- 9. Apr. 2018
Statt unerträglichem Realismus gibt’s Puppenstuben-Armut: Kristina Gehrmann macht aus Upton Sinclairs Roman „Der Dschungel“ eine harmlose Graphic Novel

Man kann bezweifeln, ob „Migration“ (wie vom Carlsen Verlag beworben) tatsächlich der aktuellste Aspekt an Upton Sinclairs „Der Dschungel“ ist: Unbestreitbar ist, dass die nagelneue Graphic Novel-Version ein Buch in den Blickpunkt rückt, das heute brisanter ist als man es lange für möglich gehalten hätte. Der Roman, 1906 veröffentlicht, ist empörend im besten Sinne, er zeigt Zusammenhänge auf, indem er Entsetzliches schildert, entsetzliche Ungerechtigkeit, entsetzliche Grausamkeit, entsetzliche Hilflosigkeit, er gehört zum Unerträglichsten, was ein Autor seinen Lesern zumuten kann. Jetzt hat Kristina Gehrmann einen Comic draus gemacht. Der ist leider ziemlich harmlos.
Das Original zeigt erbarmungslosen Kapitalismus
Sinclair schildert das Schicksal einer litauischen Großfamilie, die in die USA auswandert. Sie wollen sich eine Existenz in Chicago aufbauen, durch harte Arbeit. Und Journalist Sinclair, der zuvor in Chicagos Fleischindustrie recherchiert hat, schildert minutiös, wie der entfesselte Kapitalismus die Familie systematisch aufsaugt und zermalmt, so wie tausende anderer Familien jener Zeit.
Nicht nur mit endlosen Arbeitstagen für lächerliches Geld: Es geht auch um Arbeitsbedingungen, die sogar den bärenstarken Helden Jurgis Rudkus zermürben müssen. Verletzungen sind an der Tagesordnung, Vorkehrungen gibt es keine, weil man Verletzte einfach durch neue Mitarbeiter ersetzt. Man kann es nicht anders sagen: Die Schlachthöfe und Fabriken verarbeiten nicht nur Kühe und Schweine, sondern die angestellten Männer, Frauen, Kinder gleich mit.
Die Schwachen kämpfen – aber gegeneinander
Sinclair schildert den Dreck, die bittere Kälte im Winter, die Hitze im Sommer, Akkordhetze, durch die Unfälle zu Normalfällen werden. Parallel zeigt Sinclair genauso klar, wie die Armen sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen, der Schwache den Schwächeren betrügt und bestiehlt. In dieser Welt zählt nur das Recht des Stärkeren, und wer Sinclair liest, ist dankbar, dass es heute eine Gewerkschaft gibt, eine SPD, eine Linkspartei, einen Arbeitnehmerflügel in der Union. Als Comic ist das gut, sogar sehr gut vorstellbar, wo liegt also bei Gehrmann der Fehler?
Das mit der Perspektive kriegt sie noch ganz gut hin: Sinclair erzählt in einem verdächtig milden Ton, den Gehrmann mit ihrem Figurenstil auffängt: Ssie verordnet ihren Protagonisten eine mangaartige Niedlichkeit. Jurgis hat etwa große Kulleraugen und eine drollige Knollennase. Aber schon der nächste Schritt misslingt komplett: Sinclair konterkariert seinen Märchentonfall mit erbarmungsloser Präzision, was reale Verhältnisse angeht. Eben diese hässliche Realität mag aber Gehrmann nicht zeichnen.
Sinclair wird drastisch, Gehrmann nicht
Sie zeigt wenig aus Sinclairs Fabrikhöllen, ihr Chicago hat kaum Schmutz, reichlich Platz, selbst die Straßen sind nicht voll – und das in einer Stadt, die von Arbeitskräften derart überlaufen ist, dass die Menschen für einen Job alles geben, inklusive Geld und Sex.
Es ist kaum zu glauben, wie meilenweit Gehrmann ab hier das Ziel verfehlt.
Die Menschen sind bei ihr ordentlich gekleidet, wenn Kinder auf der Straße lungern, legen sie sich saubere Tüchlein unter den Hintern – das ist Armut aus der Puppenstube. Dazu passt, dass Gehrmann Sinclairs drastisch-plastisches Elend gern in Dialogen abfedert. Sich in einem Medium, dessen Stärke das Bild ist, aufs Schriftliche zu verlassen, ist, gelinde gesagt, unglücklich.
