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Comicverfuehrer

Craig Thompsons Autobio-Sach-Reise-Essay „Ginsengwurzeln“ wird als große „amerikanische Saga“ bejubelt: Was ist dran am Wurzel-Werk?

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Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Saga-Hype im Comic-Land. „Ginsengwurzeln“ heißt die neueste „große amerikanische Saga“ (SZ, unisono mit der 3sat-Kulturzeit), die taz jubelt über „akribische Recherche“, und da klingeln bei mir schon alle Alarmglocken, denn „Saga“ ist oft nur journalistisch für „Oh, so ein dickes Buch“. Aber diesmal? Der Autor ist immerhin Craig Thompson, gefeierter Meister des autobiographischen Comics, und autobiographisch wird’s diesmal auch – also: wo soll das Problem sein?


„Oh, so ein dickes Buch“

 

Tatsächlich gibt es zunächst auch keines. Thompsons Zeichnungen sind hochwertig, mild karikierend, stilistisch nah an Will Eisner. Die Panels sind oft nicht eingekastelt, sondern geschickt konstruiert, alles ansehnlich und einladend. Thompson erzählt die Geschichte seiner Jugend in der US-Provinz in Wisconsin, wo (für mich überraschend) jeder Ginseng anbaut, wohl so ähnlich wie Hopfen in der Hallertau.

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Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Thompson jobbt von klein auf mit und erarbeitet sich so seine Comichefte. Ein hartes, freudloses Geschäft, durch Comics versüßt, so weit, so gut. Ein bisschen nervt, dass in einem Sachcomic dauernd ein Ginsengwurzelchen mit Niedlich-Augen durchs Bild springt, Ginselchen sozusagen. Was so seriös wirkt wie ein Richter mit Clownsnase, aber das ist wohl Geschmackssache. Viel nerviger ist etwas anderes.


Allgegenwärtiges Ginselchen


Etwa ab Seite 50 des 450-seitigen Wälzers fällt erstmals auf, dass man eine Menge lernt und zugleich doch nicht. Ginseng hat offenbar ein Problem: Wo man einmal Ginseng angebaut hat, wächst er kein zweites Mal. Was sofort die Frage aufwirft: Wie kann man dann dauerhaft Ginseng in ein- und derselben Region anbauen?

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Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Seit Jahrhunderten wird er doch in Wisconsin gezogen, und das nicht für zwei kleine Ökoshops, sondern für den weltweiten Export. Also müsste er sich durchs Land fressen wie Braunkohletagebau, eine Schneise von Feldern zurücklassend, die für Ginseng nutzlos sind. Und die Farmen müssten ihm folgen. Aber Ginseng und Farmer sind immer am selben Fleck. Wie geht das?? Kann es sein, dass ich hier nach „akribisch recherchierten“ 450 Seiten erst mal ein richtiges Buch brauche? Nee, oder?


Argumente wie aus dem Reformhaus


Aber der Verdacht bestätigt sich. Gleich doppelt enthüllt Thompson, dass Ginseng „das Metall scheut“, dass die Wurzel „Angst vor Metall“ hat. Wie sich das äußert? Keine Ahnung, ist halt so. Thompson schildert auch, wogegen Ginseng hilft – „womöglich“. Er zeigt, was Farmer mit dem Ginseng machen, begründet es aber mehr oder weniger mit deren Bauernregeln. Das ist nicht „akribisch recherchiert“, sondern Information auf Reformhausniveau. Was besonders enttäuscht, weil sich Thompson erkennbar viel Mühe macht.

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Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Er redet mit vielen Leuten, er zeichnet sich die Finger wund – im Wortsinne, ein Teil der Geschichte besteht darin, dass seine Zeichenhand erkrankt, also erzählt er auch über Medizin und über chinesische Medizin, und erzählt und erzählt und erzählt. Über laotische Einwanderer, die eigentlich aus China stammen, und warum sie dort nicht mehr sind und über den Vietnamkrieg und den Koreakrieg, über den christlichen Glauben und, wo wir schon dabei sind, auch noch seine über eigene christliche Familie. Detailversessen, aber völlig ziellos.


