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Comicverfuehrer

Unbehagliche Geschichten aus unserer Gegenwart, Zumutungen ganz nahe an der Realität: die verstörend normale Unheimlichkeit des Lukas Jüliger


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Illustration: Lukas Jüliger - Reprodukt

Ist nicht leicht mit Lukas Jüliger. Oder sagen wir’s so: Das Herz geht einem nicht auf. Andererseits hab ich jetzt zwei Graphic Novels von ihm in einem Sitz runtergelesen, ging ganz einfach, man quält sich nicht, im Gegenteil. Wenn ich ihn daher mit jemandem vergleichen sollte, ich nähme: David Cronenberg. Tolle Filme, aber trotzdem hat man hinterher den Eindruck, man bräuchte vielleicht doch erst mal einen Schnaps.


Eingängig, aber nicht leichtverdaulich


„Unfollow“ heißt Jüligers neueste Band, der Verlag nennt’s Fabel, aber für eine Fabel ist’s nicht eindeutig genug, obwohl man genau das lange erwartet. Jüliger erzählt die Geschichte eines Erd- oder Gottwesens: Etwas, das die Erde mindestens seit ihrer Entstehung begleitet und jetzt in den Körper eines Jungen schlüpft.


Der Junge ist ein bisschen wunderlich, riecht gern an verwesendem Fleisch, kommt denn auch in diverse Heilanstalten. Irgendwann bricht er aus, klaut sich ein Solarpanel und einen Laptop, verkriecht sich in einem Naturpark und sendet da aus dem Gebüsch nachhaltige Naturweisheiten. Er wird ein Internetphänomen, ein Öko-Influencer, der dann mit Werbeeinnahmen (für ganz liebe Produkte!) anfängt, besonders umweltschonende Pilze und Algen zu entwickeln, von denen die Menschheit ordentlich leben kann.


Die Follower-Perspektive erlaubt Naivität


Er trifft eine andere Influencerin/Programmiererin, hat ein bisschen Sex mit ihr und das Powercouple eröffnet eine Kommune, lädt Promis ein und macht die Ökoschiene zum Supertrend. Klingt alles etwas zu naiv, zu glatt, zu geleckt, aber Jüliger erzählt all das aus der Perspektive der Jünger des Erdbuben, die ihn in der Anstalt kennengelernt haben. Ein schöner, simpler Kniff, sofort hat man etwas Distanz und das cronenbergsche Gefühl, dass das alles nicht gut ausgehen kann. Was doppelt unbehaglich ist, weil ja zugleich die Analyse der Begrenztheit der Welt und ihrer Ressourcen durchaus zutrifft und Umweltspar-Pilze immerhin einen Ausweg andeuten.


Auch schön zweideutig: Jüligers Zeichenstil. Sanft, kleinteilig, zutraulich, auf keinen Fall verschreckend. Das Unbehagen erreicht er durch viele gut platzierte Kleinigkeiten. Sein Erzähltempo ist präzise, gleichmäßig und gibt so der Geschichte etwas Unvermeidbares, Unaufhaltsames. Praktisch ohne Action, Standbild folgt auf Standbild, Close-ups, Totale und immer wieder die Draufsicht, stets gleich von oben rechts nach unten links, wie es Maschinen liefern. Es ist, als blättere man durch das Fotoalbum einer vergangenen Katastrophe. Kalte Blau-Rot-Kolorierungen machen die Szenerie obendrein zuverlässig ungemütlich. Jetzt einen Himbeergeist. Vor allem, wenn man, wie ich, vorher gerade seinen Erstling „Vakuum“ gelesen hat.


Wie das Fotoalbum einer vergangenen Katastrophe


Eine merkwürdige Liebesgeschichte zwischen zwei Jugendlichen, altersgemäß durchzogen von schwer bestimmbarer Unzufriedenheit, Verlorenheit und Geheimnissen. Das Mädchen etwa springt jedes Mal, wenn’s ein wenig intimer werden könnte, auf und davon zu einem supergeheimen Date. Das supergeheime Date entpuppt sich als ein Wohnwagen mitten im Wald, in dem sich etwas befindet, das wie ein gigantischer, glatter Anus wirkt.


