historisch akkurates Verarbeiten zum Abarbeiten. Ist aber schwer zu vermeiden, ich weiß.

Illustration: Reinhard Kleist - Carlsen
Illustration: Reinhard Kleist - Carlsen

Eine gute Alternative wäre: weniger Bowie. Kleists hat ihn gefühlt in jedem Bild. Dabei ist es immer dann viel aufschlussreicher, wenn Kleist zeigt, was Bowie sieht und erlebt – also gerade eben weniger Star und mehr Umfeld. Dann wird‘s oft richtig großartig: Bowie fahrradelt klein durchs eingemauerte Berlin, Bowies Assoziationen zu den 20ern, 30ern, ohne Text und Dialog, nur er und die Stadt und die Dinge. Zudem erliegt Kleist der Versuchung des Songs-Abklapperns erfreulich sparsam. Dabei bereichert er seine sonstige Schwarz-Weiß-Vorliebe nicht nur durch kräftige Farben, sondern tunkt seine Seiten gern großflächig in Braun-, Orange- und Violett-Töne. All das macht Kleists Bowie unterm Strich gerade für Bowie-Laien und Halbkenner zur abwechslungsreichen und anregenden Lektüre.

 

 

Wechselstrom mit Migrationshintergrund

Illustration: Thierry Lamy/Romain Brun - bahoe books
Illustration: Thierry Lamy/Romain Brun - bahoe books

Ein sehr solider Anfang: Szenarist Thierry Lamy enthüllt in „AC/DC“ den Migrationshintergrund der Band. Die musikalischen Young-Brüder sind Kinder schottischer Auswanderer, von der Armut und Perspektivlosigkeit nach Australien getrieben. Die beiden jüngsten Söhne, Angus und Malcolm, waren schwer integrierbar, hassten die Schule und ließen ihre Wut aber nicht an den Mitmigranten und -bürgern aus, sondern pumpten sie in harten Rock’n’Roll. Ergebnis: eine Erfolgsgeschichte mit Millionenumsatz, gespeist gerade auch vom ironischen Umgang mit dem Protest – Gitarrist Angus spielt bis heute in der verhassten Schuluniform. Gut gefällt auch, dass gerade anfangs viel erzählt und illustriert, aber wenig in die üblichen Erklär-Dialoge gezwängt wird. Es gibt natürlich auch anfangs mehr zu zeigen: Australien, die Wohngegend, all das ist abwechslungsreicher als das Leben im Tourbus. Doch das kluge Infotainment versickert nach einem Drittel nicht nur optisch in der Standard-MusiComic-Routine, sondern eben auch erzählerisch: Stationen abklappern, Alben aufzählen, Konflikte in Dialogen nachbauen. Dazwischen wird alles im Fließtext nochmal wiederholt, all das mau (namenlos, womöglich künstlich?) übersetzt und geradezu schwindelerregend lektoriert. Schade.

 


Todesmutig ans Telefon


Illustration: Klaus Cornfield - Ventil Verlag
Illustration: Klaus Cornfield - Ventil Verlag

Speziell, aber spannend: Der Mainzer Ventil Verlag lässt zehn Comic-Künstler je einen Song der Neue Deutsche Welle-Pioniere „Trio“ (Da Da Da, Herz ist Trumpf, Anna, etc.) be-zeichnen. Und obwohl ich weder Fan der Großenknetener noch solcher Sammel-Alben bin, ist das Ergebnis in mehrfacher Hinsicht sehens- und lesenswürdig. Etwa wegen der beinahe gestylten Umsetzung von „Broken Hearts For You And Me“ durch den sonst so unbedarft wirkenden Schmierographen Klaus Cornfield. Wegen der attraktiven Beiträge von Nicolas Mahler („Kummer“), Dominik Wendland („Da Da Da“) oder Nadine Redlich („Danger is“). Aber auch wegen Beobachtungen wie der des ostdeutschen „Kinderland“-Schöpfers Mawil.

