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Comicverfuehrer

Französische Ernte (III): Viele Comics gibt's nicht auf deutsch. Aber wer fremde Sprachen kann, findet „L'Odyssée d'Hakim“ auf spanisch, türkisch, englisch

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Was hat ein Comicfreund vom Frankreichurlaub, wenn er die Sprache nicht parfait genug peut? Wie (hust) immer noch ich? Beispiel 3: Er spaziert in einen Comicshop. Das muss nicht in Paris sein, dazu genügt La Rochelle (80.000 Einwohner). Dort notiert er alles, was interessant aussieht, und sucht später im Netz, was es davon in einer Sprache gibt, die er kann. Für manche kann das Spanisch sein oder Italienisch, bei mir ist’s Englisch. Was mich zu „Hakim’s Odyssey“ bringt.


Geräuberte Optik


Ein in mehrfacher Hinsicht interessantes Produkt, gerade auch marketingtechnisch. Fabien Toulmé bedient sich geradezu hemmungslos bei den gut verkäuflichen Kollegen Guy Delisle und Riad Sattouf. Und das nicht nur optisch: mit der Reportage ist er inhaltlich ganz bei Delisle, mit dem Thema „Syrien“ ganz bei Sattouf. Deshalb fiel er mir auch auf: Weil alles gellend „Abklatsch“ signalisierte. Der Band ist aber trotzdem eigenständig – und gut. Weil er eine Lücke füllt.

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Nüchtern und fast humorfrei schildert Toulmé das Schicksal des Flüchtlings Hakim Kabdi. Der 2015 bei Aleppo seine eigene Gärtnerei hat. Bereits jetzt, noch vor Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs, begreift man eine Menge. Über das Leben in Staaten, die eine Partei beherrscht. Man muss bestechen, Traumjobs aufgeben, weil man nicht zur Staatsclique gehört. Man wird geschuriegelt, und wer einen Posten hat, ist Gott und kann einen jederzeit zur Kasse bitten. Und all das, wohlgemerkt, ist noch die beste Version. Wenn's im Land leidlich läuft.


Leben im Einparteien-Staat


Sie führte aber dazu, dass eine Menge Syrer fanden, es müsste besser werden. Als sie dies friedlich formulierten, begann für die Assad-Diktatur Phase 2: Wenn der Laden nicht mehr läuft. Dann folgen Todesschüsse, Verhaftungen, Folter. Das trifft, wie in Phase 1 erprobt, alle. Wer protestiert, angeschossenen Demonstranten hilft, aber auch wer Geld hat oder Verwandte mit Geld. Kommt Ihnen bekannt vor? Klar, Sie haben’s gerade erst hier von der Franco-Diktatur gelesen.

Es. Ist.

Immer. So.

In der DDR von gestern, der Türkei von heute, den USA von morgen, im Sachsen-Anhalt von übermorgen.

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Es hilft Hakim nicht, dass er nie ein Protestplakat getragen hat. Er wird erst grundlos verhaftet, dann grundlos gefoltert, dann grundlos entlassen, ab da ist er dauerverdächtig. Als sein Bruder spurlos „verschwindet“, die Armee ihm die Gärtnerei wegnimmt, sein Haus wegbombt, muss er fliehen, um für die inzwischen verarmte Familie Geld zu verdienen. Er versucht es erst in der Nähe, in Beirut, Jordanien, dann in der Türkei. Und er arbeitet wie der Teufel.


Die ungeregelte Region


Er putzt, backt Brot, schleppt Zementsäcke, alles für Hungerlöhne, alles schwarz, weil in diesen Ländern niemand Syrer offiziell einstellt. Immer mehr Schwarzarbeit führt zu sinkenden Löhnen, wütenden Einheimischen, Restriktionen. Spätestens hier ist klar, wohin Hakims Weg führt, führen muss: In einen Staat mit geregeltem Arbeitsmarkt, Gesetzen und funktionierender Wirtschaft, kurz – in eine westliche Demokratie. In diesem Fall Frankreich, wo er dann Fabien Toulmé treffen wird. Am Ende von Band 1 zieht Hakim nach dem Scheitern in Antalya nach Istanbul.

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Wie nebenbei erfährt man auch, wie Hakim lernt. Er wird ständig betrogen, benutzt, belauscht und – vorsichtig, misstrauisch. Er ist dennoch extrem flexibel, wach, leidens- und anpassungsfähig, geduldig, eigentlich ein idealer Angestellter.

Warum der Dreiteiler in Deutschland bisher noch nicht erschien? Schwer zu sagen, auch Spanien und die eher unvorteilhaft geschilderte Türkei haben zugegriffen. Und die Engländer? Die kennen immerhin den Spruch „When life gives you lemons, make lemonade.“ Es ist nicht auszuschließen, dass den auch Staaten beherzigen sollten, wenn ihnen das Leben Flüchtlinge beschert.

 

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Zwei Comics schildern Genozid und Gegenwart der Jesiden: Statt Betroffenheit nutzen sie harten Humor und erstaunlich viel Action

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Illustration: Mikkel Sommer/Tore Rorbaek - bahoe books

Interessiert mich die Sache mit den Jesiden? Mmmjaa, schon irgendwie, muss ja auch, weiß garnicht, worum‘s da genau geht, sollte mich auch erst vorher einlesen – nein, muss ich nicht: Zwei sehr gute Comics helfen aus, spannend, berührend, empörend und auch komisch. Wenn man sie gelesen hat, wird die Welt nicht unbedingt schöner: Aber man weiß mehr. Doch ich gebe zu: Der entscheidende Auslöser für mich waren nicht die Jesiden. Sondern der Name Zerocalcare.