Wer ihn streichelt, fühlt sich gut. Das Ganze ist ästhetisch gezeichnet und eben deshalb in seiner Absurdität von erstaunlich abstoßender Faszination, wie die gynäkologischen Instrumente in Cronenbergs „Unzertrennlichen“. Auch das macht Jüligers Novels so genießbar, obwohl er eben kein Spektakel bietet: Er weiß, wie man schwer Zumutbares erträglich macht, über welche Hürden man den Lesenden hinweghelfen muss – aber auch, wie man völlig normalen Bildern eine verstörende zweite Ebene verleiht. Eines der stärksten Panels für mich in „Vakuum“ ist ein ganzseitiger Parkplatz bei Nacht, leer, in der Draufsicht, mit gleichmäßig verteilten Laternen auf hohen Masten. Das ergibt regelmäßige Lichtkreise auf dem dunklen Asphalt, mehr nicht, und doch weiß ich: Ich möchte nicht auf diesem Parkplatz sein.


Creepy Zeug auf der Homepage


Wer auf Jüligers Homepage surft, findet noch eine Menge Zeug, dass man „creepy“ nennen könnte, obwohl es auch zart besaiteten Seelen schwer fallen dürfte, herauszufinden, was exakt man dem 32-Jährigen vorwerfen möchte. Liegt wohl an der unschuldigen Offenheit, mit der er den Blick in allerlei Abgründe eröffnet. Die erinnert dann auch nicht nur an Cronenberg, sondern an einen gewissen Charles Burns, der hier auch schon gelobt wurde.

Jüliger könnte in schlechterer Gesellschaft sein.

Und jetzt noch einen Himbeergeist.


Lukas Jüliger, Vakuum, Reprodukt, 20 Euro

Lukas Jüliger, Unfollow, Reprodukt, 18 Euro

www.lukasjueliger.com


Dieser Text erschien erstmals auf SPIEGEL Online.



Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:



„Hard Boiled“ von Frank Miller und Geof Darrow erscheint neu koloriert. Erstaunlich: die veränderten Farben enthüllen wesentlich mehr Details des bösartigen Satire-Klassikers


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Illustration: Geof Darrow/Frank Miller/Dave Stewart - Cross Cult

Tja, die Farben sind neu. Das klingt erstmal nach nicht viel. Der Comic selbst ist auch bereits 27 Jahre alt, er heißt „Hard Boiled“, er war vergriffen und kommt jetzt neu überarbeitet auf den Markt, aber es stimmt: das einzig Neue daran sind tatsächlich die Farben. Warum sollten Sie also trotzdem losrennen und ihn kaufen? Und mit losrennen meine ich nicht: Irgendwann mal, wenn sich’s grade ergibt. Sondern: Jetzt! Sofort!


Seltenes Beispiel sinnvoller Gewalt


Zum Beispiel, weil es eines der wenigen Beispiele dafür ist, wie man mit absolut überzogener Gewalt etwas Sinnvolles ausdrücken kann. Und das liegt nicht mal an Star-Autor Frank Miller, der die Story beigesteuert hat: Sie spielt in der Zukunft und dreht sich um den Kampfroboter Nixon, den man im Glauben lässt, er sei ein Mensch, weil er dann besser funktioniert – der aber dennoch immer wieder Amok läuft. Und Amoklauf heißt in diesem Fall: etwas, das ich in diesem Ausmaß in keinem Comic seither gesehen habe. Dass auf dem Umschlag das Lesealter „16+“ steht, kann da eigentlich nur ein Irrtum sein.


Ich meine: Schon auf der ersten Doppelseite, auf der wir Nixon begegnen, sehen wir zwischen grotesk derangierten Autowracks mindestens 55 Tote, erschossen, zermalmt, Opfer der Bemühungen, ihn wieder einzufangen. Ein Auto von Nixons Herstellerfirma Willeford rast auf ihn zu, knallt mit ihm auf dem Kühler durch die Hauswand hindurch in einen gesteckt vollen Sexshop und explodiert dort. Und trotzdem ergibt dieser kaum überbietbare, zigfache Overkill einen Sinn.