Detailversessen, aber ziellos


Denn Thompson geht keiner Frage nach: Er will nur irgendwas über Ginseng erzählen. Er kann das Equipment eines chinesischen Ginseng-Jägers aufdröseln, vom Knochenspaten bis zu den geteerten Schweinslederstiefeln. Aber er kann nicht sagen, wozu man genau dieses Zeug braucht. Es ist, als würde einem ein gewaltiger Sack voll Krempel auf den Tisch geleert. Und wenn man fragt, was das soll, sagt Thompson: „Moment!“ und holt einen weiteren Sack voll Krempel.

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Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Sorry, Krempel, man kann es nicht anders nennen, denn „Infos“ sind es nicht, weil Thompson offenbar NICHTS aussortiert. Legenden, Gerüchte, Fakten, Zahlenmystik, alles wird reingeschmissen und schöngezeichnet. Wie es in ihn hineinfließt, so strömt es in den Comic. Und je deutlicher das wird, desto mehr nervt es: Weil man bei jedem neuen ausufernden Kapitel merkt, dass man bei aller Langatmigkeit nichts wirklich erfährt. Mit einer Ausnahme.


Der Bruder braucht 'ne Auszeit


Manchmal schildert Thompson, wie ihm andere Leute ihre Lebensgeschichte erzählen. Das ist dann halbwegs verlässlich, etwa so, als würde man selber zuhören. Über zig Seiten arbeitet ein chinesisch-stämmiger Ginsengfarmer hart. Und erinnert sich an seinen hart arbeitenden Vater. Und dessen Beerdigung. Und das Ritual, und wie alle Schiffchen falten, und Thompson malt auch noch eine (nicht funktionierende) Faltanleitung, es hört und hört nicht auf. Irgendwann, als Thompson mit seinem Bruder nach Korea fährt, seilt sich der Bruder ab, und man hat eine sehr laute leise Ahnung, warum.

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Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Der Plan war ein anderer: In Interviews sagt Thompson beispielsweise, er wollte zeigen, wie sich aus einer kleinen Farmwirtschaft ein gewaltiges Business entwickelt hat. Tatsächlich liefert er dann wenig anderes als Farmer, die sagen: Du musst eben immer größer werden. Und wie geht das in einer Region, die man nie zweimal nutzen kann? Aber Thompson sagt: „Guck mal, noch ein Sack Krempel.“ Ähnlich läuft das mit den Pestiziden: Immer und immer wieder weist Thompson auf sie hin. Aber wozu, Herrgottnochmal? Sind sie schlimm, was sind die Folgen, haben alle Krebs, haben’s alle nicht? „Guck mal, noch mehr Krempel!“


Abgemilderte Geschwätzigkeit


Erstaunlich ist, dass man sich dann doch durch den ganzen Sums wühlt: Thompson ist ein recht sympathischer Plauderer, der seine Geschwätzigkeit mit attraktiven Bilder mildert. Aber hier ist weder eine große „amerikanische Saga“ noch eine Chance, Gelerntes irgendwann mal nutzen zu können: So gut wie alles in diesem Wurzel-Werk müsste man sicherheitshalber woanders präzisieren. Wo genau, steht in einigen Fällen im Anhang. Das ist vielleicht nicht akribisch, aber immerhin tröstlich.

