Gutes im Dreierpack: Alexander Brauns fabelhafte Ausstellung "Die Katzenjammer Kids" in Dortmund
Also sowas. Da passiert mal was Gutes. Und dann wird das Gute nochmal besser. Und dann wird das Bessere nochmal optimiert! Und zum Schluss gibt’s all das auch noch kostenlos. Echt wahr! Neugierig?
Slapstick-Pionier
Also: Das Gute sind die „Katzenjammer Kids“, die gerade 125 Jahre alt werden. Es gibt eine Ausstellung zu dem amerikanischen Klassiker des Zeitungs-Comics im Schauraum Comic + Cartoon in Dortmund. Zwei Räume, viele original Zeitungsseiten mit den Abenteuern der von Rudolph Dirks gezeichneten Krawallbrüder Hans und Fritz, die ihre Mutter und den Ersatzvater, den Captain, seit 1897 Woche für Woche in den Wahnsinn trieben. Slapstick in Reinkultur, aus einer Zeit, in der Slapstick eigentlich noch gar nicht erfunden war.
So weit, so gut.
Historiker als Augenöffner
Besonders empfehlenswert wird die Ausstellung, weil sie Deutschlands wohl bester (und gefühlt einziger) Comic-Historiker Alexander Braun zusammengerührt hat. Comic-Fans kennen Braun natürlich längst von seiner Arbeit für den und mit dem Taschen Verlag, alle anderen sollten sich den Namen unbedingt merken, weil Braun mindestens eine besondere Fähigkeit hat: Er präsentiert nicht nur die Comics, er setzt sie auch unermüdlich in überraschenden Kontext, weit über die üblicherweise bekannten Fakten hinaus.
So wissen wohl die meisten, dass die „Katzenjammer Kids“ deutsche Einwandererkinder sind, die ein entsprechendes Denglisch sprechen. Dass Dirks selbst Einwandererkind war, schon ein paar weniger. Dass er die „Kids“ tatsächlich als ziemlich exakte „Max und Moritz“-Kopie entwarf und entwickelte, auf Wunsch und mit Wissen des Verlegers Randolph Hearst, wie nahe er anfangs am Original von Wilhelm Busch war – da wird’s schon spannender.
Bezahlt wie ein Bundesliga-Profi
Braun zeigt, wie allmählich die Sprechblasen in den Text finden, wie der Klamauk zum Schlager wird, Dirks gewagter und gewitzter zu experimentieren beginnt, und gigantischen Erfolg genießt einstreicht. Die Kids gibt's als Bühnenstück, als erste Comic-Figuren in der Macy's-Parade. Braun rechnet aus, dass Dirks ein Star-Gehalt wie ein Bundesligaprofi kassieren kann, dass er mit diesem Geld zu den Sehenswürdigkeiten der Welt reiste, dass er dort praktischerweise auch seine „Kids“ hinreisen ließ. Dass zeitgleich die Idee der Postkarten boomte, von denen damals, so erfährt man, jedes Jahr eine Milliarde versendet wurden, und Braun hat auch noch die passenden Postkarten zur jeweiligen Kids-Episode parat – so wird aus einer schlichten Comic-Ausstellung eine regelrechte Zeitreise.
Braun präsentiert die lange Pfeife des Lehrer Lämpel als Symbol deutscher Rauchkultur, zeigt Pfeife samt weiteren Ritualen der deutschen Auswanderergemeinde. Und er zieht auch den Querverweis zum Thema „Wirtschaftsflüchtlinge“, nämlich: zu den Millionen deutscher Wirtschaftsflüchtlinge in den Vereinigten Staaten, von denen Land und Einwanderer gleichermaßen profitierten.
Traumziel: seriös Malen
Woher die ganzen Exponate stammen? Von Braun selbst, und das keineswegs zufällig: Denn Braun, so sagt er, hat nie wie ein Fan gesammelt, und nie nach Rendite – „sondern immer wie ein Museum“. All das ist auch deshalb ein Glücksfall, weil stundenlanges Comics lesen im Stehen durchaus anstrengend ist und ermüdend sein könnte. Es braucht Abwechslung, und die liefert Braun bis hin zu den Versuchen Dirks‘ in der „seriösen“ Malerei.
So weit, so besser.
Tja, und dann hätten wir noch diesen Schauraum Comic + Cartoon. Ich kannte ihn bislang nicht. Zwei ordentlich große Räume im Erdgeschoss eines städtischen Beton-Baus, genial gelegen, direkt gegenüber vom Dortmunder Hauptbahnhof. Zu Fuß sind’s vom Gleis 6 zirka 63 Sekunden, mit Rollkoffer im Schlepptau. Man kann (wie ich auf der Fahrt von Bochum nach München) auf der Durchreise aus dem Zug hüpfen, schnell mal reinschauen und danach ruckzuck wieder weiterfahren. Risikolos, weil: gratis ist es auch noch. Und täglich bis auf Montags geöffnet, mindestens von 11 bis 18 Uhr.
So weit, so grandios.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Ein Wiedersehen mit der Kunst des verstorbenen Friedrich Karl Waechter: Diogenes veröffentlicht aus dem Nachlass des Neuen Frankfurter Schülers den „Höllenhund“
Schon auf der ersten Seite wird klar, wie sehr man ihn vermisst hat: Friedrich Karl Waechter. 2005 ist er gestorben, auch schon wieder dreizehn Jahre her – dann sieht man dieses Titelbild, dieses Mädchen aus ein paar dünnen Strichen und viel sehr effektiv eingesetzten Tuscheschatten, und wie sie so dasteht, wie Waechter nur mit Miene und Haltung praktisch alles offenbart, sie gutartig zeigt, aber nicht zu aufgeweckt, da denkt man sich: Menschmenschmensch, den Waechter, den hätte man gerne noch länger da behalten. Da ist es natürlich schön und verdienstvoll, dass der Diogenes-Verlag ein wenig im Waechterschen Nachlass gekramt hat und jetzt den „Höllenhund“ veröffentlicht.
