- 31. Aug.
5 Mangas in 5 Minuten (2.1): Zwei Jahre gehen rasch ins Land, neue Mangas fluten die Republik. Hier ist das Comeback des Mangatests

Wie hieß der Satz? Genau: Immer, wenn eine Industrie viel produziert, muss neben einer Menge Schrott auch was Gutes rauskommen. Und wer hat's gesagt?
Ach ja, ich selber.
Weshalb ich nach zwei Jahren wieder im großen Mangahaufen wühle. Nicht in den absonderlichen Ecken, sondern bei den in den letzten zwei Jahren dazugekommenen Topsellern der Verlage. Hier der erste Fünferpack. Die Uhr läuft ab... jetzt!
Tell bis zum Erbrechen

Okay, die Story ist Schablone. In „Kuroko’s Basketball“ treffen sich Schüler im Basketballkurs. Einer wuchs in den USA auf und spielt daher (klar!) super. Ein anderer eher unscheinbar, obwohl er von einer Wunderschule kommt. Aber man könnte was draus machen. Eigenheiten enthüllen, Teambildung zeigen. Zumal die Zeichnungen gut sind. Leider ist das einer der Mangas, die die Regel „Show, don’t tell“ ignorieren. Zugunsten der Regel „Tell bis zum Erbrechen“. Sobald Unscheinbarbub unscheinbar spielt, denkt wer: „Hä, spielt der aber unscheinbar – der kommt doch von der Wunderschule“. Sobald sich das Unauffällige als Vorteil entpuppt, heißt es sofort: „Oh, spielt er extra unscheinbar? Ist das sein Vorteil?“ Dahinter steckt zweierlei: A) ist es schwer, Sportszenen zu entwickeln, in denen der Leser derlei selbst merkt. B) wüsste es die Kundschaft wohl nicht mal zu schätzen. Stimmt vielleicht sogar. Heißt aber auch, man könnte genauso ein paar Kids mit Bällen reinstempeln, dazu die Standard-Staunfressen, in der Sprechblase steht „Häääh? Ist er etwa gut“ oder „Waaah! Ist er etwa schlecht?“ Das kann’s doch nicht sein, oder?
Nasse Bluse, harte Kolben

„Uwääh“, wie's im Manga gern heißt: „Georgie“ ist wirklich klebrig. Wir sind Ende des 19. Jahrhunderts in Australien, wo die blonde Georgie mit untertassengroßen Augen und zwei Brüdern aufwächst, die sie schon ab Seite 12 oder so „als Frau wahrnehmen“. Abel, der Ältere, muss daraufhin sofort zur See fahren, weil er’s sonst gar nicht mehr packt, der Jüngere macht auch irgendeinen Schrott, dann lernt die Blonde einen reichen Erben kennen, der wenigstens nicht mit ihr verwandt ist. Trotzdem werden dauernd alle nass und die Blusen durchsichtig und die Jungs rennen ohne Hemd herum und huch und hach und wir machen einen Bumerangwettbewerb um die Maiskolbenmaschine. Wer den auf einem Anime der 80er basierenden Quark durchlesen will, nehme eine Flasche Himbeergeist dazu, anders ist der Kleister kaum auszuhalten.
Titanenkampf: Rektor gegen Hirsch

Keiichi Arawis „Nichijou“ kann man gut mögen. Ein Episoden-Comedy-Comic, der an einer Schule spielt und mit verschrobenem Humor daherkommt. Wir haben etwa das Robotermädchen, das unbedingt für einen Menschen gehalten werden will, was schon daran scheitert, dass a) es alle wissen, weil sie b) mit einem gigantischen Aufziehschlüssel im Rücken rumrennt. Arawi schaukelt die Episoden auch hemmungslos hoch: Wenn die Klassenpfeife vor die Tür geschickt wird und nichts sehnlicher will, als wieder reinzustürzen und die Sensation zu verkünden, die sie vor der Tür beobachtet: Wie der Schulrektor in immer abstruseren Varianten gegen einen Hirsch kämpft. Auch schön: Die blitzartigst eskalierende Gewalt seit Clever & Smart. Nicht alles klappt, aber viel öfter als nicht: So viel Spaß hatte ich mit einem Manga schon lang nicht.
Schluss mit der Gratiswelt