Kindstod entfernt, Heiteitei eingebaut
Wirklich ärgerlich aber ist Gehrmanns Neigung, schwer Erträgliches auch noch großzügig zu entfernen und durch Heiteitei zu ersetzen. Wir sehen die strahlende Mangafamilie bei der Geburt des kleinen Antanas im geräumigen Wohnzimmer, wir sehen, wie dumm sich Jurgis beim Wickeln anstellt, aber dass der Kleine nach nur anderthalb Jahren durch die vermoderten Holzdielen der angeblichen Traumhauses fällt und im Schlamm darunter ersäuft, erfahren Gehrmanns Leser nicht – warum auch: von Schlamm und Moderbohlen haben sie nie was gesehen.
Auch vom Tod Onas bei der zweiten Schwangerschaft bekommen sie nichts mit, oder von Jurgis Trunksucht oder Marijas Morphinproblem. Bei Sinclair wird Jurgis Neffe Stanislovas von Ratten aufgefressen, aber wo sollen in Gehrmanns Schnuckel-Chicago Ratten herkommen? Der kleine Kristoforas stirbt bei Sinclair an einer Lebensmittelvergiftung durch den wurstähnlichen Dreck eben jener Ekelfleisch-Fabriken. Pikant, könnte man sagen, aber leider hat Gehrmann Kristoforas komplett aus dem Comic entfernt.
Andere zeigen: Es geht besser
Man hätte sich Vorbilder nehmen können, ja müssen. Eddie Campbell etwa, der in „From Hell“ Londons Enge, Kälte, Elend um 1890 zeichnete, gleichfalls in schwarz-weiß. Oder Barbara Yelins trübes, bleistiftiges Bremen-Portrait in „Gift“. So bleibt nur die Enttäuschung über eine verpasste Chance: In einer Welt, in der immer mehr Demagogen von Trump bis zur AfD hemmungslos Rücksichtslosigkeit predigen, wäre es wichtig gewesen zu zeigen, warum sich die Menschen so mühsam von eben dieser Rücksichtslosigkeit befreit haben. Doch Gehrmann zeigt statt Unerträglichem lieber Unannehmlichkeiten. Und das ist zu wenig.
Kristina Gehrmann/Upton Sinclair, Der Dschungel, Carlsen Verlag, 28 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
- 2. März 2018
Zwei Comics verarbeiten Zeitgeschichte doppelt gut: Die US-Nahostpolitik entpuppt sich als planloses Dauerchaos – und Stalins Tod wird zum mörderischen Polit-Thriller

Können Comics Geschichte nachvollziehbarer erklären als andere Medien? Klar: Asterix illustriert sehr schön die römische Legion, aber Zusammenhänge versteht man dadurch noch nicht. An den Zusammenhängen versuchen sich jetzt zwei Neuerscheinungen: das Duo David B./Jean-Pierre Filiu mit Teil drei ihrer Serie „Die besten Feinde“, das Duo Fabien Nury/Thierry Robin mit dem Band „The Death Of Stalin“, dessen Verfilmung Ende März ins Kino kommt. Das Ergebnis: Gut sind beide Bände, aber einer ist sagenhaft.
Provokante Bilder wie von Klaus Staeck
Das liegt auch am Thema: B./Filiu wollen in „Die besten Feinde“ das Dauerfiasko der US-Nahostpolitik verständlich machen. Erfahrung hat B. (eigentlich Pierre-Francois Beauchard) reichlich: Beim Festival in Angouleme ausgezeichnet, hat er schon öfter als Comic-Historiker gearbeitet. Diese Routine spürt man: Es funktioniert erstaunlich gut, obwohl die Comic-Form wenig dazu beiträgt.
B.s Bilder sind expressiv, er porträtiert seine Protagonisten holzschnittartig, fast immer von vorn oder im Profil. Sachverhalte illustriert er grell und plakativ. Den Ausbruch des Aufstands im Irak 1991 gegen Saddam Hussein bebildert er mit einem schreienden Revolutionär, aus dessen Mund ein weiterer kriecht, aus dessen Mund wieder ein weiterer herauskommt. Den Verrat an diesem Aufstand (den die USA erst förderten, dann aber aus Angst vor einer Mullah-Herrschaft im Stich ließen) symbolisiert ein Rebell, an dem der US-General Schwarzkopf und Ayatollah Rafsandschani zerren.
Mal ungeschickt, mal ahnungslos
Häufig ergibt das einen skurrilen Beigeschmack, aber diese 1:1-Illustrationen stützen vor allem die Aufmerksamkeit und kommen erst durch den Text zur Geltung, der das Thema sehr gut aufarbeitet. Knapp, zuspitzend, erfreulich wenig wertend. „Die besten Feinde“ zeigt ungeschönt, aber auch ohne Polemik eine imperialistische Supermacht, die ihre Attraktivität durch eben die Prinzipien gewinnt, die sie zur Verteidigung ihrer Interessen und jener Prinzipien immer wieder verrät. Oft zwangsläufig, oft aus Ignoranz.