Unvorstellbare Details bis ins letzte Getriebeteil


Denn erstens: Es weckt und verlangt Aufmerksamkeit. Nicht allein durch die Gewalt, sondern auch durch die unvorstellbaren Details. Keiner der 55 Toten auf dieser ersten Doppelseite ähnelt dem anderen, die Häuserwände drumherum sind ausgearbeitet mit allen möglichen Graffitis, Elektroinstallationen, Klimaanlagen, abblätterndem Putz, die Motoren der Autowracks quellen aus den Kühlerhauben, detailgenau bis ins letzte Getriebeteil, Dutzende Einschusslöcher in den Karosserien, und aus den Geschützen, die Nixon unter Feuer nehmen, steigen moskitoschwarmartige Wolken leerer Patronenhülsen, es ist schlichtweg unmöglich, diese Seite umzublättern, bevor man nicht fünf, zehn Minuten drauf herumgeguckt hat. Und so ist es zweitens auch gedacht: Diese Details sind die eigentliche Hauptsache, sie enthalten die entsetzliche und doch ganz normale Welt des Zeichners dieses Massakers: Geof Darrow.


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Illustration: G. Darrow/F. Miller/D. Stewart - Cross Cult

Darrow, US-Amerikaner, ist 62 und hat einen klaren Blick auf die Defizite seiner Heimat. Was Darrow zeichnet, ist nichts als grotesk herausgearbeitete Realität. Der Rettungswagen, der Nixon in die Werkstatt fährt, kurvt durch ein Viertel voller zerlumpter Elendsgestalten, die auf den Bürgersteigen unter Pizzaschachteln schlafen, wie vorher die Patronenhülsen zeichnet Darrow jetzt den Dreck, die Müllhalden, Flaschenscherben auf der Straße, die streitenden Säufer, Menschen, die übereinander steigen, scheißende Tauben und Hunde. Firmenboss Willeford ist ein fettes Monster, das in einer Badewanne von einer ausgefeilten Maschine gereinigt und zugleich ernährt wird, und erst, wer den winzigen, wunderschön altmodischen Verästelungen und Kanülen über die zahllosen Motoren und Gelenke bis ganz nach oben an den Bildrand folgt, sieht, was die Maschine in den Fettsack hineinpumpt: Dutzende Dosen Seven Up, Coca Cola, Pommes Frites-Tüten, Hamburger, Schokoriegel und zwei Kleinkinder. Und als Nixon später wieder im Einsatz eine kidnappende Oma verfolgt, stellt er sie vor einem Verkaufsautomaten für Handfeuerwaffen, Wurfsterne und Handgranaten.


30 Jahre vor der Opioid-Krise: Drogenspritzen überall


Der Boden dort ist übersät von Müll, Essensresten und Spritzbestecken, über die Straßen gehen Menschen aller Schichten und Perversionen, gepierct, ein SM-Fan hat sich – wie ich heute erstmals sehe – einen Hamster ans Schienbein geschnallt. Viele sind nackt und so tätowiert wie es inzwischen selbstverständlich ist. Und man könnte argwöhnen, dass Darrow einfach spießig ist, aber ein kurzer Blick in die Nachrichten belegt seine Kritik: Darrow beobachtet und analysiert sehr präzise.


Nicht nur Tätowierungen und Amokläufe sind in den USA 27 Jahre später Wirklichkeit, sondern auch die Leute in Latzhose, denen in „Hard Boiled“ die Drogenspritzen gleich reihenweise im Arm stecken – die USA befinden sich noch immer offiziell im Notstand durch die Opioid-Krise, und die Süchtigen sind genau solche Normalos. Besonders bizarr oder auch einleuchtend wirken Dreck, Sex, Elend und Brutalität allerdings durch die in allen Gesichtern herrschende Gleichgültigkeit. Im „Behemoth“-Supermarkt, wo Menschen rucksackgroße Gentechnik-Früchte, meterlange Riesenwürste und fässerweise Verdauungshilfe kaufen, verzieht keiner die Miene, wenn der Mann in der Kassenschlange seiner Freundin die Faust ins Gesicht schmettert.

