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Comicverfuehrer

  • vor 3 Tagen

Wasser, soweit das Auge reicht: Benjamin Flao blickt mit wohltuendem Pragmatismus in eine apokalyptische Zukunft

Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser
Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser

Machen wir’s kurz: Der Typ ist gut. Aber mal richtig, richtig gut. UEFA-Cup-Qualität, mitunter sogar noch besser. Über Jahre hinweg. Und jetzt ist die ideale Gelegenheit zum Kennenlernen. Denn gerade erscheint Benjamin Flaos Finale seines Zweiteilers „Auf dem Wasser“. Der mir eigentlich vom Start weg gegen den Strich geht.


Radikal eingewöhnt


Denn Flao beginnt mit einem telepathisch begabten blauen Hund als Erzähler. Was ich sofort gar nicht begriffen habe. Ich dachte, das sei symbolisch oder so, und die Hundegedanken wären einfach ein anonymer Erzähler. Was im Prinzip ziemlich gewöhnungsbedürftig ist, aber Flao kürzt die Gewöhnungszeit radikal ab: durch seine verführerischen Bilder.

Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser
Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser

Er startet supergroßzügig, mit gewaltigen Splashes von Gegenden und Stadtlandschaften. Erst verkommene Wohnungen, dann die Außenwelt, völlig überflutet. Wir sind in der Zukunft, irgendwo in Europa, in der Dystopie-Variante, in der die Wasserspiegel gestiegen sind. Und das sieht, sorry, einfach großartig aus. Obwohl diese Welt eine schauerliche ist.


Waterworld by Wilhelm Busch


Aber diese Weiten, aus denen ein paar Dächer ragen, Baumwipfel, in denen sich das kleine Motorboot von Hans verliert, das Licht, die Wolken, die Wälder – leben will man da nicht, aber zusehen ganz gewiss. Auch, als Hans ankommt, in der Sumpfhütte seiner Mutter Jeanne, und dort den telepathischen Hund knuddelt. Erstens, weil dieses Hundknuddeln selten so gut eingefangen wurde. Und zweitens, weil die Menschen, die Dialogszenen, etwas ungemein Vertrautes haben. Irgendwie … a touch of Wilhelm Busch.

Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser
Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser

Nicht wegen der Pointen, es liegt mehr an der Kombination aus dicken schwarzen Strichen, ergänzt mit wenigen dünnen schwarzen Kratzern. Sie ergeben zerknautschte, realistische Menschen, und in den komischen Momenten – dochdoch, das ist buschhaft. Dazu große Farbflächen und reichlich Weiß, man liest gerne weiter.


Gut gelaunter Untergang


Trotzdem es dann schon manches zu bekritteln gibt. Der Hund etwa klappt nicht so gut, weil es auch Szenen gibt, in denen er nicht dabei ist. Wer erzählt uns die? Und auch bei der Konstruktion der Wasserwelt ist manches eher halbgar: Lebensmittel, Treibstoff, alles wird knapp – aber dafür sind die Charaktere noch zu gut gelaunt (verglichen mit Gipis „Welt der Söhne“) oder zu gut versorgt (verglichen mit Merwans „Mechanica Caelestium“).

Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser
Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser

Auch ist nicht ganz klar, warum eine Regierung die verstreut lebenden Menschen vertreiben will. Und die Wasserlandschaft selbst: Die kann eigentlich nicht so tief sein, dass Blauwale reinpassen. Aber Flao geht es offenbar nicht um präzise politische Aussagen. Stattdessen erzählt er von einer erträglichen Form der Apokalypse, einer Zeit, in der man einfach mal mit weniger auskommt und die Menschen Menschen sein lässt. Denen er liebevoll zusehen und zuhören will.


Herzlich in der Hölle


Das macht er wiederum ganz ausgezeichnet: Wortarm, ruppig, herzlich, im Grunde könnten die Leute alle aus der kleinen Kneipe in unserer Straße stammen. Man kann es gut aushalten in dieser höllischen Welt. Was auch mal ganz guttut, weil die Realität wohl eher aussieht wie bei Gipi.



Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser
Illustration: Benjamin Flao - Schreiber & Leser

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  • 20. Juli 2024

Manu Larcenets Comicumsetzung des dystopischen Bestsellers „Die Straße“: erbarmungslos, verstörend und alptraumhaft gut

Illustration: Manu Larcenet/Cormac McCarthy - Reprodukt
Illustration: Manu Larcenet/Cormac McCarthy - Reprodukt

Ich habe die Hölle gesehen, und gezeichnet hat sie Manu Larcenet. Man kann es wirklich nicht anders nennen, obwohl „Die Straße“ (nach dem gleichnamigen Roman von Cormac McCarthy) natürlich auf furchtbare Art unterhaltsam ist. Aber man liest den Comic fassungslos, fühlt sich danach verstört, schockiert, auch deprimiert. Kann man sowas empfehlen?

