Der Journalismus steht in der Kritik, der Comic-Band „Im Schatten des Krieges“ möchte ihn besser erklären – und wird dafür gefeiert. Warum eigentlich?
Der „Deutschlandfunk“ lobt Sarah Gliddens „Im Schatten des Krieges“, Radio Bremen bestaunt seine „Tiefe“, der „Tagesspiegel“ ernennt den Band zum fünftbesten Comic des Jahres 2016, das macht neugierig. Kommt da womöglich ein gutes Produkt zum noch besseren Zeitpunkt? Es klingt jedenfalls so: „Im Schatten des Krieges“ verspricht Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei, also von drei aktuellen Brennpunkten. Auch löblich: Glidden will zudem Funktion und Probleme von Journalismus erklären, der ja selten erklärungsbedürftiger war als heute. Und wer jetzt fürchtet, das könnte etwas zuviel für einen einzigen Comic sein, den beruhigt der Verlag: „Sarah Glidden ist nach Joe Sacco die wichtigste Comic-Journalistin Amerikas.“ Was kann da noch schief gehen?
Alles.
Zeichnen, was den Kameras entgeht
Was nicht am Comic-Journalismus liegt, den gibt es nämlich tatsächlich: Ein Comic-Journalist recherchiert wie jeder Reporter, hat aber beim Bebildern Vorteile. Er kann aus seinen Eindrücken eine eigene Optik frei konstruieren. Im Idealfall lassen sich so Zusammenhänge besser darstellen, was der erwähnte Joe Sacco nicht nur erfunden hat, sondern auch so perfektioniert, dass selbst sehr gute konventionelle Journalisten kaum mithalten können. Aber wer sich nur einen Sacco ansieht, etwa „Reportagen“ (2013), der ahnt rasch, dass Sarah Glidden wohl gar keine Comic-Journalistin ist. Sondern eher ein Hascherl.
Oder wie sonst nennt man eine 36 Jahre alte Frau, die zwar in Krisengebieten unterwegs ist, aber dort im Museum angesichts einer Kanone Fragen stellt wie: „Und damit beschießt man Gebäude?“ Die dem Leser auch die Erklärung nicht vorenthält, mit der sie sich zufrieden gibt: „Gibt einfach einen Riesenknall, wenn die Granate irgendwo einschlägt.“ Ist das noch Recherche oder schon Tinky-Winky – Bumm? Und auf dem Niveau geht’s munter weiter.
Reporterin staunt über Reporter
Glidden zeichnet sich, wie sie eine Gruppe Journalisten auf deren zweimonatiger Nahostreise begleitet. Das heißt, sie zeichnet wie die Reporter schwallen und sie selber mit offenem Mund daneben sitzt. Wie sie „Wow“ sagt, wie sie staunt, dass ein Kameramann den Begriff „B-Roll“ benutzt. Oder dass Reporter darüber nachdenken, wie man eine Geschichte aufbaut. Letzteres leuchtet allerdings ein, denn Glidden selbst weiß für ihre Story nichts Besseres als: chronologisch der Reihe nach.
Das Ergebnis sind erst mal 40 Seiten darüber, woher sich alle kennen und was sie vorher gemacht haben, wie sie im Zug sitzen und sich gegenseitig interviewen, was sich dann liest wie eine unvorstellbar fade Folge von „Friends“. Und spätestens wenn Glidden uns zeigt, wie sie aufgenommene Interviews in ihren Laptop tippt, unter der Denkblase: „Mühsames Geschäft, aber hey, das ist Journalismus!“, da feuert man den Band zum ersten Mal quer durchs Zimmer.
"Aber hey, das ist Journalismus!"
Es hätte geholfen, sich vorher Gedanken zu machen: Welcher Journalismus ist denn überhaupt erklärungsbedürftig, wem misstrauen denn die Leser? Dem Blogger nebenan? Doch eher den Zeitungen, TV-Nachrichten, Magazinen wie dem „Stern“ oder Internet-Medien wie „Spiegel Online“. Aber Sarah Glidden begleitet lieber einige sehr freiberufliche Reporter, die politisch korrekte Sachen schreiben wollen, die vielleicht auch mal keiner kauft. Wer das mit Profi-Journalismus unter Marktbedingungen in einen Topf schmeißt, der hält auch einen Würfel für so was wie einen Taschenrechner.
