- 8. Jan. 2023
Immer öfter bedienen sich Demokratie-Gegner bei Kabarett und Comics - gegen deren Willen. Jetzt wehrt sich der erste Superheld: der Punisher.

Eine der frustrierendsten Erscheinungen in der Kunst ist derzeit das Kunst-Kapern. Kunst-Kapern geht so: Man nimmt die Kunst und fährt mit ihr einfach woanders hin. Dem Kabarett widerfährt das beispielsweise seit längerem: Kritik an der Regierung wird flugs als Plädoyer für eine rechtslinksscheißegalene Wir-sind-das-Volksdiktatur umgedeutet. Bei Youtube sammeln sich etwa unter Beiträgen der eher unverdächtigen "Anstalt" oder unter älterem Material von Georg Schramm nach wenigen Zeilen Jubelkommentare hoffnungsvoller Reichstagsstürmer.
Die Gekaperten reagieren meist mit Schockstarre oder Wegschauen, Gegenreaktionen sind selten, kommen aber inzwischen vor: Volker Pispers hat sich eindeutig distanziert und ratlos zurückgezogen, Florian Schroeder hat sich von Querdenkern einladen lassen und ihnen dann live die Meinung gegeigt. Jetzt schlägt auch der erste Comic zurück – der Punisher.
Vom Antiheld zum Kapitolssturm-Logo
Dieser Antiheld begann als verbitterter Rächer, der den Mord an seiner Frau und seinen beiden Kindern vergelten will. Anschließend scheint er jedoch etwas beliebiger und damit universeller deutbar geworden zu sein, denn: „Reale Söldner und politisch extreme Gruppierungen eigneten sich in den USA das Logo von Marvels Bestrafer an“, heißt es unter Bezug auf den 6. Januar 2021 im Vorwort zum neuen Punisher-Band „Der König der Killer“. Deshalb sei „eine Neudefinition von Vergangenheit, Gegenwart und … der Symbolik“ der Figur nötig. Hat’s geklappt?
Sagen wir mal so: Entglorifiziert haben sie ihn tatsächlich. Der neue Punisher gerät in die Fänge der Mördergruppe "Die Hand", die ihn als Obermörder beschäftigen will. Normalerweise würde der Einzelgänger so was natürlich nie mitmachen, aber Autor Jason Aaron hat einen nicht ungeschickten Dreh gefunden: Die "Hand" hat dem Punisher mysteriöserweise seine tote Frau zurückgegeben. Und der Punisher macht weiter mit, weil als weitere Belohnung auch noch die Rückkehr seiner Kinder winkt.
Rechtsruck kaputt. Held auch.
Beides liefert durchaus Motive, um den Punisher weiter gehen zu lassen als je zuvor, bis er noch wahlloser tötet und sich tatsächlich als Marionette missbrauchen lässt. Der einsame Wolf mit dem ganz eigenen Wertesystem ist damit von Seite zu Seite mehr Geschichte, das Problem dabei ist: Damit wird genau das hinfällig, was den Punisher mal attraktiv gemacht hat. Und auch wenn man davon ausgehen darf, dass er das Spiel in absehbarer Zeit vermutlich durchschauen dürfte, so hat er bis dahin nicht nur seine eigenen Werte gründlich verraten.
Denn wir erleben einen Punisher, der mit einem Schwert reihenweise Leute köpft, von deren Schuld er sich nicht selbst überzeugt hat, sondern die ihm Die Hand zu Dutzenden anliefert. Wie immer die Geschichte ausgeht, danach wird man kaum sagen können: "Ach, da hatte er gerade eine schlechte Phase." Und je länger er braucht, um zu ahnen, dass da irgendwas seltsam ist, desto naiver wird er wirken. Um nicht zu sagen: Operation gelungen, Patient doof.
Was heißt, dass bislang auch für Superhelden die Florian-Schroeder-Lösung noch am besten funktionieren dürfte: Einfach mal deutlich sagen, zu welchem Verein man gehört - und zu welchem eben nicht. Weniger elegant, aber immerhin eindeutig.