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Illustration: G. Darrow/F. Miller/D. Stewart - Cross Cult

Erstaunlich ist: Vieles von dieser faszinierenden Unerträglichkeit fällt erst mit der neuen Farbgebung so richtig auf. Erstaunlich, was Erst-Farbgeber Claude Legris in einem teilweise extrem psychedelischen Farbsumpf versenkt hat – Dave Stewarts recht konservative, kontrastreichere Kolorierung macht jetzt noch viel mehr Schauriges zugänglich. Man kann geradezu süchtig werden nach dieser verstörenden, unterhaltsam-abstoßenden Welt. Rätselhaft bleibt nur, warum Darrow in Deutschland nicht erfolgreicher ist: Schließlich zeichnet er noch immer und hat dabei weder in seinem bösen Witz, seiner Spiellaune noch seinem Ideenreichtum nachgelassen. Dennoch: Für den neuesten Band und das gerade erstmals gesammelt erschienene erste Abenteuer des „Shaolin Cowboy“, in dem sein Held nicht nur gegen Hunde mit Messerbeinen, fliegende Haie, eine Krabben-VW-Käfer-Monstermischung und gegen ein gigantisches motorgetriebenes Baby mit Trump-Kopf kämpft, findet sich bislang kein deutscher Verlag.

Deshalb: „Hard Boiled“ holen. Jetzt! Sofort!


Geof Darrow, Hard Boiled, Cross Cult, 30 Euro

Geof Darrow, Shemp Buffet, Cross Cult, 25 Euro

Geof Darrow, Who’ll Stop The Reign (engl.), Dark Horse Books, ca 20 Euro

Geof Darrow, Start Trek, Dark Horse Books (engl.), ca. 22 Euro


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

  • 17. Mai 2018

Brutal, konsequent, sensibel: Im Endzeit-Thriller „Die Welt der Söhne“ erzählt Gipi seine Lieblingsthemen in Tarantino-Qualität – und liefert so wohl die Graphic Novel des Jahres


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Illustration: Gipi - Avant Verlag

So schön gezeichnet wie diesmal hat er noch nie. Und das mit diesen reduzierten Mitteln: Knapp 300 Seiten bestreitet er nur mit etwas, was ein schwarzer Kugelschreiber sein könnte, oder ein sehr dünner schwarzer Filzstift. Er zaubert damit Sonnenaufgänge, zarte Gestalten im Nebel, eine Bootsfahrt im Mondlicht, eine Hütte im See, so dass man die Wellen am Steg leise plätschern hört, erstaunlich gefühlige Momente in einer rücksichtslosen, hässlichen Geschichte aus einer Welt der hemmungslosen Gewalt. Und es sind eben diese Gegensätze, die Gipis neue Graphic Novel „Die Welt der Söhne“ so unglaublich beeindruckend machen.


Die Zivilisation existiert nicht mehr


Genau genommen macht Gipi, der eigentlich Gianni Pacinotti heißt, natürlich das, was er meistens macht: Der Italiener erzählt von Vätern und Söhnen, von Jungs in diesem komplizierten Alter zwischen zwölf und 15, wo sie unsicher und wütend sind, Hilfe brauchen und keine wollen oder wenigstens nur dann, wenn es nicht wie Hilfe aussieht. Diese Jungs sehen bei Gipi auch genauso aus: ungelenk, staksig, mit Segelohren. Und um alles zuzuspitzen, siedelt Gipi seine Geschichten gerne in obskuren Krisen- oder Nachkriegsgegenden an, wo man sich nicht um die richtigen Turnschuhe oder das richtige Smartphone sorgt, sondern darum, wo man in dieser Nacht schläft. Aber so weit wie diesmal ist der 54-Jährige noch nie gegangen.