Nun ja, dafür darf man dann immerhin lesen, wie diese rasend machenden Reporter dauernd an sich selbst zweifeln: „Ich versuche rauszufinden, was für eine Journalistin ich wirklich bin.“ Oder an ihrer Arbeit: „Was will ich eigentlich hier mit diesem komischen Projekt im kompliziertesten Teil der Welt?“ Und der Kollege heult mit: „Geht mir genauso!“
Dümmstmögliche Story-Auswahl
Erschwerend kommt hinzu, dass sich Glidden von allen Reportagen ihrer Protagonisten auf die dümmstmögliche konzentriert. Die geht so: Ein Iraki flieht in die USA, lebt dort fünf Jahre, gerät im Zuge der 9/11-Ermittlungen ins Fadenkreuz der Behörden und muss das Land verlassen. Die Story ist deshalb so ungeeignet, weil sich die Fakten kaum klären lassen: Vielleicht lügt der Iraki, vielleicht al-Qaida, vielleicht der Staat, und für jede Facette gäbe es bessere, eindeutigere Beispiele. Man könnte also so höchstens zeigen, wie man sich Journalismus erschwert. Glidden lässt aber ihre Reporterin sagen: „Ich finde einfach seine Geschichte interessant, mit allen Ungereimtheiten. Ich denke, wir können zeigen, dass das anständige Leute sind.“ Genau: Journalismus ist, wenn man sich Anstand aus Ungereimtheiten zusammenreimt. Frau Glidden sitzt daneben und nickt und huiii – wieder schmeißt man das Buch durchs Zimmer.
Doch uns bleibt immer noch die Optik, oder? Joe Sacco, den Glidden als Vorbild nennt, zeichnet so akkurat, dass oft das Hinsehen wehtut. Sacco interviewt Folteropfer und zeichnet ihre Narben. Er zeichnet die Häuser von Palästinensern, die Einrichtung, die Wände, und hinterher weiß man wie armselig Menschen leben können. Welcher Soldat hat welches Gewehr, wie sieht der Stacheldraht aus, durch den sich ein Flüchtling zwängt – Sacco war dort und lässt es seine Leser sehen. Glidden hingegen malt schön.
Die Bilder: lieber schön als authentisch
Auf dem Cover interviewt eine Journalistin einen Mann auf einem Hausdach. Man sieht dahinter die irakische Stadt Sulaimanyya, Häuser in warmen Farben, sauber verputzt, bunt, adrett. Wer nur Google Maps zur Hilfe nimmt, ahnt, dass in Sulaimanyya derselbe orientalische Kabelsalat von Haus zu Haus führt wie anderswo, dass die Dächer auch hier vollgestopft sind mit Wasserbehältern, Satellitenschüsseln und Klimaanlagen. Und sind (in einer anderen Episode) die Wände im iranischen Evin-Gefängnis wirklich unten grün, oben weiß gestrichen wie es Frau Glidden von US-Knästen kennt?
Klar, es geht auch ohne Fotorealismus. Der Kanadier Guy Delisle karikiert seit Jahren sein Leben in Städten wie Jerusalem, Pyöngjang oder Shenzhen. Aber gerade angesichts von Delisles Sinn für Situation und Pointen staunt man über die Zuverlässigkeit, mit der Glidden jedes interessante Detail vermeidet und mit unerschütterlicher Trutschigkeit aus jeder langweiligen Episode eine sterbenslangweilige macht.
Meine Empfehlung: Wer was über Journalismus wissen will, guckt „Schlagzeilen“ von Ron Howard. Wer guten Comic-Journalismus sucht, bestellt was von Joe Sacco (Edition Moderne, Fehlgriffe ausgeschlossen) oder von Guy Delisle (Erziehungswitzbücher weglassen). Fürs Fremdschämen greife man zu Sarah Glidden.
Sarah Glidden, Im Schatten des Krieges, Reprodukt, 29 Euro.