- 11. Dez. 2022
Ab hier testen Sie auf eigene Gefahr - heute: „King Of Spies “ und „Lucky Luke - Rantanplans Arche“
Lauwarme Fleischbrühe

Warum der neue „Lucky Luke“ nicht gut ist? Es hilft zu überlegen, was der Goscinny/Morris-Lucky Luke aus Band 101 gemacht hätte. In „Rantanplans Arche“ begegnet Luke dem Tierschützer Byrde . Früher hätte er Byrde für einen eigenwilligen Vogel gehalten, kurz begleitet und dafür gesorgt, dass er leben kann, wie er möchte. Luke hätte nicht Stellung bezogen, nur schmunzelnd den Schwächeren verteidigt, weil Morris und Goscinny wussten, dass sich der Leser seinen Teil denkt: War sicher nicht leicht, als 1866 der erste Tierschutzverein gegründet wurde – die waren ihrer Zeit halt voraus und ihr Trinkwasser noch nicht gülleverseucht.
Achdé und Jul genügt das aber nicht. Als erstes machen sie den Tierschützer auch noch zum Veganer, was ja nicht zwingend zusammengehört. Dann lassen sie ihn reich werden, Revolverhelden anheuern und eine vegane Ökodiktatur errichten, inklusive Todesstrafe bei Fleischkonsum. Wie bitte?!?!?
Lucky Luke rettet jetzt bedrohte Steaks
Sorry, aber selbst ich als Freund der fränkischen Bratwurst sehe, dass hier zwei Typen, die um ihr Steak zittern, den Comic-Cowboy benutzen, um Veganern mal eine einzuschenken. Beim Galgen bleibt's ja nicht: Tierschützer Byrde ist nicht nur der Strick egal, sondern auch dass die Gangster das Volk ausplündern. Seinen Irrweg erkennt er erst, als der Topschurke auf ein Tier schießt. So sind sie, die Tierschützer.
Diese Humorarbeit mit dem Holzhammer kommt allerdings nicht überraschend. Der Großteil der Pointen von Achdé/Jul ist entweder ungenau oder langsam. Dass sich Byrde etwa beim Teeren und Federn über die Hühnerfedern ärgert, kann sich jeder denken – dennoch zieht sich der Gag über vier Panels.
Eine Überraschung ist zu wenig
Kann freilich auch sein, dass Achdé/Jul das Ganze eher routiniert-gedankenlos abnudeln. Denn tatsächlich kriegt Byrde auch den einzigen überraschenden Satz des ganzen Albums. Als Lucky Luke bezweifelt, dass die Amerikaner „bereit sind, auf das Steak zu verzichten“, verweist Byrde auf die reale Entwicklung der Comicfigur: „Sie haben es doch auch geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören.“
Mehr hätte es nicht gebraucht.
Sparsame Ideen, unlogische Action

Ich bin Mark Millar ausgesprochen dankbar für „Kick Ass“, diese exzellente „Superheld-in-echt“-Studie. Aber so gut durchgereift sind seine Stories seither leider selten. So ist auch bei „König der Spione“ die Idee knalliger als das Ergebnis. Ein alternder Agent/Killer erfährt, dass er nur noch sechs Monate zu leben hat und beschließt, in diesem halben Jahr zur Wiedergutmachung endlich die umzubringen, die es verdienen. Naja, warum nicht?
Der erfahrene Spion, der alle Sicherheitsmaßnahmen aushebelt, das hat ja auch was. Alle wissen, wer dahintersteckt, aber keiner kann’s verhindern, weil er so viele Tricks im Ärmel hat. Was macht Millar? Schnitt zu: Killer ist drin, bringt Opfer um. Und wieder, und wieder. Tricks: Fehlanzeige. Hm.