Zwei Jungen leben mit ihrem Vater in einer einsamen Hütte in einem See. Die Zivilisation existiert nicht mehr. Der Vater hat sie noch erlebt, die Zeit, als es Teppiche gab und man Hunde noch gestreichelt hat anstatt sie zu essen, aber seine Söhne kennen nichts mehr davon. Man frisst, was man kriegt, aber die Fische im See sind meistens vergiftet. Das Wenige, das man ergattert, tauscht man gegen gammelige Maiskolben, bei der „Hexe“ oder mit Aringo, also bei den wenigen Nachbarn, die sich weit voneinander entfernt genauso in Hütten im Schilf verstecken, auch weil im See immer wieder Leichen auftauchen. Keiner traut keinem, für diese Welt erzieht der Vater seine Söhne: streng, nach harten, einfachen Regeln, mitleidlos. Klingt nicht schön, aber ab hier zieht Gipi die Schrauben erst so richtig an.


Ein Tagebuch für zwei Jungs, die nicht lesen können


Der Vater stirbt und hinterlässt den Jungen nichts weiter als sein Tagebuch, das sie nicht lesen können. Also suchen sie jemanden, der ihnen sagen kann, was drin steht. Sie besuchen Aringo, den sie ohnehin verdächtigen, ihren Vater vergiftet zu haben, und als er sich weigert ihnen zu helfen, bringen sie ihn um. Sie besuchen die „Hexe“, doch während des Besuchs wird die „Hexe“ gewaltsam von Fremden entführt, die Jungen können sich gerade noch retten. Sie gehen zu den „Großkopfzwillingen“, einem verseuchten Brüderpaar, das Gemüse anbaut, Schweine hält und im Keller Mädchen gefangen hält, mit denen als Tribut es sich die unheimlichen Entführer vom Leib hält.


Es ist schlicht überwältigend, wie realistisch Gipi diese barbarische Welt inszeniert, in der man entweder mühsam ums Überleben kämpft oder sich dieses Überleben auf Kosten der anderen erkauft. Ein Großteil dieses Realismus stammt aber nicht von den rücksichtslos illustrierten Varianten von Mord, Plünderung, Vergewaltigung, sondern auch von der einfühlsamen Zeichnung der beiden Söhne.


Angst zeigt man nur unter Wasser


Santo ist der größere, ältere, aber zugleich auch eher zögerlich und langsam. Lino, der jüngere, gibt den Ton an, er ist derjenige, der beschließt nicht einfach in der Hütte weiter zu vegetieren, sondern das Geheimnis des Tagebuchs zu ergründen. Gipi nimmt sich viel Zeit, um die beiden Jungen und ihr Verhältnis zueinander zu porträtieren. Als beide nach dem Tod ihres Vaters die Hütte in einem kleinen Boot verlassen, lässt Gipi beispielsweise Lino mitten im See aufstehen, ins Wasser springen und auf den Grund tauchen, wo er seine Angst und Wut und Trauer in einem Luftblasenschwall loswerden kann – ohne dass sein Bruder es mitbekommt. Weil Lino genau weiß, dass die gesamte Verantwortung jetzt auf seinen schmalen Schultern lastet.


Aber derselbe verunsicherte Lino kann jederzeit problemlos Leichen die Hemden und Hosen ausziehen, wenn man die Klamotten noch verwenden kann. Manchmal reicht Gipi für seine Beobachtungen ein einziges Panel, aber mit geradezu unheimlichem Geschick fürs Timing zieht er solche Szenen auch über mehrere Seiten, ohne dass es fade würde.


Präzise gesetzte Action


Man kennt das von ihm, aber ungewöhnlich ist, dass er diesmal mit ebendiesem Geschick auch präzise gesetzte Gewalt- und Actionsequenzen einfügt: Damit katapultiert er sich aus der nachdenklichen Kunstecke und wird zugänglicher, er erreicht damit Thrillerqualität auf Tarantino-Niveau, ohne dabei Abstriche an seiner Ernsthaftigkeit zu machen. Mainstreamfans werden seinen Zeichenstil vermutlich noch immer nicht lieben: Aber wer sich mit ihm anfreunden kann, hält vermutlich die Graphic Novel des Jahres in den Händen. Für den Max-und-Moritz-Preis haben sie ihn in Erlangen schon nominiert, von mir aus könnte man ihm den Preis sofort geben.


Gipi, Myriam Alfano (Übersetzung), Die Welt der Söhne, Avant Verlag, 30 Euro


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

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