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Comicverfuehrer

Joana Estrelas freches Teenie-Erwachen „Pardalita“ zaubert ganz, ganz viel Gefühl mit ganz, ganz wenig Mitteln


Illustration: Joana Estrela - limbion books
Illustration: Joana Estrela - limbion books

„Pardalita“ ist interessant – aber nicht nur, weil’s ein guter Comic ist. „Pardalita“ ist auch ein Zeitdokument, ein Modeprodukt und ein hübscher Ansatzpunkt, warum woke Produkte ein bisschen seltsam wirken können, wenn man sie aus einer beleidigten Blickrichtung betrachtet. Denn in „Pardalita“ entdeckt ein Mädchen seine lesbische Neigung, und da gibt es sicher mehr Leute, die auf Anhieb sagen: „Schon wieder?“


Nicht neu, aber gut


Klar, kommt mir auch bekannt vor. Nicht nur, weil ich grade mit großer Freude die Tamaki-Cousinen abarbeite, sondern auch wegen der Manga-Schiene, wo’s an neigungsmäßigen Spezialfällen nicht mangelt. Aber „schon wieder“ hat hier ja zwei Zielrichtungen, und eine davon kann man sofort ausschließen: Obwohl Joana Estrela das Rad nicht neu erfindet, ist „Pardalita“ eindeutig gut.

Illustration: Joana Estrela - limbion books
Illustration: Joana Estrela - limbion books

Estrela setzt auf eine Art Tagebuchform, immer wieder mit größeren Textabschnitten. Das kennt man von „Skim“, ja, dennoch wirkt Estrelas Heldin Raquel (16) wunderbar trotzig, eigenständig, bissig, ratlos. Das ist unterhaltsam, anrührend, liest sich leicht und hat doch jede Menge Vitamine und Ballaststoffe. Auch dank Estrelas herausforderndem Stil: Als hätte sie den ganzen Band mit einem einzigen dicken schwarzen Filzstift gezeichnet. Sie kann mit ihm zwar weniger aufdrücken – aber dennoch verlangt er ständig digitale Entscheidungen: Welche Kontur zeichnen, welche nicht? Estrelas Entscheidungen zu beobachten, ist dabei ein spannender Reiz für sich. Aber was ist mit dem anderen „schon wieder“?


Protestierende Leberwurst


Denn ja, „schon wieder“ ist ein Mädchen lesbisch oder so, erzählt wird also „schon wieder“ nicht der „Normalfall“, bzw. scheint in diesem Genre geradezu das Nonkonforme der Normalfall zu sein. Und die beleidigte Leberwurst in mir sagt: Das, was Raquel erlebt, die Unsicherheit, die Frage, wie man sich einem Mädchen nähert, wie man seine Zuneigung zeigt, das ist damals doch genau mein Problem gewesen.

Illustration: Joana Estrela - limbion books
Illustration: Joana Estrela - limbion books

Ich musste mich auch Mädchen offenbaren, was riskieren, und keiner hat einen Comic draus gemacht. Und: Mir fällt heute immer noch kein Comic ein, in dem ein Junge genau das erlebt, was Raquel erlebt. Wieso eigentlich nicht? Das kommt doch noch viel öfter vor! Was für ein verqueres Weltbild hat denn diese Comic-Szene??

Aber da schleicht sich natürlich ein Fehler ein.


Vier gute Gründe fürs woke Thema


Hier geht’s nicht ums Abbilden gesellschaftlicher (Mehrheits-)Verhältnisse. Hier geht’s um einen Markt. Erstens ist die Zielgruppe hier eindeutig weiblich. Zweitens ist die lesbische Variante erzählerisch die spannendere. Muss man nicht mögen, ist aber so. Drittens kriegt die Heterofrau die Transferleistung auf ihre eigene Situation vermutlich problemlos gebacken, bei „Boys Love“-Mangas klappt’s ja auch. Und zuletzt hätte ich als Junge damals einen Comic über meine Unsicherheiten weder lesen noch kaufen mögen. Es macht also überhaupt keinen Sinn, hier über lesbische Extrawürste zu klagen, wenn keiner die Heterowurst kauft. Im Kino gibt’s deshalb schließlich auch mehr Superhelden als Putzfrauen.

Und wenn man das kapiert hat, macht „Pardalita“ wieder sehr ungetrübten Spaß.





