Schenken, klar. Comics, logisch. Aber: welche? Sieben Tipps für die Klischeefamilie - und alle, die ganz anders sind.
Was ist der schönste Moment an Weihnachten? Genau, der 27. Dezember, wenn jeder seine Ruhe hat. Dann kann man sich's bequem machen, die Welt leckt einen am Arsch und alle lesen die Comics, die Sie verschenkt haben. Ach so, das ist natürlich blöd für Sie selber. Da hilft nur: Sie verlinken diesen Artikel und schicken ihn an drei gute Freunde, die möchten, dass Sie's am 27. auch schön haben.
Für Vati (will seine Ruhe)

Vati heult, weil er 50 wird und der neue Asterix nicht mehr so ist wie früher? Dem Mann kann geholfen werden: Der Avant-Verlag hat „MacCoy“ ausgegraben. Den Zeichner Antonio Hernandez Palacios kennt Vati noch von „El Cid“ und „Manos Kelly“, aber „MacCoy“ ist nur kurz erschienen, als Vati sich schon mehr für Mädels interessiert hat. Jetzt, wo Vati wieder Zeit für Comics hat, freut er sich, weil es mehr von dem guten alten Zeug gibt, das er noch versteht: Explosive Action aus sensationellen Perspektiven, weite Landschaften, dass einem die Augen übergehen, und ganz nebenher den besten Pferdezeichner wo gibt. Geschenk überreichen, Glühwein daneben stellen, nicht mehr stören.
Antonio Hernandez Palacios, Josef Langruth (Üs.), MacCoy, Avant Verlag, 39,95 Euro
Für Mutti (will das Richtige tun)

Altern, Zeit und Vergänglichkeit liegen im Trend. Das kommt denen entgegen, die’s gerne etwas ernsthafter haben. Grade erst empfohlen hab ich dazu Yelin/Steinaeckers "Der Sommer ihres Lebens", immer wieder empfehle ich Roz Chasts "Können wir nicht über was anderes reden", unverdient unbehandelt blieb bislang Paco Rocas „La Casa“. Drei Geschwister besuchen nach dem Tod ihres Vaters sein Wochenendhäuschen, erst einzeln, dann miteinander. Sie probieren, das Haus weiterzuführen – aber ohne den Vater ist es nicht dasselbe. Und jetzt? Verkaufen? In seinem Sinne erhalten? Ist es sinnvoll, das Leben aller Verstorbenen in sein eigenes mit zu überführen? Was gebietet der Anstand, was will die Sehnsucht, was wünscht man sich selbst? All das verhandelt Roca in wunderschönen spätsommerlichen Bildern, die einem den Sonnenschein unter den Weihnachtsbaum zaubern. Sehr treffend, sehr versöhnlich, harmonisch, aber nie harmlos.
Paco Roca, André Hüchemer (Üs.), La Casa, Reprodukt, 20 Euro
Für Opas und Omas (wollen Recht haben)

Sie hätten gern alles heute so wie es früher war. Aber genauso gut, und zwar besser. Kein Problem, dafür hat uns der liebe Gott Lewis Trondheim geschenkt. In „Mickey’s Craziest Adventures“ (keine Angst, Text ist deutsch) hat sich der Starautor mit Zeichner Keramidas Micky Maus und Donald Duck vorgeknöpft. Es ist alles wie immer: Micky und Goofy, Minnie, Donald, Dagobert und Daniel Düsentrieb – und doch ist auch alles anders. Die Geschichte ist Slapstick in doppeltem Tempo, nochmal beschleunigt durch einen erzählerischen Trick: Angeblich handelt sich’s um eine ganz alte Comic-Serie, von der leider nicht mehr alle Seiten erhalten sind, weshalb man mal eben übergangslos von Folge 18 zu Folge 21 katapultiert wird. Liebeserklärung, Persiflage, Nostalgie, alles in einem, wenn man Vorwissen mitbringt. Doch davon haben Opa und Oma ja jede Menge.
Für die noch unkomplizierte Tochter (will Prinzessin werden)

„Der kleine Nick“ ist ja als guter Franzose nun schon ein paar Jahre im Ruhestand. Und so viel in seinen Abenteuern auch heute noch funktioniert, so viel ist leider auch komplett überholt. Aber es gibt adäquaten Ersatz: „Esthers Tagebücher“ von Riad Sattouf. Wobei „Ersatz“ stark untertrieben ist: Während der kleine Nick sich nur über die Welt der Großen wundert, kann Esther nebenbei ihre Welt so gut erklären, dass sich den erwachsenen Lesern beim Lachen zugleich ein etwas gruseliger Blick auf die künftige Gesellschaft eröffnet. Der erste Comic seit langem, den man wieder seinen Kindern schenkt, um ihn sich schnellstmöglich selber auszuborgen!
Riad Sattouf, Ulrich Pröfrock (Üs.), Esthers Tagebücher, Reprodukt, 20 Euro
Für die nicht mehr unkomplizierte Tochter (will nicht Mutti werden)