Aber gut, vielleicht ging’s ihm um was anderes? Vielleicht sind die Opfer überraschend ausgewählt? Russische Milliardäre, ein anderer Killer, ein nichttrumpiger US-Präsident, der Papst. Gähn. Aber mit guter Action könnte man ja…
Der Papst kriegt einen Lynchtermin
Leider ist auch noch die Action stellenweise arg unlogisch. Ein Scharfschütze kann wie oft auf einmal schießen? Genau, und wieso sehen wir dann gleichzeitig zwei Kugeln in zwei Köpfe einschlagen? Unser Superspion springt von einem Hochhausdach, landet in einem (zufällig vorbeifahrenden!) Rettungswagen und hat keinen Kratzer? Zwei Männer kämpfen im freien Fall um einen Fallschirm, A gewinnt, indem er beim Fall auf einen (zufällig gerade vorbeifliegenden!) Hubschrauber den anderen im Rotor zerschreddert und selbst superheil durchkommt? Da hat doch einer bei der Suche nach besseren Lösungen sichtlich die Lust verloren, oder?
Den Papst schleppt der Killer in einen dunklen Wald, um ihn dort von allen Angehörigen missbrauchter Kinder lynchen zu lassen. Wo kriegt er die Angehörigen her? Telefoniert er die einzeln zusammen? Und die warten dann stundenlang im Wald und sind sowieso alle begeisterte Mörder? Himmelnocheins!
Pluspunkt: Sex im Alter
Auf der Habenseite verbuchen wir: Eine recht überraschende und gar nicht schlechte Sex-im-Alter-Szene, ein ungewöhnliches Killerpaar, das an Originalität gewinnt, wenn man „Mad Max 3“ nicht kennt, und Matteo Scaleras grundsolide Zeichnungen.
Das ist mehr als nichts, aber nicht genug. Leider.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
- 17. Sept. 2018
Aufregend, spinnert, liebenswert: Emil Ferris‘ Debüt „Am liebsten mag ich Monster“ verrührt Grusel-, Kunst- und Krimi-Elemente zu einem Comic-Thriller mit „Stand by me“-Zauber

Es hat zwei Ignatz Awards gebraucht, drei Eisner-Awards, noch viel mehr Nominationen und Erwähnungen auf Bestenlisten, bis ich es irgendwann auch geschnallt habe, dass ich in „Am liebsten mag ich Monster“ mal einen Blick reinwerfen sollte, obwohl ich von diesem Emil Ferris vorher noch nie was gehört habe. Dann google ich ihn und es stellt sich raus: Ist ‘ne Frau. War ja klar gewesen. Wenn schon ahnungslos, dann richtig.
Hübsch gefaketes Tagebuch
Ich klappe also den quellekatalogdicken Wälzer auf und der erste Eindruck ist: nett. Sehr nett sogar und niedlich dazu. Ich halte ein gefaktes Ringbuch in den Händen. Alle Seiten sind liniert, Löcher zum Raustrennen und Abheften inklusive. Manchmal sind Fotos und Schnipsel dazu geklemmt – die dicke Kladde gehört Karen Reyes.
Karen ist zehn Jahre alt und lebt in den 60er Jahren in Chicago. Sie liebt Monstergeschichten, sie zeichnet regelmäßig die blutrünstigen Heftcover ab, die sie von ihrem großen Bruder Deeze kriegt. Und sie zeichnet überhaupt ziemlich viel: Karen hat nicht viele Freunde und wird in der Schule gehänselt, sie ist viel allein und hält sich selbst auch für eher hässlich, nicht zuletzt deshalb träumt sie davon, selbst ein Monster zu werden. Dieser Hintergrund soll natürlich erklären, warum Karen so gut zeichnet, ist aber wahrscheinlich ein wenig geschummelt. Was mir aber nichts ausmacht, weil das Ergebnis vom Start weg so großartig ist.
Ein atemberaubend schraffierter Mob
Emil Ferris‘ Metier ist das Schraffieren, und was sie mit dem simplen Übereinanderlagern von Gittern und Linien macht, da bleibt einem die Luft weg. Nichts als schwarze Striche auf weißem Papier, und Ferris zaubert daraus gleich zu Beginn eine wunderschön plastische Abfolge, wie sich Karen in ihrer Fantasie zum Monster verwandelt. In einem Chicago, dessen Häuser und Perspektiven an Denys Wortmans New York erinnern, mit düsteren Hausfassaden und fratzenbesetzten Portalen, verfolgt von einem ziemlich garstigen Mob, den Joe Sacco oder Robert Crumb geliefert haben könnten, auch weil die Meute nicht nur Fackeln schwingt, sondern auch ausgesucht schönen Blödsinn wie Burgerwender, Bügeleisen oder Telefonhörer.
