- 27. Juni 2024
Die Outtakes (15): schlecht alternde Schwänze, ein verstrahlter Vater und ein verpasster Urlaubstraum

Fantasy mit Schlenkerschwanz
Verdacht bestätigt: Richard Corben ohne Autor ist schwer erträglich. Dabei liegt vor mir das unbestrittene Meisterwerk des Kult-Zeichners aus den 70ern, nämlich „Den“, gerade erst neu aufgelegt. Ein schmächtiger Kerl fällt durch irgendein Dimensionstor und findet sich als nackter Muskelmann mit Schlenkerschwanz (vorn, nicht hinten) in einer seltsamen Welt wieder. Die Ungewissheit ist noch das Beste an der Story, und sobald dieses Rätsel gelöst ist, gibt’s nur noch Sätze, die so platt sind, dass jeder Pfannkuchen hochalpin wirkt. Optisch hingegen ist alles da, was das Fantasyherz begehrt, Nackte, Monster, Waffen, Gewalt, alles in abenteuerlich psychedelischen Farben. Kleiner Nachteil: die Nackedeis sind meist näher an Robert Crumb als an Neal Adams oder Frank Frazetta. Aber die Zahl von Corben-Fans ist Legion, und die können sich nicht alle irren, oder?
Rechts überholt

Tja, „Der große Reset“ war Max-und-Moritz-Preis-Kandidat 2024. Und das Thema ist auch gut: Was tun, wenn Familienmitglieder in die Verschwörungsschwurbler-Ecke abdriften? In diesem Fall ist es Vati. Seine Frau und die arbeitslose Tochter sind in die Resignation abgetaucht, und die studierende Tochter auf Heimatbesuch wird erst wieder aufatmen, wenn sie abfährt. Ika Sperling bringt viele hübsche Ideen unter: Im Auto kullern Bierdosen in jeder Kurve von Seite zu Seite, Vater ist nur noch ein durchsichtiger Geist auf Abruf, und aus banalen Details wie dem Anlegen des Rucksacks holt sie eine hübsche kleine Ein-Frau-Choreografie. Das Hauptproblem ist, dass die Zeit Sperlings Ansatz überholt hat: „Der große Reset“ ähnelt dem, was Comics zu Themen wie „Depression“ oder „Autismus“ tun. Aber deren Probleme sind weniger bekannt, wohingegen fast jeder inzwischen einen kennt, der sich in die Idiotie verabschiedet hat. So bleibt eine Geschichte die gut lesbar und ansehnlich ist, aber letztlich den hilflosen Normalgebliebenen nicht wirklich weiter hilft.
Furchtbar weit und furchtbar ernst

Oh Mann, das ist schade, „Transit Visa“ klang so vielversprechend urlaubsreif: Zwei Jungs um die 20 fahren in den 80ern einen schrottreifen Citroen Visa quer durch Europa seinem Ende in der Türkei entgegen. Was mich sofort getriggert hat:

Denn 1979 saß ich selber neben meiner Schwester hinten in einem Citroen DS, fuhr mit den Eltern quer durch die Türkei, die schon kurz hinter der Küste nichts mehr mit dem Touristengebiet zu tun hatte. Aber meine Nostalgie bedient Nicolas de Crécy leider kaum: Zeichnerisch könnte er es zwar, aber erzählerisch ist er zu beschäftigt damit, sich philosophisch in den Nabel zu schauen. Dazu kommt, dass weder Land noch Leute die Jungs damals interessierten und de Crécy daher schnell das Material ausgeht. Drei Bände hat er im Original gefüllt, zusammen sind das jetzt 400 Seiten, in denen er mit wenigen Ausnahmen praktisch jede hübsche Optik unter humorarmen Grübeleien begräbt. Aber: Für Liebhaber dauerrauchender Franzosen, die sich furchtbar ernst nehmen, ist das womöglich die passende Geschichte.
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- 2. Dez. 2022
Aus „ordentlich“ wird „richtig gut“: Die erstaunliche Wandlung der 80er-Persiflage „Shooting Ramirez“