Geschichten, in denen sich Mädchen in junge hübsche Vampire verlieben, sind einfach herzustellen, aber Stories, in denen sich das Mädchen in eine Mumie verliebt? Geht das überhaupt? Das geht und ist sogar herzerwärmend niedlich und verschroben komisch: Dafür bürgt das Skript von Joann Sfar. Die verführerische Optik hingegen stammt von Emmanuel Guibert, der die gediegen-würdevolle Atmosphäre des alten London mit einem sagenhaften Gespür für Bewegungen, slapstickhafte Action und Situationskomik durcheinanderwirbelt. So bildschönen Unsinn gab’s von ihm seither nicht mehr: Die „Tochter“ stammt immerhin schon von 1997. Aber für Mumien ist das natürlich praktisch brandneu.
Joann Sfar/Emmanuel Guibert, Barbara Propach (Üs.), Die Tochter des Professors, Bocola Verlag, 14,90 Euro
Für den Sohn (will das was alle Jungs wollen)

Mit dem Moped durch die Gegend heizen, flotte Sprüche liefern, Monstern den Kopf wegballern und Mädels angucken: Das klingt wie Material für furchtbaren Trash, aber Thomas von Kummant und Benjamin von Eckartsberg haben daraus in „Gung Ho“ eine richtig gute Coming-of-Age-Saga gebastelt. Fleischfressende Monsteraffen haben die Welt überrannt, die Menschheit rettet sich in befestigte Dörfer, wo die Kids sich eingliedern sollen und lieber rebellieren. Das Ergebnis überzeugt, weil die zwei Vons Action, Erotik, Optik und Dialog nicht blind durcheinander schmeißen, sondern punktgenau und sausouverän einsetzen. Da freut sich der Sohn auch später drüber, wenn Möpse nicht mehr die Hauptsache sind.
Thomas von Kummant/Benjamin von Eckartsberg, Gung Ho, Cross Cult, Band 1-3, 22-25 Euro
Für rundum alle

Mit dem „Hochhaus“ bin ich ja nie recht klargekommen, aber: Was weiß schon ich? Der Webcomic wurde nicht nur von zahlreichen Kollegen gelobt, in Erlangen hat man ihn auch mit dem Max-und-Moritz-Preis als besten Comic ausgezeichnet. 102 Wochen lang hat Katharina Greve je ein Stockwerk dazugezeichnet, manche Episoden beziehen sich aufeinander, manche sind eigenständige Tages-Cartoons. Wer mag, kann das „Hochhaus“ jetzt als Buch verschenken, ich empfehle hier aber explizit: den Rollcomic, der die endlose Scrollfunktion des Internets kongenial in eine durchgehende, ungeschnittene Papierversion übersetzt. Und beim Durchrollen sind mir die zahllosen Wohnungs- und Kücheneinrichtungen aufgefallen, die liebevollen, grellbunten Tapetenvariationen, und die vielen Details machen das „Hochhaus“ auch für Skeptiker wie mich absolut sehenswert…
Rollcomic: Katharina Greve, Das Hochhaus, round-not-square.com, 27/35 Euro (signiert)
Buchversion: Katharina Greve, Das Hochhaus, Avant, 20 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online
Der Berliner Verlag round not square bietet einen Rollcomic auf über 15 Metern Papier an. Ein Selbstversuch

