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Comicverfuehrer

Hemmungsloser Slapstick, Gags ohne Rücksicht auf Geschmack und Geschlecht: „Fungirl“ ist das mutigste deutsche Spaß-Projekt seit fast 30 Jahren

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Illustration: Elizabeth Pich - Edition Moderne

Was für eine Rarität: respektloser, sogar rücksichtsloser Humor. Ich bin selber noch ganz baff, was ich da in Elizabeth Pichs Band „Fungirl“ finde. Weil ich sowas in vergleichbarer Qualität seit laaaaaaaanger Zeit nicht mehr gelesen habe. Schon gar nicht aus Deutschland. Oder ist da der Wunsch Vater des Lobs?

 

Sexbesessene Titelheldin


„Fungirl“ ist in jedem Fall schon mal hemmungslos. Titelheldin ist eine kaum bis nicht beschäftigte junge Frau, die gerne lang ausgeht, noch länger schläft und sich vorwiegend für Sex interessiert, entweder mit anderen oder allein. Sie lebt mit ihrer ehemaligen Partnerin (noch?) in einer WG und benimmt sich dort so, wie man es gemeinhin jungen, rücksichtslosen Männern unterstellt. Typische Szene: Sie vergisst die Pizza im Ofen, löst einen Küchenbrand aus und entschuldigt sich bei Feuerwehr und Mitbewohnerin mit „Sorry, ich war am Masturbieren!“ Heftig? Aber noch kein Brüller? Stimmt beides.

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Illustration: Elizabeth Pich - Edition Moderne

Radikalhumor hat seine Tücken, wie bei „Grizzlyshark“. Soll superlustig sein, haut aber nur besinnungslos drauf. Guter Radikalhumor braucht also mehr, einen Mechanismus, der das Draufhauen clever ergänzt oder konterkariert. Und deshalb bricht Elizabeth Pich die Küchenszene auch nicht ab, sondern dreht sie weiter: Fungirl versucht mit einem noch blöderen Spruch den Feuerwehrmann auf ihre Seite zu ziehen und – scheitert. Genau an diesem Punkt wird aus Fungirl mehr als eine Radauschleuder.


Serienglotzen im Sarg


Denn Fungirl will gemocht werden. Sie hat konservative Träume, will einen Job und das entsprechende Gehalt, sie ahnt, dass sie Vieles nicht besonders geschickt löst. Aber jeder Ansatz zur Änderung des Lebens scheitert an ihrer Trägheit, am unüberwindlichen Drang, sich alle Rosinen rauszupicken und alles Unangenehme zu ignorieren. Einem Drang, den man selber zu gut kennt. Fungirl löst den Konflikt, indem sie etwa einen Job bei einem Bestatter annimmt, die Arbeitstage im Sarg liegend und serienglotzend verbringt, dann aber die Ruhetruhe bei Kunden als Nobelteil „mit Snacks und DVDs“ anpreist. Selbstverständlich erfolglos.

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Illustration: Elizabeth Pich - Edition Moderne

Fungirls Abenteuer sind definitiv nichts für Leute, die’s gern schön haben. Dafür füllt Elizabeth Pich jedoch eine Lücke, für die sich seit Klaus Cornfield Mitte der 90er in Deutschland kaum jemand zuständig fühlte: das gleichermaßen geschickte wie geschmacklose Zuschlagen, komplett rücksichtslos auch sich selbst gegenüber. Denn natürlich riskiert Elizabeth Pich, dass man nicht nur die Heldin für blöd, widerlich, kindisch hält, sondern die Autorin gleich mit. Auch wenn sie sich einige Rettungsnetze gespannt hat.  