Ein Comic im eigentlich Sinne es nicht, aber Waechter war immer schon ein Grenzgänger, der eher en passant immer wieder in den Comicbereich hineingeschnuppert hat. Meine Eltern hatten ihn Ende der 70er, Anfang der 80er irgendwann plötzlich im Schrank, und was da in diesem Band mit dem eigenwilligen Titel „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“ zu sehen war, das war nichts weniger als eine Offenbarung.
Komische Kunst - aber anders als Loriot
Es war eindeutig Kunst, klar, das Buch stand ja auch zwischen den Kunstbänden, aber es war eine andere, eine zweifelsfrei komische Kunst. Allerdings war sie nicht so leicht einzuordnen und stilistisch wesentlich vielfältiger als Loriot, der bis dahin in diesem Premium-Cartoon-Segment so ziemlich allein war. Auch die Pointen von Waechter waren nicht so eindeutig: Unter dem Bild einer Eule im Pulli stand, diese Eule hätte „zum Fest einen Norwegerpullover bekommen“ und sei nun „einer der schicksten Vögel im Walde“.
Ein Schwein, das sich an einer Häuserfassade entlang tastet und dabei „Käsekuchen Käsekuchen Käsekuchen Käsekuchen“ ruft. Eine Frau, die in 18 Panels verzweifelt versucht, bei starkem Wind unter ihrem Bademantel einen Badeanzug anzuziehen. Die „11 bekanntesten Stellungen bei der Selbstbefriedigung des Mannes“ hab ich sofort begeistert hinten ins Klassenzimmer gehängt, was auch deshalb möglich war, weil Waechter nicht nur einen eigenwilligen Mix aus Nonsens und Pathos bot, sondern weil er es zeichnerisch einfach unwiderlegbar drauf hatte.
Zart wie Sempé, deftig wie Busch
Das war eben nicht nur Komik oder Klamauk, das war einwandfrei auch künstlerisch, mal zart wie Sempé, mal deftig wie Wilhelm Busch, absurder als beide zusammen und wundervoll boshaft dazu. Die Magie dahinter klärte sich mir erst später auf: Waechter kam aus der Neuen Frankfurter Schule, er hatte vorher mit einem gewissen F. W. Bernstein und einem noch gewisseren Robert Gernhardt zusammengearbeitet, und noch mit manch anderen Leuten. Die hatten einerseits so clevere Sachen wie die Zeitungsparodie „Welt im Spiegel“ erarbeitetet, aber auch keine Berührungsängste mit einem Otto Waalkes, der vieles davon später fürs große Mainstreampublikum verwursten durfte und bis heute konserviert.
Der „Höllenhund“ lässt einen nochmal mit bittersüßer Wehmut in diese wahnwitzige Werkstätte hineinschnuppern, wenn auch in einen sehr speziellen Bereich. Waechter hat hier ein Theatermärchen fabriziert, ein Märchen als Theaterstück, er hat das zuvor schon mehrfach getan, in diesem Fall nach der Vorlage „Der Bärenhäuter“ der Gebrüder Grimm: Als ein sterbender Soldat den Höllenhund des Teufel erschießt, schließt der mit ihm einen Deal – sieben Jahre lang darf er sich weder waschen noch die Nägel schneiden noch sonst was, er muss sieben Jahre lang mit der Haut des Höllenhundes herumlaufen, dann aber, wenn er durchhält, wird er frei und reich sein und der Teufel selbst wird ihn schön herausputzen.
Sparsame Striche - und doch alles drin
Die eigentliche Leistung ist naheliegenderweise nicht die eher zahme Verarbeitung des Märchens, es sind die Illustrationen dazu. Diese unglaubliche Effizienz. In vier Panels zieht der Soldat dem Höllenhund die Haut ab, da stimmt alles, Haltung, Mühe, Schweiß, und das alles mit so wenig Strichen, als müsste Waechter die Tusche beim Teufel selbst kaufen und mit Seelenkrümeln bezahlen. Die nächste Doppelseite, der Soldat wandert einsam durch eine Baumlandschaft im Wind, ein unglaublich eleganter Umgang mit Schwarz und Weiß, Waechter zeichnet keine Umrisse, nur die Schattenseiten, den Rest bastelt sich das Auge selbsttätig zurecht.
Zwei Bauernmädchen im Bett, luftig und präzise hingepinselt, das Bauernhaus mitsamt dem Zaun drumrum im gleißenden Mondlicht, das ist so hübsch, dass es wehtut: Weil beim Bewundern klar wird, dass es davon eben nicht noch mehr geben wird – Waechter kam selbst nicht mehr dazu sie fertigzustellen, man darf wohl davon ausgehen, dass weiteres aus dem Nachlass eher noch unvollständiger sein wird. Da hilft nur: Die „Glückliche Stunde“ zur Hand nehmen, oder eben „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“, möglichst großformatig, nicht im Taschenbuchformat, klar, dann ein Glas Rotwein füllen und auf Herrn Waechter leeren. Ach je.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.