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Comicverfuehrer

  • 24. Nov. 2024

Die Leinwand als Comic-Stoff: Zwei Biografien beleuchten die Karrieren von Ava Gardner und Hedy Lamarr. Sehenswert sind beide, aber nur eine überzeugt

Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser

Zwei echte weibliche Hingucker sind gerade auf dem Comic-Markt, und - bitte? Ja, das kann man so sagen. Das muss man sogar so sagen, denn wenn die beiden Frauen keine Hingucker wären, dann würde überhaupt niemand einen Comic über sie machen. Man hat sie explizit so bezeichnet: Hedy Lamarr war die „schönste Frau der Welt“, Ava Gardner laut Regisseur/Autor Jean Cocteau sogar „das schönste Tier der Welt“. Beides würde man heute wohl nicht mehr so formulieren, verspricht aber ansehnliche Comics. Frage: Sind sie auch gut?


Es riecht nicht nach Rauch


Hängt ein bisschen davon ab, was man sich erhofft. Beide Comics führen uns zurück in eine glamourös nostalgische Welt: In „Ava“ sind es die 50er mit ihren Hotels, Salons, die Ana Miralles sehr einladend illustriert. Ava Gardner ist gerade auf Promo-Tour in Rio, wir sehen viele Interieurs von Flugzeugen, Hotels, Limousinen, Nachtclubs, Bars, polierte Autos und gottseidank sehen wir nicht, wie all das riecht.

Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser

Nach kaltem Rauch nämlich, weil praktisch jeder überall quarzt. Aber Miralles und Szenarist Emilio Ruiz schwelgen erkennbar gern in der guten alten Zeit, die sie eingängig frankobelgisch zeichnen, beinahe schon buck-dannyesk. Den Star-Appeal von Gardner nutzen sie weidlich und besonders gern mit einer Zigarette in der Hand. Bei Hedy Lamarr ist das deutlich differenzierter.


Sie drehte mit Stewart, Gable, Tracy

Illustration: Sylvain Dorange/William Roy - bahoe books

Zeichner Sylvain Dorange zeichnet weit weniger realistisch. Seine 30er, 40er, 50er Jahre sind stilisiert, reduziert, und wenn er die Demonstrationen im Wien der 30er zeigt, will man nicht unbedingt dabei sein oder gar einen Kaffee ordern. Das Umfeld eines Filmstars kann auch er attraktiv zeigen, Lamarrs Schönheit lässt er in Filmplakaten oder Zeitungsausschnitten aufblitzen, aber er schwelgt nicht: Seine Geschichte hat ihm Szenarist William Roy auch deutlich anders angelegt.


Es funkt


Die schöne jüdische Schauspielerin hat bereits ihren ersten Kinoerfolg erlebt, als sie 1937 (weniger vor den Nazis als vor ihrem besitzergreifenden Mann) nach Amerika flieht. Dort nimmt sie Filmmogul Louis B. Mayer unter seine Fittiche und baut sie zur „schönsten Frau der Welt“ auf. Mayer erlaubt ihr zwar (wie damals üblich) nicht, die Rollen frei zu wählen. Aber dennoch wird sie ein Weltstar, dreht (mehrfach!) mit James Stewart, Spencer Tracy, ihr Name steht gleich groß neben Clark Gable oder Claudette Colbert, so dass man sich wirklich wundert, wieso man bei allen TV-Wiederholungen so selten auf Lamarr stößt. Wesentlich präsenter ist ihr Wirken hingegen bei der Bluetooth-Technik.

Illustration: Sylvain Dorange/William Roy - bahoe books

Sie haben richtig gelesen: Die technisch interessierte Schauspielerin entwickelte mit dem Komponisten George Antheil ein Verfahren zum Frequenzwechsel im Funkverkehr. Gedacht war‘s für Torpedos, genutzt wurde es lang nach dem Krieg zur Telekommunikation. Weshalb Lamarr letztlich zu Lebzeiten und posthum mehr Ehrungen für ihr technisches Wirken erhielt als für ihre Filmkarriere.

Illustration: Sylvain Dorange/William Roy - bahoe books

Szenarist William Roy hat einen festen Plan: Mit gut gewählten Episoden will er eine selbstbewusste, auch technisch einfallsreiche Frau zeigen, die Szenen werden dabei nicht ausgewalzt, sondern präzise geschnitten. Was ist dagegen der Plan bei Emilio Ruiz?


