- 19. Mai 2024
Sachcomics auf Bestellung können Inhalte spannend vermitteln oder lau abarbeiten. Vier Bände nutzen die Chance mal gut, mal besser, mal nicht

Comics werden gerne genutzt, um Themen zu vermitteln. Allerdings nicht immer, weil irgendjemand die Verbindung von Text und Bild für so geeignet hält. Sondern: Weil man (gerade in Deutschland) der Ansicht ist, das sei doch irgendwie was für junge Leute. Man macht ein paar Bilder und Blasen, und dann kommt der Rest von alleine. Ist das so? Es gibt einen Band, der die Messlatte für Comics von comicfremden Auftraggebern darstellt: Mikael Ross‘ „Der Umfall“. Der umging mit Glück und Geschick sämtliche Fallstricke und wurde zum mutigen Überraschungserfolg. Vier ähnlich entstandene Bände haben sich inzwischen wieder angesammelt, und es stellt sich ziemlich rasch heraus: An den „Umfall“ kommt vorerst niemand ran. Trotzdem ist manches lesenswert.
Da fehlt schon mal Salz!

Nummer eins ist eine typische Auftragsarbeit. Das Salzkammergut ist 2024 Kulturhauptstadt, also machen die örtlichen Salzwelten was mit Kultur, einen Comic. Man nimmt Geld in die Hand und findet den tadellosen Zeichner/Autor Simon Schwartz. Der mit „Das Parlament“ schon eine Auftragsarbeit gemanagt hat. Das ist vertrauensbildend, weil: Bei solchen Arbeiten kann’s immer passieren, dass der Auftraggeber nölt. Und dann sollte der Künstler diplomatisch sein, möglichst auch nicht so extrem, dass es arg nach Kunst aussieht. Ergebnis: ein solide-braver Comic für den Museums-Shop, der tatsächlich keine einzige Sprechblase enthält. Der Text kommt in Kästen, damit fühlt sich’s für Skeptiker schon comicartig an, ist aber auch irgendwie noch ein Sachbuch. Schwartz klappert die Historie so überraschungsarm und bergbaukonzentriert ab, dass nicht mal drinsteht, wozu die Leute überhaupt seit Jahrtausenden alle so dringend das „weiße Gold“ brauchten, vermutlich für ihre Pommes frites. Praktisch die Hälfte der knapp 30 Seiten fokussiert sich immerhin auf den skandalträchtigsten Knüller: Nazikram, also Raubkunst und Hitler. Fazit: Hier ist der Comic weder geschickt eingesetzt noch erschließt er neue Interessenten. Aber er stört auch nicht.
Eiskalte Profis
Nummer zwei ist da ganz anders, da ist nämlich der Künstler nicht der einzige Profi: „Weiß wie der Mond“ heißt der Band, der mir als Nachwehe des „Kerguelen-Archipels“ in die Hände fällt, und genau so war’s auch gedacht. Weil in Frankreich nämlich mehr Leute Comics lesen, lesen auch mehr Wissenschaftler Comics und damit auch eben jenen Band. Deshalb fragte das Französische Polarinstitut Autor Emmanuel Lepage, ob er sowas auch über die französische Antarktis-Basis machen möchte. Lepage will, und er will nicht nur hinfahren, sondern mitarbeiten, nämlich beim Raid: Einem von jährlich nur vier Versorgungstrecks, bei denen man mit gigantischen Raupenfahrzeugen containergroße Schlitten hinter sich her durch 1200 Kilometer Eiswüste zieht. Auf den Schlitten ist alles, was die Station fürs nächste Vierteljahr braucht. Ein idealer Job für Lepage, der weniger Reporter als Beobachter und Zeichner ist. Das Ergebnis sind 250 Seiten grandioses Eiswüstenberichtsabenteuer zum Fingerlecken, ein mutiger 40-Euro-Band, der alle Stärken des Mediums ausspielen kann, weil alle Beteiligten wissen, warum sie aus diesem Thema einen Comic machen wollen.
Die Macher der Menschheit