Ein Comic, den man mit den Füßen zuklappt. Das ist tatsächlich mal was ganz Neues. Vielleicht gibt es auch andere Methoden, Sie können es gerne selbst versuchen – ich sag Ihnen kurz mal, worum’s geht: um einen Rollcomic.
Wie weiland der Teppich von Bayeux
Wat is eine Rollcomic? Sowas wie ein Rollmops? Ja, kommt gut hin: Dieser Rollcomic stammt vom Berliner Verlag „round not square“, ein Wortspiel, weil man das englische „square“ nicht nur mit „eckig“ übersetzen kann, sondern auch mit „langweilig“, und langweilig sind die Produkte nun wirklich nicht. Die Verleger Antonia Stolz, 33, und Ioan Brumer, 29, haben im Prinzip die alte Schriftrolle wieder ausgebuddelt und zum Rollbuch modernisiert – ein Buch auf einer einzigen, sehr, sehr langen Papierrolle. Und weil sie schon dabei waren, haben sie auch gleich den Rollcomic entwickelt, vielleicht sogar erfunden, weil: mir ist bisher noch kein anderer untergekommen, abgesehen vielleicht vom Teppich von Bayeux.
Der Umgang mit dem Rollcomic ist leichter als man vielleicht glaubt. Der Comic besteht aus einer Rolle Papier, die in einem steifen Kartoncover endet und liegt. Zum Lesen öffnet man dieses Cover und dreht es auf links. Die so entstandene hohle Coverrolle nimmt man in die linke Hand, auf sie wird man nun nach und nach die 15 Meter Handlung aufspulen, die man jetzt noch als kompakte Papierrolle in der rechten Hand hält. Unsere Geschichte heißt „Shipwreck“ und ist vom Augsburger Paul Rietzl. Science Fiction, im Weltraum, was auch angesichts des Mediums nicht schlecht gewählt ist.
Es fehlt: der Schnitt beim Umblättern
Denn so eine Rolle kann man nicht nur kontinuierlich ansehen, man kann sie auch so weit auseinanderziehen wie man will. 30 Zentimeter, 100, doppelt armbreit. Man hat also als Zeichner nach rechts unglaublich viel Platz, und viel Platz ist etwas, was man sehr gut brauchen kann, wenn man den Weltraum zeichnen will. Sofort zeigt sich auch noch etwas Eigentümliches: Es fehlt die Zäsur, die ganz automatisch immer dann entsteht, wenn man in einem normalen Comic eine Seite umblättert.
Beim Umblättern weiß man ja nicht, was als Nächstes kommt. Die rechte Seite kann man vielleicht so aus dem Augenwinkel ahnen, aber die linke Seite, keine Chance, noch während die Seite senkrecht steht, hat man nicht den Hauch einer Ahnung. Diesen Moment der Zwangsüberraschung hat der Rollcomic nicht. Dafür bietet er die Möglichkeit zu langen, langen Kamerafahrten.
Vorteil: lange Kamerafahrten
Reitzl nutzt das, um uns in die Geschichte einzuführen, diese Zukunft mit ihren epischen Weltraumschlachten, dazu gibt es viel Voice-over in Textkästen. Was auch kein Zufall ist: Denn während das Format bei Kamerafahrten glänzt, kann man schnelle Gesprächspassagen auch hier nur als normale Bilderabfolge zeigen. Das ist dann wie ein Ferrari in der Tempo-30-Zone, außer man zeigt Ali Baba und die vierzig Räuber beim Durchzählen. Schwierig ist aber auch, was dabei zu essen.
Schwierig: sich beim Lesen an der Nase kratzen
Zum Beispiel ein Käsebrot. Einen Teller mit Schnittchen schmieren und dann dazu ein Comicheft lesen – gar kein Problem. Mit einem Rollcomic ist das schon anders, weil man ja beide Hände voll hat. Man soll natürlich nicht beim Lesen essen, klar, aber es ist ohne Hände auch nicht ganz leicht, sich an der Nase zu kratzen. Hilfreich wäre daher, wenn die Geschichte so fesselnd wäre, dass man die Nase darüber vergisst – aber das ist schon im Normalformat enorm schwer.
Reitzl kann man dabei keinen Vorwurf machen. Er löst die meisten Herausforderungen, die ihm die Rolle stellt, geschickt und guckt sich viel vom Film ab. Weil es ohne Blättern schwer ist, im fortlaufenden Bild die Szene zu wechseln, nutzt Reitzl Vorder- und Hintergrund, zoomt heran, schwenkt von dort wo anders hin. Sein Weltraum ist auch nicht nachtschwarz, sondern endlos weiß, weil man dadurch elegant Innen- und Außenszenen mischen kann ohne dafür den Hintergrund ändern zu müssen.
Pionierarbeit: Es gibt kaum Vorbilder
Gelegentlich lässt Reitzl auch Rolle Rolle sein und klinkt ganz konventionell Bilder ein, um den Rhythmus zu ändern, und überhaupt schlägt er sich doppelt anerkennenswert, weil er kaum auf Vorbilder zurückgreifen kann und sich das Meiste selbst erarbeiten muss. Trotzdem kann man nur schwer bestreiten, dass seine Geschichte vor allem auch deshalb gut unterhält, weil man dabei den ungewöhnlichen Extraspaß mit den Papierrollen hat. Solange man nicht zu pedantisch ist, jedenfalls.
Es ist nämlich kaum möglich, beim Lesen die linke, gelesene Rolle so sauber aufzuwickeln wie die rechte, ungelesene. Und zum Schluss, wenn man das ganze Buch zurück spulen muss wie früher eine Musikcassette, geht das zwar sauberer, aber nicht mehr so kompakt, dass das Cover sofort wieder drumrum passt. Man muss dann die Rollenlöcher zwischen die Finger nehmen und straff ziehen. Die eigens mitgelieferte Anleitung sagt zwar, das ginge mit einem Finger, aber dann wird’s schief. Weshalb ich mich ganz zum Schluss gebückt, die Rolle zwischen die Finger genommen und dabei mit den Zehen das Cover festgehalten habe. Während derart interaktiven Bücklingen merkt man dann am eigenen Leib, wie man den Begriff „Liebe zum Buch“ mit ganz neuem Leben füllt.
Der Leser bestimmt selbst die Bildgröße
Klar ist, dass so ein Format nicht mit dem Standardbuch konkurriert. Bis zu 30 Meter Papier, am Stück auf dem Tintenstrahldrucker gedruckt, das ist nichts fürs Alltagslesen. Es ist aber auch kein Nischenprodukt für Sonderlinge. Auf Designmessen kommt das Rollbuch sehr gut an, wie man hört, und auch ein Kinderbuch ist im Programm, das sich bereits 700mal verkauft hat – weil Kinder es prima finden, wenn man die Bildgröße selbst bestimmen kann.
Ehrlich gesagt: nicht nur Kinder.
Paul Reitzl, Shipwreck, round not square, 28 Euro
www.round-not-square.com
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.