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Comicverfuehrer

„Walking Dead“ aus heimischem Anbau, die zweite: „Gung Ho“ bietet mehr Action, noch mehr Gefühl und viel, viel mehr fürs Auge

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Illustration: Thomas von Kummant/Benjamin von Eckartsberg - Cross Cult

Noch mehr konstruktive Kritik! Denn „The Walking Dead“ sind ja keineswegs aufregender geworden. Es gibt hierzulande ja auch längst bessere Mittel- und Edel-Burger als die Standardpresslinge von McDonald’s. Muss man sowas also überhaupt importieren? Gibt es denn keine Craft-Zombies mit neuem, besserem Geschmack? Die gibt es tatsächlich: Und eines kann ich jetzt schon versichern: Selbst in ihren müdesten Momenten lassen sie die Konkurrenz des Marktführers aussehen wie „The Schnarching Dead“. Heute: „Gung Ho“ von Cross Cult.


Diese Zombies sind flauschige Monster


Wobei, ehrlich gesagt, man etwas schummeln muss, um „Gung Ho“ in die Zombie-Auswahl aufzunehmen: Sicher, das „Walking Dead“- Setting ist da, die Menschheit ist komplett zurückgedrängt, die Welt ist in der Hand einer Übermacht geheimnisvoller Monster, die einen an allen Ecken und Enden überfallen können. Aber die Monster sind keine Untoten. Texter Benjamin von Eckartsberg und Zeichner Thomas von Kummant haben sich stattdessen eine Rasse strahlend weißer Raubaffenlöwen ausgedacht. Die sind derart gepardenschnell und in Rudeln organisiert, dass für den stolpernden „Walking Dead“-Standardtölpel mit dem raushängenden Auge nur ein müdes Gähnen bleibt.


Noch schöner ist: Kummant und Eckartsberg wissen, dass es besser ist, wenn man die Monster sparsam einsetzt und nicht mit ihnen rumschmeißt wie mit Konfetti. Also sehen wir erst mal lange keine Affen, sondern die beiden schwer erziehbaren Brüder Zack und Archer, die in der Außensiedlung „Fort Apache“ ankommen. Spätestens hier beginnt der Zauber von Kummants Bildern, auch wenn sie etwas gewöhnungsbedürftig sind.


Jugendliche, hingelümmelt wie nasse Lappen


Kummant zeichnet vor allem mit Farbflächen, und seine Figuren sehen aus, als kämen sie aus den Disneystudios, realistische Abteilung, also: mehr Cinderellas Prinz als ihre Stiefmutter. Das kombiniert Kummant mit einem exzellenten Gespür für Bewegungen. „Gung Ho“ spielt vor allem unter den Jugendlichen der Siedlung, Kummant zeigt sie kämpfend, streitend, flirtend und hingelümmelt wie nasse Lappen, da passt einfach alles, von Beginn an: Zack und Archer kommen auf dem Dach eines Zuges in die befestigte Siedlung, und allein schon wie sich Zack unterwegs an die Dachreling hängt, diese komplette Achtlosigkeit, mit der Menschen unter 20 ihrem Körper einfach alles zumuten, das ist so in sich stimmig, dass man sich Kummants Beobachtungsgabe sofort anvertraut. Und ihm verzeiht, dass er allen jungen Frauen beeindruckende Oberweiten zukommen lässt.


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Illustration: Thomas von Kummant/Benjamin von Eckartsberg - Cross Cult

Auch die Bildeinstellungen sind klug gewählt. Kummant kann Action: Prügeleien, Schießereien, Verfolgungsjagden, all das inszeniert er schnell, explosiv, abwechslungsreich, gerne aus der Froschperspektive, und im richtigen Moment schneidet er vom Geschehen weg zur Reaktion in den Gesichtern der Beobachter. Aber er kann auch Dialoge – weil ihm von Eckartsberg gute liefert. Wo die „Walking Dead“-Protagonisten faseln als würden sie nach Silben bezahlt, genügen Eckartsberg wenige kurze Sätze, manchmal nur Blicke. Kummant lässt dann stattdessen die Umgebung sprechen, die bedrohliche Atmosphäre oder die romantische Stimmung.


Wer Kummant hat, braucht keinen Sommer mehr


Dabei kommt ihm sein Gefühl fürs richtige Licht zugute: Der Herbst naht, aber wer Kummant hat, braucht keinen Sommer, der 45-Jährige ist – Sahnehäubchen auf dem I-Tüpfelchen –auch ein grandioser Feld-, Wald- und vor allem Wiesenmaler. Wiesen in der Morgendämmerung, Grashalme, die dem Beobachter fast in die Nase pieksen, hauchzarte Pusteblumen, wer Heuschnupfen hat, niest schon vom Hinschauen. Überhaupt haben Kummant/Eckartsberg begriffen, dass sich in einer entvölkerten Welt vor allem Gras und Grünzeug an allen Ecken und Ritzen breitmachen. Die Natur rund um „Fort Apache“ ist der heimliche Star der Serie, einige Studien aus dem angehängten Extrateil erinnern stark an den legendären Urweltzeichner Zdenek Burian. Aber all das wäre nur hübsch anzusehen, wenn die Geschichte nicht auch gut erzählt würde.