Joe Sacco, Reportagen, Edition Moderne, 28 Euro
Guy Delisle, Aufzeichnungen aus Jerusalem, Reprodukt, 29 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Flucht ist zwecklos: Weihnachten kommt. Mein Tipp: Sprechblasen schenken! Anschließend abchecken, ob alle schön lesen. Dann mit einer Flasche Schampus ins Bett und selber schmökern. Und feiern, dass ein Jahr lang Ruhe ist.
Für den jungen Menschen
Sitzt da und hält es für eine Zumutung, sein Smartphone weglegen zu müssen. Will schocken, in dem er alle Nase lang „Wichser“ oder „Fotze“ sagt. Naja, Schockieren geht besser, und wie, lernt der junge Mensch aus „Jenseits“ (von Szenarist Fabian Vehlmann und dem Zeichnerduo Kerascoët, dankenswerterweise gerade neu aufgelegt). Die Geschichte: Als ein kleines Mädchen auf dem Schulweg im Wald stirbt (oder umgebracht wird), verliert eine Gruppe putziger Mini-Kinder ihr Zuhause: Sie haben offenbar in diesem Mädchen gewohnt und müssen jetzt in einer riesenhaften Natur neben der verwesenden Leiche überleben, weshalb man gleich doppelt an „Herr der Fliegen“ denkt. Aber diese Variante ist so süß und so entsetzlich wie Zuckerwatte mit Glassplittern, und durch eben diesen Gegensatz wirkt das Grauen so absolut unvergleichlich. Aus dem grusligen Kontrast lernt der junge Mensch fürs Leben: Denn damit „Fotze“ richtig wirkt, muss man auch mal lieb sein. Warum nicht an Weihnachten?
Für Papa und Mama
Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, alle Fehler in der Erziehung sind gemacht, was bleibt jetzt noch? Genau: Fehler mit den eigenen Eltern. „Können wir nicht über was Anderes reden?“ zeigt einen der größten auf – ihr Alter einfach erst mal ignorieren und dann hilflos staunen, wie der langsame Zusammenbruch zweier 90-Jähriger zur Katastrophe für alle Beteiligten wird. Karikaturistin Roz Chast hat das so mit ihren Eltern durchexerziert. Ihr clever dosierter, gallebitterer Humor hält dabei den skurril-erschreckenden Erfahrungsbericht so perfekt im erträglichen Bereich, dass der Leser und die Leserin tatsächlich das ganze Elend mit durchhalten und dadurch eine faire Chance kriegen, es selber besser zu machen. Auch wenn sie’s jetzt noch nicht wissen: Die Beschenkten werden’s Ihnen eines Tages danken.
Für den AfD-Wähler
Machen Sie sich nichts vor, bei 20 Prozent Stimmenanteil sitzt wahrscheinlich einer von denen auch unter Ihrem Baum. Wie soll man zum Fest der Liebe damit klarkommen? Nun, es gibt Gemeinsamkeiten: eine gewisse Skepsis gegenüber den USA. Hier setzen wir an: Joe Sacco liefert mit „Bumf“ eine abgrundtief böse Parabel über den US-Datensammelwahn in Zeiten paranoider Regierungen. Mit gemeinsamen Gegnern zum Nichtangriffspakt, welcher AfDler könnte dieses bewährte Prinzip ablehnen? Es winkt also Weihnachtsfriede mit Freunden von Grünen, Linken, Piraten, SPD und Teilen der CDU, für die sich Saccos genial-garstiger Band übrigens genauso eignet. Oder anders ausgedrückt: mit allen Demokraten außer Horst Seehofer. Und das Schönste daran: Es ist ungefährlich. Denn die USA darf man kritisieren, ohne dass sie einen mit Polonium 210 vergiften.
Für den, der alles hat
Leute, denen nichts mehr fehlt, sind um die 50, haben den Arsch im Trockenen und den Keller voll mit Rotwein. Aber was haben sie nicht mehr? Bingo: ihre Jugend. Die bringt man ihnen zurück, mit Fils gesammelten Geschichten von „Didi & Stulle“. Zwei dumme Schweine faseln sich im breitesten Berlinerisch präpubertär durch eine Postmoderne aus Musik, Phrasen und furchtbaren Fernsehsendungen der 80er und 90er, mit Gastauftritten von Gott, dem Teufel, Madonna, David Bowie, Michael Jackson, Mick Jagger und Angela Merkel. Knapp 800 Seiten sensationell grober Unfug – weniger wäre weniger. Und Fil hilft viel.