Auch der nächste Band ist Ergebnis der gut funktionierenden französischen Comic-Industrie, wenn auch eines etwas anderen Zweigs: der Comicverwertung bereits bestehender Bücher. Kürzlich etwa des deutschen Export-Försters Peter Wohlleben, der auf diese Weise bumerangartig als Comicversion wieder nach Deutschland kam. Oder jetzt Yuval Noah Hararis Sachbuchbestseller „Sapiens“, von einem Profi (David Vandermeulen) zum dreiteiligen Comic-Skript verarbeitet, von einem weiteren Profi (Daniel Casanave) gezeichnet. Beides nicht überwältigend, aber extrem routiniert. Ich als Nicht-Harari-Kenner hab „Sapiens – Das Spiel der Welten“ schmerzfrei gelesen, der als Casting-Show arrangierte Wettstreit der politisch wirksamen Kräfte (Religion, Geld, etc.) um den Spitzenplatz innerhalb der Menschheitsgeschichte ist mittelwitzig, aber nicht hinderlich. Ein hochprofessionelles Produkt, künstlerisch weder fordernd noch abschreckend. Aber sowas entsteht nun mal in einem Land, in dem Leute einfach gern Comics lesen. Und nicht in einem, in dem der „Süddeutschen Zeitung“ bei der Rezension als einzigem (!) Comic-Bezug des gesamten Seitenaufmachers die Frage an Harari einfällt, ob er nicht Angst hätte, dass man ihn nicht mehr ernstnähme, „wenn er jetzt auch noch Comichefte“ macht.
Willkommen in den 50ern.
Auswärtsschwäche statt Heymvorteil

Au, au, au. Jetzt gibt's mal Comics vom Lehrer, weil: kann ja nich so schwer sein. Der Lehrer hat zwar noch nie einen Comic gemacht, aber dafür weiß er Bescheid über Stefan Heym und außerdem kommt er aus der Heym-Stadt Chemnitz, und das ist ja die Hauptsache. Für „Die sieben Leben des Stefan Heym“ hat man tatsächlich lauter Chemnitzer Kompetenz versammelt, doch das klappt nur bei Zeichnung und Grafik ordentlich. Gerald Richters Konzept hingegen verströmt Überforderung: Da weiß einer zu viel, und dann nicht mehr, was er erklären müsste und was er weglassen sollte. Dabei ist die (mir zuvor unbekannte) Heym-Story eigentlich sensationell: Ein jüdischer Autor und Frauenfreund flieht erst vor den Nazis nach Amerika, dann vor den McCarthy-Amis in die DDR, und überall eckt er an, setzt sich aber ziemlich oft durch. Leider wird Richters Heymvorteil in der Comicfremde rasch zur Auswärtsschwäche: Woher der als Helmut Flieg geborene Heym sein Pseudonym hat? Keine Ahnung, und wenn’s ein Rätsel ist, könnte man auch das mal erwähnen. Wie Heym überall reüssiert, wie er sogar Mutter und Bruder in die USA schleust: Nichts wird erklärt, stattdessen heißt's: „… aber irgendwann hat er es ja dann doch geschafft.“ Danke. Die Chronologie eiert, es gibt jede Menge Heym-Zitate, manchmal auch einfach nur „frei nach“ zurechtgedengelt. Dafür wird eingangs erklärt, wie ein Comic funktioniert und dass es Sprechblasen gibt. Mal kindgerecht duzen, dann schlüpfrig über einen „gierigen Schoß“ speicheln, bei so viel Orientierungslosigkeit ist man nur noch dankbar für zweierlei: Dass a) Zeichner Marian Kretschmer sich nicht vom Chaos hat anstecken lassen und dass b) die Heym-Story selbst so unkaputtbar ist. Ach so: Warum Heym „sieben Leben“ hat, welcher Abschnitt als Leben zählt, welcher nicht, ob's angesichts seiner Unverwüstlichkeit nicht besser neun (Katze!) sein sollten... ach, was soll's.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
- 18. Feb. 2024
Fern-Trips sind klimaschädlich? Mit Emmanuel Lepages Bildern wird „Die Reise zum Kerguelen-Archipel“ zur Nah-Erholung