 




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  • 17. Juli 2024

Die Outtakes (16): Eine ansehnliche Familiengeschichte, ein finsterer Serienkiller und eine etwas zu gute Goldgräberin

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Illustration: Peer Meter/ David von Bassewitz - Carlsen

Wiederholungstäter

True Crime-Nachschub aus der Mottenkiste: In den 2010er Jahren (als es noch gar nicht so schick war) verfasste Peer Meter gleich drei empfehlenswerte Szenarios über Serienmörder. Nämlich „Gift“ über die Bremerin Gesche Gottfried mit der (hier bleistiftgrau-sig guten) Barbara Yelin, „Haarmann“ über den gleichnamigen Männermörder (mit Isabel Kreitz), und zuletzt „Vasmers Bruder“ über den unbekanntesten der drei, Karl Denke. Letzteren Band habe ich gerade erst gelesen, der finsterste von allen, auch weil Meter die Geschichte hier in die Gegenwart verlängert und David von Bassewitz sie so zappendüster illustriert, dass man kaum die Hand vor Augen sieht. Zu den Outtakes muss sie leider dennoch, aus zweierlei Gründen: Erstens ist sie knapp zehn Jahre alt, zweitens nicht mehr lieferbar: Sie müssen ein bisschen bei Medimops, Rebuy, Booklooker oder auch in Ihrer Bibliothek stöbern, aber sparen dafür auch etwas Geld.



Zergrübelt

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Illustration: Kerstin Wichmann - Edition Moderne

Sehr hübsche, zarte Zeichnungen. Sehr grüblerische Herangehensweise. Kerstin Wichmann blickt in „Auf schwankendem Boden“ schlaglichthaft in ihre Familiengeschichte. Aber so gut das aussieht, so rasch geht es in der eigenen Nachdenklichkeit unter. Was man erst an der Episode mit dem Großvater merkt: Der hat einen eigenwilligen Schwimmstil, und Wichmann lüftet geschickt das Rätsel darum. Aber genau dieses Geschick ist es, was meist fehlt. Und das ist ausgesprochen schade: Weil man so dankbar für jeden guten Grund wäre, noch mehr Zeit in den schönen Meer-Küste-Brandung-Ungemütlichkeit-Zeichnungen zu verbringen.



Holzgeschnitzte Wölfin

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Illustration: Núria Tamarit - Reprodukt

Sieht hübsch aus, ist frauenaffin, umweltbewusst – und trotzdem hebt Núria Tamarits „Die Polarwölfin“ nicht recht ab. Dabei sind die Zutaten reizvoll: Wir sind halbvermutlich in Nordamerika, zur Zeit des Goldrauschs. Die junge Joana investiert ihr letztes Geld, um an einer Goldgräber-Expedition teilzunehmen, aber die Männer lassen sie sitzen. Joana folgt ihnen auf eigene Faust. Die Männer sind überhaupt fies zu den Frauen der Expedition: zu Führerin Tala, zur alten Medizinfrau Opal. Männer sind auch schuld daran, dass Joana so am Hund ist, weil sie ihre alte Heimat abgefackelt und ihre Familie umgebracht haben. Und ein Mann ist schuld, dass Joanas dreibeiniger Hund so am Hund ist, weil er ihm die Pfote zertrümmert hat. Es sind auch die Männer, die beim Goldgraben bedenkenlos die Natur kaputtmachen, wohingegen die drei Frauen immer versuchen, nur das Nötigste aus der Natur zu nehmen. Weshalb sie auch von der gigantischen titelgebenden Polarwölfin verschont bleiben, die immer wieder für die Natur Rache nimmt, und, hm… liest sich das verärgert? Dabei nimmt man Tamarits Geschichte doch gern in der Hand: Die sternklaren Nächte, das eisige Alaska-Elend kontrastiert mit sonnenbunten Rückblenden ins Farmerparadies, die dämonische Wölfin, die flammenden Infernos, all das sieht einfach sehr gut aus. Aber die Haudrauf-Inhalte nerven. Wenn Joana so gut allein klarkommt, warum zog sie nicht gleich allein los? Und ja, Männer sind oft fies, aber dass ALLE Arschlöcher sind und zugleich auch noch Umweltsäue und ALLE Frauen vernünftig und auch noch nachhaltig, geht’s noch holzschnittartiger?

