Everytime you say goodbye
- Timur Vermes
- 29. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Irgendwann ist Schluss: Zwei prima Serien laden zum letzten Band. Aber wo Kenner trauern, finden Neulinge Schönes zum Nachholen

Nicht weinen, es ist ja niemand gestorben: Es gehen nur zwei ausgezeichnete Familiensagas in die Schlussrunde. Und anders als bei Asterix ist man bei diesen beiden sogar sicher vor einer mäßigen bis schlechten Endlosauswertung. Aber schade ist's dennoch: Weil es gar nicht so oft vorkommt, dass Form und Inhalt so schön zueinanderfinden. Schade, wohl gemerkt, nicht traurig: Denn erstens werden die Köpfe dahinter weitererzählen. Und falls Sie von beiden Serien nichts kennen, fängt der Spaß für Sie ja jetzt überhaupt erst an!
Ackermanns Lebensreste

Titus Ackermanns Teil vier seiner Gratis-Serie „Was vom Leben übrigbleibt“ ist eingetütet und gut geworden, auch wenn der Moga-Mobist die überraschende Tiefe der ersten beiden Teile nicht ganz halten konnte. Aber angesichts der Geschichte wäre das auch nur schwer machbar gewesen. Denn Ackermanns Schwerpunkt liegt gegen Ende weniger auf dem Leben des naziverseuchten Kriegsüberlebenden und mehr auf den Schwierigkeiten der übrigen Familie im Umgang mit ihm.

Und während man an Opas Leben entlang Parallelen zum Aufbau der ganzen Bundesrepublik mitsamt ihren Altnazis ziehen konnte, kann man diese Einsicht nicht beliebig oft wiederholen: Die Erzählung geht jetzt mehr ins Private, ins Leben mit einem alternden Mann, der recht schwierig zu handhaben war. Gefühlsarm, schwer nachvollziehbar, erratisch. Seine Enkel etwa, die dem einstigen Luftwaffensoldaten sein früheres Dienstflugzeug nachbasteln, kanzelt er hart ab, zählt ihre gemachten Fehler auf und schickt sie aus dem Zimmer. Das ist nicht nett, es hat einen leichten Touch of „Das weiße Band“, lässt sich aber nicht so leicht bundesweit übertragen.

Oder gibt es hier die Einsicht zu entdecken, dass man Leute mit Meisen auch mal Meisenleute sein lassen kann, ohne ihre Dachschäden ins eigene Parteiprogramm zu übernehmen? Wie dem auch sei: Selbst wenn man den verringerten Aha- und Überraschungseffekt einbezieht, ist Ackermanns Vierteiler noch immer weit jenseits dessen, was man üblicherweise von kostenlosen (und vielen verkauften) Comics verabreicht bekommt. Vielleicht ist das sogar die eigentliche Entdeckung: Dass Ackermann unermüdlich die Bandbreite der Themen erweitert, die man einem doch eher vorteilsorientierten Publikum sehr wohl zumuten kann.
P.S.: Wo findet man die Hefte? Gratis beim Comic-/Buchhändler, der sie über den PPM-Vertrieb gleichfalls gratis ordern kann. Aber: Verschenk-Comics sind bei manchen Händlern umstritten, das ist wie bei Wirten und Freibier. Wer keinen Händler findet, kann bei Moga-Mobo direkt bestellen. Weil das für den Verlag aufwändiger ist als die Gratisverteilung, sind die Hefte per Post dann allerdings nicht mehr kostenlos.
Mach's gut, Esther!

Das war’s für Esther: Riad Sattouf macht seine Ankündigung wahr und beendet nach neun Jahren seine Echtzeit-Dokumentation des Aufwachsens eines französischen Mädchens. Einmal pro Woche gab’s in Frankreich eine Seite, einmal pro Jahr die gesammelten Seiten für Deutschland. Mit Esther, die real nicht Esther heißt, Tochter einer bürgerlichen Familie, nicht reich, aber fürs Gymnasium reicht’s. Ich werde sie vermissen, obwohl sie tatsächlich immer weniger lustig war. Aber als Gagparade war sie ja auch nicht gedacht, obwohl man sie anfangs noch gern als eine Art „Kleiner Nick reloaded“ betrachtet hat.

Das lag daran, dass der Blick durch Kinderaugen natürlich eine Menge Pointen ermöglicht. Aber die naiven Erklärungen wurden mit den Altersjahren weniger, dafür nahmen die nüchternen, mal achselzuckenden, mal fassungslosen Beschreibungen der Gegenwart zu. Terroranschläge als Schulthema beispielsweise. Kriege. Oder auch die schiere Menge an dummen Jungs an Esthers Schule. Die Faszination von Gangster-Rap und üblen Sprüchen. Der Rechtsruck ihres großen Bruders, der wiederum einen aussichtsreichen Flirt scheitern lässt. Denn als Esther einem hübschen Jungen davon erzählt, deutet sie zugleich seufzend an, warum sie es hinnimmt: Weil’s halt ihr Bruder ist. Großer Fauxpas in einer Zeit allgegenwärtiger Fehltrittsucher.

Jeder neue Band lässt einen immer wieder beobachten, abgleichen, staunen. Esthers Ängste über die ersten grauen Haare ihrer Eltern, über die beginnende Verwirrung ihrer Oma. Die große, große Angst vor dem großen, großen Abitur. Und immer wieder dieses erstaunliche politische Desinteresse. Da ist nicht viel Umweltschutz, nicht viel Ukraine, und die Tiraden des Bruders werden nicht wirklich widerlegt, sondern abgehockt wie ein Regenschauer. Selbst der Holocaust scheint erst mit 17 so wirklich aufzutauchen. Man wundert sich, aber man ahnt auch, dass es den Esthers von heute gar nicht so klar sein dürfte, dass es diese verstörende Welt vor noch gar nicht langer Zeit in einer Variante gab, die „deutlich weniger verstörend“ war. In jedem Fall werde ich den Abgleich mit Esthers von Sattouf brillant aufgearbeiteten Eindrücken vermissen. Und bin gespannt, ob es ihm gelingt, etwas Vergleichbares zu entwickeln.