Die Werbung ist schuld. Komplett erlogen. Von hinten bis vorne kein wahres Wort. Aber sie blieb mir im Kopf – weil sie so gut war. Gefunden habe ich sie im ersten Band von „Shooting Ramirez“, einer Geschichte, die ich irgendwie okay fand und unterschätzt habe.
Sie wirkte wie eine gute Kopie von Robert Rodriguez‘ „El Mariachi/Desperado“: Ein Killer geht um, ein Musiker kommt in die Stadt – und wird mit dem Killer verwechselt. Nur, dass diesmal der Musiker ein stummer Staubsaugervertreter ist und die Handlung in den USA der 80er spielt. Naja. Und tatsächlich war die Story randvoll mit Klischees. Was nicht schlimm sein muss, aber das Problem war: Für eine Parodie war es nicht witzig genug, aber dennoch wurde so viel gealbert, dass man die Figuren nicht richtig ernst nahm. Aber man konnte dem Zeichner und Autor Nicolas Petrimaux einfach nicht böse sein. Weil so viel grandioser handwerklicher Krimskrams drinsteckte.
Die 80er: cleveres Requisit statt nur Verarsche
Erstens klappte die Zeitreise ausgezeichnet. Obwohl Petrimaux, Ende 1982 geboren, sich eigentlich nur gerade eben noch für das Spielzeug dieser Dekade interessiert haben kann. Aber er hat ein Auge für die Architektur, das Design, die Mode, dass jeder Filmausstatter neidisch werden könnte. Noch wichtiger: er liefert diese Details nicht nur ab nach dem Motto „Guck-mal-Schulterpolster-haha-80er“, sondern er bindet sie in einen rundum stimmigen 80er-Jahre Tagesablauf.

Zweitens geht Petrimaux wundervoll verschwenderisch mit Platz um. Eine meiner Lieblingsseiten ist ein doppelseitiges Splash zu Beginn: die Staubsaugerfirma von oben. Eine hässliche Firma, so stilvoll Ihre örtliche Geschäftsstelle der AOK, aber plattgedrückt, wir sind ja in Amerika, wo man Platz hat. Es ist ein heißer Sommermorgen, rund um die Firma sind weitere Firmen, genauso hässlich, in der staubdunstigen Ferne sind Palmen und breite Straßen und noch mehr hässliche Gebäude, soweit das Auge reicht. Das ist nicht schön, aber man kann dennoch kaum aufhören, das Auge auf dieser Doppelseite spazieren zu führen, weil alles so gut passt. Die Firma heißt - Achtung, kleines Wortspielchen - „Robotop“. Drittens aber imitiert Petrimaux Werbung. Und da tobt er sich richtig aus.
Kurios inszenierte Kugelmuffe
Schon für den Buchvorsatz, also gleich auf der Innenseite des Covers, erfindet er ein altes Staubsaugerhandbuch. Es gibt eine Geräte-Garantie, er zerlegt akribisch die Einzelteile und erklärt die Montage von Seitenklammern (h.) und Kugelmuffe (k.). Und ganz hinten im Buch gibt nicht dasselbe nochmal, sondern zwei weitere Seiten vom Handbuch. Im Band gibt’s ganzseitige Annonce für den „Harrison Splendid“ (standardmäßig mit Kassettendeck) oder Michael Jacksons Lederjacke, dazu eine Seite der fiktiven „Falcon Today“. All das sieht auf den ersten Blick völlig normal aus, nur wenn man sich durch den ganzen kleinen Text wühlt, findet man die kleinen Pointen und den grotesken Werbe-Unfug. Und deswegen hab ich den zweiten Band in die Finger genommen. Gottseidank!
Denn Petrimaux ist jetzt auch erzählerisch besser geworden. Er lässt seinen Protagonisten die Zeit, ziemlich normale Gespräche zu führen, damit man sie allmählich ins Herz schließt. So dass man jetzt in den spektakulären Actionsequenzen richtig mit ihnen fiebert. Dazu hat er die immer wieder wirkungsvolle Option entdeckt, einige dieser aufwändig nahegebrachten Figuren zu opfern.
Spott und Spannung arbeiten Hand in Hand
Spott und Spannung geraten sich nicht mehr in die Quere, die Einzelteile rasten ein und plötzlich funktioniert alles: Es gibt wunderbare Gegenschnitte, weniger Dialog und mehr Bild, mehr Werbung, ganze imitierte Klatschmagazin und endlich, endlich engagiert sich „Robotop“ ethisch und druckt den neuen Kundenkatalog „aus total verantwortungsvolle Weise in 12 Millionen Exemplaren“.
Was man natürlich nur erfährt, wenn man den ganzen kleingedruckten Wutzifutzikram liest.