Ab hier testen Sie auf eigene Gefahr - heute: „King Of Spies “ und „Lucky Luke - Rantanplans Arche“
Lauwarme Fleischbrühe
Warum der neue „Lucky Luke“ nicht gut ist? Es hilft zu überlegen, was der Goscinny/Morris-Lucky Luke aus Band 101 gemacht hätte. In „Rantanplans Arche“ begegnet Luke dem Tierschützer Byrde . Früher hätte er Byrde für einen eigenwilligen Vogel gehalten, kurz begleitet und dafür gesorgt, dass er leben kann, wie er möchte. Luke hätte nicht Stellung bezogen, nur schmunzelnd den Schwächeren verteidigt, weil Morris und Goscinny wussten, dass sich der Leser seinen Teil denkt: War sicher nicht leicht, als 1866 der erste Tierschutzverein gegründet wurde – die waren ihrer Zeit halt voraus und ihr Trinkwasser noch nicht gülleverseucht.
Achdé und Jul genügt das aber nicht. Als erstes machen sie den Tierschützer auch noch zum Veganer, was ja nicht zwingend zusammengehört. Dann lassen sie ihn reich werden, Revolverhelden anheuern und eine vegane Ökodiktatur errichten, inklusive Todesstrafe bei Fleischkonsum. Wie bitte?!?!?
Lucky Luke rettet jetzt bedrohte Steaks
Sorry, aber selbst ich als Freund der fränkischen Bratwurst sehe, dass hier zwei Typen, die um ihr Steak zittern, den Comic-Cowboy benutzen, um Veganern mal eine einzuschenken. Beim Galgen bleibt's ja nicht: Tierschützer Byrde ist nicht nur der Strick egal, sondern auch dass die Gangster das Volk ausplündern. Seinen Irrweg erkennt er erst, als der Topschurke auf ein Tier schießt. So sind sie, die Tierschützer.
Diese Humorarbeit mit dem Holzhammer kommt allerdings nicht überraschend. Der Großteil der Pointen von Achdé/Jul ist entweder ungenau oder langsam. Dass sich Byrde etwa beim Teeren und Federn über die Hühnerfedern ärgert, kann sich jeder denken – dennoch zieht sich der Gag über vier Panels.
Eine Überraschung ist zu wenig
Kann freilich auch sein, dass Achdé/Jul das Ganze eher routiniert-gedankenlos abnudeln. Denn tatsächlich kriegt Byrde auch den einzigen überraschenden Satz des ganzen Albums. Als Lucky Luke bezweifelt, dass die Amerikaner „bereit sind, auf das Steak zu verzichten“, verweist Byrde auf die reale Entwicklung der Comicfigur: „Sie haben es doch auch geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören.“
Mehr hätte es nicht gebraucht.
Sparsame Ideen, unlogische Action
Ich bin Mark Millar ausgesprochen dankbar für „Kick Ass“, diese exzellente „Superheld-in-echt“-Studie. Aber so gut durchgereift sind seine Stories seither leider selten. So ist auch bei „König der Spione“ die Idee knalliger als das Ergebnis. Ein alternder Agent/Killer erfährt, dass er nur noch sechs Monate zu leben hat und beschließt, in diesem halben Jahr zur Wiedergutmachung endlich die umzubringen, die es verdienen. Naja, warum nicht?
Der erfahrene Spion, der alle Sicherheitsmaßnahmen aushebelt, das hat ja auch was. Alle wissen, wer dahintersteckt, aber keiner kann’s verhindern, weil er so viele Tricks im Ärmel hat. Was macht Millar? Schnitt zu: Killer ist drin, bringt Opfer um. Und wieder, und wieder. Tricks: Fehlanzeige. Hm.
