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„Isch fick disch also binnisch!“

Der ideale Comic zur Frankfurter Buchmesse: "Der Bücherdieb" von Alessandro Tota und Pierre van Hove ist ein boshafter Rundumschlag gegen die Literaturszene.


GUT ZU FUSS Illustration: Alessandro Tota/Pierre van Hove - Reprodukt

Will man sowas lesen? Gerade jetzt, zur Buchmesse? Über 7000 Aussteller (und Ausstellerinnen), 200 Hammerautoren (und Hammerautorinnen), alles, was Rang und Namen hat, die richtig große Literatur, schöne, gute Premium-Kunst, und dann kommt da dieser kleine gemeine Comic und sagt: alles Humbug. „Der Bücherdieb“ heißt er, von Alessandro Tota und Zeichner Pierre van Hove, und das Gemeine ist, dass er so authentisch übertreibt.


Die Geschichte spielt im Paris der 50er Jahre. Daniel Brodin studiert widerwillig Jura und stiehlt nebenher Bücher. Er hält sich für geschickt und kaltblütig, tatsächlich ist seine Masche eher brachial: Er lässt sich vom Buchhändler erwischen, verprügeln und das gemopste Buch wieder abnehmen – weil er insgeheim ein zweites geklaut hat. Obwohl er sanfte literarische Ambitionen hat, schreibt er selbst nicht. Seine Flamme Nicole schleppt ihn zu einem Dichterwettstreit, nur als Zuhörer, und als die Literatenrunde nach langen Streitereien in die Runde fragt, ob denn womöglich ein „junger, unerfahrener Dichter“ anwesend sei, steht er auch nur auf, um Nicole zu beeindrucken. Er trägt ein geklautes Gedicht vor, immerhin selbst übersetzt – die Literaturszene ist begeistert. „Sie umringen mich, loben mich“, stellt er fest, „ich wünschte es würde nie enden.“


"Ich wünschte, es würde nie enden"


Kurz darauf verschlägt es Brodin in ein literarisches Untergrund-Café, wo er sich als frisch entdeckter Dichter erst blamiert und dann die Runde für sich gewinnt, indem er seinen Coup mit dem geklauten Gedicht als avantgardistisches Kabinettstück beichtet. Ein weiterer Triumph, Brodin ist auf Wolke Sieben. Und obwohl man die ganze Geschichte aus Brodins naiv-geltungssüchtigem Blickwinkel erlebt, hat man da schon eine Menge über den Literaturbetrieb gelernt. Oder?


Da wäre schon mal Brodins Schwanken zwischen grandioser Selbstüberschätzung, Suche nach Anerkennung (von Establishment, Untergrund oder einfach nur Frauen) und nackter Furcht vor Entlarvung. Oder die gesellschaftliche Erwartung an einen Dichter: „Mein gewöhnliches Aussehen sorgt für Enttäuschung. Man hätte sich einen Proletarier gewünscht oder besser noch einen Obdachlosen.“ Nicht zu vergessen: der versammelte Quatsch der Untergrund-Szene, der plötzlich klingt wie eine weise Weltanschauung, wenn man ihn nur selbstbewusst genug vorträgt: „Man sollte gehen, um sich zu verirren, nicht um anzukommen.“ Oder: „Die Avantgarde ist ein gefährliches Metier.“ Oder: „Wenn ich ein Auto klaue, warte ich auf den Besitzer ehe ich losfahre. Er soll mich sehen.“


"Bravo, mein Junge. Sie haben das Zeug zum Dichter!"


Ebenfalls nicht ganz unvertraut ist der Wunsch der Literaturkenner, neue Künstler selbst zu entdecken: „Sie wollen die Pariser Literaturszene in die Luft jagen“, reimt sich der Experte Bélanchon daraus zusammen, dass er Brodin mal als Gedichtrezitator und mal mit dessen Saufkumpanen gesehen hat. „Bravo, mein Junge. Sie haben das Zeug zum Dichter!“

Klar, den „Bücherdieb“ kann man auch als soliden Rundumschlag bezeichnen. Besonders wirkungsvoll ausgeteilt, weil Pierre van Hoves Bilder so lakonisch daherkommen. Schwarz-weiß getuscht, auf jede Karikatur verzichtend, ein bisschen Sempé zitierend, sehr nahe an Joann Sfar arbeitend, zielsicher auf die rauchgeschwängerte, anzugtragende Ernsthaftigkeit vertrauend, in der die Protagonisten ihre Ansichten zelebrieren. Aber insgesamt drischt „Der Bücherdieb“ doch auf jeden gleichermaßen ein und schießt dazu auch noch aus sehr sicherer Distanz, denn die 50er, die waren wirklich ziemlich altbacken und spießig, nicht wahr? Damals hat einen ja schon ein Rollkragen zum Revoluzzer befördert, heute ist das alles längst ganz anders. Souveräner, gereifter, toleranter, entspannter.


Ist es das?


Was ist denn der munter zelebrierte deutsch-türkische-Slang hiesiger Gangster-Rapper anderes als der Rollkragen des Hip-Hop? Wenn der bekannt reflektierte Kollegah schreibt, dass „ein Alpha“ den Blick „nicht auf den Arsch irgendeines Anführers“ richtet, für eine Leserschaft, die mit dem Kauf seines Buches genau das tut und sich dafür auch noch willig die Ohrfeige des Autors abholt – zeugt das nicht vom einhelligen Wunsch von Autor und Leserschaft nach einem modernen Existenzialismus: „Isch fick disch also binnisch“? Und wenn Rowohlt die Verlegerin Barbara Laugwitz gegen Florian Illies austauscht, weil ihre sachorientierte Nüchternheit nicht die Sehnsüchte der Szene bedient – ist das nicht dasselbe wie: Ihre „gewöhnliche Erscheinung sorgt für Enttäuschung“?

Will man sowas lesen? Gerade zur Buchmesse?

Ich auf jeden Fall.


Alessandro Tota/Pierre van Hove, Der Bücherdieb, Reprodukt, 20 Euro


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

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