Derb, aber nie schmuddelig


Anders als bei Cornfield ist Pichs Kunst sauber durchstilisiert. Bunt, kräftige Farben, reduzierte Strichfiguren, die bisweilen an die Olympia-Piktogramme '72 erinnern. Fungirls Abenteuer sind vorm Schmuddel geschützt, weil sie nie als billiges Drecksheft unter irgendeinem Ladentisch lagen. Und Pich konstruiert zwischen den Episoden hübsche Hommagen an Ikonen der Trickfilm- und Comic-Kunst, Fungirl darf etwa wie Bart Simpson durch die Stadt skaten oder auf dem Dach von Snoopys Hundehütte liegen.

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Illustration: Elizabeth Pich - Edition Moderne

Tja, und nun? Sollte ich lobend oder gar ermutigend hervorheben, dass Pich eine Frau ist? Weil ich beobachtet zu haben meine, dass sich gerade Frauen oft schwerer damit tun, rücksichtslos und brachial zu sein? Oder sollte ich eher lobend oder gar ermutigend hervorheben, dass Pich eine gebürtige Deutsche aus Saarbrücken ist? Weil ich beobachtet zu haben meine, dass sich Deutsche oft schwerer damit tun, in Humordingen rücksichtslos und brachial zu sein? Für letzteres hätte ich immerhin eine Art Beleg.


Brachialhumor als Re-Import


Denn „Fungirl“ erschien zuerst in den USA. Der jetzt veröffentlichte Band wurde dementsprechend auch aus dem Englischen übersetzt. Und auf Deutsch veröffentlicht wurde er nicht in Deutschland, sondern bei Edition Moderne in der Schweiz. Vielleicht ist das alles aber auch viel unwichtiger als: Lesen und Lachen.

 


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Wenn Anke Feuchtenberger einen Comic macht, jubeln Deutschlands Kulturberichterstatter. Zu Recht? Ein Selbstversuch.

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Illustration: Anke Feuchtenberger - Reprodukt

Jaaa, ich gebe zu, ich habe noch nichts von Frau Feuchtenberger gelesen. Ich weiß, ich weiß, wie kann das sein, dass ich nichts von Frau Feuchtenberger gelesen habe. Wo doch alle, alle schon was von Frau Feuchtenberger gelesen haben. Weiß ich denn nicht, wer Frau Feuchtenberger ist? Doooch, weiß ich, so halb wenigstens, Frau Feuchtenberger, das ist doch die, wo alle immer sagen: „Ah, Comic ist natürlich Kunst, man denke nur an Anke Feuchtenberger.“ Über Frau Feuchtenberger schreibt man Bücher, jeder einzelne Stipendiat von der Berthold Leibinger Stiftung hat gefühlt bei Frau Feuchtenberger studiert, weil feuchtenbergerfeuchtenbergerfeuchtenbergerfeuchtenberger...

Und trotzdem: noch nichts von ihr gelesen. Neiiii-en, auch Dings nicht. Aber jetzt, okay? Den neuen Band, „Genossin Kuckuck“.


1311 Gramm mit Goldschnitt


Viel Comic, 1311 Gramm. Goldschnitt, hat man selten. Und ein grandioser Einstieg: Erstes Panel ist ein gigantischer Keilerkopf an der Wand. Düster, schwarz-weiß. Zwei Mädels sitzen drunter und schwören sich ewige Treue. Klar, man muss beim Schwören die Hand ins Maul des toten Wildschweins schieben. Gute Szene. Aber dann wird’s sehr schnell sehr rätselhaft. Obwohl im Klappentext alles einfach klingt.