Das Intro von „Omniscient Reader’s Viewpoint“ langt ordentlich hin: der Berufsanfänger Dokja hat in den letzten zehn Jahren alle 3149 Kapitel eines unbekannten Webromans gelesen. Thema: Weltuntergang. Und grad, als er fertig ist, wird der Roman Wirklichkeit: Weshalb Dokja als einziger weiß, was passiert und wie‘s ausgeht. Ja, seltsam, wer schreibt für einen Leser 3000 Kapitel? Aber vermutlich ist Dokja irgendwie auserwählt. Trotzdem: Wenn Größenwahn, dann richtig. Und die Schlagzahl bleibt hoch, auch wenn der Manhwa (Manga aus Korea) so hölzern erzählt, dass die Spreißel aus den Seiten ragen. Dokja trifft in der U-Bahn die Firmenschönheit, dann verkündet ein teddybärhafter Dämon das Ende der Gratiswelt: Ab jetzt wird bezahlt. Nicht mit Geld, sondern mit Punkten aus einer Art Weltvideospiel. Erste Aufgabe: Wer in den nächsten 30 Minuten keinen killt, stirbt selbst. Das ist nicht wirklich gut, aber immerhin dreist und tröstet darüber hinweg, dass durch die „Roman-wird-wahr-Konstruktion“ der titelgebende Leser noch mehr erklärt als im Manga eh üblich.
Bemerkenswert brachial

Es gibt reichlich Blut, vom Start weg. „Vagabond“ ist eine brachial-bemerkenswerte Heldensaga. Zwei junge Männer, Takeza und Matahachi, überleben halbtot eine Schlacht. Als ein Trupp der Sieger das Gelände nach überlebenden Gegnern absucht, töten die beiden den Trupp und verbergen sich in einem nahen Dorf. Das sieht authentisch aus, es gibt weder Zauber noch Superschwert, man tötet derart brutal mit Steinen, Ästen, allem Greifbarem, dass es beim Zuschauen wehtut, gerade in diesem Großformat. Dennoch ist die Handlung abwechslungsreich und aufwändig gezeichnet: Sie wechselt die Perspektive, baut überraschend erotische Elemente ein, portioniert die Gewalt so geschickt wie geduldig und baut immer wieder eigenwillige Gegenspieler auf. Was soll man da noch sagen außer: rundum überzeugend?
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- 6. Juni 2023
Fünf Mangas in fünf Minuten (V): Diese Titel decken alles ab, von Mystery bis Erotik. Einen gibt's sogar gratis – nicht mal der schlechteste

Zum Heul-Suhlen
Eine auch im Manga gern genutzte Technik ist die des Suhlens. Mustergültig führt das die Aschenputtelgeschichte „Meine ganz besondere Hochzeit“ vor: Aschenputtel wächst bei Stiefmutti und Fies-Vati auf, hat eine blöde Halbschwester und muss die niedersten Sachen machen. Stiefmutti und Schwesterlein beklauen sie und machen sie voll zum Arschenputtel. Als die Töchter heiraten sollen, kriegt Schwesterlein einen Traumbold, aber Arschenputtel kriegt einen Merkwürdoboy. Und jetzt: Zeitlupe auf Arschenputtel und alle Gedanken und Erinnerungen nochmal, und wie ungerecht und gemein das alles ist und nochmal und nochmal, ahh, herrlich – eben reinstes Suhlen.
Gut? Schlecht? Vielleicht sollte man’s Psychoporno nennen, weil’s erzählerisch auf diesem Fetischmoment verharrt, den „Kick“ bierernst betont, denn Humor oder jede andere Nuance gibt’s nicht. Und wer den Kick nicht geil findet, der steigt früh aus. So wie ich.
Dämonen für Sehbehinderte

Die Geschichte von „Demon Slayer“ ist gut. Der arme Tanjiro kommt heim und findet seine Familie hingeschlachtet von Dämonen. Nur seine Schwester lebt noch, ist aber infiziert und wird jetzt auch Dämon. Doch: Sie kämpft gegen die Krankheit/den-Dämon-in-sich an, also verteidigt der Bruder sie. Vor allem gegen die titelgebenden Dämonenkiller, die die Neu-Dämonin köpfen wollen. Nicht neu, aber halbneu zusammengesetzt. Okay...
So richtig nervt die Erzählform, die es bisher nur im TV gab, als „Audiodeskription für Sehbehinderte“. Ich meine: Der Junge rutscht im Schnee aus und denkt: „Ich bin im Schnee ausgerutscht“. Er fällt einen Abhang runter und landet eher weich, weil Schnee liegt. „Ein Glück, dass Schnee liegt“, denkt er. Und dann wieder: „Aber im Schnee bin ich auch ausgerutscht.“ Ja, Schnee hat Vor- und Nachteile. Es kommt zum Zweikampf mit einem Demon Slayer. Tanjiro wendet einen Trick an. „Tanjiro hat einen Trick angewendet“, denkt der Demon Slayer. Unzo-weita-unzo-weita. Jetzt mache ich einen Absatz.
Das ist der neue Absatz. Darin ist ein Fazit. Im Fazit steht, dass ich das redundante Geseier unmöglich noch einen weiteren Band lang aushalte: Ich halte das redundante Geseier unmöglich noch einen weiteren Band lang aus.
Wenn mehr mehr ist