Ein Traum von Kleid und Cadillac

Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser

Es fällt erst nicht so recht auf, aber der Vergleich mit „Hedy Lamarr“ zeigt: Es gibt im Gardner-Band nicht viel Plan jenseits von „schön“ und „Star“ und allenfalls noch Howard Hughes, denn der heikle Tech-Tycoon hatte ein konfliktreiches Verhältnis mit ihr. Aber Ruiz mag es nicht zur Hauptsache machen, und so ist der prominente Dauerknatsch nur eine von vielen Szenen, die Ava mal feurig, mal leidend durchsteht. Was seine Vorzüge hat, ich sehe schon recht gern, wie Frau Gardner in einem Traum von Kleid und Cadillac zum Flughafen schippert. Doch der Person komme ich dabei nicht näher. Von der Geschichte Hedy Lamarrs bleibt hingegen nachher einiges hängen, ­und genau das macht den Unterschied.




Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser


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Craig Thompsons Autobio-Sach-Reise-Essay „Ginsengwurzeln“ wird als große „amerikanische Saga“ bejubelt: Was ist dran am Wurzel-Werk?

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Saga-Hype im Comic-Land. „Ginsengwurzeln“ heißt die neueste „große amerikanische Saga“ (SZ, unisono mit der 3sat-Kulturzeit), die taz jubelt über „akribische Recherche“, und da klingeln bei mir schon alle Alarmglocken, denn „Saga“ ist oft nur journalistisch für „Oh, so ein dickes Buch“. Aber diesmal? Der Autor ist immerhin Craig Thompson, gefeierter Meister des autobiographischen Comics, und autobiographisch wird’s diesmal auch – also: wo soll das Problem sein?


„Oh, so ein dickes Buch“

 

Tatsächlich gibt es zunächst auch keines. Thompsons Zeichnungen sind hochwertig, mild karikierend, stilistisch nah an Will Eisner. Die Panels sind oft nicht eingekastelt, sondern geschickt konstruiert, alles ansehnlich und einladend. Thompson erzählt die Geschichte seiner Jugend in der US-Provinz in Wisconsin, wo (für mich überraschend) jeder Ginseng anbaut, wohl so ähnlich wie Hopfen in der Hallertau.

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Thompson jobbt von klein auf mit und erarbeitet sich so seine Comichefte. Ein hartes, freudloses Geschäft, durch Comics versüßt, so weit, so gut. Ein bisschen nervt, dass in einem Sachcomic dauernd ein Ginsengwurzelchen mit Niedlich-Augen durchs Bild springt, Ginselchen sozusagen. Was so seriös wirkt wie ein Richter mit Clownsnase, aber das ist wohl Geschmackssache. Viel nerviger ist etwas anderes.


Allgegenwärtiges Ginselchen


Etwa ab Seite 50 des 450-seitigen Wälzers fällt erstmals auf, dass man eine Menge lernt und zugleich doch nicht. Ginseng hat offenbar ein Problem: Wo man einmal Ginseng angebaut hat, wächst er kein zweites Mal. Was sofort die Frage aufwirft: Wie kann man dann dauerhaft Ginseng in ein- und derselben Region anbauen?

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Seit Jahrhunderten wird er doch in Wisconsin gezogen, und das nicht für zwei kleine Ökoshops, sondern für den weltweiten Export. Also müsste er sich durchs Land fressen wie Braunkohletagebau, eine Schneise von Feldern zurücklassend, die für Ginseng nutzlos sind. Und die Farmen müssten ihm folgen. Aber Ginseng und Farmer sind immer am selben Fleck. Wie geht das?? Kann es sein, dass ich hier nach „akribisch recherchierten“ 450 Seiten erst mal ein richtiges Buch brauche? Nee, oder?


Argumente wie aus dem Reformhaus


Aber der Verdacht bestätigt sich. Gleich doppelt enthüllt Thompson, dass Ginseng „das Metall scheut“, dass die Wurzel „Angst vor Metall“ hat. Wie sich das äußert? Keine Ahnung, ist halt so. Thompson schildert auch, wogegen Ginseng hilft – „womöglich“. Er zeigt, was Farmer mit dem Ginseng machen, begründet es aber mehr oder weniger mit deren Bauernregeln. Das ist nicht „akribisch recherchiert“, sondern Information auf Reformhausniveau. Was besonders enttäuscht, weil sich Thompson erkennbar viel Mühe macht.