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Illustration: Anke Feuchtenberger - Reprodukt

„Kerstin kommt zu spät“, heißt es da, „Ihre Großmutter ist bereits beerdigt und das Fotoalbum, welches ihr versprochen wurde, ist nicht zu finden. Sie kommt nicht mehr weg aus der alten Dorfschule, in der ihre Großmutter Russischlehrerin war“, und dann werden eine Menge alter Rechnungen aufgemacht. Aber so linear erzählt Anke Feuchtenberger nicht. Sie verschlüsselt vieles in traumartigen, kafkaesken Sequenzen, die etwa so aussehen: Zwei Männer in bizarrer Rennfahrermontur kommen zu einer Hotelrezeption und machen der Empfangsdame perfide Vorwürfe, sie lebe auf zu großem Fuß – ein Mix aus Steuerfahndung und kommunistischem Bourgeoisie-Vorwurf. Dann lassen sie sich von einem sprechenden Papierkorb (eines dieser Plastikteile mit großem Grinse-Einwurf-Mund) ins Hotel führen. Im Flur treffen sie auf seltsame Funktionäre, bevor sie eine alte, strickende Frau im Rollstuhl vorfinden, die statt einem Kopf eine Art Blumenkohlgeschwür hat…


Rätsel und Köder


Das ist nicht so anstrengend, wie es sich hier liest, Feuchtenberger hat einen schön skurrilen Sinn für Humor. Aber man versucht solche Szenen ja immer in die reale Geschichte zu übersetzen: Was passiert wirklich, was nicht, welches Symbol bedeutet was? Und man hofft, dass die nächste Szene wieder leichter einzusortieren ist – aber das ist sie nicht: Wir sehen die Familie als Hunde verfremdet, in Rot, ein altmodischer (sozialistischer?) Zeichenstil, es ist wohl die erwähnte Dorfschule, dann machen zwei Hundemädchen eine Teekanne kaputt, in der Schnecken wohnen, puuaaahh.

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Illustration: Anke Feuchtenberger - Reprodukt

Ganz ehrlich? Ich war nahe dran, aufzugeben. Aber ich las weiter, weil Feuchtenberger kleine Hinweise fallen lässt. An denen merkt man, dass man eine faire Chance zur Entschlüsselung hat. Die Teekanne hat ihren Sinn, die Pilze, die Schnecken kommen vom Schild des Kinderheims und haben zugleich was Weiblich-Sexuelles. Und dass die Schnecken irgendwie mit den Kindern zusammenhängen, merkt man ja, wenn die Kinder plötzlich mit Blaukorn spielen… Aber man knuspert so einen Comic eben nicht weg wie eine Tüte Kartoffelchips. Obwohl –


Gänsebesuch auf dem Damenklo


Obwohl es so richtig viel Überwindung nicht braucht: Feuchtenberger verstreut eine Menge optischer Köder. Ihre Bilder sind provokativ, suggestiv, anziehend und abstoßend zugleich. Und selbst bei der größten Rätselei gilt: Es ist einfach absurd-unterhaltsam, wenn eine Frau auf dem Klo sitzt und plötzlich jede Menge Gänse reinwatscheln, und die Obergans fragt sie: „Du weißt, was das hungernde Volk von dir erwartet?“


Letztlich am überzeugendsten: Ich habe nie das Buch weglegen wollen. Und, noch aussagekräftiger: Ich habe nicht ein einziges Mal verstohlen nachgesehen, wie viele von den über 400 Seiten noch vor mir liegen. Anke Feuchtenberger, Genossin Kuckuck, Reprodukt, 44 Euro


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Endlich Neues von Aya! Die Saga um das clevere Mädchen von der Elfenbeinküste vermittelt erneut ihr einzigartiges Afrika-Bild: komödiantisch-leicht

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Illustration: Marguerite Abouet/Clément Oubrerie - Reprodukt

Was für ein erfreuliches Comeback: „Aya aus Yopougon“ kommt zurück. Wer’s kennt, darf sich freuen, wer nicht, um so mehr. Denn Aya bietet einen komplett einzigartigen, erfrischenden Blick auf Afrika, genauer gesagt: natürlich nur auf einen Teil Afrikas, nämlich die Elfenbeinküste – allerdings vor etwa 50 Jahren.