Tölpeliger Reporter-Nerd


Dahinter steckt der italienische Cartoonist Michele Rech, der sich auf eine Art von autobiografischem Cartoon-Journalismus spezialisiert hat. Darin zeigt er sich selbstironisch als neurotischen Nerd, der schlecht informiert in Brennpunkte stolpert und dort eine Menge naiver Fragen stellt – genau die Fragen, die sich die Leser häufig nicht (mehr) zu fragen trauen. In „Kobane Calling“ etwa dröselte er auf diese Art die Situation der Kurden in Nordsyrien auf. Jetzt, in „No Sleep Til Shingal“, widmet er sich den Jesiden im Irak.

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Illustration: Zerocalcare - avant verlag

Jesiden? War da nicht alles irgendwie gut? Die waren doch 2014 vom Islamischen Staat (IS) massakriert worden, aber dann wurden die meisten doch noch irgendwie gerettet, oder? Und dann – keine Ahnung, war wohl nicht mehr so interessant … Genau hier holt Zerocalcare seine Leser ab und fragt sich durch ihre und seine Wissenslücken. Die überlebenden Jesiden sind tatsächlich wieder etwa da, wo sie vorher waren, werden dort aber inzwischen von der Türkei bombardiert und vom Irak bedroht.


Im Kriechgang durchs Checkpoint-Chaos


Warum? Weil 2014, als der IS gerade seinen Völkermord durchführte, die Rettung von PKK-nahen Kurdenmilizen aus Syrien kam. Was die Jesiden so beeindruckte, dass sie daraufhin beschlossen, sich zu bewaffnenund so ähnlich zu organisieren. Diese Organisation beleuchtete Zerocalcare in „Kobane Calling“ als erstaunlich demokratisch, erstaunlich frauengleichberechtigt, entschlossen prokurdisch. Alle drei Elemente sind für Erdogans Türkei inakzeptabel: Sie geht davon aus, die Jesiden in Shingal wären durch ihre Systemkopie eben zu einer anderen Art Kurden geworden. Feuer frei!

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Illustration: Zerocalcare - avant verlag

All das erfährt man, wenn man Zerocalcare in das irakische Zuständigkeits-Chaos folgt. Durch zahllose Checkpoints, an denen fragwürdige Karrieristen der jeweiligen Gruppierungen ihre plötzliche Macht ausspielen und die jungen Männer mit ihren Maschinenpistolen sich nur durch ihre Frisuren unterscheiden: Schiitische Milizen wirken etwa wie martialische Gotcha-Spieler, irakische Soldaten haben die Frisur alter Boygroups.


Kurden sind nicht Kurden


Doch so unkonventionell Zerocalcares Vergleiche und Analogien sind, so überzeugend wirkt sein Humor: blitzschnell und direkt, immer wieder mit komischen Übertreibungen. Rasch wird klar: das Anliegen der Jesiden ist berechtigt, nur die Rolle der Kurden bleibt unklar. Wenn die Jesiden von syrischen Kurden gerettet wurden, warum kooperieren haben sie dann nicht mit den Kurden nebenan im Nordirak?

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Illustration: Mikkel Sommer/Tore Rorbaek - bahoe books

Um das zu verstehen, empfiehlt sich der Comic „Shingal“ von Mikkel Sommer und Tore Rorbaek, die das Thema zu einem aus Zeugenaussagen gefertigten Actionthriller verarbeiten. Es sind die irakischen Kurden, die 2014 die wehrlosen Jesiden ohne jede Vorwarnung im Stich lassen: Nicht in Panik, sondern koordiniert, über Nacht, sie verwehren sogar den Jesiden die Fluchtstraßen, um Platz für die Militärkonvois zu haben. Warum? Die irakischen Kurden können heute gut mit der Türkei, beide verbindet das Ziel, dem Irak den Norden abzuspalten. Der Gedanke liegt nahe: Der IS sollte damals die Dreckarbeit übernehmen und die von lästigen Jesiden bewohnte Gegend erst mal leervölkermorden.


Betäubende Bombardements


Für politische Comics ungewöhnlich ist, wie actionreich „Shingal“ die Geschichte konsumierbar macht: Die verzweifelte Flucht in die Berge. Die Feuergefechte in der Nacht. Der Kampf um Wasser. Die Mörserbombardements des IS. Das (genauso wie bei Zerocalcare) beeindruckende Auftauchen der Kurdenmilizen aus Syrien, gerade auch der bewaffneten Fraueneinheiten, ausgerechnet hier in dieser Weltgegend voll Schleierregeln, weiblicher Zweitklassigkeit und Sexsklavinnentum – all das ist mit schlichten, aber wirkungsvollen Zeichnungen geschickt inszeniert. Voll Sympathie für die Sache, aber eng an den Fakten (begleitend gibt’s auch noch ein einordnendes, politikwissenschaftliches Nachwort). Was gerade im Zusammenspiel ein ungewohnt unterhaltsames und zugleich informatives Lesespektakel ergibt.





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