Absurd ist sie natürlich immer noch: Ein Raubtier braucht was zu fressen, und wenn es nur noch ab und an einen Menschen fängt, wird es wohl kaum noch rudelweise herumrennen. Aber geschenkt: bei einer Welt voller Zombies fragt auch kein Schwanz, wovon die eigentlich noch leben, wo sie doch praktisch schon alle Leute angesteckt haben oder angenagt oder beides. Eckartsberg zieht die Aufmerksamkeit geschickt auf die Konflikte der Jugendlichen, auf Archers große Klappe, auf junge Liebeleien, aufs Schusswaffentraining, all das sorgt für reichlich Zunder, und im toten Winkel des Feuerwerks lässt er die große Bedrohung schön unauffällig hochköcheln.


Fummeln ist wichtiger als Disziplin


Eleganterweise löst die Besetzung auch eines der Standardzombieprobleme: Warum gehen immer irgendwelche Leute in irgendwelche Keller oder sonst wohin, wo man in einer Zombiegegend eben nicht hingehen soll? Jugendliche machen sowas, weil jetzt gerade Coolsein wichtiger ist als Vorsicht, Rumfummeln wichtiger als Disziplin, Mutproben wichtiger als Gelassenheit. Und zu ihnen passen auch die coolen Sprüche, das ständige Kraftmeiern, die permanente Unsicherheit deutlich besser als zu erwachsenen Charakteren.


Drei Bände „Gung Ho“ gibt’s derzeit, auf den nächsten muss man bis 2019 warten. Das ist definitiv zu lang.


Thomas von Kummant/Benjamin von Eckartsberg, Gung Ho, Bd.1-3, Cross Cult, 22-25 Euro


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.

Der Berliner Verlag round not square bietet einen Rollcomic auf über 15 Metern Papier an. Ein Selbstversuch


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Foto/Illustration: Paul Rietzl - Round not Square

Ein Comic, den man mit den Füßen zuklappt. Das ist tatsächlich mal was ganz Neues. Vielleicht gibt es auch andere Methoden, Sie können es gerne selbst versuchen – ich sag Ihnen kurz mal, worum’s geht: um einen Rollcomic.


Wie weiland der Teppich von Bayeux


Wat is eine Rollcomic? Sowas wie ein Rollmops? Ja, kommt gut hin: Dieser Rollcomic stammt vom Berliner Verlag „round not square“, ein Wortspiel, weil man das englische „square“ nicht nur mit „eckig“ übersetzen kann, sondern auch mit „langweilig“, und langweilig sind die Produkte nun wirklich nicht. Die Verleger Antonia Stolz, 33, und Ioan Brumer, 29, haben im Prinzip die alte Schriftrolle wieder ausgebuddelt und zum Rollbuch modernisiert – ein Buch auf einer einzigen, sehr, sehr langen Papierrolle. Und weil sie schon dabei waren, haben sie auch gleich den Rollcomic entwickelt, vielleicht sogar erfunden, weil: mir ist bisher noch kein anderer untergekommen, abgesehen vielleicht vom Teppich von Bayeux.


Der Umgang mit dem Rollcomic ist leichter als man vielleicht glaubt. Der Comic besteht aus einer Rolle Papier, die in einem steifen Kartoncover endet und liegt. Zum Lesen öffnet man dieses Cover und dreht es auf links. Die so entstandene hohle Coverrolle nimmt man in die linke Hand, auf sie wird man nun nach und nach die 15 Meter Handlung aufspulen, die man jetzt noch als kompakte Papierrolle in der rechten Hand hält. Unsere Geschichte heißt „Shipwreck“ und ist vom Augsburger Paul Rietzl. Science Fiction, im Weltraum, was auch angesichts des Mediums nicht schlecht gewählt ist.


Es fehlt: der Schnitt beim Umblättern


Denn so eine Rolle kann man nicht nur kontinuierlich ansehen, man kann sie auch so weit auseinanderziehen wie man will. 30 Zentimeter, 100, doppelt armbreit. Man hat also als Zeichner nach rechts unglaublich viel Platz, und viel Platz ist etwas, was man sehr gut brauchen kann, wenn man den Weltraum zeichnen will. Sofort zeigt sich auch noch etwas Eigentümliches: Es fehlt die Zäsur, die ganz automatisch immer dann entsteht, wenn man in einem normalen Comic eine Seite umblättert.