Aber gut, vielleicht ging’s ihm um was anderes? Vielleicht sind die Opfer überraschend ausgewählt? Russische Milliardäre, ein anderer Killer, ein nichttrumpiger US-Präsident, der Papst. Gähn. Aber mit guter Action könnte man ja…
Der Papst kriegt einen Lynchtermin
Leider ist auch noch die Action stellenweise arg unlogisch. Ein Scharfschütze kann wie oft auf einmal schießen? Genau, und wieso sehen wir dann gleichzeitig zwei Kugeln in zwei Köpfe einschlagen? Unser Superspion springt von einem Hochhausdach, landet in einem (zufällig vorbeifahrenden!) Rettungswagen und hat keinen Kratzer? Zwei Männer kämpfen im freien Fall um einen Fallschirm, A gewinnt, indem er beim Fall auf einen (zufällig gerade vorbeifliegenden!) Hubschrauber den anderen im Rotor zerschreddert und selbst superheil durchkommt? Da hat doch einer bei der Suche nach besseren Lösungen sichtlich die Lust verloren, oder?
Den Papst schleppt der Killer in einen dunklen Wald, um ihn dort von allen Angehörigen missbrauchter Kinder lynchen zu lassen. Wo kriegt er die Angehörigen her? Telefoniert er die einzeln zusammen? Und die warten dann stundenlang im Wald und sind sowieso alle begeisterte Mörder? Himmelnocheins!
Pluspunkt: Sex im Alter
Auf der Habenseite verbuchen wir: Eine recht überraschende und gar nicht schlechte Sex-im-Alter-Szene, ein ungewöhnliches Killerpaar, das an Originalität gewinnt, wenn man „Mad Max 3“ nicht kennt, und Matteo Scaleras grundsolide Zeichnungen.
Das ist mehr als nichts, aber nicht genug. Leider.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
"Von Mäusen und Menschen": Rebecca Dautremers erstaunliche Umsetzung des John-Steinbeck-Klassikers beindruckt mit einer raffinierten Zutat: gezeichneter Zeit
Also: Die Bilder sind toll.
Und der Text ist exzellent. Weltliteratur, kann man sagen.
Aber ist es noch ein Comic?
Und wenn’s kein Comic ist – was ist es dann?
Mal ganz von vorn: Vor mir liegt ein dicker Wälzer, er heißt „Von Mäusen und Menschen“. Ja, der Roman von John Steinbeck, den ich bisher nie gelesen habe. Die Handlung dreht sich um die beiden Wanderarbeiter George und Lennie in den USA der 30er Jahre. George ist umsichtig, sorgfältig, Lennie hingegen ist langsam, gutmütig, schon ziemlich nahe am Schwachsinn. Es gab mit ihm Ärger bei der letzten Farm, mit einem Mädchen, sie mussten abhauen und sind jetzt auf dem Weg zu einer neuen Arbeitsstelle. Steinbeck beschreibt das einfühlsam, er spricht vieles nicht aus, deutet es geschickt an. Und er arrangiert die Szenen praktisch filmreif. Woher ich das als Steinbeck-Nichtleser weiß?
Weil ich hier tatsächlich den gesamten Romantext vor mir habe. Ungekürzt.
Angenehm lesbar: ein Roman in Häppchen
Die französische Zeichnerin Rebecca Dautremer hat ihn illustriert, und zwar gründlich. Was als Text auf rund 120 Taschenbuchseiten passt, nimmt jetzt im Comic-Band 400 Seiten ein, die aufgeklappt fast die Fläche eines Vinyl-Doppelalbums belegen. Dennoch liest alles sich superangenehm, weil Dautremer soviel Platz hat und ihn nutzt, indem sie den Text häppchenhaft stückelt.
Die Einstiegsszene am Fluss etwa zeichnet sie über fünf Seiten, die Landschaft, die Tiere, eben alles, was Steinbeck beschreibt, in wundervoll detaillierten Bildern. Dann beginnen Lennie und George zu reden: Den Dialog trennt sie in kleine Mehrzeiler, und zu jedem Satz gibt es ein neues Bildchen der beiden. Ab hier wird es gewöhnungsbedürftig.
Eingängig und anspruchsvoll
Nicht, weil es nicht eingängig wäre. Doch Comic-Leser sind es gewohnt, eine Eigenleistung zu bringen. Bilder oder Details zu deuten, die eben nicht im Text stehen. In Steinbecks knappem Text steckt aber alles drin. Jedes Zögern, jede Geste, die Dautremer penibel nachvollzieht. Diese Text-Bild-Parallele wirkt zunächst unnötig, fast redundant. Doppelt redundant, weil die 51-Jährige oft auch noch englische Originalfetzen ins Bild einwebt. Buch-Leser hingegen könnten sich in ihrer Fantasie beschnitten fühlen: George und Lennie kann man sich nicht mehr vorstellen wie man will, Rebecca Dautremer legt sie fest. Erst allmählich zeigt die Französin, womit sie Steinbecks Erzählung bereichern wird: Sie fügt Zeit hinzu.
