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Das Gelbbuch

Viel zu sehen, viel zu lesen: Alexander Braun durchleuchtet die „Simpsons“ - und nie war der Comic-Historiker selbst so begeistert wie diesmal

Illustration:Matt Groening/Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Alexander Braun ist ziemlich beglückt. Deutschlands Comic-Historiker No.1 hat gerade seine neue „The Simpsons“-Ausstellung „Gelber wird’s nicht“ an den Start gebracht und freut sich über 1000 Besucher am ersten Wochenende, 300 bis 400 Besucher pro Tag in der Startwoche. 1000 Besucher! Wer den kleinen Doppel-Schauraum Comic und Cartoon in Dortmund kennt, denkt dabei vermutlich an alte Rekordversuche Menschen in einer Telefonzelle. Aber Braun will ja gerade das zeigen: Im Thema „Comic“ steckt viel mehr Potential als die zwei kleinen Räume fassen können.


Doppelzimmer voller Simpsonians


Braun ist auf Comic-Museumskurs, und mit den „Simpsons“ erhöht er geschickt neben dem Reiz der Idee auch den Druck. Auch wenn er dazu ein bisschen schummeln musste, oder? Denn: Sind die „Simpsons“ überhaupt ein Comic im eigentlichen Sinne?

Illustration: TImd Doyle- Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Ja und nein. Sie kamen aus der Comic-Kultur, starteten aber als Trickfilm, der dann nebenher auch einer unerwartet guten Comic-Verwertung zugeführt wurde. Um die geht es Braun in der Ausstellung aber weniger, dazu ist er zu pragmatisch. Die TV-Serie ist das Zugpferd, das auch in Deutschland jeder kennt, und mit der englischen Trickfilmbezeichnung „cartoon“ im Schauraum-Namen ist das auch jederzeit locker legitimiert.


Da wird der Historiker zum Fan


Zum Ausstellungsbesuch kann man bekanntlich aus vier Gründen blind raten, auch wenn man (wie ich) noch nicht drin war: a) kostenlos, b) direkt neben dem Bahnhof, ohne Auto, Tram, Bus, Taxi zu erreichen, selbst wenn man einen Rollator hat, c) gibt's den Katalog dort zehn Euro günstiger (s. u.), und d) Alexander Braun. Aber man kann anhand des Katalogs schon mal sagen: Es wird diesmal weniger kunsthistorisch, weniger analytisch, viel fanorientierter, auch weil Braun selbst so fasziniert ist.

Illustration: Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Tatsächlich ist das Phänomen „The Simpsons“ mindboggling: Eine Satire, die so erfolgreich ist, dass sie über das Merchandising in die Realität dringt und diese dort wiederum persifliert und in Frage stellt. Beispielsweise mit Barts Lieblingsfrühstückskringeln, einer gruseligen Orgie aus Farbstoff, Zucker und Mehl, nachempfunden „Kellogg’s Fruit-Loops“, die es natürlich bald als ganz reales Merchandise-Produkt zu kaufen gab, empfohlen und vermarktet vom gewissenlosen Serienclown Krusty mit dem denkwürdigen Slogan: „Das Beste, was man von einem TV-Clown erwarten kann!“


Satire im Quadrat


Braun ist mit seiner Faszination nicht allein: Andere Künstler befassen sich mit dem Phänomen (Banksy!), auf den über 300 Katalogseiten ist jede Menge Platz auch für deren Bilder. Vor allem für Fans, die (siehe unten) der Serie nicht mehr so leidenschaftlich folgen wie anfangs, bietet Braun eine Vielzahl spannender Seiteneinstiege, etwa die Kooperation mit Balenciaga oder die russische Intro-Variante.

Illustration: Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Die vielschichtige Herstellung der Serie schildert Braun so sorgsam wie den Einbau der prominenten Gaststars, und immer wieder gelingt es ihm, die erstaunliche Hingabe der Macher zu illustrieren, die 35 Jahre lange erstaunliche Qualität in erstaunlicher Dichte fabrizieren. Hier zeigt sich allerdings auch ein erstaunlicher blinder Fleck in Brauns gewaltigem Gelbbuch.


Blinder Fleck in der gelben Geschichte


Denn die „Simpsons“ waren zwar sehr lange sehr gut. Dennoch erlebte die Serie ab Staffel 10 einen weltweit diskutierten Qualitätsverlust, von dem sie sich bis heute nicht mehr richtig erholt hat. Das passierte zwar auch den  „Peanuts“, aber während diese von der Verfassung eines einzigen Mannes abhingen, erweckt Brauns vielschichtig gezeigter Produktionsablauf der „Simpsons“ den Eindruck, als wären hier zu viele Begeisterte dabei, sich gegenseitig anzuspornen, ein Abbau daher kaum möglich.

Illustration: Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Der Frage hätte man durchaus nachgehen können, zumal Braun mit Bill Morrison einen Top-Insider zum ausführlichen Interview in die Finger bekam. Aber angesichts der immensen Materialfülle kann sowas einem schon mal durch die Lappen gehen, zumal Braun dafür umso gründlicher ausleuchtet, wie gewitzt die Serie inzwischen ihre nach wie vor politischen, kritischen, moralischen Anliegen abseits des grauen Serienalltags zur Gelbung bringt. Und wenn die Besucher weiterhin so den kleinen Schauraum füllen, dann werden sie in Dortmund wohl nicht umhin kommen, dem Herrn Braun langsam mal ein größeres Museum zu organisieren. Allein schon aus Sicherheitsgründen.


Alexander Braun, Die Simpsons - Gelber wird's nicht, schauraum: comic + cartoon, (Vertrieb über Panini), 39 Euro (direkt im Schauraum zum Ausstellungspreis von 29 Euro)



 


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