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Er redet mit vielen Leuten, er zeichnet sich die Finger wund – im Wortsinne, ein Teil der Geschichte besteht darin, dass seine Zeichenhand erkrankt, also erzählt er auch über Medizin und über chinesische Medizin, und erzählt und erzählt und erzählt. Über laotische Einwanderer, die eigentlich aus China stammen, und warum sie dort nicht mehr sind und über den Vietnamkrieg und den Koreakrieg, über den christlichen Glauben und, wo wir schon dabei sind, auch noch seine über eigene christliche Familie. Detailversessen, aber völlig ziellos.


Detailversessen, aber ziellos


Denn Thompson geht keiner Frage nach: Er will nur irgendwas über Ginseng erzählen. Er kann das Equipment eines chinesischen Ginseng-Jägers aufdröseln, vom Knochenspaten bis zu den geteerten Schweinslederstiefeln. Aber er kann nicht sagen, wozu man genau dieses Zeug braucht. Es ist, als würde einem ein gewaltiger Sack voll Krempel auf den Tisch geleert. Und wenn man fragt, was das soll, sagt Thompson: „Moment!“ und holt einen weiteren Sack voll Krempel.

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Sorry, Krempel, man kann es nicht anders nennen, denn „Infos“ sind es nicht, weil Thompson offenbar NICHTS aussortiert. Legenden, Gerüchte, Fakten, Zahlenmystik, alles wird reingeschmissen und schöngezeichnet. Wie es in ihn hineinfließt, so strömt es in den Comic. Und je deutlicher das wird, desto mehr nervt es: Weil man bei jedem neuen ausufernden Kapitel merkt, dass man bei aller Langatmigkeit nichts wirklich erfährt. Mit einer Ausnahme.


Der Bruder braucht 'ne Auszeit


Manchmal schildert Thompson, wie ihm andere Leute ihre Lebensgeschichte erzählen. Das ist dann halbwegs verlässlich, etwa so, als würde man selber zuhören. Über zig Seiten arbeitet ein chinesisch-stämmiger Ginsengfarmer hart. Und erinnert sich an seinen hart arbeitenden Vater. Und dessen Beerdigung. Und das Ritual, und wie alle Schiffchen falten, und Thompson malt auch noch eine (nicht funktionierende) Faltanleitung, es hört und hört nicht auf. Irgendwann, als Thompson mit seinem Bruder nach Korea fährt, seilt sich der Bruder ab, und man hat eine sehr laute leise Ahnung, warum.

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Der Plan war ein anderer: In Interviews sagt Thompson beispielsweise, er wollte zeigen, wie sich aus einer kleinen Farmwirtschaft ein gewaltiges Business entwickelt hat. Tatsächlich liefert er dann wenig anderes als Farmer, die sagen: Du musst eben immer größer werden. Und wie geht das in einer Region, die man nie zweimal nutzen kann? Aber Thompson sagt: „Guck mal, noch ein Sack Krempel.“ Ähnlich läuft das mit den Pestiziden: Immer und immer wieder weist Thompson auf sie hin. Aber wozu, Herrgottnochmal? Sind sie schlimm, was sind die Folgen, haben alle Krebs, haben’s alle nicht? „Guck mal, noch mehr Krempel!“


Abgemilderte Geschwätzigkeit


Erstaunlich ist, dass man sich dann doch durch den ganzen Sums wühlt: Thompson ist ein recht sympathischer Plauderer, der seine Geschwätzigkeit mit attraktiven Bilder mildert. Aber hier ist weder eine große „amerikanische Saga“ noch eine Chance, Gelerntes irgendwann mal nutzen zu können: So gut wie alles in diesem Wurzel-Werk müsste man sicherheitshalber woanders präzisieren. Wo genau, steht in einigen Fällen im Anhang. Das ist vielleicht nicht akribisch, aber immerhin tröstlich.

 




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Statt Pathos und Firlefanz: „Madeleine, die Widerständige“ vereint Härte mit Nostalgie zu einem Porträt des französischen Widerstands

Illustration: JD Morvan/Madeleine Riffaud/Dominique Bertail - avant-verlag

Liegt’s am nassen Kopfsteinpflaster? Band 2 der Résistance-Serie „Madeleine, die Widerständige“ ist erschienen, und ich kann mich an diesem alten Paris kaum sattsehen, das Dominique Bertail da zum bläulichen Leben erweckt. Blau ist ja nach wie vor die einzige Ergänzungsfarbe, die er verwendet, aber seltsamerweise kam mir Blau noch nie so bunt vor.