Illustration: Mawil - Ventil Verlag
Illustration: Mawil - Ventil Verlag

Der sich beiläufig wundert, dass gerade in der DDR, deren „Instrumentenangebot … ziemlich mau“ gewesen sei, nichts so „genial minimalistisches“ entstanden sei wie Trio. Ebenfalls spannend: das Update von Helena Baumeister. Die post-trio-geborene Baumeister staunt nämlich darüber, dass man Anfang der 80er (wie in „Sabine, Sabine, Sabine“) verflossene One-Night-Stands per Telefon analog aufwärmen musste, Gefahr der Live-Abfuhr inklusive: „Würde man heute… per Messenger abwickeln", urteilt sie baff, „wer gibt sich denn noch die Blöße, sich an den Hörer zu hängen?“

Illustration: Helena Baumeister - Ventil Verlag
Illustration: Helena Baumeister - Ventil Verlag

Baumeister malt denn auch den Alptraum genüsslich aus: Der gelegenheitsgeile Anrufer landet bei jener Sabine, die in Baumeisters Version eben nicht einsam daheim sitzt, sondern zwei munter mithörende und -gickernde Freundinnen zu Besuch hat. Und trotzdem riskiert er’s. Was nicht nur einen neuen Blickwinkel eröffnet, sondern zugleich die Frage aufwirft, ob die Leute damals am Ende einfach… mutiger sein mussten? Selbstbewusster? Risikobereiter? Ungehemmter? Und wenn schon das wie mutige Todesverachtung wirkt – was sagt das über die Belastbarkeit junger Menschen heute?

Denkanstöße wie dieser machen aus „Ab dafür“ deutlich mehr als zeichnerisch verbrämte Musiknostalgie (die aber erfreulicherweise trotzdem noch stattfindet). Empfehlenswert!

 




Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:





 


Müssen trübe Themen auch unattraktiv sein? Drei Comics zeigen, dass es anders geht – trotz Waisenheim, Missbrauch und Teenie-Schwangerschaft

Illustration: Taiyo Matsumoto - Carlsen
Illustration: Taiyo Matsumoto - Carlsen

Ein alter Woody-Allen-Witz geht so: Zwei Seniorinnen unterhalten sich im Hotel. Sagt die eine: „Das Essen hier ist einfach katastrophal.“ Und die andere: „Stimmt, und diese winzigen Portionen!“ Ähnlich geht’s mir mit vielen, ich nenne sie mal: Sozialcomics. Erst das große Elend, und dann sieht’s auch noch freudlos aus. Interessanterweise sind mir gerade drei Comics untergekommen, die’s anders machen. Freuen Sie sich nicht zu früh: Elend bleibt Elend. Aber… na, warten Sie‘s ab.


Die nervt, die junge Alte

Illustration: Wanda Dufner - Edition Moderne
Illustration: Wanda Dufner - Edition Moderne

Nummer Eins ist der Neuzugang „Bauchlandung“. Das Debut der Schweizerin Wanda Dufner behandelt das Thema „Teenagerschwangerschaft“, ist autobiografisch und auf 400 Seiten so unbeschwert wie ein Senkblei. Dufner lässt nichts aus: Überforderung, ahnungsloser Sex mit einem sensationell arschlochmäßigen Freund, permanentes Gejammer und Beklagen, Plot und Protagonistin gehen einem rekordschnell auf den Keks. Selbstmitleid und Selbstvorwürfe, Entscheidungsunfähigkeit und Heulerei über Bevormundung, und all das noch im krakeligen Liv-Strömquist-Stil. Aber!

Dufner kombiniert das mit einer kunterbunten Farborgie. Ein hemmungsloser Griff in den Malkasten, kein Farbtöpfchen bleibt ungenutzt, das ist wie zwei doppelte Espressi direkt aus der Tasse hinein ins Auge. Man bleibt gewissermaßen grellwach, man blättert unentwegt weiter, obwohl die junge Alte ganz schön nervt. Die launigen, quicklebendigen Farben haben mich durch den Band getragen. Gottseidank, weil Dufner nach und nach einen angenehm beißenden Humor entwickelt, ohne ihr Farbdoping wären mir also auch einige prima Lacher entgangen.

