Ist es ein Trend? Ein Boom? Ein Zufall? Gerade gibtâs eine Menge Comics von Architekten, oft auch noch ĂŒber Architekten. Was taugen die Bildergeschichten vom Bau?
Jaja, 100 Jahre Bauhaus. Deswegen kommen jetzt zwei Comics raus, die sich mit Architekten befassen: Le Corbusier und Mies van der Rohe. Die sind, nicht ganz ĂŒberraschend, gezeichnet von Leuten, die auch Architekten sind. Aber â da war doch noch was, grade erst: âDer Magnetâ, ĂŒber eine Therme von Stararchitekt Peter Zumthor. Von Lucas Harari, der vor seiner Comic-Karriere was studiert hat? Genau.
Zufall? Trend? BlĂ€ttert man Verlagsprogramme durch, stellt man jedenfalls fest: Zeichnende Architekten gibtâs noch einige. Und das sind keine kurzen Immobilien-Blasen, wenn Verlage was von denen veröffentlichen, geben sie meist auch weiteren Titeln von ihnen eine Chance.
Weil sie besser sind als andere?
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Der Pavillon: Das Konzept ĂŒberzeugt
Ăberraschenderweise scheinen schon bei âDer Pavillonâ von Andreas MĂŒller-Weiss HĂ€user nicht die StĂ€rke zu sein. MĂŒller-Weiss dröselt einen realen Krimi auf: um Le Corbusier, eine Villa an der Cote dâAzur und deren Nachbesitzer. Inhaltlich reichlich verwickelt, obwohl MĂŒller-Weiss sich tapfer um Entflechtung mĂŒht. Auch die Optik ist zwiespĂ€ltig, Menschen sind keine Hingucker. Sehr anregend ist hingegen, wie MĂŒller-Weiss die Doppelseiten konzipiert. Neben der Handlung verbindet die schlichten, krĂ€ftigen Farbkompositionen jeweils eine ĂŒber beide Seiten gehende Tier-Ebene: Da macht sich etwa ein Rabe ĂŒber die Zeichnungen her, und MĂŒller-Weiss baut die Rabenfedern in seine Panels ein, so unterhaltsam, dass man vergisst nach dem Sinn zu fragen. Absolut sehenswert, aber so hatte ich mir Architekten natĂŒrlich nicht vorgestellt.
Schuiten/Peeters: GebÀudeschluchten wie bei Little Nemo
Sondern mehr wie Francois Schuiten und Benoit Peeters. Die Belgier sind prima im GeschĂ€ft, preisgekrönt und mit ein bis zwei Zehen im FilmgeschĂ€ft. Architektenkind (Mama und Papa) Schuiten liefert die Bilder, fĂŒrs Szenario hat er Peeters. Das Resultat ist mal solide, mal umwerfend, und die Schwankungen liegen nicht an Schuiten. Der zeigt verlĂ€sslich gigantische StĂ€dte, GebĂ€udeschluchten wie weiland Winsor McCay, mitunter mit einem Hauch Steampunk. Weniger zuverlĂ€ssig ist die QualitĂ€t von Benoits Szenarios. Rundum empfehlenswert finde ich die Internet-Parabel âFieber in Urbicandâ, die WĂŒstenfabel âJenseits der Grenzeâ oder das Luftschiff-Abenteuer âDer Weg nach Armiliaâ.
Salzhunger: Ăko-Thriller, leicht ĂŒberfrachtet
Auch âSalzhungerâ von Mattias Gnehm ĂŒberzeugt optisch mehr als erzĂ€hlerisch. Gnehm ist ebenfalls etabliert, hat Ausstellungen, Preise und veröffentlicht schon fast 25 Jahre, seit 2003 ohne Szenarist. Diesmal gibtâs einen Krimi ĂŒber und aus Nigeria: Eine Umwelt-Organisation versucht, Ăko-Verbrechen zu beweisen. Könnte ein straighter Thriller sein, aber Gnehm will noch jede Menge Politik erklĂ€ren, Intrigen innerhalb der UmweltschĂŒtzer unterbringen und vor lauter Wollen geht die Geschichte verloren. Was bleibt, sind ĂŒberzeugende Splashes, ein sicheres GespĂŒr fĂŒr die richtige AtmosphĂ€re, sein Nigeria ist hier durchaus vergleichbar mit Matthias Schultheissâ âHaien von Lagosâ.