Sie deutet etwa die dunkle Vorgeschichte an, ohne Worte, wie eine lautlose Erinnerung. Sie spielt Gedanken aus. Weil Lennie Bohnen mit Ketchup genauso liebt wie Streicheltiere, erfindet sie ganzseitige Reklametafeln mit Mäusen, für Bohnen, für Ketchup, für Latzhosen. Und sie wechselt dabei häufig den Stil. Wird die Hauptgeschichte noch weitgehend naturalistisch erzählt, karikiert sie beispielsweise Lennie auf einer Seite im Stil von Winsor McCays „Little Nemo“-Alpträumen. Als George Lennie eine tote Streichel-Maus wegnimmt und sie sicherheitshalber auch noch wegschleudert, fliegt diese als blaue Trickfilm-Maus durchs knallgelbe Bild – und landet supernaturalistisch auf dem Sandboden. Und wenn George Lennie die eigene Farm ausmalt, die sie beide sich für die Zukunft erträumen, dann tauchen die Felder und Tiere plötzlich knallbunt auf wie im sorgsam ausgemalten Skizzenbuch eines kleinen Jungen.
Er-Lesen in Echtzeit
Tatsächlich gelingt es Dautremer so, dem Leser für den enorm dichten, gut lesbaren Text mehr Zeit abzuluchsen, als eigentlich nötig wäre. Weil man mehr guckt, mehr schaut, mehr erforscht. Dennoch entschärft sie den Text nicht. Die Träume von der wunderbaren Zukunft bleiben unerreichbar und verdeutlichen die Trostlosigkeit der Gegenwart. Der glücklichste Moment von George und Lennie bleibt der Abend am Fluss, mit dem das Buch beginnt, der Abend vor dem neuen Job, ein Augenblick selbstbestimmter Freiheit und Entspannung. Das Ergebnis ist nicht nur eindrucksvoll, es ist auch vorlagentreuer als jeder Film.
Dautremers Illustrationsflut reduziert tatsächlich die Optionen des Lesers, aber dafür intensiviert sie die Stimmung. Schlüsselszenen wie die in der Hütte des schwarzen Stallknechts Crooks oder die verzweifelte Annäherung des alten Candy werden plastischer, die Dialoge werden auf echtes Sprechtempo abgebremst: Weil man eben nicht so schnell liest, wie man könnte – sondern nur so schnell, wie es die Bilder zulassen. Dautremers Kunst besteht dabei darin, Bilder zu liefern, bei denen man nicht spürt, dass sie bremsen. Indem sie schön sind oder originell oder ungewöhnlich oder komisch oder, oder, oder.
Ein guter Text in besten Händen
Ist das jetzt ein Comic? Eine Graphic Novel? Ein illustrierter Roman, der aber so gründlich illustriert ist, dass man meint, man bekäme ihn vorgelesen oder würde ihn sich selber vorlesen, während man das Ganze als Film sieht? Ein Graphic Hörspielbuchtheaterfilmdings?
Auf jeden Fall hab‘ ich „Von Mäusen und Menschen“ jetzt gelesen: Es war beeindruckend. Weil John Steinbecks Text bei Rebecca Dautremer in besten Händen ist.
Gutes im Dreierpack: Alexander Brauns fabelhafte Ausstellung "Die Katzenjammer Kids" in Dortmund
Also sowas. Da passiert mal was Gutes. Und dann wird das Gute nochmal besser. Und dann wird das Bessere nochmal optimiert! Und zum Schluss gibt’s all das auch noch kostenlos. Echt wahr! Neugierig?
Slapstick-Pionier
Also: Das Gute sind die „Katzenjammer Kids“, die gerade 125 Jahre alt werden. Es gibt eine Ausstellung zu dem amerikanischen Klassiker des Zeitungs-Comics im Schauraum Comic + Cartoon in Dortmund. Zwei Räume, viele original Zeitungsseiten mit den Abenteuern der von Rudolph Dirks gezeichneten Krawallbrüder Hans und Fritz, die ihre Mutter und den Ersatzvater, den Captain, seit 1897 Woche für Woche in den Wahnsinn trieben. Slapstick in Reinkultur, aus einer Zeit, in der Slapstick eigentlich noch gar nicht erfunden war.