Was dennoch nicht heißt, dass „Bauchlandung“ hilfreich wäre: zum Ratgeber taugt der Band kaum. Aber selten war so viel Kummer so belebend.

 

 

Grabbelnder Pfarrer

Illustration: Alfred/Olivier Ka - Carlsen
Illustration: Alfred/Olivier Ka - Carlsen

Trübsal Nummer zwei fand ich auf den Spuren des Franzosen Alfred (eigentlich Lionel Papagalli). In „Warum ich Pater Pierre getötet habe“ illustriert er eine autobiographische Erzählung von Olivier Ka. Wie der Titel andeutet, geht’s um Kindesmissbrauch. Nicht die schlimmste Variante, aber trotzdem. Eine einmalige Episode im Jugendcamp, die Ka bleibend beschädigt. Ka schildert sie angemessen naiv, Alfred setzt das Erlebte kindlich, bedrückend in Szene und kompakt. Ka/Alfred bringen den heiklen Stoff in nur 100 Seiten auf den Punkt. Kürze, Würze, man muss die Leser nicht totlabern. Und doch bleiben Fragen.

Nicht, ob das Ganze der Schwere des Vorgangs angemessen ist: Ka konnte den Grabbelversuch des kirchlichen Familienfreunds zwar ein für alle Mal abwürgen, traumatisiert ist er fraglos dennoch. Was aber verwirrt, ist, dass weder Ka noch Alfred auch nur ein einziges Mal der Gedanke an andere Kinder kommt. Das Feriencamp fand schließlich jahre-, jahrzehntelang statt. Bedeutet: Hunderte möglicherweise weniger starke Opfer. Wie können da zwei mittlerweile gestandene Erwachsene die Sache für erledigt halten, nachdem Ka mal den Pfarrer wegen der eigenen Episode zur Rede gestellt hat?

 

Olivier Ka (Text), Alfred (Zeichnungen), Martin Budde (Üs.), Warum ich Pater Pierre getötet habe, Carlsen, nur gebraucht erhältlich, z.B. derzeit bei Medimops


Zähe Kleinfighter

Illustration: Taiyo Matsumoto - Reprodukt
Illustration: Taiyo Matsumoto - Reprodukt

Nummer drei ist einer meiner Klassiker, die Manga-Reihe „Sunny“ von Taiyo Matsumoto, in der ich mich gerade durch Band 3-4 gefressen habe. Wieder in Japan, im Waisenhaus der Sternenkinder,  deren Leben Matsumoto schlaglichthaft in Episoden schildert. Die Reihe hat einen ganz eigenen Zauber, der auf zwei Zutaten beruht: Das Heim, anständig, sogar liebevoll, aber nicht zersüßt wie die ARD-Sachsenklinik, sondern robust, professionell, wie ich’s aus meinem Zivildienst kenne – man fällt den Kindern nicht dauernd um den Hals und führt nicht ständig bedeutungsvolle Gespräche.

Zutat zwei sind die Kinder selbst: Um Aufmerksamkeit ringend, ruppig und zugleich enorm verletztlich. Sie leiden darunter, dass ihre Eltern weg sind, wären gerne „normal“, misstrauen der Nicht-Heimwelt und sehnen sich doch nach ihr. Und für die Normalität oder auch nur die Illusion davon belügen und betrügen sie häufig andere und sich selbst (womit sie sich nicht anders verhalten als viele Erwachsene angesichts der unschönen Gegenwart).

Matsumoto schildert all das einfalls- und variantenreich, einfühlsam und zugleich sachlich wie eine gute Reportage, was „Sunny“ immer wieder zum verwirrend bittersüßen Erlebnis macht. Das auch daran erinnert, dass diese Kinder nicht aus Zucker sind, sondern recht toughe Kleinfighter. Und ausgedacht.

 




Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:





 


Kinder und Social Media, muss man irgendwie nachdenklich-kritisch sehen, ne? Aber muss sich das dann auch so lesen? Bei Luise Mirdita nicht!

