top of page

Comicverfuehrer

Gemischtes Grusel-Doppel: Zwei Titel starten derzeit mit einem fantastischen Szenario. Doch nur einer hält das verheißungsvolle Niveau bis zum Schluss durch

Illustration: Miguelanxo Prado - Cross Cult
Illustration: Miguelanxo Prado - Cross Cult

Hab ich eigentlich schon mal erwähnt, wie sehr ich fantastische Erzählungen mag? Bzw.: Wie gern ich mal eine gute läse? Ja? Dann kann ich’s mir diesmal ja schenken und gleich zum Punkt kommen: Es sind zwei Titel erschienen, in die ich große Hoffnungen gesetzt habe. Wobei der eine davon eigentlich eher eine Bildungslücke ist.


Ideal zum Neu-Entdecken


Denn Miguelanxo Prado, dem Autor, haben sie in Erlangen schon1990 den Max-und-Moritz-Preis umgehängt. Ich kannte ihn bisher so wenig wie den (1994 nominierten) Band „Kreidestriche“, der jetzt nach über 20 Jahren neu aufgelegt wurde – und der jetzt eine Top-Gelegenheit zum Entdecken ist.

Illustration: Miguelanxo Prado - Cross Cult
Illustration: Miguelanxo Prado - Cross Cult

Die Story ist simpel: Ein Mann in einem Segelboot landet auf einer winzigen Insel, die auf den Seekarten nicht eingezeichnet ist. Auf der hübschen Insel befinden sich weiterhin: eine hoffnungslos überdimensionierte weißgekalkte Hafenmauer (an der ein zweites Boot liegt), ein kaputter Leuchtturm, ein Schwarm Möwen und ein Bauernhof/Gasthof/Miniladen, den eine Frau mit ihrem jugendlichen Sohn betreibt.


Verstörende Wirkung ohne Tricks


Schön ist schon mal, wie unheimlich das Setting sofort ist, denn die ganze Insel ergibt keinen rechten Sinn: Ein Leuchtturm im Nichts? Ein Laden ohne Kunden? Schöner ist, wie Prado das erkennt und ausspielt: Indem er möglichst wenig hinzufügt. Die Leute benehmen sich recht normal, es gibt auch keine Düsternis, wie sonst so oft: Die Insel sehen wir fast nur bei angenehmem Wetter, der Mann im Boot versucht mit der alleinsegelnden Dame des anderen Bootes anzubandeln. Und als zwei weitere Männer in einem dritten Boot anlanden, wird’s zwar dramatisch, aber nicht übernatürlich – für das bizarre Bauchgefühl sorgt weiter nur das Inselkonstrukt.

Illustration: Miguelanxo Prado - Cross Cult
Illustration: Miguelanxo Prado - Cross Cult

Und mindestens genauso schön sind die Zeichnungen: sattes Rasengrün über blendendweißen Kreidefelsen im blautürkisfarbenen Meer. Immer wieder die wunderbar inszenierte Insel, mal von oben mit der nadelgleich ins Meer schießenden Mauer, mal vom Meer aus nach oben mit dem thronenden Turm, mal mit dem idyllischen Höfchen. Reichlich Segelschiff-Romantik. Gute, nicht geschwätzige Dialoge. Ein rundum gelungenes Paket, und dass in den letzten 20 Jahren das noch mehr Leute so sahen, zeigen ein paar Bonus-Extras. Prado hat die Erfolgs-Insel offenbar in den letzten 30 Jahren immer wieder für kurze Episoden besucht. Aber die verdeutlichen vor allem, dass die Story am besten ist, wie sie war: ohne künstliche Fortsätze.


Bübchen in der Grube

Illustration: Erik Kriek - avant-verlag
Illustration: Erik Kriek - avant-verlag

Da kann der Niederländer Erik Kriek nicht mithalten, obwohl er mit seiner Geschichte „Die Grube“ stark startet. Eine einsame Kamerafahrt durch den Wald, ein dunkler Pfuhl, und erst zum Schluss sehen wir die seltsamen Symbole in den Baumstämmen. Schnitt: Helikopterperspektive, ein Auto, das durch den Wald fährt, vermutlich zu dieser Grube: „Shining“. Und da fangen die Probleme an.