Für Genießer
Muss denn die Welt immer verstörend und furchtbar sein? Nicht mit den richtigen Drogen. Zu den schönsten gehört „El Cid“ von Antonio Hernandez Palacios. Nach der bildgewaltigen Western-Serie „Manos Kelly“ hat der Avant-Verlag auch Palacios’ Mittelalter-Saga aus den 70ern gesammelt herausgegeben. Ritter-Action aus überwältigenden Perspektiven, traumhafte Landschaften, psychedelische Farben, unvergessliche Gesichter und obendrein Palacios’ Spezialität, Pferde: grasend, scheuend, galoppierend, springend und als Krönung gibt’s den ganzseitigen, vermutlich grandiosesten Pferdecrash der gesamten Comicgeschichte. Da kann Hollywood einpacken.
Für die lieben Kleinen
Was tun, wenn Papa deine Lieblingskatze einschläfern musste? Weinen – und warten bis plötzlich Panter aus der Kommode kommt. Panter ist lieb und stark und lustig und trinkt mit dir Tee. Du musst ihn vor Papa verstecken, weil Panter im Haus nicht so gern gesehen sind. Aber er kommt immer wieder, abends, aus seiner Kommode, so dass du deine Lieblingstiere gar nicht mehr brauchst. Nach einiger Zeit sind sie auch seltsam verändert, bis sie eigentlich nicht mehr sehr lieb sind und ganz merkwürdige Spiele spielen wollen, die überhaupt keinen Spaß mehr machen. Gezeichnet hat das mulmige Meisterwerk der sensationelle Onkel Brecht Evens, und wenn du bisher schon gern nachts eine kleine Lampe im Zimmer hattest, brauchst du nach „Panter“ in jeder Zimmerecke einen Flutlichtmast.
Wie? Was sagst du?
Das Ganze ist eigentlich nichts für Kinder?
Tja, da hast du wahrscheinlich recht. Zu spät. Frohe Wein-Nacht.
"Nimona" wandelt sich zum Hai oder Hamster: Noelle Stevensons Fantasy-Webcomic startete als Parodie fürs Netz - und erscheint jetzt als Buch
Mal was Neues: ein Webcomic. Ein wirtschaftlich erfolgreicher Webcomic, sollte man vielleicht noch dazusagen, das ist ja im Internet nicht selbstverständlich. Und erfolgreich heißt hier nicht „Kriegt ein paar Werbekröten“, sondern erfolgreich heißt: „Filmrechte verkauft“, an die 20th Century Fox. Und natürlich auch „Buchrechte verkauft“, der Erfolg für manch Digitales besteht ja nach wie vor darin, dass man es in die echte Welt bringt. „Nimona“ heißt der Comic, jetzt ist er im Splitter Verlag auf Deutsch erschienen. Vorweg: Er ist ziemlich kurzweilig, und man lernt daraus einiges über die Unterschiede zwischen Webcomics und Weltcomics. Die sind erheblich, auch wenn man es auf Anhieb nicht sieht.
Die Zukunft: ein Mittelalter mit Bildschirmtelefon
Denn „Nimona“ wirkt mit 260 Seiten wie eine eher normale Graphic Novel. Die Geschichte beginnt als Fantasy-Parodie: Wir sind in einer mittelalterlichen Zukunft, in der Ritter mit Schwert und Rüstung sich in Burgen und Fachwerkhäusern mit Bildschirmtelefonen unterhalten. Es gibt einen guten blonden Ritter und einen finsteren bösen Ritter, bei dem es eines Tages an der Tür klingelt. Draußen steht ein rothaariges stämmiges Mädchen namens Nimona, das sich ihm als Helferlein aufdrängt, weshalb der böse Ritter seine Schurkereien ab sofort mit dieser Nervensäge am Bein durchführen muss. Das Mädchen hat allerdings einen Vorteil: Es kann seine Gestalt beliebig verändern, in alles vom Hai bis zum Hamster.
