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Comicverfuehrer

Alexander Brauns „Black Comics“: 400 Seiten über schwarze Künstler und Figuren – empörend, ermutigend, atemberaubend interessant

Illustration: Hugo Pratt - German Academy Of Comic Art - Panini
Illustration: Hugo Pratt - German Academy Of Comic Art - Panini

Heute gibt’s wieder mal ein Buch über Comics, von Alexander Braun. Heißt: Dick, aber nicht schlimm, weil sich die Masse an Informationen in „Black Comics“ unterhaltsam liest. Was wichtig ist bei 400 Seiten, die sich diesmal (ergänzend zur gleichnamigen Ausstellung) dem schwarzen Comic widmen. „Schwarz“ bedeutet dabei beides: Mit schwarzen Charakteren, aber auch von schwarzen Künstlern. Beides ist selten – und heikel.


Zeitgemäß im Wandel der Zeit


Warum? Erstens: Fällt Ihnen auf Anhieb eine schwarze Comicfigur ein? Zweitens: Ist diese Comicfigur dann auch zeitgemäß verarbeitet? Und „zeitgemäß“ bedeutet hier ja auch immer öfter: Unserer Gegenwart angemessen, nicht unbedingt der Gegenwart der Entstehung. Was ist zum Beispiel mit Franklin, der einzigen schwarzen Figur der „Peanuts“? War die okay, ist sie es noch oder nicht oder wie oder was?

ERSTER SCHWARZER SERIENHELD: PORE LIL MOSE BESUCHT EDISON        Illustration: Richard F. Outcault - Panini
ERSTER SCHWARZER SERIENHELD: PORE LIL MOSE BESUCHT EDISON Illustration: Richard F. Outcault - Panini

Weil die Beantwortung solcher Fragen nicht einfach ist, schwoll Brauns Buch von geplanten 200 Seiten auf die doppelte Menge an. Das Erfrischende: Es wird nie akademisch, ist zugleich streitlustig, provokativ, sachlich und nicht zuletzt – empathisch. Denn tatsächlich kämpft Braun diesmal gleich doppelt: Für die oft vergessenen Verdienste des unterschätzten Mediums – und für Elemente, die im Bemühen um Diversitätsgerechtigkeit wieder vergessen werden sollen. Aber bevor man den Überblick verliert: Geht's nicht vor allem um Comics?


Raritäten im Giftschrank


Das ist nicht so leicht zu trennen: Das Medium ist doppelt weiß geprägt. Ende des 19. Jahrhunderts machten weiße Zeichner die Comics – wie Braun bereits schilderte – in Tageszeitungen zum Megaseller. Sie experimentierten erzählerisch und künstlerisch, wurden reich und zu einer Elite. Das Aufkommen billiger Comichefte in den 30ern/40ern hingegen war stark geprägt von Außenseitern, aber eben keinen schwarzen, sondern meist von jungen Juden. Es gibt darum gar nicht so viel schwarzes Personal und Material, und von dem wenigen soll auch noch einiges heute in den rassistischen Giftschrank. Brauns These: nicht immer zu Recht – und zur Untermauerung muss er ausholen. Brauns Ausholereien sind allerdings zuverlässig eine Lesefreude.

ZWEITVERWERTUNG, AUS WEISS WIRD SCHWARZ .    Illustration: John Rosenberg - Panini
ZWEITVERWERTUNG, AUS WEISS WIRD SCHWARZ . Illustration: John Rosenberg - Panini

Das liegt nicht zuletzt an der üppigen Bebilderung. Nicht nur beim Comic-Material buddelt Braun Originale und gelungene Beispiele aus, auch wenn er den US-Rassismus dokumentiert. Er umgeht hundertmal gesehene Fotos, hält so wach, und seine Schilderungen lassen unmöglich kalt. Gerade dieses Vorgehen macht es dann auch so bedenkenswert, wenn Braun etwa Unterschiede beim Blackfacing erörtert.


Sorgsam aufgedröselt


Moment mal – gibt’s die denn? Ist Blackfacing, das früher praktizierte Schwarzschminken weißer Schauspieler, nicht per se schlimm? Braun sagt: Nein. Der Unterschied liegt darin, ob man Blackfacing betreibt – oder jemanden beim Blackfacing zeigt. Wie etwa Micky Mouse in einem Kurzfilm über „Onkel Tom’s Hütte“. Eine Satire von Comicfiguren über die boomende und fragwürdige Theaterverwertung des antirassistischen Romans: Braun dröselt sauber die unterschiedlichen Ebenen auf, denn – der Film gilt mittlerweile als Giftschrankmaterial.