Sensationell dusslige Wurstigkeit


Nicht bei den Reminiszenzen („Pet Cemetary“, „Poltergeist“ etc.), Horrorstories nutzen ja oft ähnliche Szenarien. Sondern bei den hölzernen Dialogen, in denen dauernd wer sagt, was man sich ohnehin denkt. Oder in der Wurstigkeit, mit der das Paar den düsteren Ort im Wald findet und praktisch NULL reagiert: „Blair Witch, haha“. Denn: Bei wunderlichen Symbolen an den Bäumen muss man ja noch nicht mal Geister auf dem eigenen Besitz befürchten: Religiöse Spinner will man da doch auch nicht haben. Aber hey, was soll's?

JA, DAS IST EINE GANZE KISTE VOLL MIT SKIZZENBÜCHERN.    Ill.: E. Kriek - avant-verlag
JA, DAS IST EINE GANZE KISTE VOLL MIT SKIZZENBÜCHERN. Ill.: E. Kriek - avant-verlag

Derart brachial kenne ich das eigentlich nur aus der eigenen Kindheit: Manchmal wollten wir eine Spielfigur in eine sensationelle Gefahr stürzen, die leider so himmelschreiend vorhersehbar war, dass jeder normale Mensch sofort kehrtmachen würde. Also ließen wir die Figur sowas sagen wie: „Ach, egal. Wird schon gutgehen!“ Tja, und etwa auf diesem Level erzählt Erik Kriek auch weiter. Seltsame Vorkommnisse, seltsam egal. Was den Band ein wenig rettet, ist die geschickte Farbgestaltung und ein, zwei sehr solide Gruselmomente. Die Kriek aber kurz drauf wieder derart überbetont, dass auffällt, wie wenig Suspense er eigentlich zu bieten hat. Schade, da war mehr drin.







Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:











  • 25. Apr. 2024

Viel zu sehen, viel zu lesen: Alexander Braun durchleuchtet die „Simpsons“ - und nie war der Comic-Historiker selbst so begeistert wie diesmal

ree
Illustration:Matt Groening/Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Alexander Braun ist ziemlich beglückt. Deutschlands Comic-Historiker No.1 hat gerade seine neue „The Simpsons“-Ausstellung „Gelber wird’s nicht“ an den Start gebracht und freut sich über 1000 Besucher am ersten Wochenende, 300 bis 400 Besucher pro Tag in der Startwoche. 1000 Besucher! Wer den kleinen Doppel-Schauraum Comic und Cartoon in Dortmund kennt, denkt dabei vermutlich an alte Rekordversuche Menschen in einer Telefonzelle. Aber Braun will ja gerade das zeigen: Im Thema „Comic“ steckt viel mehr Potential als die zwei kleinen Räume fassen können.


Doppelzimmer voller Simpsonians


Braun ist auf Comic-Museumskurs, und mit den „Simpsons“ erhöht er geschickt neben dem Reiz der Idee auch den Druck. Auch wenn er dazu ein bisschen schummeln musste, oder? Denn: Sind die „Simpsons“ überhaupt ein Comic im eigentlichen Sinne?

ree
Illustration: TImd Doyle- Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Ja und nein. Sie kamen aus der Comic-Kultur, starteten aber als Trickfilm, der dann nebenher auch einer unerwartet guten Comic-Verwertung zugeführt wurde. Um die geht es Braun in der Ausstellung aber weniger, dazu ist er zu pragmatisch. Die TV-Serie ist das Zugpferd, das auch in Deutschland jeder kennt, und mit der englischen Trickfilmbezeichnung „cartoon“ im Schauraum-Namen ist das auch jederzeit locker legitimiert.


