Die Outtakes (12): Tödliches aus Indien, Urgesteiniges aus Deutschland und das normale Elend aus der Ukraine
Der Tod wird arbeitslos
Exotisch: „The many deaths of Laila Starr” macht neugierig. Die Geschichte spielt in Indien, wo die Göttin des Todes plötzlich arbeitslos wird, weil ein Mensch bald die Unsterblichkeit erfinden wird. Die Göttin wird in einen menschlichen Körper versetzt, dem von Laila Starr. Sauer über die Rückstufung beschließt sie, den Unsterblichkeits-Erfinder zu töten. Dabei kommt sie selbst um, wird aber vom Gott des Lebens (der seinen Job ja noch hat) wieder zurückgeholt. Ab da versucht sie es in großen Zeitabständen erneut. Das Ganze ist nicht so klamaukig, wie es sich vielleicht liest, im Gegenteil sogar eher philosophisch angehaucht. Die Zeichnungen von Filipe Andrade sind frisch und ungewöhnlich, erinnern an Bill Szienkiewicz, das indische Setting von Ram V ist reizvoll. Aber die Story ist halbgar: Eine sterblich gewordene Göttin, die nicht stirbt – wo ist da der Unterschied zu vorher? Und wenn sie alle zehn, 20 Jahre bei ihrem Nicht-Opfer vorbeischaut, was macht sie eigentlich in der wesentlich längeren Zwischenzeit? Denn gerade weil die Dialoge sich derart dick über den Sinn des Lebens unterhalten, wäre es doch interessant, wie die eifrig Sinnierenden denn ihre eigenen unendlichen (!) Leben gestalten. Wer das jedoch nicht vermisst, kann mit Laila Starr recht viel Spaß haben.
Blass from the Past
Schade, da war mehr drin: Chris Scheuer ist Max-und-Moritz-Preisträger (1984), ein Urgestein vom Kaliber Gerhard Seyfried. Und auf den ersten Blick würde man seine schwarz-weiße Autobiographie „Buch I“ auch zwischen Reinhard Kleist und Frank Schmolke einsortieren. Aber dem Vergleich hält sie dann doch nicht durchgehend stand. Woran's liegt? Die Auswahl: Vieles ähnelt den Stories anderer 68er. Drogen genommen, Sachen geklaut, im Knast gewesen, kommt bekannt vor. Der richtige Tonfall könnte helfen, aber Scheuer kann sich weder zur Komödie noch zum Drama entschließen. Zudem entkräftet der latent cartoonige Stil auch ernster gemeinte Episoden, hübsche Hommagen an Will Eisner oder Gilbert Shelton machen das leider nicht wett. Oder haben sich die Maßstäbe seit den 80ern verändert? Kann gut sein: Marjane Satrapi („Persepolis“) oder Riad Sattouf haben inzwischen Jugenderinnerungen nicht nur eleganter erzählt, sondern auch mit direkteren Bezügen zur Gegenwart.
Der gewöhnliche Krieg
Gutes Design. Pastellfarben. Künstlerisch ansprechend. Inhaltlich ehrgeizig: Nora Krug zeigt Einblicke in den Ukraine-Krieg. Ein Jahr lang sprach sie für „Im Krieg“ jeweils einmal wöchentlich mit einer Ukrainerin und einem Russen – und fasste das Ergebnis auf einer Doppelseite zusammen, links Ukraine, rechts Russe. Das Ergebnis ist doppelt frustrierend: Einerseits wegen der Tatsachen, andererseits aber auch, weil Krug nach zwei Jahren Krieg die Erschütterung des Anfangs kaum zurückholen kann. Was an der Gewöhnung liegt – und an der Erwartbarkeit des Beschriebenen. Selbst die Ereignisse von Butscha sind in der Rückschau nicht empörender als am Tag ihrer Enthüllung. Überraschendes entlockt Krug ihren Gesprächspartnern leider selten. Obendrein nutzt sie die Möglichkeiten des Comic allenfalls illustrativ: Dass sie rasch den Bildanteil von drei Panels auf eines pro Seite reduziert, ist da nur konsequent. Allerdings ist dann der Rest in Blöcken zusammengefasster Text. Und so sehr dieser Krieg Aufmerksamkeit brauchen würde, so sehr fühlt er sich an wie dieser Comicband: ermüdend. Womit Krug der Realität leider erstaunlich nahe kommt.
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Seit 2011 dokumentiert der Italiener Igort die brutale Seite russischer Außenpolitik – jetzt erscheint sein Band über den Überfall auf die Ukraine
Wenig habe ich so gespannt erwartet wie Igorts neue „Berichte aus der Ukraine“. Weil seine „Berichte“ aus der UdSSR-Ukraine (2011) und aus dem Kaukasuskrieg (2013) nicht nur ziemlich erschütternd waren, sondern schon vor Putin warnten, als der noch gar nicht auf der Krim war. Diesmal, bei Putins jüngstem Überfall, ist Igort (der eigentlich Igor Tuveri heißt und Italiener ist) zeitlich noch dichter dran, er berichtet sozusagen live. Das muss doch dann so direkt sein, dass es einen praktisch umhaut! Oder?
Erst bomben, dann helfen
Ist es irgendwie nicht. Igort hat zwar offenbar exzellente Kontakte nach Russland und in die Ukraine. Aber so gut er Vergangenes aufbereiten kann: ein Kriegsberichterstatter ist er nicht. Er sitzt viel am Telefon, er erfährt Geschichten aus erster Hand, gewiss, doch er kann nur auf dieselben Bildquellen zurückgreifen wie wir alle.
Weshalb man als Leser permanent den Eindruck hat, man kenne dies oder das schon aus dem Fernsehen. Ein Problem, das die Vorgängerbände nicht hatten: Die stalinistischen Verbrechen waren westlichen Lesern ähnlich unvertraut wie Putins allgemein verdrängter Terrorkampf gegen Georgier und Tschetschenen. Igorts Bildumsetzungen waren also konkurrenzlos, diesmal sind sie es nicht. Weshalb Empörung vor allem in Momenten besonderer Absurdität aufwallt: Etwa angesichts der „humanitären russischen Hilfe“ fürs zerstörte Mariupol. Weil das ungefähr so ist als rammte man jemandem ein Fleischermesser in den Bauch und brächte ihm danach ein Heftpflaster.
Butscha ist schon im Bildgedächtnis
Aber so wütend wird man selten. Was freilich andere Einsichten ermöglicht. Dass man schon so an diesen Krieg gewöhnt ist, dass es neue Bilder braucht. Dass die Leichen auf den Straßen von Butscha längst im kollektiven Bildgedächtnis sind, wie der tote Flüchtlingsjunge am türkischen Strand. Und dass die klareren Fronten den Krieg inzwischen geregelter erscheinen lassen als zuvor, als zu den Verbrechen des Angriffskriegs die der anarchistischen Stümperei hinzukamen: befördert durch Frust, schlechte Versorgung, Überforderung und die Versuche, vorige Untaten durch zusätzliche zu vertuschen. Man kann sich freilich ausmalen, welche Enthüllungen im Falle weiterer ukrainischer Befreiungen bevorstehen.
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