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Comicverfuehrer

Runde Sache mit brisantem Abschluss: Riad Sattouf beendet die lesenswerte Serie „Der Araber von morgen“ im syrischen Bürgerkrieg

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Illustration: Riad Sattouf - Penguin Verlag

Für eine großartige Serie ist es kein ganz großes Finale, aber ein sehr gutes: Riad Sattoufs „Der Araber von morgen“ geht mit Band 6 in die letzte Runde. Die Qualität der ersten Teile ist nach wie vor da, aber es fehlt: die Brisanz.


Die Zukunft versumpft in Korruption


Eine kurze Rückblende: Sattouf erzählt die Geschichte seiner Jugend. Er ist das Kind einer Französin und eines Syrers, die sich als Studenten in Frankreich kennengelernt haben. Der Syrer nimmt Frau und Kinder mit nach Syrien, nach Libyen, träumt dort von einer wissenschaftlichen Karriere, von einer großartigen Zukunft im Wohlstand. Was er und die Familie aber erleben, ist vor allem, wie Korruption und Rückständigkeit Hand in Hand gehen. All das schildert die Serie durch die naiven Kinderaugen des blonden Riad. Doch die Familie trennt sich: Mutter und Kinder gehen zurück nach Frankreich, der Vater bleibt im Nahen Osten und entdeckt Trost im Glauben – wenigstens hier kann man erfolgreich mit dem Westen konkurrieren. Er besucht die Familie in Frankreich immer seltener, bis er eines Tages den jüngsten Sohn nach Syrien entführt.

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Illustration: Riad Sattouf - Penguin Verlag

Spätestens ab hier wird die Serie zum Familiendrama: Doch durch den oft abwesenden Vater entfällt die reizvolle Konfrontation der unterschiedlichen Kulturen. In Band 6 bleiben davon vor allem die seltsam realitätsfremden Briefe, in denen Vater Abdel seinem Sohn Riad zum Medizinstudium rät, ihn nach Syrien einlädt, wo er ihm bereits eine Frau ausgesucht hat. Parallel dazu träumt seine Mutter von der Rückkehr des entführten Sohnes, lässt sich von Betrügern und Hellsehern ausplündern. Riad hingegen wird Zeichner, sammelt erste Erfolge und macht eine Psychotherapie.


Brandaktuelle Schlusskurve


Als Einzelband könnte das etwas spröde wirken. Aber nach fünf Bänden voller politisch-familiärer Katastrophen trägt das Interesse an den Protagonisten die Geschichte bis zur brandaktuellen Schlusskurve: Denn als Sattouf bereits Erfolg als Zeichner hat, entbrennt nach dem arabischen Frühling der syrische Bürgerkrieg. Und der Versuch, den damals entführten Bruder samt seiner neuen Familie aus dem Kriegsgebiet zu retten, führt zurück zum Kampf mit einer ineffizienten Bürokratie, deren Funktion in wesentlichen Teilen durch fragwürdige Beziehungen, Kungeleien und das Rüberschieben von 20-Euro-Scheinen bestimmt wird.

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Illustration: Riad Sattouf - Penguin Verlag

Kann man das so darstellen? Sattouf kann, und er spiegelt mögliche Bedenken auch beim Dialog mit seiner ersten großen Liebe, die seine Ansichten falsch findet und seine Erfahrungen energisch korrigiert: „Ich war ja nie da unten", schwafelt sie, „aber ich weiß, dass in diesen Gesellschaften der Mensch im Mittelpunkt steht – anders als hier.“


Unterhaltsam distanziert


Sattoufs Leser bezweifeln das vermutlich. Aber sind die Zustände „da unten“ wirklich oft so übel? Liefert Sattouf womöglich schlimmen, verallgemeinernden Selbsthass? Selbst wer das befürchtet, muss zugeben: Hier distanziert sich jemand deutlich und authentisch von fragwürdigen Mechanismen des eigenen Kulturkreises, und das obendrein auf sehr treffende, unterhaltsame Art. Die Chance, aus nicht minder ergiebigen Communities etwas Vergleichbares zu erzählen, beispielsweise aus deutschen Neonazikreisen, hat übrigens bis heute kaum jemand genutzt.