Vögelnder Chef mit dussligem Sohn


Die Elfenbeinküste der 70er war offenbar prowestlich, stabil und dabei trotz diverser Demokratie-Defizite liberal regiert. Was bedeutete, dass über einen längeren Zeitraum kaum jemand vor Dingen wie Hunger, Verfolgung oder einem Putsch fliehen musste. Dass sich eine stabile Gesellschaft mit leidlichem Wohlstand entwickelte – was Abouet zusammen mit Zeichner Clément Oubrerie zu einer munteren lokalen Soap-Burleske verarbeitete, mit drei jungen Mädchen im Zentrum: Aya, Adjoua und Bintou. Aber letztlich ist es auch und vor allem eine vergnügliche Ansammlung liebenswerter Dödel und Dödelinnen.

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Illustration: M. Abouet/C. Oubrerie - Reprodukt

Ayas Papa Hyacinthe schwankt ständig zwischen Kriechertum und Bedeutungshuberei, weil er einen guten Posten in der örtlichen Brauerei hat. Sein Chef ist der wild herumvögelnde Monsieur Sissoko, der verzweifelt versucht, aus seinem steindummen Sohn Moussa einen Nachfolger zu formen. Es werden idiotische Geschäftsideen entwickelt und Hexenmeister zur Lebensberatung und -steuerung herangezogen. Vor allem aber wird auch munter gebalzt. Wer mit wem, und wer macht wen an, und nachts trifft man sich zum Poppen auf dem Marktplatz, wo die leerstehenden Marktstände als Paarungspritschen dienen. Leider ist dabei im Dunkeln nicht nur gut Munkeln, sondern auch gut Verwechseln. Unterdessen hat es Innocent, schwul und naiv, nach Paris geschafft, wo er mal als Michael-Jackson-Kopie, mal als Prince-Imitat heimisch zu werden versucht.


Früh lesen können? Teufelswerk!


Darf man sowas? Eine afrikanische Tölpelparade inszenieren? Kulturelle Aneignung ist’s auf jeden Fall schon mal nicht, Szenaristin Marguerite Abouet wuchs an der Elfenbeinküste auf, sie verarbeitet ihre Erinnerungen. Zudem blendet sie ernste Themen nicht aus, sondern jubelt sie ihren Lesern so geschickt wie beiläufig unter. So werden die schlicht gewirkten Eltern auch deshalb zum Problem, weil ihr Einfluss auf die Lebensgestaltung der Kinder noch immer groß ist. Weil hier die Homosexualität des Sohnes eine genauso verhexte Katastrophe ist wie dass der kleine Enkel (3) schon lesen kann: Eine ganz finstere Krankheit steckt dahinter, sie nennt sich „Hochbegabung“. Weil hier die Jungs sich für Gottes Geschenk an die Menschheit halten und die Mädels es ihnen glauben – bis auf Aya natürlich, die Titelheldin, bei der als Einziger die Tassen im Schrank noch vollzählig zu sein scheinen. Aya, die was aus sich machen will und die sich nichts gefallen lässt.

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Illustration: M. Abouet/C. Oubrerie - Reprodukt

Clément Oubrerie, Abouets Ehemann, hat die Geschichten kongenial illustriert. Sonnig, extrem farbenfroh, mit besonderem Augenmerk auf afrikanisches Textildesign, auf Lebenslust und Kochkunst. Zudem liest sich „Aya“ ausgesprochen locker, die ständigen Schauplatzwechsel geben das Gefühl, man sei selber in diese ganzen schwurbeligen Zirkel integriert. Als wären all die normal-merkwürdigen Protagonisten Teil des eigenen Freundeskreises. Von dem man natürlich auch ständig wissen möchte, wie’s weitergeht. Einziges Manko für Neueinsteiger: Die ersten, genauso empfehlenswerten Teile der Serie liegen inzwischen so weit zurück, dass einige vergriffen sind. Reprodukt hat allerdings mit der Wiederveröffentlichung begonnen, Teil eins ist schon draußen, Teil zwei erscheint im November.





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