Gut sieht anders aus, nämlich so: In Hiroya Okus „Gigant“ freundet sich Rei (16) mit dem Pornostar Papico an. Warum? Weil er eines Nachts was Nettes tut: jemand hat im Viertel Hass-Poster über sie verteilt, Rei reißt sie alle ab. Sie sieht es und lädt ihn auf 'ne Cola ein, dann werden sie ein Paar – oder? Nee: Papico geht heim, wo ihr Arschfreund sie übel verdrischt. Dann findet sie nachts den Sonderling des Viertels verletzt auf der Straße.
Sie will die Polizei rufen, der Sonderling packt sie und pflanzt ihr eine seltsame Stoppuhr ein. Mit der kann sie plötzlich ihre Größe ändern – und wird Superheldin? Wieder falsch, ihr Produzent nutzt das für Riesinnen-Pornos. Währenddessen wird eine seltsame Website populär: Schüler können über bizarre Vorhersagen abstimmen, die mit den meisten Stimmen wird wahr. Weshalb es tags darauf Scheiße regnet…
Alles schön rätselhaft und unterhaltsam. Doppelt erfreulich: die Beziehung Rei/Papico bleibt sehr unschuldig, gut möglich, dass da garnichts laufen wird. Wie überhaupt Hiroya Oku oft Stille zeigt und Soundwords einfach weglässt. Löblich!
Neue Sorgen braucht das Land

Das ist mal eine ganz neue Sorge: Die noch sehr junge Prinzessin Leia aus Star Wars soll bald Thronfolgerin werden und, jetzt kommt's: Sie findet, dass ihre Eltern sie nicht mehr so beachten wie früher. Obwohl sie doch früher gesagt haben, dass sie sie immer lieben werden und so. Leider ist Prinzessin Leia nicht sechs, sondern 16, und dadurch wirkt dasselbe Problem nicht mehr süß, sondern ein wenig krankhaft.
Dafür wird der sauber gezeichnete Rest immerhin solide runtergenudelt, das Imperium ist böse wie eh und je, und die Prinzessin besteht Abenteuer, bis der Hauptfilm losgeht.
Überraschend gut – und gratis

Gefunden habe ich „Dortmund Dungeon Trip“ im Schauraum comic + cartoon in Dortmund. Mit überraschend positivem Ergebnis: denn von dem zweiteiligen Mini-Manga ist eigentlich nichts zu erwarten. Es ist eine Auftragsarbeit für die Dortmunder Stadtwerke, und sowas ist normalerweise randvoll mit peinlicher Dortmund-PR. Alexandra Völker hat aber einen munteren Feelgood-Manga draus gemacht, in dem ein netzsüchtiger chinesischer Junge zum Schüleraustausch nach Dortmund kommt. Schön ist, dass Völker die angestrebte Dortmund-Werbung angenehm klein hält (und damit gerade erst dafür sorgt, dass man sie nicht genervt weglegt). Habe mich schon mal mehr gelangweilt.
... wird natürlich fortgesetzt
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- 9. Mai 2023
Fünf Mangas in fünf Minuten (III): Diesmal finden sich zwischen Monstern, Geistern und Kampfhähnen auch – ganz normale Leute

Der Gockel rockt
Eine Parodie, die mindestens reizvoll anfängt: Monster überfallen die Welt, und wer rettet uns? Ein Gockel! Das geht schön albern los, und die Monster sind außergewöhnlich zurechterfunden: Das erste ist hochhaushoch, mit drei Hälsen und drei gehörnten Köpfen und einer übergewichtigen Figur, aber im BH. Das zweite eine Spinne mit Fingern als Beinen, einem gehörnten Menschenkopf mit Seitenscheitel und einer Krawatte. Die Fights sind ausbaufähig, der Hahn kann nämlich nur schnell flitzen und laut krähen. Das ist auf Dauer ein bisschen sparsam, weshalb der Hahn bald ein Team bildet, und zwar mit einer Schildkröte. Naja. Aber die abgedrehte Monsterpalette verfolge ich gerne weiter.
„Hanako vom Mädchenklo“