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„Shunas Reise“ erscheint nach 40 Jahren erstmals auf deutsch. Der Klassiker ist so attraktiv, so verführerisch, dass man sich vor allem wundert: Wieso erst jetzt?

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Illustration: Hayao Miyazaki - Reprodukt

Das ist eine Premiere, wenn ich's recht sehe: Der erste Manga, der hier eine ganze Empfehlungsgeschichte für sich alleine bekommt. Und zu recht: Er heißt „Shunas Reise“, ist von Hayao Miyazaki und tatsächlich etwas ganz Eigenes, Besonderes – nicht nur, weil er durchgehend farbig ist. Die Geschichte selbst ist bereits knapp 40 Jahre alt, Anime- und Mangafans kennen den Autor gut: Miyazaki ist Trickfilmer und Mitbegründer des berühmten Studios Ghibli. Zum Genießen ist dieses Vorwissen aber nicht nötig.


Ein Holzschiff in der Wüste


Vom Design her erinnert die Geschichte stark an die typischen Trickfilme der späten 70er, frühen 80er, aber die Ausführung ist untypisch und wirkt sofort weniger industriell: Bleistiftzeichnung, Aquarellfarben, das schaut alles eine deutliche Spur handwerklicher, handgemachter, gemütlicher aus. Obwohl die Gegend der Handlung eher ungemütlich ist: Die Geschichte spielt offenbar in einem asiatischen Hochgebirge. Genau kann man’s nicht sagen, vieles ist rätselhaft.

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Illustration: Hayao Miyazaki - Reprodukt

Shuna, der Held und Thronfolger des namenlosen kleinen Königreichs, hat ein altmodisches Repetiergewehr, das spricht für unsere Welt in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Aber er reitet auf Lamas mit Geweih, und die gibt’s nicht. Um eine bessere Getreidesorte zu finden, zieht er nach Westen. Er kommt an eigenwilligen Statuen vorbei, einem gigantischen Holzschiff in der Wüste, an menschenfressenden Frauen, all das ist sehr real und sehr fantasyhaft zugleich. Ist „märchenhaft“ vielleicht eine passende Bezeichnung?


Zwischen Idylle und Barbarei


Ja und nein, weil Miyazaki auch von ungewöhnlicher Barbarei erzählt: Shuna begegnet merkwürdigen Gefängniskutschen, von zehn büffelartigen Tieren gezogen, die wie viele andere ähnliche Wagen Hunderte, Tausende Menschen zu einem riesigen Sklavenmarkt in einer enormen Stadt transportieren. Der einzige Grund dafür, dass Shuna nicht in den Transporten endet, ist: Er hat ein Gewehr, er ist erkennbar eine andere, wehrhafte Sorte Mensch. Das ist nicht der übliche Märchenstoff (auch wenn Miyazaki sich an ein tibetisches Volksmärchen anlehnt), es ist auch nicht der Stoff nordischer Sagen wie Beowulf und Grendel.

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Illustration: Hayao Miyazaki - Reprodukt

Genauso ungewöhnlich ist die Bildaufteilung: Die Panels sind großzügig, nichts vom häufigen, hektischen Manga-Gehäcksel. Und sie nutzen oft die Breite der Doppelseite, sie zwingen den Blick über den Bundsteg (da, wo die Seiten zusammenstoßen), sie nutzen die gesamte obere oder untere Hälfte der Doppelseite, und das auch noch außergewöhnlich attraktiv: mit transparenten und dennoch kräftigen Farben, für weite Blicke in eine verführerische Natur, mal wüstenhaft heiß und trocken, mal üppig blühend, mal polarkaltblau.


Echter Genusscomic


Zur Geschichte mag ich gar nicht viel mehr verraten: Eine Abenteuergeschichte, aber in einer ganz eigenwilligen Mischung, stellenweise geradezu kindgerecht, dann aber wieder von rücksichtsloser Härte, dabei jederzeit ungemein ansehnlich.