Illustration: Luise Mirdita - Schwarzer Turm
Illustration: Luise Mirdita - Schwarzer Turm

Vorbildlich. Man kann es kaum anders nennen, was Luise Mirdita da in „Schattenspiel“ veranstaltet. Weil Mirdita sich ein ernstes Thema vorgenommen hat, und gerade bei denen kann man soooo viel falsch machen. Mirditas Thema: Kinder und Social Media. Was ja per se auch noch irgendwie nach Selbsthilfe-Workshop klingt, nicht wahr? Obendrein hat sich Mirdita in den Kopf gesetzt, das Ganze mit dem Bleistift zu machen (vielleicht ist auch noch etwas Kohle dabei), bunt wird’s also nicht. Oje! Aber: Wunder über Wunder, es klappt. Warum?


Im Chat: Fotos aus der Umkleide

Illustration: Luise Mirdita - Schwarzer Turm
Illustration: Luise Mirdita - Schwarzer Turm

Die Basis ist: die Geschichte. Mirdita wählt die Kinderperspektive. Karlotta ist in der sechsten Klasse und eine der wenigen, die weder ein Smartphone hat noch vermisst. Aber sie kriegt natürlich mit, was läuft. Judy, ihre Freundin von früher, hat jetzt ein Videoblog. Und im Klassenchat postet Max ein Umkleidefoto von Isabelle. Karlotta, die nachts oft von ihrem Super-Alter-Ego Charlotte träumt, knöpft sich Max vor und zerlegt sein Handy. Und in bester Show-don’t-tell-Manier hat Mirdita die Spannungsfelder eröffnet.


Mumm geht online


Denn Judy sieht auf ihrem Videoblog ganz anders aus als früher. Und die Aufmerksamkeit lässt unter den Kindern eine völlig neue Währung entstehen: Wer kennt Judy? Wer trifft Judy? Wer ist mit ihr im Video? Und auch Karlotta profitiert, sogar ohne Handy: dank ihres zivilcouragierten Auftritts wird sie Klassensprecherin – und qualifiziert sich letztlich für ein Treffen mit Judy. Die zwar sagt, dass sie’s nicht an die große Glocke hängen wird, aber dann Fotos und Videos trotzdem online stellt.


Luise kann Regie


Karlotta analysiert das nicht. Aber sie registriert diese neue Welt und bekämpft nachts in ihren Träumen die „Falschen“, die sich verstellen, „nur um dazuzugehören“. Ganz nahe kommt Mirdita hier dem Punkt, an dem’s zu deutlich werden könnte – und geht dann klug nicht noch näher ran. Sie löst den Konflikt auch nicht in Wohlgefallen auf. Ihr ist das Unbehagen wichtiger als wer in welchem Umfang schuld ist. Und dass Karlotta einen eigenen Weg finden muss. Was broschürenhaft klingt, aber eben nicht aussieht: Denn Luise Mirdita kann Regie.

Illustration: Luise Mirdita - Schwarzer Turm
Illustration: Luise Mirdita - Schwarzer Turm

Dialog-Szenen im Klassenzimmer oder am Frühstückstisch hält sie knapp und bebildert sie abwechslungsreich: Totale, Close-up, Detail, Blick von oben, schräg von unten, Schuss, Gegenschuss. Wie sieht man Karlotta – und was sieht wiederum sie? Abwechslungsreiche Panelgröße, das Große klein, das Kleine groß, so hält man Leser wach. Und in Karlottas Träumen dreht Mirdita so richtig auf. Gigantische Alptraumstädte, surreale Konstruktionen, Superheldenflüge, Actionszenen, Fritz-Lang-Finsternis – was war das noch gleich mit Social-Media-Workshop?

 



 

Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:





 


Suchwortvorschläge
Kategorien

Keinen Beitrag mehr verpassen!

Gute Entscheidung! Du wirst keinen Beitrag mehr verpassen.

News-Alarm
Schlagwörter
Suchwortvorschläge
Kategorie
Kategorien
bottom of page