Mies: Solide van der Rohe-Biografie
Verglichen mit dem unbequemen Gnehm ist Agustin Ferrer Casasâ âMiesâ deutlich konventioneller, ein Produkt ohne Ecken und Kanten. Casas schildert das Leben von Ludwig Mies van der Rohe weitgehend chronologisch, und damitâs einen Grund dafĂŒr gibt, lĂ€sst er den gealterten Star in einer Rahmenhandlung mit seinem Enkel reden, als höre der die Geschichten zum ersten Mal. Das ist arg routiniert, wie ĂŒberhaupt vieles in âMiesâ: Gediegene Seitenaufteilung, das Gewagteste sind zwei zum centerfold-artigen Hochformat genutzte Doppelseiten. Die Figuren sind statisch, leicht uncharmant portrĂ€tiert und wickeln brav ihre Dialoge ab, aber der Stoff bleibt gut: man kriegt einen umfassenden Einstieg in Miesâ Leben und Lieben, seine Rolle in der NS-Diktatur und seine berĂŒhmtesten Bauten.
Blame: grandios verrottete Technikwelten
Doch ein Comic hat gröĂere Möglichkeiten, gerade auch fĂŒr einen Architekten. Das weiĂ ich aber auch nur, seit ich den Japaner Tsutomu Nihei in die Finger gekriegt habe und seine Serie âBlameâ.
Francois Schuitens Panoramen sind oft atemberaubend, aber Nihei setzt noch einen drauf. Wenn er den Blick des Lesers in die Tiefe seiner garstig-verrotteten Technikwelten öffnet, in die Schluchten zwischen endlos zusammengeschraubten MaschinenwĂ€nden lenkt, dann ist man besser schwindelfrei. ZusĂ€tzlich hat Nihei ein bewundernswĂŒrdiges HĂ€ndchen fĂŒr Action: schnell geschnitten, immer wieder geschickt zwischen brutalen Details und gewaltigen Totalen wechselnd. Regelrecht herzen möchte man ihn allerdings fĂŒr den Mut zur Stille: Nihei weiĂ, dass Ungewissheit fesselnder ist als seitenlange ErklĂ€rungen. Also sind seine Helden schweigsam und treffen Leute, die genauso wenig sagen. Wozu sollen sie reden? FĂŒr den Leser? Sieht Nihei gar nicht ein! Wie geschickt das war, sieht man an seiner neuen Serie âAposimzâ.
Die gigantische Maschinen-Planetenwelt ist vergleichbar, aber Niheis Zeichenstil ist jetzt nicht mehr kalt und schmerzhaft klar, sondern sempĂ©haft sanft. Das wird durch einige Splattermomente noch gut ausbalanciert, aber aus der Schweigsamkeit ist inzwischen GeschwĂ€tzigkeit geworden: in dieser bizarren Welt gelten unendliche, stĂ€ndig ausgebreitete Regeln. Man muss sich gegen immer neue Gegner im Zweikampf behaupten, dazu kann man sich mit dem richtigen Code in eine Normpuppe verwandeln, braucht dann aber genug Heigelpunkte, um Plazenta zu verschieĂen â derlei hebt die Stimmung wie eine 70-seitige Anleitung beim Spieleabend.
Und jetzt?
Wenn Sie bei Comics nicht mögen, dass es zu sehr nach verkĂŒnstelter Kunst aussieht, machen Sie beim Architekten selten was verkehrt. Bei der Story gilt: Das kann so oder so gehen. Oder, wie der MĂŒnchner sagt: Ja, mei.
Lucas Harari, Der Magnet, Edition Moderne
Andreas MĂŒller-Weiss, Der Pavillon, Edition Moderne, 29 Euro
Francois Schuiten/Benoit Peeters, Jenseits der Grenze, Schreiber und Leser, 26,80 Euro
Francois Schuiten/Benoit Peeters, Der Weg nach Armilia, Schreiber und Leser, 24,80 Euro
Francois Schuiten/Benoit Peeters, Fieber In Urbicand, Schreiber und Leser, 24,80 Euro
Matthias Gnehm, Salzhunger, Edition Moderne, 32 Euro
Agustin Ferrer Casas, Mies, Carlsen, 20 Euro
Tsutomu Nihei, Blame, Manga Cult, Bd. 1-6, je 28 Euro
Tsutomu Nihei, Aposimz, Manga Cult, Bd. 1-3, je 10 Euro
Erstmals erschienen bei Spiegel Online.