Nein. Man muss.


„Resident Evil“, „Walking Dead“: alles Pipifax


Die Story ist denkbar einfach: Ein Vater wandert mit seinem Sohn durch eine zerstörte Welt, vermutlich in Amerika. Und „zerstört“ bedeutet in diesem Fall nicht die „Soylent Green“-Welt mit ihrem Rest an Zivilisation. Auch nicht die „Mad Max“-Welt mit ihrem noch kleineren, aber aufregend motorisierten Rest Zivilisation. Oder die attraktiv aufgemonsterte „Resident Evil“-Welt, nein, all das ist Pipifax.

Illustration: Manu Larcenet/Cormac McCarthy - Reprodukt
Illustration: Manu Larcenet/Cormac McCarthy - Reprodukt

Diese Welt ist unbewohnbar, es ist kalt und regnet Asche, und die „Walking Dead“-Gemeinde kann sich ihre Selbstversorger-Träume in die Haare schmieren: Hier wächst nichts mehr. Die Städte sind im Zustand von Deutschland ’45. Vater und Sohn wollen nach Süden, weil sie „noch einen Winter“ nicht überstehen werden und hoffen, im Süden sei es wohl wärmer. Und so ziehen sie los, in Lumpen gewickelt schieben sie irgendwas Einkaufswagenartiges durch den Schutt.


Das Essbarste: andere Leute


Welche Katastrophe das ausgelöst hat, ist so unklar wie der Zeitpunkt. Fest steht: Er muss einige Jahre zurückliegen. Denn es findet sich kaum noch Essbares, obwohl praktisch keine Menschen mehr unterwegs sind. Das Essbarste sind: andere Menschen. Und weil Vater und Sohn das nicht machen wollen, müssen sie von der Straße, sobald sie von ferne näherkommende Menschen sehen. Jeder Andere ist eine Bedrohung, selbst die Nicht-Kannibalen berauben sich gegenseitig – und es ist schwer zu sagen, was entsetzlicher ist: das komplette Fehlen von Mitgefühl oder das armselige Diebesgut in Form einer Lampe oder einer halbwegs wasserdichten Plane.

Illustration: Manu Larcenet/Cormac McCarthy - Reprodukt
Illustration: Manu Larcenet/Cormac McCarthy - Reprodukt

Action gibt es wenig. Womit auch? Vater und Sohn haben einen Revolver mit zwei Patronen, die Menschenfresser Messer, Latten, Keulen mit Nägeln, Schusswaffen sind rar (weshalb als Schauplatz die USA eigentlich ausscheiden). Konflikte löst man durch Verstecken und Davonlaufen. Der Gegner sind die anderen Menschen und die Welt, die so unbewohnbar ist, dass man die wenigen brauchbaren Verstecke schnell wieder verlassen muss, weil sie gerade wegen ihrer Brauchbarkeit binnen Kürze andere Menschen anziehen würden. Faustregel: „Man darf nicht an einem Ort bleiben.“


Beiläufiger Horror


Manu Larcenet, der schon „Brodecks Bericht" kongenial bebilderte, illustriert diesen hoffnungs- und ausweglosen Horror mit geschickter Beiläufigkeit. Die Spuren der Gewalt, des Todes, der wiederholten Plünderung bis zum letzten essbaren Krümel sind zwar allgegenwärtig, aber Larcenet erhöht ihre Wirkung mit einem simplen Trick: Er betont stattdessen die menschenfeindliche Umwelt, die ewige Dunkelheit und Kälte, bis das Auge selbst die abstoßendste Spur von Menschen beinahe erholsam findet. Farbe gibt es allenfalls in homöopathischen Dosen, und bei besonderen Anlässen: etwa einer Dose Cola.

Illustration: Manu Larcenet/Cormac McCarthy - Reprodukt
Illustration: Manu Larcenet/Cormac McCarthy - Reprodukt

Und dann, nach etwas über 150 entsetzlich guten Seiten? Man rätselt beeindruckt. Als feuchter Traum der Prepper-Szene taugt der Comic nicht, die angelegten Vorräte finden bestenfalls andere Überlebende und sind auch sonst viel zu attraktiv für tödliche Konkurrenz. Eine Öko-Mahnung? Weil der Mangel im Menschen nur das Schlimmste hervorbringt? Aber die Menschen reagieren ja schon jetzt heftig, wenn man nur ein Schnitzel weniger pro Woche andeutet. Und trotzdem: „Die Straße“ lässt einen unmöglich kalt. An der Lehre daraus knabbere ich selber noch:

Auf die Welt aufpassen?

Keine Leute töten?

Keine Leute essen?

Finden Sie's raus!

 


 


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