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Comicverfuehrer

Perlen aus der Nische statt abgehangene Best-of-Parade: Ralf König gönnt sich und den Comic-Fans zum 65. einen Geburtstags-Band


Illustration: Ralf König - Egmont Comic Collection
Illustration: Ralf König - Egmont Comic Collection

Sowas empfehle ich eigentlich eher ungern: Ein Buch über einen einzelnen Comic-Autor. Weil ja oft Leute finden: „Lesen reicht. Wie der seinen Kram herstellt, ist mir schnurz.“ Dieses Buch verbindet aber Neues von „seinem Kram“ mit einem munter plaudernden Interview zu einer arg unterhaltsamen Mischform: „Pflaumensturz und Sahneschnitten“ von Ralf König mit hilfreicher Hand von Comic-Journalist Alex Jakubowski.


Perlen aus der Nische


Anlass ist Königs 65. Geburtstag, und dankenswerter Weise hatte der Jubilar keine Lust auf eine gut abgehangene Best-of-Witzeparade. Aber es schlummerte einiges in übersehenen Nischen. Wie die Serie „Spargel“, die König in einem schwulen Gratisblatt veröffentlichte –wer das nicht in die Finger kriegte, hatte bisher halt Pech. 100 Seiten sind drin, bisher noch nie auf Deutsch in Buchform veröffentlicht. Woraus Skeptiker gern schließen, dass das Zeug halt nicht sooo toll sei. Was uns zur Besonderheit namens „Ralf König“ bringt.

Illustration: Ralf König - Egmont Comic Collection
Illustration: Ralf König - Egmont Comic Collection

Ist ein bisschen wie bei Dennis Chambers. Kennen Sie den?

Sitzt Chambers am Schlagzeug, kriegt man stets grandioses Handwerk und oft geniale Momente. Aber nie: lauwarmen Mist. So etwa muss man sich König wohl vorstellen, nur nicht am Schlag-, sondern am Schreibzeug: Die Kreativmaschine läuft zuverlässig und auf dieser Grundlage lotet er hellwach alle Möglichkeiten aus. Mit Pointen fing es Anfang der 80er an, die er rasch mit unerbittlicher Präzision ausarbeitete, aber seit längerem transportiert er Nachdenkliches und sogar Tragisches genauso zwingend. Und dazwischen? Gibt es ein „Dazwischen“ bei Dennis Chambers?


Lauwarm langweilt


Wir reden hier von Leuten, die Lauwarmes selber langweilt. Also liefern sie Kunst auf Kochtemperatur: Blasen tauchen da nicht zufällig oder gelegentlich auf – das fortwährende Blubbern ist der eigentliche Vorgang. Die einzigen Grenzen bestehen darin, dass Chambers nie Geige spielen wird, und König – äh, da fehlt mir jetzt die Analogie, aber geigen wird er wohl auch nicht.  

Illustration: Ralf König - Egmont Comic Collection
Illustration: Ralf König - Egmont Comic Collection

Zu quengeln gibt's kaum. Das Interview mit Jakubowski ist eventuell ein wenig systematisch geraten, doch es liest sich leicht, mit wenig Fachsimpelei und wird obendrein flott bebildert und abwechslungsreich layoutet. Zudem nimmt sich Jakubowski klug zurück, lässt König sprudeln, weil er weiß, dass der vor allem einen sachkundigen Stichwortgeber braucht. So kommt alles frisch aus Tapet, inklusive Königs Vorbildern, von denen allenfalls James Finlayson fehlt. Oder das Lob für den Innovator König, der meines Wissens die umgebogene Panel-Ecke oben links zum eleganten Symbol für „neue Szene“ entwickelte, wenn nicht gar erfand.