Lust auf Urlaub, aber keine Zeit? Lust auf Ganzweitweg, aber Klimasorgen? Da hätte ich was. Wenn der Urlaub etwas abenteuerlicher sein darf: Mir ist nämlich Emmanuel Lepages „Reise zum Kerguelen-Archipel“ aus dem Jahre 2012 in die Hände gefallen. Und auf diesen 150 Seiten kommen Lepages Stärken weit besser zur Geltung als in seiner mehr sehens- als lesenswerten Reportage „Frühling in Tschernobyl“.
Réunion – und dann ganz weit runter
Grob sortiert ist beides Comic-Journalismus, aber: Lepage ist kein Enthüllungsreporter, was beim brisanteren Thema „Tschernobyl“ ungünstig war. Bei den Kerguelen ist das anders: Die gehören zu Frankreich und liegen an einem der vielen Ärsche der Welt, sehr weit südöstlich der Südspitze von Afrika im Indischen Ozean, schon ziemlich nahe an der Antarktis. Frankreich betreibt dort eher skandalfreie Forschungsstationen. Weshalb es da mehr zu erleben gibt und weniger zu enthüllen.

Schon der Weg dorthin ist umständlich. Man fliegt nach La Réunion und besteigt dort die „Marion Dufresne“, ein Spezialschiff, das Treibstoff und Vorräte zu den 2000 Kilometer entfernten Inseln transportiert, aber auch zu Forschungszwecken dient. Theoretisch ist das also das Idealversteck für Dr. Mabuse, tatsächlich forscht man dort zu Geologie, Wetter und anderen so harmlosen Dingen, dass man auch ein paar Laien mitnehmen kann. Vor Lepage liegt also kein Investigativ-Trip, sondern sowas wie Hurtigruten extrem. Aber das ist wie für ihn gemacht.
Normale Leute als Härtetest
Der heimliche Star des Bandes ist natürlich das Schiff, die „Marion Dufresne“. Die erste Begegnung, der riesige Rumpf, das Schiff nachts im Hafen im Mondlicht. Aber das wirkt eben nur, wenn man den Star nicht totzeichnet. Was reicht man also dazu? Die Menschen, die Crew an Bord, sich selbst akkurat und realistisch. Zuviel Bauch, zu wenig Haare, ein paar schiefe Zähne, lauter normale Leute. Stille Porträts mit Gruppenbesprechungen, es dauert nicht lang, da fühlt man sich als würde man mitreisen. Ab da beginnt der Härtetest.

Denn so aufregend Seereisen klingen, so oft droht Langweile. Lepage zeigt die Tätigkeiten der Crew (Schläuche ausbessern), den Maschinenraum, die Rohre im schicken Halbdunkel, das Bordhandwerk, all das so, dass man das Schmieröl riecht. Er zeichnet viel in schwarz-weiß, um dann immer wieder mit üppigen Farben zu betonen und zu belohnen. Und er nutzt sein Talent zur Bildregie: Schiff allein ist öd, also zeigt er den Blick vom Bug aufs Schiff, die grellweißen Aufbauten, die blaue See und die Gischt, die seitlich über die Reling spritzt, praktisch ins Gesicht. Den Gegenschnitt: Sich im Stuhl, den Rücken zur See, das enorme Heben, das brachiale Senken, den Aufprall, wenn der Bug des Zehntausendtonners zurück in die See klatscht. Dann sich selbst, seekrank in der Koje: „Ich habe 15 Minuten durchgehalten“.
Technik: Inzeniert statt nur gezeigt
Überhaupt weiß Lepage, dass Technik besser wirkt, wenn man sie nicht nur zeigt, sondern auch inszeniert. Aus dem Aus- und Einladen bei ungünstigstem Wetter erstellt er geschickt fesselnde Actionsequenzen. Und Hubschrauber lässt er richtig gut aussehen: Da sitzt jede Einstellung, der Winkel im Anflug, die Landschaft darunter.

Apropos. Die Landschaften. Die Tiere. Die Einsiedlerkrebse. Die Pinguine. Die Seekühe. Wale. Auf gigantischen farbigen Doppelseiten, gut platziert nach stilleren Panels, die Ruhephasen an Bord fühlbar machen. Dazwischen macht Lepage Ausflüge ins Historische, mit den Segelschiffen des Entdeckers Yves Joseph de Kerguelen, den zerfallenden Fabriken für Walöl und Dosenlangusten. Man sitzt bequem auf dem Sofa und ist erstaunlich gut dabei. Die Fahrt ließe sich übrigens offenbar auch tatsächlich buchen – aber dennoch ist der Band keine teure Werbebroschüre.
Nachhaltiger Comic-Trip
Denn erstens hat man nicht unbedingt 9000 Euro zur Hand. Und zweitens gibt’s auf der „Marion Dufresne“ nur acht bis zwölf Plätze, weil die Hauptsache ja Transport und Forschung sind. Bedeutet: Pro Jahr können das rund 30 Leute mitmachen. Was auch erklären würde, warum die Buchung so mühsam zu finden ist: Das Ganze ist nicht als Business gedacht, man will auch weitere invasive Arten auf den Inseln vermeiden. Was den Comic doppelt nachhaltig macht.
Emmanuel Lepage, Tanja Krämling (Üs.), Die Reise zum Kerguelen-Archipel, Splitter Verlag, 29,80 Euro
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
- 18. Jan. 2024
Die Outtakes (10): Zuviel Rührseligkeit im Meer, zu wenig Logik im Mord und nicht genug Witz in den Muskeln