 




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Lang nicht so gelacht: Blutchs bezaubernd brillante Episoden aus einem heranwachsenden Bubenkopf


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Illustration: Blutch - Reprodukt

In unlustigen Zeiten käme was zu lachen recht. Und mir ist tatsächlich was sehr Spaßiges in die Hände gefallen. Mit (zugegeben) Verspätung, aber was soll's: ein würdiger Nachfolger des „Kleinen Nick“. Nein, nicht Riad Sattoufs „Araber von morgen“, auch nicht „Esthers Tagebücher“. Sondern der 15 Jahre alte (aber noch lieferbare!) Band „Der kleine Christian“ eines Herrn namens Blutch.


Aus dem Donjon gebuddelt


Auf Blutch kam ich, weil ich locker den „Donjon“ verfolge. Jene Endlos-Fantasy-Parodie von Lewis Trondheim und Joann Sfar, die für alle empfehlenswert ist, die Fantasy nicht total ablehnen. Sie ist oft sehr gut und (noch wichtiger und schwieriger): praktisch nie schlecht. Sfar und Trondheim texten und lassen einen dritten Mann (bisher nur einmal eine Frau) zeichnen, weshalb man en passant eine Menge Zeichner mit ihren Stilen kennenlernt. Wie etwa in „Der Sohn der Drachenfrau“ jenen Blutch, der eigentlich Christian Hincker heißt.

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Illustration: Blutch - Reprodukt

Die Story erkundet die Kindheit eines „Donjon“-Hauptcharakters, sie ist niedlich, sentimental, absurd und auch sehr brutal. Und sie wirkt so gut, weil Blutch sie geradezu champagnertrocken zeichnet. Weshalb ich ihn sofort als einen guten Blain-Epigonen einsortierte, was aber nicht ganz stimmen kann: Blutch hat sich am Comicmarkt früher etabliert als Blain.


Burt Lancaster muss nicht ins Bett


Egal: Weil Blutchs Umsetzung so gut war, suchte ich mehr von ihm und fand „Der kleine Christian“. Ich habe tatsächlich lang nicht mehr mit einem Band so viel Spaß gehabt. Dabei ist das Erfolgsrezept denkbar einfach. Blutch erzählt Episoden seiner Kindheit in den 70/80ern. Klein-Christian sieht fern, liest Comics und misst sein Leben an dem seiner Helden. Was würde Farah Fawcett tun, wie würde Steve McQueen gehen, stehen und dreinsehen, und sitzen die Haare so wie die von Rahan, dem Sohn der Vorzeit? Was gezeichnet so aussieht: Christians Familie sitzt beim Abendessen, Mutti sagt zu Christian, er soll seinen Teller leer essen. Aber da sitzt nicht Christian, sondern John Philip Law in seiner Rolle als „Dr. Justice“. Banal, oder? Aber brüllkomisch, weil Blutch alles richtig macht.

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Illustration: Blutch - Reprodukt

Erstens nimmt er alles so todernst wie es nur Kinder können. Weshalb Dr. Justice den Weisheiten seines Kampfsport-Lehrers folgend glaubt, durch das Leeren des Tellers auch den späten Kriegsfilm im Fernsehen gucken zu dürfen. Klappt natürlich nicht. Zweitens überdreht Blutch den Einsatz seiner Filmstars und Helden nicht: Sie bekommen ihren Auftritt genau im richtigen Moment: Christian ist nur zwei Panels lang Burt Lancaster (s.o.), in denen er vor seinen Mitschülern behauptet, er dürfte abends ins Bett, wann er wolle und obendrein Filme ab 18 sehen. Und drittens hat Blutch auch sonst sein Handwerk im Griff: Etwa das schnelle Übersetzen einer Situation in eine absurd andere, weshalb beispielsweise die erste alleinige Flugreise zur Reise auf den Mars wird.


Demnächst: der Ritterschlag


Was letztlich dazu führt, dass ich sofort nach mehr von Blutch suchen muss. Gibt auf deutsch gar nicht mal so viel, aber im April wird’s vielversprechend: Blutch darf – wie zuvor schon Mawil und andere Stars – einen Lucky Luke Band gestalten. Gewissermaßen ein Ritterschlag. Ich freu mich drauf.




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