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Die Macht der Werbung

Aus „ordentlich“ wird „richtig gut“: Die erstaunliche Wandlung der 80er-Persiflage „Shooting Ramirez“

Illustration: Nicolas Petrimaux/Schreiber & Leser

Die Werbung ist schuld. Komplett erlogen. Von hinten bis vorne kein wahres Wort. Aber sie blieb mir im Kopf – weil sie so gut war. Gefunden habe ich sie im ersten Band von „Shooting Ramirez“, einer Geschichte, die ich irgendwie okay fand und unterschätzt habe.


Sie wirkte wie eine gute Kopie von Robert Rodriguez‘ „El Mariachi/Desperado“: Ein Killer geht um, ein Musiker kommt in die Stadt – und wird mit dem Killer verwechselt. Nur, dass diesmal der Musiker ein stummer Staubsaugervertreter ist und die Handlung in den USA der 80er spielt. Naja. Und tatsächlich war die Story randvoll mit Klischees. Was nicht schlimm sein muss, aber das Problem war: Für eine Parodie war es nicht witzig genug, aber dennoch wurde so viel gealbert, dass man die Figuren nicht richtig ernst nahm. Aber man konnte dem Zeichner und Autor Nicolas Petrimaux einfach nicht böse sein. Weil so viel grandioser handwerklicher Krimskrams drinsteckte.


Die 80er: cleveres Requisit statt nur Verarsche


Erstens klappte die Zeitreise ausgezeichnet. Obwohl Petrimaux, Ende 1982 geboren, sich eigentlich nur gerade eben noch für das Spielzeug dieser Dekade interessiert haben kann. Aber er hat ein Auge für die Architektur, das Design, die Mode, dass jeder Filmausstatter neidisch werden könnte. Noch wichtiger: er liefert diese Details nicht nur ab nach dem Motto „Guck-mal-Schulterpolster-haha-80er“, sondern er bindet sie in einen rundum stimmigen 80er-Jahre Tagesablauf.

Illustration: Nicolas Petrimaux - Schreiber & Leser

Zweitens geht Petrimaux wundervoll verschwenderisch mit Platz um. Eine meiner Lieblingsseiten ist ein doppelseitiges Splash zu Beginn: die Staubsaugerfirma von oben. Eine hässliche Firma, so stilvoll Ihre örtliche Geschäftsstelle der AOK, aber plattgedrückt, wir sind ja in Amerika, wo man Platz hat. Es ist ein heißer Sommermorgen, rund um die Firma sind weitere Firmen, genauso hässlich, in der staubdunstigen Ferne sind Palmen und breite Straßen und noch mehr hässliche Gebäude, soweit das Auge reicht. Das ist nicht schön, aber man kann dennoch kaum aufhören, das Auge auf dieser Doppelseite spazieren zu führen, weil alles so gut passt. Die Firma heißt - Achtung, kleines Wortspielchen - „Robotop“. Drittens aber imitiert Petrimaux Werbung. Und da tobt er sich richtig aus.


Kurios inszenierte Kugelmuffe


Schon für den Buchvorsatz, also gleich auf der Innenseite des Covers, erfindet er ein altes Staubsaugerhandbuch. Es gibt eine Geräte-Garantie, er zerlegt akribisch die Einzelteile und erklärt die Montage von Seitenklammern (h.) und Kugelmuffe (k.). Und ganz hinten im Buch gibt nicht dasselbe nochmal, sondern zwei weitere Seiten vom Handbuch. Im Band gibt’s ganzseitige Annonce für den „Harrison Splendid“ (standardmäßig mit Kassettendeck) oder Michael Jacksons Lederjacke, dazu eine Seite der fiktiven „Falcon Today“. All das sieht auf den ersten Blick völlig normal aus, nur wenn man sich durch den ganzen kleinen Text wühlt, findet man die kleinen Pointen und den grotesken Werbe-Unfug. Und deswegen hab ich den zweiten Band in die Finger genommen. Gottseidank!


Denn Petrimaux ist jetzt auch erzählerisch besser geworden. Er lässt seinen Protagonisten die Zeit, ziemlich normale Gespräche zu führen, damit man sie allmählich ins Herz schließt. So dass man jetzt in den spektakulären Actionsequenzen richtig mit ihnen fiebert. Dazu hat er die immer wieder wirkungsvolle Option entdeckt, einige dieser aufwändig nahegebrachten Figuren zu opfern.


Spott und Spannung arbeiten Hand in Hand


Spott und Spannung geraten sich nicht mehr in die Quere, die Einzelteile rasten ein und plötzlich funktioniert alles: Es gibt wunderbare Gegenschnitte, weniger Dialog und mehr Bild, mehr Werbung, ganze imitierte Klatschmagazin und endlich, endlich engagiert sich „Robotop“ ethisch und druckt den neuen Kundenkatalog „aus total verantwortungsvolle Weise in 12 Millionen Exemplaren“.

Was man natürlich nur erfährt, wenn man den ganzen kleingedruckten Wutzifutzikram liest.


 

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