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5 Mangas in 5 Minuten (2.1): Zwei Jahre gehen rasch ins Land, neue Mangas fluten die Republik. Hier ist das Comeback des Mangatests

Illustration: Takehiko Inoue - Egmont Manga
Illustration: Takehiko Inoue - Egmont Manga

Wie hieß der Satz? Genau: Immer, wenn eine Industrie viel produziert, muss neben einer Menge Schrott auch was Gutes rauskommen. Und wer hat's gesagt?

Ach ja, ich selber.

Weshalb ich nach zwei Jahren wieder im großen Mangahaufen wühle. Nicht in den absonderlichen Ecken, sondern bei den in den letzten zwei Jahren dazugekommenen Topsellern der Verlage. Hier der erste Fünferpack. Die Uhr läuft ab... jetzt!

Tell bis zum Erbrechen

Illustration: Tadatoshi Fujimaki - Manga Cult
Illustration: Tadatoshi Fujimaki - Manga Cult

Okay, die Story ist Schablone. In „Kuroko’s Basketball“ treffen sich Schüler im Basketballkurs. Einer wuchs in den USA auf und spielt daher (klar!) super. Ein anderer eher unscheinbar, obwohl er von einer Wunderschule kommt. Aber man könnte was draus machen. Eigenheiten enthüllen, Teambildung zeigen. Zumal die Zeichnungen gut sind. Leider ist das einer der Mangas, die die Regel „Show, don’t tell“ ignorieren. Zugunsten der Regel „Tell bis zum Erbrechen“. Sobald Unscheinbarbub unscheinbar spielt, denkt wer: „Hä, spielt der aber unscheinbar – der kommt doch von der Wunderschule“. Sobald sich das Unauffällige als Vorteil entpuppt, heißt es sofort: „Oh, spielt er extra unscheinbar? Ist das sein Vorteil?“ Dahinter steckt zweierlei: A) ist es schwer, Sportszenen zu entwickeln, in denen der Leser derlei selbst merkt. B) wüsste es die Kundschaft wohl nicht mal zu schätzen. Stimmt vielleicht sogar. Heißt aber auch, man könnte genauso ein paar Kids mit Bällen reinstempeln, dazu die Standard-Staunfressen, in der Sprechblase steht „Häääh? Ist er etwa gut“ oder „Waaah! Ist er etwa schlecht?“ Das kann’s doch nicht sein, oder?




Nasse Bluse, harte Kolben

Illustration: Mann Izawa/Yumiko Igarashi - panini manga
Illustration: Mann Izawa/Yumiko Igarashi - panini manga

„Uwääh“, wie's im Manga gern heißt: „Georgie“ ist wirklich klebrig. Wir sind Ende des 19. Jahrhunderts in Australien, wo die blonde Georgie mit untertassengroßen Augen und zwei Brüdern aufwächst, die sie schon ab Seite 12 oder so „als Frau wahrnehmen“. Abel, der Ältere, muss daraufhin sofort zur See fahren, weil er’s sonst gar nicht mehr packt, der Jüngere macht auch irgendeinen Schrott, dann lernt die Blonde einen reichen Erben kennen, der wenigstens nicht mit ihr verwandt ist. Trotzdem werden dauernd alle nass und die Blusen durchsichtig und die Jungs rennen ohne Hemd herum und huch und hach und wir machen einen Bumerangwettbewerb um die Maiskolbenmaschine. Wer den auf einem Anime der 80er basierenden Quark durchlesen will, nehme eine Flasche Himbeergeist dazu, anders ist der Kleister kaum auszuhalten.

 


Titanenkampf: Rektor gegen Hirsch

Illustration: Keiichi Arawi - Egmont Manga
Illustration: Keiichi Arawi - Egmont Manga

Keiichi Arawis „Nichijou“ kann man gut mögen. Ein Episoden-Comedy-Comic, der an einer Schule spielt und mit verschrobenem Humor daherkommt. Wir haben etwa das Robotermädchen, das unbedingt für einen Menschen gehalten werden will, was schon daran scheitert, dass a) es alle wissen, weil sie b) mit einem gigantischen Aufziehschlüssel im Rücken rumrennt. Arawi schaukelt die Episoden auch hemmungslos hoch: Wenn die Klassenpfeife vor die Tür geschickt wird und nichts sehnlicher will, als wieder reinzustürzen und die Sensation zu verkünden, die sie vor der Tür beobachtet: Wie der Schulrektor in immer abstruseren Varianten gegen einen Hirsch kämpft. Auch schön: Die blitzartigst eskalierende Gewalt seit Clever & Smart. Nicht alles klappt, aber viel öfter als nicht: So viel Spaß hatte ich mit einem Manga schon lang nicht.