Beängstigend präsidententauglich


Die Mischung aus frechem Witz, schwuler Selbstironie und dezent angedeuteter Altersweisheit führt dazu, dass König so beängstigend sympathisch rüberkommt, dass man fast unwillkürlich beginnt, ihn sich als Bundespräsidenten zu wünschen. Das geht aber vorbei. In jedem Fall trägt die lockerpikante Stimmung entspannt durch die rund 200 Seiten. Und während derlei Fachliteratur sonst mehr was für Nerds ist, können Comic-Normalos Königs Protagonisten und Pimmel hier so gut genießen wie kennenlernen.





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Französische Ernte (II): Wie ein großes Comicangebot übersehenen Perlen zur zweiten Chance verhilft – etwa der bittersüßen Zauberwelt des Cyril Pedrosa

Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt
Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt

Was hat ein Comicfreund vom Frankreichurlaub, wenn er die Sprache nicht complètement connait? Wie (hust) immer noch ich? Beispiel 2: Er flipperkugelt in der Pariser Rue Saint Jacques von einem Comicshop in den nächsten. Die nicht nur bestimmte Themen abgrasen, sondern überhaupt von allen Autoren auch noch die komplette Backlist bereithalten. Weshalb man sich fragt: Warum hab ich nicht mehr von Cyril Pedrosa gelesen? Der sieht doch geradezu unverschämt gut aus!


Null Action, sanfter Witz

Pedrosas „Jäger und Sammler“ ist eine Herzenssache. Als der Titel 2016 auf deutsch erschien, hab ich ihn ignoriert, weil er „irgendwie anstrengend“ aussah. Und dem Leser so wenig entgegenkommt: Er erzählt von verschiedenen Menschen, man weiß nicht, was sie miteinander zu tun haben, es gibt null Action, nur sanften Witz. Was den Comic vorm Weglegen rettete, waren die Figuren und die Bilder.

Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt
Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt

Wie Pedrosa Menschen beobachtet und sich bewegen lässt, macht große Freude. Die Körperhaltung beim Rauchen, Streiten, In-der-Handtasche-kramen, da ist es völlig egal, worüber sie gerade reden, weil das Gespräch durch die Zeichnungen so viel Leben gewinnt. Obendrein inszeniert Pedrosa Szenen und Dialoge so vielseitig und ideenreich, dass man völlig vergisst, wie unscheinbar die Gesprächsthemen sind.


Die richtige Pose im richtigen Moment


Er wechselt nicht nur die Perspektive, die Panelgröße, er wechselt das Licht, die Farben, den Fokus. Er reduziert etwa in berührenden Momenten die Schärfe, bis nur noch die Gesichter klar sind. Er entfernt die Konturen, tönt Doppelseiten in blaugrau oder auch in pink, Pedrosa öffnet ein regelrechtes Füllhorn der Optionen, dessen Output er aber auch passend dosiert. Als er beispielsweise zwei Doppelseiten Ex-Ehestreit an Weihnachten abfeuert, verzichtet er auf jeden Zusatz, weil ja der Zoff die Szene trägt. Ich brauchte bis zu diesem Streit, um endlich Zugang zu finden.

Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt
Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt

Denn alle Charaktere sind gleichwertig, und weil sie wenig miteinander zu tun haben, sitzt man anfangs da wie vor einem Haufen Puzzleteile. Man muss sich über die Ecken und Ränder reintasten. Und ich vermute: Je älter man ist, desto lohnender wird’s. Pedrosas Charaktere sind fast alle 40 aufwärts, sie rätseln über das Leben und seine Endlichkeit, ohne dafür alleingültige Wahrheiten liefern zu können.


Muss. Mehr. Pedrosa. Lesen.


Mit 20 hätte ich vermutlich gegähnt. Aber ich bin nicht mehr 20. Vielleicht sollten aber auch nur eine Menge Comics dem Leser einfach im richtigen Alter begegnen. Oder im richtigen Moment. Oder in Paris. Muss. Mehr. Pedrosa. Lesen.

Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt
Illustration: Cyril Pedrosa - Reprodukt





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Unverschämt trifft unbedarft: Was klingt wie ein Manga-Klischee wird in den Händen von Mariko Tamaki zum einfühlsamen Coming-of-age-Knüller

Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen
Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen

Ist das jetzt noch LGBTQIA-Zeug, frage ich mich. Und dass ich mich das frage, finde schon mal sehr gut. Ich bin erneut auf den Spuren des Vorwerks von Mariko Tamaki, diesmal lese ich „Laura Dean und wie sie immer wieder mit mir Schluss macht“, gerate aber anfangs ins Stolpern.


Kein Junge namens Freddy


Ein Junge namens Freddy schreibt aus dem Off an eine Ratgebertante, dass er in ein Mädchen namens Laura Dean verliebt ist, was offenbar sehr schwer ist. Laura Dean ist so eine junge Brünette, und Freddy ist so ein kurzhaariger Blonder, der sich ein bisschen arschmäßig benimmt, warum beklagt er sich denn dann? Und ziemlich schnell wird klar, dass ich da was nicht gecheckt habe: Freddy ist gar nicht der Junge, sondern die Brünette. Und der blonde Arschmäßige ist ebenfalls ein Mädchen, eben jene Laura Dean.

Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen
Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen

Mein erster Gedanke, logisch, ist: „Warum sagt einem das denn keiner?“ Einfache Antwort: Weil hier jemand einfach mal mit der Lesberei nicht hausieren geht. Wozu auch: Freddys beste Freundin Doodle ist selbst lesbisch, und Heteros reden ja auch nicht dauernd darüber, dass sie hetero sind: Sie wissen's ja.


Ein ziemlicher Arsch

Ill.: M. Tamaki/R. Valero-O’Connell - Carlsen
Ill.: M. Tamaki/R. Valero-O’Connell - Carlsen

Sofort begreift man hingegen auch dank des Titels, dass Laura Dean ein ziemlicher Arsch ist. Sie benutzt Freddy nach Strich und Faden, lässt sie bei Langeweile als Pausenkasper antanzen und und bei jeder besseren oder mittelmäßigen Gelegenheit sitzen. Und ansonsten sieht sie zu, dass sie dank ihres Schulstar-Faktors möglichst bessere Gesellschaft findet oder mehr Bewunderer um sich schart, oder, oder, oder.


Wo reicht's?


Elegant gewählt ist, dass diese toxische Liebe keiner 30-Jährigen zustößt, sondern einem Mädchen, bei dem noch einige Stofftiere im Zimmer herumkugeln. Dem diese ganze Erotik-Sex-Liebes-Sache neu ist und das richtige Verhalten komplett rätselhaft. Das erst lernen muss: Was muss man eigentlich hinnehmen? Und wo darf’s einem dann auch mal reichen?


Flirtkampf: David gegen Goliath


Vieles an dieser Coming-of-age-Novel ist nicht neu, aber trotzdem rührend und vor allem spannend. Denn Laura Dean ist zwar nicht viel älter, dennoch so haushoch überlegen, dass man sich einfach auf Freddys Seite schlagen muss. Erfreulich ist auch, wie wurscht das Lesbenthema ist, obwohl es doch ständig präsent bleibt.

Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen
Illustration: Mariko Tamaki/Rosemary Valero-O’Connell - Carlsen

Liebe ist Liebe ist Liebe, aus, fertig. Mit einer drolligen Ausnahme: Obwohl Freddy und ihre Freundinnen sich schon sehr progressiv fühlen, halten sie zugleich stur daran fest, dass je zwei Leute sehr exklusiv zusammengehören, nicht etwa drei oder acht. Was da wohl die Polyamourösen dazu sagen?


Mariko Tamaki (Text), Rosemary Valero-O’Connell (Zeichnungen), Annette von der Weppen (Üs.), Laura Dean, und wie sie immer wieder mit mir Schluss macht, Carlsen, vergriffen, aber gebraucht günstig verfügbar, etwa hier.




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