So weit, so gut.
Historiker als Augenöffner
Besonders empfehlenswert wird die Ausstellung, weil sie Deutschlands wohl bester (und gefühlt einziger) Comic-Historiker Alexander Braun zusammengerührt hat. Comic-Fans kennen Braun natürlich längst von seiner Arbeit für den und mit dem Taschen Verlag, alle anderen sollten sich den Namen unbedingt merken, weil Braun mindestens eine besondere Fähigkeit hat: Er präsentiert nicht nur die Comics, er setzt sie auch unermüdlich in überraschenden Kontext, weit über die üblicherweise bekannten Fakten hinaus.
So wissen wohl die meisten, dass die „Katzenjammer Kids“ deutsche Einwandererkinder sind, die ein entsprechendes Denglisch sprechen. Dass Dirks selbst Einwandererkind war, schon ein paar weniger. Dass er die „Kids“ tatsächlich als ziemlich exakte „Max und Moritz“-Kopie entwarf und entwickelte, auf Wunsch und mit Wissen des Verlegers Randolph Hearst, wie nahe er anfangs am Original von Wilhelm Busch war – da wird’s schon spannender.
Bezahlt wie ein Bundesliga-Profi
Braun zeigt, wie allmählich die Sprechblasen in den Text finden, wie der Klamauk zum Schlager wird, Dirks gewagter und gewitzter zu experimentieren beginnt, und gigantischen Erfolg genießt einstreicht. Die Kids gibt's als Bühnenstück, als erste Comic-Figuren in der Macy's-Parade. Braun rechnet aus, dass Dirks ein Star-Gehalt wie ein Bundesligaprofi kassieren kann, dass er mit diesem Geld zu den Sehenswürdigkeiten der Welt reiste, dass er dort praktischerweise auch seine „Kids“ hinreisen ließ. Dass zeitgleich die Idee der Postkarten boomte, von denen damals, so erfährt man, jedes Jahr eine Milliarde versendet wurden, und Braun hat auch noch die passenden Postkarten zur jeweiligen Kids-Episode parat – so wird aus einer schlichten Comic-Ausstellung eine regelrechte Zeitreise.
Braun präsentiert die lange Pfeife des Lehrer Lämpel als Symbol deutscher Rauchkultur, zeigt Pfeife samt weiteren Ritualen der deutschen Auswanderergemeinde. Und er zieht auch den Querverweis zum Thema „Wirtschaftsflüchtlinge“, nämlich: zu den Millionen deutscher Wirtschaftsflüchtlinge in den Vereinigten Staaten, von denen Land und Einwanderer gleichermaßen profitierten.
Traumziel: seriös Malen
Woher die ganzen Exponate stammen? Von Braun selbst, und das keineswegs zufällig: Denn Braun, so sagt er, hat nie wie ein Fan gesammelt, und nie nach Rendite – „sondern immer wie ein Museum“. All das ist auch deshalb ein Glücksfall, weil stundenlanges Comics lesen im Stehen durchaus anstrengend ist und ermüdend sein könnte. Es braucht Abwechslung, und die liefert Braun bis hin zu den Versuchen Dirks‘ in der „seriösen“ Malerei.
So weit, so besser.
Tja, und dann hätten wir noch diesen Schauraum Comic + Cartoon. Ich kannte ihn bislang nicht. Zwei ordentlich große Räume im Erdgeschoss eines städtischen Beton-Baus, genial gelegen, direkt gegenüber vom Dortmunder Hauptbahnhof. Zu Fuß sind’s vom Gleis 6 zirka 63 Sekunden, mit Rollkoffer im Schlepptau. Man kann (wie ich auf der Fahrt von Bochum nach München) auf der Durchreise aus dem Zug hüpfen, schnell mal reinschauen und danach ruckzuck wieder weiterfahren. Risikolos, weil: gratis ist es auch noch. Und täglich bis auf Montags geöffnet, mindestens von 11 bis 18 Uhr.
So weit, so grandios.