 


Schluss mit der Gratiswelt

Illustration: singNsong/Sleepy-C - C-Lines
Illustration: singNsong/Sleepy-C - C-Lines

Das Intro von „Omniscient Reader’s Viewpoint“ langt ordentlich hin: der Berufsanfänger Dokja hat in den letzten zehn Jahren alle 3149 Kapitel eines unbekannten Webromans gelesen. Thema: Weltuntergang. Und grad, als er fertig ist, wird der Roman Wirklichkeit: Weshalb Dokja als einziger weiß, was passiert und wie‘s ausgeht. Ja, seltsam, wer schreibt für einen Leser 3000 Kapitel? Aber vermutlich ist Dokja irgendwie auserwählt. Trotzdem: Wenn Größenwahn, dann richtig. Und die Schlagzahl bleibt hoch, auch wenn der Manhwa (Manga aus Korea) so hölzern erzählt, dass die Spreißel aus den Seiten ragen. Dokja trifft in der U-Bahn die Firmenschönheit, dann verkündet ein teddybärhafter Dämon das Ende der Gratiswelt: Ab jetzt wird bezahlt. Nicht mit Geld, sondern mit Punkten aus einer Art Weltvideospiel. Erste Aufgabe: Wer in den nächsten 30 Minuten keinen killt, stirbt selbst. Das ist nicht wirklich gut, aber immerhin dreist und tröstet darüber hinweg, dass durch die „Roman-wird-wahr-Konstruktion“ der titelgebende Leser noch mehr erklärt als im Manga eh üblich.

 


Bemerkenswert brachial

Illustration: Takehiko Inoue - Egmont Manga
Illustration: Takehiko Inoue - Egmont Manga

Es gibt reichlich Blut, vom Start weg. „Vagabond“ ist eine brachial-bemerkenswerte Heldensaga. Zwei junge Männer, Takeza und Matahachi, überleben halbtot eine Schlacht. Als ein Trupp der Sieger das Gelände nach überlebenden Gegnern absucht, töten die beiden den Trupp und verbergen sich in einem nahen Dorf. Das sieht authentisch aus, es gibt weder Zauber noch Superschwert, man tötet derart brutal mit Steinen, Ästen, allem Greifbarem, dass es beim Zuschauen wehtut, gerade in diesem Großformat. Dennoch ist die Handlung abwechslungsreich und aufwändig gezeichnet: Sie wechselt die Perspektive, baut überraschend erotische Elemente ein, portioniert die Gewalt so geschickt wie geduldig und baut immer wieder eigenwillige Gegenspieler auf. Was soll man da noch sagen außer: rundum überzeugend?

 



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Wie eine Doku über die Deutschen mit und unter den Nazis Illustration und Animation sinnvoll einsetzt

Illustration: Bild: rbb/Vincent Burmeister/astfilm productions/ National Archives - ARD
Illustration: Bild: rbb/Vincent Burmeister/astfilm productions/ National Archives - ARD

Von Mimi von Minz angeregt, hab ich kurz in die ARD Mediathek geguckt, in die Serie „Hitlers Volk“, die hier deshalb reinpasst, weil sie teilanimiert ist, also mit einer Comic/Trickfilm-Optik arbeitet. Ist das nun gut, schlecht, sinnvoll?

Antwort: gut und sinnvoll.

Weil man ja aus vielen Dokus inzwischen die Spielszenen kennt, in denen eine überforderte Regie überforderte Schauspieler überfordert. Ergebnis: Napoleon/Cäsar/Goethe schaut nachdenklich ausm Fenster. „Hitlers Volk“ entgeht dem Dilemma durch schlichte Animation, die den Zuschauer das Schauspielen ergänzen lässt, und zwar genau so, wie er/sie es für richtig hält.

Doppelt erfreulich ist, dass die Serie auch eine gute Erzählperspektive einnimmt: Sie illustriert acht deutsche Tagebücher rund um die NS-Zeit, Aufzeichnungen einer konservativen Frau, eines HJ-Fans, eines deutschen Juden usw. Hier trifft also guter Ansatz auf gute Umsetzung – und das Ergebnis ist so hochwertig, dass einem vom Zuschauen richtig gut schlecht wird.

Oder wie immer man das nennen will. Anschauen!

 


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