Da wird der Historiker zum Fan


Zum Ausstellungsbesuch kann man bekanntlich aus vier Gründen blind raten, auch wenn man (wie ich) noch nicht drin war: a) kostenlos, b) direkt neben dem Bahnhof, ohne Auto, Tram, Bus, Taxi zu erreichen, selbst wenn man einen Rollator hat, c) gibt's den Katalog dort zehn Euro günstiger (s. u.), und d) Alexander Braun. Aber man kann anhand des Katalogs schon mal sagen: Es wird diesmal weniger kunsthistorisch, weniger analytisch, viel fanorientierter, auch weil Braun selbst so fasziniert ist.

ree
Illustration: Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Tatsächlich ist das Phänomen „The Simpsons“ mindboggling: Eine Satire, die so erfolgreich ist, dass sie über das Merchandising in die Realität dringt und diese dort wiederum persifliert und in Frage stellt. Beispielsweise mit Barts Lieblingsfrühstückskringeln, einer gruseligen Orgie aus Farbstoff, Zucker und Mehl, nachempfunden „Kellogg’s Fruit-Loops“, die es natürlich bald als ganz reales Merchandise-Produkt zu kaufen gab, empfohlen und vermarktet vom gewissenlosen Serienclown Krusty mit dem denkwürdigen Slogan: „Das Beste, was man von einem TV-Clown erwarten kann!“


Satire im Quadrat


Braun ist mit seiner Faszination nicht allein: Andere Künstler befassen sich mit dem Phänomen (Banksy!), auf den über 300 Katalogseiten ist jede Menge Platz auch für deren Bilder. Vor allem für Fans, die (siehe unten) der Serie nicht mehr so leidenschaftlich folgen wie anfangs, bietet Braun eine Vielzahl spannender Seiteneinstiege, etwa die Kooperation mit Balenciaga oder die russische Intro-Variante.

ree
Illustration: Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Die vielschichtige Herstellung der Serie schildert Braun so sorgsam wie den Einbau der prominenten Gaststars, und immer wieder gelingt es ihm, die erstaunliche Hingabe der Macher zu illustrieren, die 35 Jahre lange erstaunliche Qualität in erstaunlicher Dichte fabrizieren. Hier zeigt sich allerdings auch ein erstaunlicher blinder Fleck in Brauns gewaltigem Gelbbuch.


Blinder Fleck in der gelben Geschichte


Denn die „Simpsons“ waren zwar sehr lange sehr gut. Dennoch erlebte die Serie ab Staffel 10 einen weltweit diskutierten Qualitätsverlust, von dem sie sich bis heute nicht mehr richtig erholt hat. Das passierte zwar auch den  „Peanuts“, aber während diese von der Verfassung eines einzigen Mannes abhingen, erweckt Brauns vielschichtig gezeigter Produktionsablauf der „Simpsons“ den Eindruck, als wären hier zu viele Begeisterte dabei, sich gegenseitig anzuspornen, ein Abbau daher kaum möglich.

ree
Illustration: Alexander Braun/ Ausstellungskatalog schauraum: comic + cartoon

Der Frage hätte man durchaus nachgehen können, zumal Braun mit Bill Morrison einen Top-Insider zum ausführlichen Interview in die Finger bekam. Aber angesichts der immensen Materialfülle kann sowas einem schon mal durch die Lappen gehen, zumal Braun dafür umso gründlicher ausleuchtet, wie gewitzt die Serie inzwischen ihre nach wie vor politischen, kritischen, moralischen Anliegen abseits des grauen Serienalltags zur Gelbung bringt. Und wenn die Besucher weiterhin so den kleinen Schauraum füllen, dann werden sie in Dortmund wohl nicht umhin kommen, dem Herrn Braun langsam mal ein größeres Museum zu organisieren. Allein schon aus Sicherheitsgründen.


Alexander Braun, Die Simpsons - Gelber wird's nicht, schauraum: comic + cartoon, (Vertrieb über Panini), 39 Euro (direkt im Schauraum zum Ausstellungspreis von 29 Euro)



 


Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:











  • 6. Apr. 2024

Das Beste kommt zum Schluss? Ansichtssache: Vier Titel zwischen gut und gewöhnungsbedürftig beenden den kafkaesken Jubiläumswinter