Es geht so skurril los, wie man es von einem Mädchen erwarten kann, das bizarre Valentinskarten bastelt, bei denen aus Makkaroni rote Lebensmittelfarbe blutet. Ihr großer Bruder hilft ihr so lässig dabei, dass man unwillkürlich bedauert, nie selbst so einen großen Bruder gehabt zu haben, und zusammen halten sie ihre abergläubische Mutter in Schach, die hinter ihrer Schmetterlingsbrille hervor verkündet, man dürfe nicht mit einer Katze im Arm fotografiert werden oder sich nach Einbruch der Dunkelheit kämmen. Und dann greift Ferris mutig in die Zutatenliste und lässt den geheimnisvollen Tod der schönen, aber spinnerten Nachbarin Frau Silberberg stattfinden.
"Stand by me" meets "Das Haus der Krokodile"
Karen skizziert das gesamte Haus mit seiner verschrobenen Einwohnerschaft, dem verlotterten Mr. Chugg mit seinen Bauchrednerpuppen, dem kriminellen „Lachenden Jack“ Gronan, einem mysteriösen verschlossenen Keller, und all diese Anhaltspunkte komponiert das inzwischen in Schlapphut und Trenchcoat (vom Bruder geborgt) ermittelnde Detektiv-Monsterchen zu ebenso verwirrenden wie erfrischenden Seiten, Doppelseiten, Anmerkungen, in die man sich mit Freuden und gar nicht mal so wenig Grusel hineinversenkt, ein ungewöhnlicher Mix, ein bisschen wie „Stand by me“ und „Das Haus der Krokodile“ (aber die alte Version).
Mit bewundernswerter Leichtigkeit eröffnet Emil Ferris tiefste Abgründe, die Vergangenheit der toten Mrs. Silberberg führt zurück in das Berlin der 20er Jahre, die Ferris mit einer fantastischen Doppelseite aus Straßenszene und Passantenstudien krönt, das Portrait einer vom Krieg verwirrten Stadt mit ihren verstörten und vernarbten Einwohnern, brillant und brutal zugleich. Kann sowas eine Zehnjährige wissen? Warum nicht: Deeze und Karen gehen immer wieder ins Museum, ganz beiläufig liefern sie dabei auch einen Streifzug durch die Kunstgeschichte, und außerdem: Wen juckt’s?
Die hohe Schlagzahl ist kaum durchzuhalten
Übrigens stimmt’s vielleicht: „Am liebsten mag ich Monster“ ist stark autobiographisch, und Ferris erzählt von sich selbst, dass sie bereits mit zwei oder drei Jahren zu zeichnen angefangen hat. Die heute 55-Jährige hat lange als freie Grafikerin und Illustratorin gearbeitet, „Am liebsten mag ich Monster“ ist ihre erste Graphic Novel. Auch das könnte der Grund dafür sein, dass nach etwa drei Vierteln das Niveau spürbar nachlässt.
Alles andere wäre wohl auch erstaunlich: Die Schlagzahl ist kaum durchzuhalten.
Die Zeichnungen werden weniger akribisch, weniger einfallsreich, und leider hat Ferris auch die zuvor so wundervoll aufgefaserten Handlungsstränge nicht mehr so souverän im Griff. Die Fäden werden ziemlich konventionell abgearbeitet, manchmal sogar arg gefühlig, wie man es von US-Weihnachtskomödien kennt, die nach boshaft-bissigen Anfängen oft unschön versöhnlich-harmlos enden. Diese nachdenklichen Dialoge mag man dann gar nicht mehr so recht bei einer Zehnjährigen verorten. Aber: Das alles wirkt vor allem deshalb so blässlich, weil Ferris vorher so lange ein Ideen-Feuerwerk abgefackelt hat. Werd ich mir den nächsten Band von ihr zulegen? Auf jeden Fall!
Emil Ferris, Am liebsten mag ich Monster, Panini, 39 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