SCHWARZ-WEISSES BUBENDUO „BLONDIN ET CIRAGE“              Illustration: Jijé - Panini
SCHWARZ-WEISSES BUBENDUO „BLONDIN ET CIRAGE“ Illustration: Jijé - Panini

Auch wenn man zwischendurch manchmal zweifelt: Braun argumentiert stets am Comic entlang. Die blutige Kolonialgeschichte des Kongo, die schwer erträglich bebilderten Greuel der Belgier führen zu Hergés „Tim und Struppi“, die sich derart rassistisch durch Afrika hindurchoberlehrern, dass einem himmelangst wird. Die Geschichte des Ku-Klux-Klan führt wiederum zum Belgier Jijé, der nicht nur in seinem Western „Jerry Spring“ das Thema aufgriff, sondern schon 1939 mit der Serie „Blondin et Cirage“ ein gleichberechtigtes schwarz-weißes Buben-Duo schuf. Was ist Rassismus, was nicht? Was war früher mal fortschrittlich? Unermüdlich sortiert und argumentiert Braun, zitiert Fachleute (inkl. Einordnung ob afroamerikanisch oder nicht), serviert dazu Facts und Funfacts, und hier kommt man langsam zu dem einen Punkt, an dem man ihn dann doch tadeln kann, womöglich sogar muss.


Die Sache mit den Fußnoten


Denn Braun liefert weder ein vollständiges Literaturverzeichnis noch Fußnoten. Wenn er also beispielsweise feststellt, dass ein Viertel (!) der US-Cowboys schwarz war, glaube ich ihm zwar – kann’s aber weder nachschlagen noch nutzen, weil ich weder einen Beleg habe noch wüsste, wo ich suchen muss. Das ist mehr als ärgerlich, auch weil es Braun und seiner Sache schadet: Er macht ja seine fulminante Arbeit vor allem, um Dinge vorm Vergessen zu bewahren. Zur wissenschaftlichen Überprüfung/Auswertung seiner scharfen Beobachtungen, Analogien und Argumentationen wären Quellen und Literaturangaben jedoch Voraussetzung. Sein Vorgehen wirkt allerdings sofort weit angemessener, sobald Braun ins Stöbern kommt.

Illustration: Jack Kirby/Stan Lee/Joe Sinnott - Marvel Entertainment - Panini
Illustration: Jack Kirby/Stan Lee/Joe Sinnott - Marvel Entertainment - Panini

Da übernehmen dann die zahlreichen Bildbeispiele die Belegpflicht. Militärcomics, in denen die Druckerei schwarze Soldaten einweißte, weil sie lieber an einen Irrtum bei der Farbgebung glaubte als an die gleichberechtigte Abbildung. Das allmähliche Auftauchen schwarzer Superhelden, schwarzer Menschen in Romantik-Comics, pädagogische Comics für schwarze Beteiligung, Positives, Negatives, erstaunlich Kritisches aus dem „Simplicissimus“, Braun gräbt aus, Braun bildet ab, vertieft, und alle Details und Nebeninfos, die ihm im Fließtext verloren gehen, schaufelt er manisch-akribisch in die oft blockstarken, aber immer lesenswerten Bildunterschriften.


„Intellektueller Eiertanz“


„Intellektueller Eiertanz“ nennt Alexander Braun das Ergebnis ironisch-selbstkritisch, aber tatsächlich liefert er weit mehr: Nachvollziehbare Kriterien für die Suche nach einer jeweils angemessenen Bewertung und zugleich eine Grundlage für einen sachlichen Streit, der zielführender ist als das vollautomatische Ankreiden von Wörtern oder Schreibweisen.

Foto: Charles Harris - Carnegie Museum Of Art - Panini
Foto: Charles Harris - Carnegie Museum Of Art - Panini

Und dennoch, so bedauert er, passte nicht alles rein: Charles M. Schulz' Franklin etwa. Zu dem und seiner Entstehung findet sich allerdings einiges bei Wikipedia, sogar mit Quellenangaben. Da dürfen Sie sich dann, alexanderbraungeschult, selbst eine Meinung bilden.



Die Ausstellung zum Katalog ist noch bis 11. Mai 2025 zu besichtigen, gratis und praktisch: Am Dortmunder Hauptbahnhof raus, ca. 73,4 Meter über den Königswall schlurfen und hinein in den Schauraum comic + cartoon.