Was „Shunas Reise“ zu einem echten Genusscomic macht.




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Die Rückkehr in den Wilden Westen: „Staying West“ von Alexander Braun überzeugt erneut mit dem einzigartigen Mix aus Anekdote und Kunstgeschichte

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Illustration: Hugo Pratt/ Héctor Germán Oesterheld - Salleck Publications

Falls Sie’s eilig haben: Diesmal gibt’s keinen Comic, sondern nur Informationen zur Geschichte der Comics. Trotzdem sehr unterhaltsam, aber wie gesagt: Wer sich nur für Comics interessiert, hat jetzt schon frei. Wenn nicht: Lassen Sie sich den neuen Band von Alexander Braun ans Herz legen, „Staying West“.


Fünf Gründe zum freudigen Zugreifen


Der Laie könnte skeptisch werden: Fast zwei Kilo Buch, eigentlich ein Begleitkatalog zu einer Ausstellung, und geschrieben von einem Kunsthistoriker, Hilfe! Aber hier kommen die Gründe, warum Sie stattdessen freudig zugreifen sollten. Erstens: Braun schreibt so, wie man es sonst eher von anglo-amerikanischen Sachbüchern kennt: Nicht nur fundiert, sondern auch unterhaltsam, abwechslungsreich, mit Sinn für Humor und einem sicheren Auge für lustige, traurige, spannende Details und Anekdoten. Da erfährt man nicht nur, wer hinter den so beliebten wie durchschnittlichen „Bessy“-Comics steckte, sondern auch wer sich mit der ähnlich weitverbreitet-mediokren Serie „Silberpfeil“ selbständig machte und sich – als sie nicht mehr gefragt war – in seinem Haus erhängte.

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Illustration: Achdé - Salleck Publications

Zweitens, weil Braun immer auch den Kontext im Auge hat: Er strickt ein ganzes Kapitel rund um den Goldrausch in Alaska, weil…? Klar, Onkel Dagobert hat da schließlich sein Vermögen gemacht. Wussten Sie, wie schwer es war, da 1897 überhaupt hinzukommen? Je nach Route zwischen 800 und 1500 Kilometern, zu Fuß. Dauer: bis zu zwei Jahre. Braun illustriert’s mit Fotos, Comic-Panels und weiteren Comic-Vorschlägen.


Bilder, die begeistern


Drittens: Weil Braun hier alles reinpacken kann, wofür bei seiner ersten Western-Ausstellung „Going West“ der Platz nicht mehr reichte: Lucky Luke, Western im Ostblock-Haus des Sozialismus, die boomartige Verwurstung von Winnetou, das italienische Dauerphänomen „Tex“, aber auch die bei uns kaum bekannten argentinischen Comic-Legenden. Alles entstanden in einer Zeit, in der deutsche Kinder mit Durchschnittsware wie „Fix und Foxi“ und „Buffalo Bill“ abgespeist wurden. Apropos: Immer wieder erkundet Braun das Mysterium, warum gute Comics in Deutschland praktisch nicht veröffentlicht wurden – und das Medium genau aus diesem Grund auch keinen besseren Ruf erwerben konnte.

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Viertens: Weil Braun ein liebevoller Bebilderer ist, der nicht nur Ihre Lieblinge von früher mit reinpackt, sondern auch wunderliches, nie gesehenes, aber jederzeit sehenswertes Zeug: Weil er Sie nämlich nicht quälen will, sondern begeistern.

Fümpftnz: Weil Sie dann wissen, warum Sie dringend mal einen Zug besteigen und nach Dortmund fahren sollten. Die Ausstellung zum Buch ist direkt gegenüber vom Hauptbahnhof im schauraum comic + cartoon, komfortabler geht’s nicht, das kriegt man vor jedem Heimspiel der Borussia bzw. jedem Auswärtsspiel im ehemaligen Westfalenstadion mühelos hin. Eintritt kostet auch nix. Geht's noch besser?







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