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Comicverfuehrer

Spanien verschloss lang die Augen vor den Franco-Verbrechen: Ein erschütternder Comic zeigt jetzt den Preis des Schweigens

Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt
Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt

Einfach die ganze Scheiße totschweigen: Dieser Trend ist derzeit weltweit angesagt. Viele können gar nicht genug Schluss-Striche ziehen. Hierzulande DDR, Nazi-Herrschaft, andernorts Kirchenmissbrauch, Indianerkriege, Stalinismus, Vertreibung, Themen gibt es genug, und muss denn immer über alles geredet werden? Ein Comic erzählt jetzt von einem Land, das dieses Vorgehen gründlich ausprobiert hat: Spanien.


Hunderttausend Morde im Staatsauftrag


„Der Abgrund des Vergessens“ heißt der fiktional ergänzte Sachcomic, Paco Roca und Rodrigo Terrasa arbeiten am Beispiel der Öffnung eines Massengrabs bei Valencia die Geschichte der politischen Morde in Spanien auf. Diese gingen in den 30/40ern des letzten Jahrhunderts in die Hunderttausende, zum kleineren Teil begangen von Republikanern, zum überwiegenden Teil aber unter dem Franco-Regime.

Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt
Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt

Wie Roca/Terrasa dem Entsetzlichen Gesichter zuordnen, ist atemberaubend: Politische Prozesse, erfundene Anklagen, ignorierte Verteidigung, die Opfer sind Linke oder Leute, die Linke kennen oder Leute, die ihrem Nachbarn nicht passen. Entsetzliche Unterbringung bis zur Hinrichtung, Kontaktsperren zu den Angehörigen, und dann die routinierte Entsorgung der Toten in anonymen Massengräbern, Tote, Kalk, Erde, Schicht um Schicht um Schicht – in diesem Fall beerdigt von einem Linken, dem man wie zum Hohn diesen Job gnadenhalber aufgebrummt hat: „Begrab deine Leute!“ Und danach?


Verbotene Trauer

Illustration: P. Roca/R. Terrasa - Reprodukt
Illustration: P. Roca/R. Terrasa - Reprodukt

Spaniens Überwachungsstaat verbot die Trauer. Grabbesuche bei politischen Opfern waren verdächtig, nur an Allerheiligen, wenn alle zum Friedhof gehen, konnten sich die Trauernden unter die Menge mischen. Wenn sie überhaupt wussten, wo. Hier erwies sich dieser Totengräber als kleiner Glücksfall, wobei „Glück“ so aussieht: Wissen, zu welchem Grab man geht, und vielleicht konnte der Totengräber vorm Verscharren sogar ein kleines Andenken retten, etwa ein Stück Hemdsärmel. Dann, 1975, endete die Franco-Diktatur, recht überraschend. Und die demokratischen Parteien schlossen einen Pakt des Schweigens.


Ins Massengrab


Roca und Terrasa konzentrieren sich auf den Totengräber und eine alte Dame, die nichts weiter will, als die Überreste ihres Vaters neben die ihrer Mutter umzubetten. Aber immer wieder zeigen sie, dass das Geschehen noch viel mehr Menschen beschädigt hat: den Schützen im Erschießungskommando. Die Polizisten, die Leichen so gleichgültig wie schwungvoll in die sechs Meter tiefe Grube schleudern, wo sie dann liegen wie Schlenkerpuppen des Grauens.


Die Schuld bleibt über Generationen spürbar


Das landesweite Schweigen hat seinen Grund: Es gilt allgemein als Basis des recht gewaltarmen Übergangs zur Demokratie. Roca/Terrasa präsentieren jetzt seinen Preis. Der besteht nicht nur in den Geistern der Toten, den Leerstellen in den Lebensläufen. Er taucht auf in der Schuld der Todesschützen, der Polizisten, der Denunzianten, der schweigenden Zeugen. Eine simple Rechnung: Jeder Schmerz der Opfer lastet zugleich als Schuld auf den Schultern der Täter. Und die ist keineswegs unsichtbar.

Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt
Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt

Denn um die Jahrtausendwende rang sich die Politik allmählich zur Aufarbeitung durch, daher auch die Öffnung der Gräber: Aber genauso stark wird diese Aufarbeitung bekämpft, und der Hass, der den Angehörigen entgegenschlägt, speist sich vor allem aus eben jener Angst vor dieser Schuld.

Das freundliche Gesicht des Faschismus


Als Wessi kann man da schwer was raten: Nur die Ossis haben aus eigener Kraft eine Diktatur beseitigt, auch deren Bewältigung scheint heute eher mittelerfolgreich. Aber etwas anderes kann man von diesem Comic in jedem Fall mitnehmen: Francos Diktatur endete nicht in Ruinen und ließ den Holocaust weitgehend weg. Franco war also eine Art „Hitler light“. Wenn Sie sich also fragen, was mit einem „freundlichen Gesicht des Nationalsozialismus“ gemeint ist: exakt dieser Horror, den Roca/Terrasa hier schildern.


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