Beim Umblättern weiß man ja nicht, was als Nächstes kommt. Die rechte Seite kann man vielleicht so aus dem Augenwinkel ahnen, aber die linke Seite, keine Chance, noch während die Seite senkrecht steht, hat man nicht den Hauch einer Ahnung. Diesen Moment der Zwangsüberraschung hat der Rollcomic nicht. Dafür bietet er die Möglichkeit zu langen, langen Kamerafahrten.


Vorteil: lange Kamerafahrten


Reitzl nutzt das, um uns in die Geschichte einzuführen, diese Zukunft mit ihren epischen Weltraumschlachten, dazu gibt es viel Voice-over in Textkästen. Was auch kein Zufall ist: Denn während das Format bei Kamerafahrten glänzt, kann man schnelle Gesprächspassagen auch hier nur als normale Bilderabfolge zeigen. Das ist dann wie ein Ferrari in der Tempo-30-Zone, außer man zeigt Ali Baba und die vierzig Räuber beim Durchzählen. Schwierig ist aber auch, was dabei zu essen.


Schwierig: sich beim Lesen an der Nase kratzen


Zum Beispiel ein Käsebrot. Einen Teller mit Schnittchen schmieren und dann dazu ein Comicheft lesen – gar kein Problem. Mit einem Rollcomic ist das schon anders, weil man ja beide Hände voll hat. Man soll natürlich nicht beim Lesen essen, klar, aber es ist ohne Hände auch nicht ganz leicht, sich an der Nase zu kratzen. Hilfreich wäre daher, wenn die Geschichte so fesselnd wäre, dass man die Nase darüber vergisst – aber das ist schon im Normalformat enorm schwer.


Reitzl kann man dabei keinen Vorwurf machen. Er löst die meisten Herausforderungen, die ihm die Rolle stellt, geschickt und guckt sich viel vom Film ab. Weil es ohne Blättern schwer ist, im fortlaufenden Bild die Szene zu wechseln, nutzt Reitzl Vorder- und Hintergrund, zoomt heran, schwenkt von dort wo anders hin. Sein Weltraum ist auch nicht nachtschwarz, sondern endlos weiß, weil man dadurch elegant Innen- und Außenszenen mischen kann ohne dafür den Hintergrund ändern zu müssen.


Pionierarbeit: Es gibt kaum Vorbilder


Gelegentlich lässt Reitzl auch Rolle Rolle sein und klinkt ganz konventionell Bilder ein, um den Rhythmus zu ändern, und überhaupt schlägt er sich doppelt anerkennenswert, weil er kaum auf Vorbilder zurückgreifen kann und sich das Meiste selbst erarbeiten muss. Trotzdem kann man nur schwer bestreiten, dass seine Geschichte vor allem auch deshalb gut unterhält, weil man dabei den ungewöhnlichen Extraspaß mit den Papierrollen hat. Solange man nicht zu pedantisch ist, jedenfalls.


Es ist nämlich kaum möglich, beim Lesen die linke, gelesene Rolle so sauber aufzuwickeln wie die rechte, ungelesene. Und zum Schluss, wenn man das ganze Buch zurück spulen muss wie früher eine Musikcassette, geht das zwar sauberer, aber nicht mehr so kompakt, dass das Cover sofort wieder drumrum passt. Man muss dann die Rollenlöcher zwischen die Finger nehmen und straff ziehen. Die eigens mitgelieferte Anleitung sagt zwar, das ginge mit einem Finger, aber dann wird’s schief. Weshalb ich mich ganz zum Schluss gebückt, die Rolle zwischen die Finger genommen und dabei mit den Zehen das Cover festgehalten habe. Während derart interaktiven Bücklingen merkt man dann am eigenen Leib, wie man den Begriff „Liebe zum Buch“ mit ganz neuem Leben füllt.


Der Leser bestimmt selbst die Bildgröße


Klar ist, dass so ein Format nicht mit dem Standardbuch konkurriert. Bis zu 30 Meter Papier, am Stück auf dem Tintenstrahldrucker gedruckt, das ist nichts fürs Alltagslesen. Es ist aber auch kein Nischenprodukt für Sonderlinge. Auf Designmessen kommt das Rollbuch sehr gut an, wie man hört, und auch ein Kinderbuch ist im Programm, das sich bereits 700mal verkauft hat – weil Kinder es prima finden, wenn man die Bildgröße selbst bestimmen kann.

Ehrlich gesagt: nicht nur Kinder.


Paul Reitzl, Shipwreck, round not square, 28 Euro

www.round-not-square.com


Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.






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