ree
Illustration: Corbeyran/Richard Horne - Knesebeck Verlag

Hellboy'sche Dunkelheit


In Teil 1 der Kafka-Veröffentlichungen habe ich das Team Crumb/Mairowitz auch deshalb gelobt, weil sie mit wenigen umgesetzten Szenen den Eindruck erwecken, man habe die ganze Geschichte gelesen. Dieser Aspekt ist die Hauptkonkurrenz für Texter Corbeyran  (Éric Corberant) und Zeichner Richard Horne. Sie haben Kafkas „Verwandlung“ zu einem Album verarbeitet, 48 große Seiten, 30 mehr als Crumb/Mairowitz. Die Auswahl überzeugt dennoch: Corbeyran/Horne lenken die Aufmerksamkeit auf schöne Details wie Gregor Samsas Selbsttäuschung, alles würde schon wieder, würde er es erst mal schaffen aufzustehen und sich anzuziehen. Faustregel: „Nur nicht unnütz im Bett liegen bleiben!“ Oder Samsas Hoffnung, der Chef würde die Partei der riesigen Schabe ergreifen, weil sie sich ja erkennbar nach besten Kräften bemüht. All das illustriert Horne mit trostlosen Grau-Brauntönen und ähnlich viel Schwarz wie in Mike Mignolas „Hellboy“. Alles in allem erfreulich umgesetzt. Kein Wunder, dass Knesebeck inzwischen die 9. Auflage verkauft.

 


Diamantfehlbesetzt

ree
Illustration: Thomas Dahms/Alexander Pavlenko - Knesebeck Verlag

„Verwandelt“ sollte vermutlich sowas wie ein eierlegender Allzweckkafka werden: Lebensgeschichte und Texte und Comic, und irgendwie kommt auch alles vor, aber eben auch alles zu kurz: In einer Rahmenhandlung wird Kafkas letzte Partnerin Dora Diamant gebeten, von seinem Leben zu erzählen, daraufhin folgt eine Aufreihung von Daten, die nicht mal Kafkas Partnerin so schildern würde. Alexander Pavlenkos Zeichnungen sind solide ansehnlich, können aber das häufig penibel die Vita abklappernde Skript nicht aufpeppen. Besonders ärgerlich: Dass den seitenlangen Kafka-Zitaten schon mal der letzte Absatz fehlt, obwohl der sehr wohl Platz gehabt hätte. So kriegt man nichts fürs Auge, die Authentizität leidet und misstrauisch wird man obendrein. Zum Schluss taucht plötzlich Dora Diamant nochmal auf und beendet das Buch so unmotiviert wie sie es eingeleitet hat. Der Eindruck bleibt: Das geht besser.



Leichtverdauliche KafKanapees

ree
Illustration: Nicolas Mahler - Insel Verlag

Der Vollständigkeit halber: Nicolas Mahler hat vor seinem Band „Kafka komplett“ schon ein bisschen geübt, mit „Kafka für Boshafte“. Vielleicht hat er auch geholfen, das „Kafka-komplett“-Konzept zu präzisieren: Denn Kafka taugt zwar als Fundgrube, aber nicht für Bissigkeiten nach Art von Karl Kraus. Mal wehleidig, mal aphoristisch, mal experimentierfreudig entstand so eine munter illustrierte Sammlung von KafKanapees, die meist unter der Reduktion zur Pointe und den so hochgeschraubten Erwartungen leiden.  



Schlüssel zum Schloss

ree

Ahh, das Schloss. Komplett aussichtslos, komplett deprimierend, zugleich aberwitzig lustig und alptraumhaft. K. kommt in einem verschneiten Dorf an, stellt sich als Landvermesser vor (und ist es vielleicht sogar?) und wird in die mysteriösen Dienste des Schlosses genommen, einer Bürokratie, die offenbar keine Arbeit für ihn hat. Sein aussichtloser Kampf, irgendwie die Beamtenhierarchien zu durchschauen. Die Geliebte aus dem Wirtshaus, das Guckloch, durch das man den Vorstand Klamm beobachten kann. Die idiotischen Gehilfen. David Mairowitz hat die Story eingedampft, Jaromir 99 (der eigentlich Jaromir Svejdik heißt) hat sie in holzschnitthafte schwarz-grau-weiße Panels überführt, die vor allem das Düstere gut treffen. Der einzige Nachteil des guten KafKomics: Er ist in vielen Sprachen neu erhältlich, aber nicht mehr auf deutsch.







Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:











Suchwortvorschläge
Kategorien

Keinen Beitrag mehr verpassen!

Gute Entscheidung! Du wirst keinen Beitrag mehr verpassen.

News-Alarm
Schlagwörter
Suchwortvorschläge
Kategorie
bottom of page