Hilft die Trickserei?


Und so nostalgisch, dass es einem irgendwann fast logisch vorkommt, dass es in diesem Paris immer nass und herbstlich ist, weil sich dann diese nasse Blaugräue noch viel besser inszenieren lässt. Ist natürlich erzählerisch getrickst, und wie bei allen Tricks stellt sich die Frage: hilft’s der Geschichte?

Illustration: JD Morvan/Madeleine Riffaud/Dominique Bertail - avant-verlag

Denn auffliegende Tricks können viel kaputtmachen. Hier nicht: Dazu ist das Gesamtpaket von Szenarist JD Morvan und der echten Madeleine Riffaud zu geschickt geschnürt. Erneut wird viel geschildert, aber nur wenig ausbuchstabiert. Wie taucht man unter? Wie warnt man aufgeflogene Widerständler? Wie notiert man sich Treffpunkte so, dass der Feind mit der Notiz nichts anfangen kann? Wo versteckt man seine Pistole? Wie kommt man überhaupt an Waffen? Riffaud kommentiert all das manchmal aus dem Off, aber sparsam.


Kompetent kompiliert


Wie man überhaupt den Text sehr loben muss: Gerade Autobiographisches ist ja nicht einfach zu sortieren, weil man beim Erzählen der eigenen Geschichte leicht mal zu dicht dran ist. Ich kenne die Original-Memoiren von Madeleine Riffaud nicht, aber was JD Morvan und Riffaud für den Comic zusammengestellt haben, ist erfreulich prägnant, nicht zu gefühlig, schwafelfrei, spannend und man hat hinterher auch noch was gelernt. Und noch eine Sache ist extrem hilfreich: Die Sache mit der Katze bleibt eine Ausnahme.

Illustration: JD Morvan/Madeleine Riffaud/Dominique Bertail - avant-verlag

Die Katze taucht auf einem einzigen Panel auf: Sie sitzt im Regen und faucht die deutschen Stiefel an, die neben ihr vorbeimarschieren. Recht platt, dieses „Guck mal, so böse sind die Deutschen, dass nicht mal die Katze sie mag!“ Und gerade daran, dass einem dieses Panel so unangenehm auffällt, merkt man, dass der Comic sonst derlei Albernheiten weglässt.


Rettende Ohrfeige


Illustration: Morvan/Riffaud/Bertail - avant-verlag

Viel charmanter und weiterführender ist die Episode, in der ein Widerständler eine Massenvergewaltigung durch deutsche Soldaten verhindert, indem er sich als Bruder des Opfer ausgibt. Er ohrfeigt sie und sagt ihr, sie solle sich nicht benehmen wie eine Schlampe. Was die Deutschen plötzlich sehr beeindruckt, weil sie zuhause vermutlich auch Schwestern haben. Das hilft bei der Urteilsfindung über Charakterzüge Machtversuchungen fernab der Heimat mehr als die Frage, ob Katzen fauchen oder schnurren. Und die Farbe?


Besatzungs-Blues


Also, im Interview sagt Dominique Bertail, ihm wären „richtige“ Farben falsch vorgekommen, weil die Widerständler den Himmel im besetzten Paris auch nicht schön blau gefunden hätten. Blau als alleinigen Zusatz nahm er, weil ihm „schwarz-weiß zu trocken“ vorgekommen sei, und Blau brächte das Ganze „mehr zum Schwingen“.  Wer mag, kann freilich auch an deutsche Uniformen denken, die im Gedächtnis seltsamerweise immer blaugrauer wirken als sie tatsächlich waren. Zudem ist Besetztsein vermutlich häufig herbstlich deprimierend, vor allem, wenn man von den Besatzern weder Schokolade noch Kaugummi noch Comics kriegt, sondern nur deutsche Herrenmenschen. Im Film gibt’s bekanntlich die schöne Ausrede „Wirkung vor Logik“: Und die gibt Bertail, Riffaud und Morvan in jedem Fall recht: Weil „Wirkung“ hat’s hier jede Menge!

 

 



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