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Charmant, spannend, informativ: Vor dem Hintergrund der Großen Depression entwickelt Alessandro Tota eine kleine Geschichte des Comic-Hefts

Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Hut ab, das hier ist ein echtes Kabinettstück. Eine Kombination von Inhalten, die sonst selten gut zusammen gehen: Information und Unterhaltung. Die üble Variante kennen Sie aus vielen TV-Dokus mit Spielhandlung: manchmal entsetzlich, meistens furchtbar. Doch wie man’s richtig macht, zeigt Alessandro Totas „Die Große Illusion“.


Ein Held namens „Ghostwriter“


Wir sind im New York des Jahres 1938, die Große Depression ist noch nicht recht überwunden. Polizisten knüppeln eine Demonstration kommunistischer Arbeitervertreter brutal zusammen. Unter den Opfern ist Roberta, eine junge Frau, die unter einem harten Schlag auf den Kopf zusammenklappt – und eine Erscheinung hat. Allerdings erscheint ihr nicht der liebe Gott, sondern die reichlich abstrusen Superhelden Dogman (in Begleitung seines Hundes), Arachna und Ghostwriter. Warum, erzählen sie uns im delirierenden Kopf der jungen Frau selbst.

Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Die ist ein Landei, das ein paar schmuddlige Detektivgeschichten gelesen hat und dann in die Großstadt geflohen ist, weil sie nicht zwischen Vieh und Farm leben will wie Mutti. Schon hier ist viel von Totas ausgeklügeltem Mix erkennbar: Die Zeichnungen sind schlicht, bunt, mit einem Touch „Tim & Struppi“, also sehr zugänglich. Die seltsamen Superhelden sind nicht ganz ernst zu nehmen, sie kabbeln sich untereinander, da ist eindeutig eine spaßige Note. Aber: Die Geschichte der jungen Frau bleibt todernst.


Kofferklau dank Comicliebe


Als sie in New York ankommt, so begeistert von der bunten Stadt und den Kiosken voll bunter Comichefte, dass sie gleich einen Arm voll kauft und nicht merkt, wie ihr der Koffer geklaut wird, wie sie durch die rappelvollen Straßen schlurft, verängstigt, ohne Geld, ohne Bleibe für die Nacht – da gibt’s auch für den Leser nichts zu grinsen.

Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Es sind Kommunisten, die sich ihrer annehmen und ihr unter die Arme greifen. Roberta kriegt ein WG-Zimmer und soll Arbeit suchen, aber 1938 findet sich absolut nichts. Sie hilft gratis in einer Arbeiterzeitung, lernt mühsam Tippen und versucht sich nach Feierabend als Krimi-Autorin. Abends geht sie in linke Künstlerkneipen, wo Schwätzer jeden Kalibers versuchen, alles abzuschleppen, was nicht bei eineinhalb auf den Bäumen ist. Einer von ihnen ist der arrogante Battarelli, der gerne Maler wäre, aber von Illustrationen leben muss. Und jetzt kommen wir langsam zur historischen Info…


Der Gamechanger aus „Action Comics“


Battarelli ist in Nöten. Er soll für wenig Geld eine Comicgeschichte liefern, aber im Storys-Erfinden ist er lausig. Prompt denkt er an Roberta, die ihm aus der Patsche hilft und die er zum Dank genauso prompt um ihr Geld betrügt. Weshalb die Geschichte hier enden würde, aber wir haben ja 1938. Das Jahr, in dem – wie Comicfans wissen – das erste Heft mit Superman auf den Markt kam und der Superhelden-Boom entstand. Prompt wittert der ideenlose Battarelli das große Geld, aber diesmal ist Roberta gewarnt.

Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt
Illustration: Alessandro Tota - Reprodukt

Im Lauf der Erzählung erfährt man praktisch alles. Wie eine Geschichte entsteht, wer zeichnet, wer tuscht, wie man sich einen neuen Superhelden ausdenkt. Wer kauft, wer verkauft, wer hat die Rechte? Und wo aus dem Nichts viel Bedarf kommt, gewinnt auch, wer schneller zeichnen und liefern kann. Man lernt Bob Kane kennen und Will Eisner, wirbt sich die Zeichner ab, holt talentierte Jungs von der Straße, alles passiert genauso, wie es damals wirklich passiert ist. Ohne dass man’s eigentlich mitkriegt, aber eben auch so, dass man’s sehr wohl mitkriegt. Und das ist der eigentliche Knaller.