Die Farben des Schreckens
Erstaunlich, oder? Inzwischen genügt allein die Kombination aus Meerblau und Alarm-Orange, dass jeder sofort das Thema „Flüchtlinge“ vor Augen hat. In Adrian Pourviseh schildert nun ein weiterer Autor mit „Das Schimmern der See“ die unhaltbaren Zustände im Mittelmeer. Was teils exzellent gelingt: Die Praxis professioneller Retter schildert er präziser und eindringlicher als andere Versuche, zudem liefert er ein Update zu den seit 2017 eingetretenen Veränderungen hin zum Idiotischen/Unmenschlichen. Weniger hilfreich in diesem semijournalistischen Erfahrungsbericht ist allerdings Pourvisehs Neigung zur Rührseligkeit. Denn auch hier gilt: Die Leser schniefen umso weniger, je mehr der Autor selber schnieft.
Mimose mit Mord-App

Kaum vorstellbar brutal kommt der Thriller „A Righteous Thirst For Vengeance“ (zu deutsch: Ein aufrichtiger Rachedurst) daher. Der Start ist hervorragend, geradezu „Spiel mir das Lied vom Tod“-Qualität: Wir folgen (wortkarg und ausführlich) dem dicklichen, mittelalten Sonny, der durch den Regen mit dem Bus zu einem einsamen Haus fährt: Dort findet er ein totgefoltertes Paar. Das ist langsam und grandios inszeniert, sehr überraschend. Aber dann beginnt der Unfug: Sonny hinterlässt (nach Stunden im Regen) blutige Fußabdrücke? Er hat Zugang zu einer Mord-App, die Aufträge und Mörder verbindet, ist aber trotzdem ständig überrascht, dass er auf Leichen stößt? Das legt nahe: Szenarist Rick Remender und Zeichner André Lima Araújo haben Lust auf große Effekte – aber nicht darauf, deren Entstehung überzeugend herzuleiten. Daher finden sich auch immer wieder in den Szenen logische Fehler. Und daher braucht auch der Superkiller ein besonders ausgefeiltes Tötungsritual. Das ist so durchschaubar, dass aus einem Thriller, der mehr hätte sein können, letztlich nicht mehr wird als ein solide inszenierter Gewaltporno.
Kopflose Augenkunst

Richard Corben war für mich immer geiler Fantasyscheiß. Das Cover von Meat Loafs Album „Bat Out Of Hell“, Motorräder, Muskeln, Action, ordentlich realistisch gezeichnet, ahh, Kunst, die nicht anstrengt! Comics von ihm hatte ich nicht in der Hand, bis jetzt: „Murky World“ ist Teil des Spätwerks des 2020 verstorbenen 80-Jährigen. Optisch ist es erstaunlich satirisch, die jeweils achtseitigen Kapitel aus einer Fantasywelt strotzen vor skurrilen Gestalten, denen die Dummheit oft geradezu aus Mund, Augen und Ohren trieft. Weshalb sie oft mehr an Robert Crumb erinnern als an Meat Loafs Muskelbiker. Dazu gibt's absurde Welten, einfallsreich inszeniert, gutes Licht, das Auge fühlt sich wohl. Der Kopf leider nicht: Die Geschichte mäandert ziellos immer weiter vor sich hin, denn Corbens Dödeln und Dödelinnen fehlen Pointen, es gibt weder was zu Fürchten noch was zu Lachen und so fängt man leider irgendwann an zu blättern. Ich muss wohl mal was anderes von ihm ausprobieren. Möglichst und sicherheitshalber mit einem anderen Autor.