Wie die USA glauben konnten, im Irak oder in Afghanistan bekäme man nach dem Krieg einfach eine stabile Demokratie, ist heute noch unbegreiflicher als damals – und leuchtet durch wiederkehrende Elemente ein, die David B. schön herausarbeitet: tiefes Desinteresse und eine Naivität, die schon vor Trump nahe an der Doofheit liegt. Nur so versteht man, wie die USA – allen alles versprechend – die Öl-Partnerschaft mit Saudi-Arabien praktisch zeitgleich mit dem Staat Israel realisieren konnten. Band drei endet im Jahr 2013, mit Obamas Versuch eines Rückzugs aus dem Nahen Osten. Man darf getrost davon ausgehen, dass Washington längst Material für eine weitere Fortsetzung erarbeitet.
Die Angst beherrscht die Diktatur bis in die Spitze

„The Death Of Stalin“ hat es da leichter: Der Band pickt geschickt eine prächtige Rosine aus dem Kuchen der Geschichte – die Vorgänge rund um den Tod Josef Stalins 1953. Die Vermarktung als Satire ist dabei wohl dem Film geschuldet, der Comic ist vor allem ein exzellenter, beklemmender Polit-Thriller. Die Story: Der 75-jährige Stalin schwebt nach einem Schlaganfall zwischen Leben und Tod – die Spitzen der Partei kommen zusammen und beratschlagen, was zu tun ist. Sofort ist klar: Hier geht es nicht um die Zukunft des Kommunismus, sondern um Opportunismus, Misstrauen und vor allem nackte Angst.
Es hilft, wenn man weiß, was vorher passiert ist: Stalin hat seine Partei und sein Volk erbarmungslos gesäubert. Damit ist nicht Degradierung oder Verbannung gemeint – er ließ die Konkurrenten umbringen, mit oder ohne Schauprozess, dann wurde von oben nach unten hunderttausendfach, millionenfach gemordet. Entscheidend war dabei nicht mehr die (ohnehin fragwürdige) Schuld, sondern der Terror.
Komplizen, Kriecher, Karrieristen
Die verschlagenen Gestalten, die sich nun beim siechen Stalin sammeln, sind Produkte dieser mörderischen Gewaltherrschaft – Komplizen, Kriecher, Karrieristen. Leute wie Beria, Molotow oder Chruschtschow haben gelernt, dass nur Stalins Wohlwollen Sicherheit garantiert. Sie alle wissen, dass sich ohne Stalin nur derjenige schützen kann, der selbst die Macht erobert. Beim Kampf um Posten geht es nicht um die Karriere, sondern ums Überleben. Das erste Opfer wird Stalin selbst: Aus Angst vor Fehlern und seinem möglichen Zorn verzögern die Politschranzen die medizinische Hilfe.
Genau das ist es, was „The Death Of Stalin“ besser funktionieren lässt: David B. muss vieles erklären, Nury/Robin können vieles einfach zeigen. Auch wer nichts über Stalin weiß, erkennt an der Furcht in den düsteren Panels, wie groß die Gefahr sein muss. Und so werden acht Seiten in einem Sitzungssaal spannend wie die Schießerei am OK-Corral – obwohl statt Kugeln nur verlogene Argumente fliegen.
Nicht minder hilfreich: Nury/Robin lockern das bittere Szenario geschickt auf – die Vorbereitung der Leiche auf den Sarg, das Staatsbegräbnis sind überzeugend inszenierte Hingucker. Da hätte es die kleineren Schummeleien (die sie nicht leugnen), gar nicht gebraucht: Sie beschleunigen manches, erfinden kleinere Szenen dazu. David B. würde das nie tun, aber da ist ja auch das Ziel ein anderes: Wo er knapp zusammenfasst, machen Nury/Robin Lust aufs Vertiefen und Weiterlesen.
Dieser Text erschien erstmals auf SPIEGEL Online.
- 19. Okt. 2017
„Asterix in Italien“ entpuppt sich als Hülle ohne Herz: Warum der neue Band eine Enttäuschung ist – und warum die Reihe dem Original auf Umwegen vielleicht wieder näher kommen könnte

Asterix besprechen ist gefährlich, besonders wenn einem die letzten zwei Bände fehlen. Ich hab „Der Papyrus des Cäsar“ nicht gelesen und auch nicht „Asterix bei den Pikten“. „Asterix in Italien“ ist mein erster, nicht von Albert Uderzo gezeichneter Band. Und wer mit Asterix aufgewachsen ist, muss doppelt aufpassen: Nachfolgern wird gerne übelgenommen, dass sie nicht die Originalschöpfer sind, also verdienen Szenarist Jean-Yves Ferri und Zeichner Didier Conrad besondere Sachlichkeit. Was zeichnet also die guten und besten Asterix-Bände aus? Entschlüsseln wir’s und legen wir diesen Maßstab bei „Asterix in Italien“ an.