Sorry, der Titel ist nicht von mir: Der Reim sagt, wo’s lang geht. „Mein Schulgeist Hanako“ ist ein Comedy-Romantik-Spuk. Nene ist unglücklich verliebt – und hat eine Sage gehört: Auf der Toilette der Schule gibt’s einen Geist, der hilft. Und tatsächlich, „Hanako vom Mädchenklo“ ist zur Stelle, aber aufgrund einiger Missgeschicke kriegt Nene die erstrebten Jungs nicht und muss Hanako ab sofort als Magd dienen. Das klingt so zurechtgekrampft wie „Seinfelds“ Butler-Plot, wird aber passend mit der Brechstange erzählt. Die Magd muss ab sofort täglich die Klos putzen (wieso eigentlich?), wird gelegentlich nassgespritzt und lernt, dass der Geist möglicherweise ihr wahrer Freund ist. Okay, ist für eine junge Zielgruppe. Die sollte dann aber (Klo putzen! Nassgespritzt! Haha!) wirklich noch nicht viel anderes gelesen haben.
Geschickt geködert

Mangas arbeiten häufig mit langen Handlungsbögen: Fans schwärmen dann von unglaublichen Wendungen ab Band 9 oder so. Auch „Jojo’s Bizarre Adventure“ gehört dazu. Aber: So weit muss man erstmal kommen. Deshalb begeistert mich „20th Century Boys“.
Die Story beginnt 1969: Vier Buben bauen sich ein Versteck, erfinden Geschichten und ein Symbol. 30 Jahre später treffen wir die Jungs wieder: Jetzt passieren seltsame Dinge, Menschen sterben auf mysteriöse Weise, und das Symbol taucht wieder auf – als Logo der bizarren Sekte eines Mannes, der sich „der Freund“ nennt.
Zwei Elemente machen die Story für mich sofort genießbar: Erstens die Enthüllungen und Querverweise, die's zwar nur in homöopathischen Mengen gibt, aber dafür von Anfang an. Und zweitens: die Charaktere, denen Naoki Urasawa ein richtiges Leben gibt, richtige Dialoge, richtig viel Platz und Zeit. Kenji, der unscheinbare Antiheld, trägt beispielsweise ständig ein Baby auf dem Rücken, das Kind seiner Schwester, die abgehauen ist. Er hat den Schnapsladen seines Vaters in einen Supermarkt umgewandelt und wird dafür von seiner Mutter ständig beschimpft. Und der Leiter der Supermarkt-Kette stellt ihn wegen Umsatzrückgangs vor die Wahl „Supermarkt oder Baby“. All das ergibt (auch emotional) starke Szenen, die elegant verzögern, aber doch immer wieder zur eigentlichen Story führen: denn man will ja wissen, was es mit der Sekte und den Morden auf sich hat.
Durch die Brust ins Auge

Erstaunlicher Anfang: In „Der Sommer, in dem Hikaru starb“ sitzen die Schulfreunde Hikaru und Yoshiki vor einem Kiosk und essen Eis. Bis Yoshiki Hikaru sagt, er könne unmöglich Hikaru sein. Woraufhin Hikaru das halbe Gesicht abfällt und er antwortet: „Ich dachte, ich hätte ihn perfekt kopiert...“
Gut, oder? Aber jetzt wird es schwierig.
Yoshiki und der falsche Hikaru bleiben Freunde, hängen miteinander ab. Es gibt Schwierigkeiten in der Schule, eine seltsame alte Frau warnt Yoshiki, und bizarre erotische Elemente kommen dazu: Yoshiki darf durch einen Schlitz in der Brust in Hikaru hineinfassen...
Oft schimpfe ich, dass Mangas vieles überdeutlich erklären: Bei „Der Sommer, in dem Hikaru starb“ schlägt das Pendel zu weit in die Gegenrichtung.
Denn Yoshiki stellt die allernaheliegendste Frage nicht: Was oder wer ist der Typ mit dem abnehmbaren Gesicht? Was so unverständlich ist, dass man dem Helden nur noch zweifelnd in die Geschichte folgt. Aus ungewissem Grusel wird Mystery mit der Brechstange, und die Story geht durch die Brust ins Auge.
Pikapika allerseits

Jetzt wird's ganz schlimm, weshalb man es am besten seinen Kindern antut: „Pokémon Reisen“ ist derselbe Blödsinn wie Pokémon Irgendwas, nur noch liebloser erzählt. Dabei ist noch verständlich, dass Kinder Pikachu niedlich finden und seine Dialogzeilen („Pikachu“, „Pika“ oder „Pikapika“) süß. Die Hauptfigur heißt Ash, schreit im ersten Panel „Ich heiße Ash“ und falls man es DANN noch nicht begriffen hat, steht in einem Kasten drunter: „Hauptfigur Ash“. Satzbau? Szenenaufbau? Alles scheißwurscht, nimm 'ne Figur, kleb 'nen Kasten dran, geht auch! Geht das Abendland deshalb unter? Unmöglich: Kann man ja auf einen Zettel „Abendland“ schreiben und ihn irgendwo hin kleben. Na dann: Pikapika allerseits.
... wird natürlich fortgesetzt
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