Kompakt verpackt und doch exakt


Tota erfasst die Mechanik, die Ökonomie der Branche, sogar das Halbseidene so präzise, dass man Dinge mitbekommt, für die man bisher einen der (vorzüglichen!) Wuchtwälzer von Alexander Braun durchwühlen musste (der zur Ausstellung  „Black Comics“ ging gerade in Druck). Für Wissenschaft reicht’s noch nicht, fürs Verstehen aber dicke. Und vergnüglich ist es obendrein, weil Tota den Humor fein mit der Geschichte abschmeckt. Was nicht ganz überraschend kommt, denn Tota hat vor längerer Zeit schon einmal hintergründig gut überzeugt, und zwar hier.

 




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Die Rückkehr in den Wilden Westen: „Staying West“ von Alexander Braun überzeugt erneut mit dem einzigartigen Mix aus Anekdote und Kunstgeschichte

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Illustration: Hugo Pratt/ Héctor Germán Oesterheld - Salleck Publications

Falls Sie’s eilig haben: Diesmal gibt’s keinen Comic, sondern nur Informationen zur Geschichte der Comics. Trotzdem sehr unterhaltsam, aber wie gesagt: Wer sich nur für Comics interessiert, hat jetzt schon frei. Wenn nicht: Lassen Sie sich den neuen Band von Alexander Braun ans Herz legen, „Staying West“.


Fünf Gründe zum freudigen Zugreifen


Der Laie könnte skeptisch werden: Fast zwei Kilo Buch, eigentlich ein Begleitkatalog zu einer Ausstellung, und geschrieben von einem Kunsthistoriker, Hilfe! Aber hier kommen die Gründe, warum Sie stattdessen freudig zugreifen sollten. Erstens: Braun schreibt so, wie man es sonst eher von anglo-amerikanischen Sachbüchern kennt: Nicht nur fundiert, sondern auch unterhaltsam, abwechslungsreich, mit Sinn für Humor und einem sicheren Auge für lustige, traurige, spannende Details und Anekdoten. Da erfährt man nicht nur, wer hinter den so beliebten wie durchschnittlichen „Bessy“-Comics steckte, sondern auch wer sich mit der ähnlich weitverbreitet-mediokren Serie „Silberpfeil“ selbständig machte und sich – als sie nicht mehr gefragt war – in seinem Haus erhängte.

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Illustration: Achdé - Salleck Publications

Zweitens, weil Braun immer auch den Kontext im Auge hat: Er strickt ein ganzes Kapitel rund um den Goldrausch in Alaska, weil…? Klar, Onkel Dagobert hat da schließlich sein Vermögen gemacht. Wussten Sie, wie schwer es war, da 1897 überhaupt hinzukommen? Je nach Route zwischen 800 und 1500 Kilometern, zu Fuß. Dauer: bis zu zwei Jahre. Braun illustriert’s mit Fotos, Comic-Panels und weiteren Comic-Vorschlägen.


Bilder, die begeistern


Drittens: Weil Braun hier alles reinpacken kann, wofür bei seiner ersten Western-Ausstellung „Going West“ der Platz nicht mehr reichte: Lucky Luke, Western im Ostblock-Haus des Sozialismus, die boomartige Verwurstung von Winnetou, das italienische Dauerphänomen „Tex“, aber auch die bei uns kaum bekannten argentinischen Comic-Legenden. Alles entstanden in einer Zeit, in der deutsche Kinder mit Durchschnittsware wie „Fix und Foxi“ und „Buffalo Bill“ abgespeist wurden. Apropos: Immer wieder erkundet Braun das Mysterium, warum gute Comics in Deutschland praktisch nicht veröffentlicht wurden – und das Medium genau aus diesem Grund auch keinen besseren Ruf erwerben konnte.

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Viertens: Weil Braun ein liebevoller Bebilderer ist, der nicht nur Ihre Lieblinge von früher mit reinpackt, sondern auch wunderliches, nie gesehenes, aber jederzeit sehenswertes Zeug: Weil er Sie nämlich nicht quälen will, sondern begeistern.

Fümpftnz: Weil Sie dann wissen, warum Sie dringend mal einen Zug besteigen und nach Dortmund fahren sollten. Die Ausstellung zum Buch ist direkt gegenüber vom Hauptbahnhof im schauraum comic + cartoon, komfortabler geht’s nicht, das kriegt man vor jedem Heimspiel der Borussia bzw. jedem Auswärtsspiel im ehemaligen Westfalenstadion mühelos hin. Eintritt kostet auch nix. Geht's noch besser?







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