Punkt1 : Die Geschichte
Asterix ist dank Zaubertrank unbesiegbar. Gute Bände geben Asterix also ein Problem, bei dem Kraft allein nicht hilft. Er muss Empfindliches schützen (1 spanisches Kind, 1 Fass Zaubertrank, 1 kleiner Architekt), er muss Geld verdienen (ohne jede Ahnung von Wirtschaft). Er muss Aberglauben bekämpfen und Neid. Diesmal muss er – nichts. Er begleitet Obelix, der Rennwagen-Lenker werden will. Warum? Weil es in einem Glückskeks steht, Ben Hur grad im Fernsehen war, irgendeine Seherin es Obelix sagt (der Wunsch hält exakt bis Seite 46). Das Rennen veranstaltet ein römischer Senator, um zu zeigen dass seine maroden Straßen nicht marode sind. Zahl der Schlaglöcher im gesamten Band: zwei. Ein witzloses Rennen, bei dem Asterix nur teilnimmt, damit die Seiten voll werden. Für den Anfang schon gar nicht mal so gut.
Punkt 2: Die Charaktere
Asterix classic ist clever, ironisch, fokussiert, aber zugleich entspannt, weil er sich auf seinen Witz verlässt. Obelix classic ist das Gegenstück: Schlicht, leicht abzulenken, geradezu kindlich lustbetont (Essen! Prügeln!), genussfreudig. Aus den unterschiedlichen Zielen entwickelte Goscinny zahllose Gags, noch mehr Konflikte und überraschende Lösungen. Und Obelix 2017? Der ist jetzt plötzlich so ehrgeizig, dass er sinnlos einen Rennwagen kauft. Asterix 2017 meiert ihn humorlos ab, er sei „nun mal Hinkelsteinlieferant“, und ist im Rennen plötzlich total sieggeil. Sein Einfallsreichtum besteht im Beobachten von Verdächtigem, penetrant wie Detektiv Micky Maus in den Lustigen Taschenbüchern. Asterix, der noch in Band XVIII ein doppelbödiges Plädoyer für die eigene Hinrichtung hielt, schwallt jetzt platt wie ein IOK-Funktionär: „Vergesst nie: Wir sind Konkurrenten, keine Feinde. Unser Ziel ist dasselbe: Cäsar und seinen Favoriten zu schlagen.“ Einen dieser Nichtfeinde hat er übrigens in Bild zuvor komplett grundlos verprügelt – eine Premiere nach 58 Jahren. Spätestens auf Seite 21 haben wir also auch beide Hauptdarsteller an die Wand gefahren. Respekt.
Punkt 3: Die Philosophie
Hat Asterix eine Philosophie? Aber sicher: Ähnlich wie in „Futurama“ geht es darum, dass die Menschen und ihre Probleme immer gleich bleiben. Es gibt immer Bürokraten (Römer), Vorgesetzte, es gibt immer die Zivilisation mit ihren Regeln und den Wunsch, sich zu widersetzen, den die Gallier ausleben dürfen. Wenn Asterix im Legionshauptquartier (Band X) auf der Suche nach einer Auskunft der Kragen platzt, fühlen wir bis heute mit. „Asterix in Italien“ hat davon Null. Und schreddert nebenher munter weiter das Personal: Methusalix, zeitloses Symbol der zeternden Generation aus dem letzten Krieg, hat 2017 erst Angst vorm Zahnarzt (der ist vierschrötig, Arme wie Taue, zwei Rohrzangen in der Hand, wie eben Zahnärzte so sind), hinterher ist er auf einmal notgeil und will „was aufreißen“. Methusalix hat man mal um Rat gefragt. Heute ist er eine Witzfigur, Kategorie „Paukerfilm“.