Die amerikanische Eisner-Award-Gewinnerin Noelle Stevenson (24) hat die eigenwillige Geschichte seit 2012 schrittweise gezeichnet und im Internet veröffentlicht, noch während ihres Kunststudiums. Es gab regelmäßige Update-Tage, zu denen die neue Folge online gestellt wurde. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Es gibt mehr Freiheiten, weil kein Verlag kommerzielle Anforderungen hat. Weil Aufmerksamkeit hier die einzige Belohnung des Künstlers ist, darf er in der Unterhaltsamkeit möglichst nicht nachlassen. Und anders als ein in Fortsetzungen gedruckter Roman oder auch eine Staffel von „Breaking Bad“ ist die Geschichte bei Veröffentlichung weder abgeschlossen noch fertig. Probleme, die sich beim Erzählen ergeben, muss man auch beim Erzählen reparieren – was bedeutet, dass man mit manchen Mängeln dann einfach leben muss.
Was man anfangs einbaut, ist später schwer zu reparieren
Das Hauptproblem von „Nimona“ ist dabei der Anfang als Parodie: Ritter, die gut und böse sind, weil es in ihrer Fabelwelt eben so ist, das hat Witz und führt zu schön dussligen Sätzen wie: „Halt ein, Schurke, wir müssen kämpfen – denn das ist mein Job!“ Schwierig wird es aber, weil Stevenson die Parodie bald zu fade wird: Sie mag ihre Helden zu sehr, sie will sie in tiefer gehende Konflikte stürzen. Der gute Ritter und der böse Ritter hätten als Tom-und-Jerry-Charaktere ohne Vergangenheit gut funktioniert, doch das ist ihr zu wenig.
Sie waren mal Freunde, hinter ihnen beiden steht ein düster-heimtückisches „Institut“, das irgendwas Böses mit der Welt vorhat, Nimona hat ein finsteres Geheimnis – je tiefer sich Stevenson in die Personen und in die Ernsthaftigkeit hineinwühlt, desto mehr zerbröselt ihr die von der Parodie vorgegebene unlogische Welt unter den Fingern. Und flicken lässt sie sich nicht mehr. Aber überspielen, und das kann Stevenson richtig gut.
Stevensons Rezept: Wirkung vor Logik
Logik-Lücken füllt sie gerne mit Action: Ihre Heldin springt als Bär, als knallroter und tiefschwarzer Drache durch die Panels, es blitzt und lodert und glüht wunderschön durch die farblich wirkungsvoll inszenierten Seiten. Stevenson hat eine solide Nerd- und Rollenspiel-Vergangenheit, sie ist nicht nur Zeichnerin, sondern auch Fan und weiß genau, wie sie Feuerstrahlen und Zweikämpfe haben will. Wenn die Parodie-Elemente den Eindruck zu stören beginnen, entscheidet sie sich nicht für einen wackligen Kompromiss, sondern schmeißt sie einfach über Bord. Was man als Leser auch deshalb hinnimmt, weil Nimona einem ans Herz wächst.
Sie ist reizbar, launisch, rauflustig, verspielt, sprunghaft, impulsiv. Sie verliert in einem Moment wütend ein Brettspiel, verwandelt es im nächsten mit ihrem Feueratem zu Asche und strahlt im dritten: „Das war lustig! Was machen wir jetzt?“ Leben möchte man mit ihr vielleicht nicht, aber lesen mag man’s gern.
Webcomic-Schicksal: das Buch verdrängt die Netzversion
Geändert hat sich daran auf dem Weg vom Netz zum Buch nichts. Nur einige der Zeichnungen vom Anfang hat Stevenson neu angefertigt, der Stil von 2012 hat sich bis 2015 verändert – Professionelles, Effektiveres hat sich allmählich gegen die naiv-freche Parodie durchgesetzt, auch diese Veränderung während der Herstellung kann man als Webcomic-Eigenheit sehen. Das Feilen am Gesamteindruck ist dann Sache der Oldschool-Printversion. Vergleichen kann man beides übrigens nicht mehr: Die Webversion hat Stevenson inzwischen vom Netz genommen, verständlicherweise, um den Buchverkauf nicht zu behindern. Von etwas leben muss man ja auch.
Noelle Stevenson, Gerlinde Althoff (Üs.), Nimona, Splitter Verlag/Minisplitt, 19,50 Euro.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.