Punkt 4: Der Gegenspieler
Wir erinnern uns an den karrieresüchtigen Architekten aus der Trabantenstadt? Den Hassmotor Tullius Destructivus? Den Seher? Und natürlich Julius Cäsar, der kompetente Feldherr, der skrupellose Politiker, der mit mühsam gewahrter Haltung gewinnen und verlieren konnte? Das war einmal. Der Gegenspieler 2017 ist erst der römische Wagenlenker, dann der sinnlose Senator, und dann ein Cäsar, der lässig über ein Terrassengeländer springt wie Terence Hill aus dem Sattel, der dauernd droht und unablässig brüllt, weil sich bis zu Ferri/Conrad noch nicht herumgesprochen hat, dass Gebrüll weder souverän noch gefährlich wirkt, sondern nur überfordert. Angesichts dieser Resterampe wirkt sogar der Berlusconi-Lookalike bedrohlich: prompt liefert er auf seinen fünf Panels geradezu lebensbedrohliche Langweile.
Punkt 5: Der Humor
Ganz schweres Kapitel. Ganz schwere Bürde: Denn Goscinny/Uderzo gelangen mit verblüffender Leichtigkeit sensationelle Szenen. Unscheinbar eingeleitet, raffiniert aufgebaut. Slapstick, Wortwitz, Running Gags, perfektes Timing, Missverständnisse (“Darf ich liebenswürdig zu ihm sein, Asterix?”), und das praktisch nie einfach so, sondern immer im Dienst der Handlung. Dieses nahezu perfekte Vorbild könnte für Ferri/Conrad sehr belastend sein. Aber entweder haben sie’s nicht verstanden oder es ist ihnen einfach scheißwurscht. Wo ein Witz gebraucht wird, lassen sie ihn fallen wie einen Pferdeapfel: Parmaschinken isst man in Scheiben – Obelix isst ihn im Stück: Wirt glotzt dumm. Obelix sagt „Bleib ruhig, Asterix“ – und rastet aus, weil er ein gebratenes Wildschwein sieht. Bild 1: Vorbereitung, Bild 2: Pointe, Zack, Bumm, so scherzt man von der Hand in den Mund, weil der Vorrat so klein ist.
Punkt 6: Die Zeichnungen
Uderzos Zeichnungen hatten immer etwas Wertiges, etwas ungeheuer Plastisches. Das lag am Detail und an der Überfülle von Ideen: An den (verbeulten!) Rüstungen der Legionäre, dem Fett auf den Wildschweinen, den riesigen Wäldern, wechselnden Einstellungen, Tageszeiten. Conrad hat all das kräftig reduziert: Wo Uderzo einen Strich mehr machte, macht Conrad zwei weniger. Das ist noch zu verschmerzen, leider spart er auch bei den Ideen. Wenn eine Geschichte viele Rennwagen zeigt, ist es dann zuviel verlangt, die Wagen wenigstens einmal von einer anderen Seite zu zeigen als von vorne links? Für Menschenmengen hatte Uderzo Hunderte Gesichter, Conrad liefert Standardvisagen, Hintergründe enden bei ihm gerne beim nächsten Busch. Hund Idefix, der bei Uderzo zu jeder Szene von Asterix und Obelix eine eigene Reaktion zeigt, verkommt völlig und wird seitenlang vorne in Obelix‘ Hose gestopft wie ein lästiges Einstecktuch. Doppelt schlimm: Es fehlt auch der Sinn für Choreographie. Uderzo hat gezeigt, wie man eine Rauferei inszenieren kann. Dass man – ähnlich wie bei der Geschichte – wissen muss, wer wann in welcher Reihenfolge wen schlägt, wer wo steht und warum. Auf Seite 32 zeigt Didier Conrad seine Sichtweise: Man malt so lange, bis alle Ecken schön voll sind. Warum eine zaubertranklose Amazone plötzlich Legionäre verkloppen kann? Egal. Aber da könnte man sich ja über Vieles aufregen: Asterix, den früher beim Zaubertranktrinken die Energie hochfedern ließ, sieht jetzt aus, als würde er beim Trinken auf Zehenspitzen die Luft anhalten. Ach, ach, man mag eigentlich gar nicht mehr hinsehen.
Und jetzt?
Tja. Das ist eigentlich kein Asterix-Band, das ist die Mumie eines Asterix-Bands. Ein Fake Asterix, der einen noch sehnsüchtiger nach einem guten, schönen wahren Asterix zurücklässt. Der die Frage aufwirft, wie sinnvoll dieser Weg des lustlosen Aufwärmens ist und ob man nicht mit einem komplett anderen Weg dem Original wieder näher käme: Wie es Frank Miller vor über 30 Jahren mit Batman gemacht hat. Oder vor kurzem Lewis Trondheim mit Micky Maus.
Jean-Yves Ferri (Text), Didier Conrad (Zeichnungen), Asterix 37: Asterix in Italien, Egmont Ehapa Verlag
Erstmals erschienen bei SPIEGEL Online am 19.10.2017.
