George Orwells satirischer Klassiker Animal Farm ist jetzt doppelt als Comic erhältlich: Es ist an der Zeit für einen kleinen Contest
Immer wieder gut: „Farm der Tiere“ von George Orwell. Sie wissen schon: Die Fabel über die Revolution, bei der erst die Tiere die Macht übernehmen, dann aber die Schweine sich als sehr menschenähnliche Ausbeuter an die Spitze setzen. Ähnlichkeiten mit Diktaturen im Allgemeinen und der Sowjetunion Stalins im Besonderen sind natürlich gewollt. Zweifellos ist das Material für einen Comic, wie ihn gerade der Knesebeck-Verlag herausgebracht hat. Etwas überraschend, weil vor knapp drei Jahren Panini bereits dasselbe gemacht hat. Was eine willkommene Gelegenheit zum Produkttest ist: Wer liefert die bessere Variante?
Preislich geht's um fünf Euro
Von den Kosten her hat Knesebeck die Nase vorn: Die französische Version von Patrice Le Sourd (Zeichnungen) und Rodolphe (Text) ist mit 20 Euro etwas günstiger, hat das größere Albumformat, aber weniger Seiten (48). Die Version des Brasilianers Odyr (bürgerlich: Odyr Bernardi) kostet 25 Euro, bietet dafür 180 Seiten, die zwar etwas kleiner sind, aber unterm Strich deutlich mehr Platz ergeben. Die Frage ist freilich: was macht wer aus seinen Voraussetzungen?
Rein optisch ist der Ansatz von Patrice Le Sourd kommerziell zugänglicher: Die Geschichte kommt in sauberen Panels, konventionellen, aber nicht anbiedernden Zeichnungen. Odyr hingegen zeichnet mit breiten Farbstrichen, spielt deutlich nuancierter mit Licht und Atmosphäre, verteilt den Text mal zu den Bildern, mal mit Sprechblasen.
Wer hat wieviel Platz? Wer nutzt ihn?
Und Odyr nimmt sich den Platz, den er hat, auch um explizit Zeit vergehen zu lassen. Was dem Farmleben, der Abfolge der Jahreszeiten, entgegen kommt. Es ist vor allem dieser Vergleich, der zeigt, dass die Knesebeck-Variante Probleme hat, alles unterzubringen.
Hier wird es tatsächlich knifflig: Denn wer die Wirkung von „Animal Farm“ hervorrufen will, braucht tatsächlich trotz des kurzen Ausgangstexts ein bisschen Zeit. Er muss den Traum der Tiere von der gerechten Welt ausbreiten, ihr Leid, ihre Hoffnung – und er darf deren Enttäuschung nicht zu hastig abklappern. Schon der Traum des alten, sterbenden Schweins „Old Major“ im Stall kriegt bei Rodolphe/Le Sourd nur knapp zehn Panels, in denen auch noch die Hymne „Tiere Englands“ abgeliefert werden muss. Odyr hat die doppelte Zahl Panels, er kann Old Majors Ansprache rhetorisch ausbreiten. Le Sourd kann den Stall nicht verlassen, Odyr kann eindringliche Symbolbilder liefern, und die Hymne ist nicht nur komplett abgedruckt, es reicht auch noch für den (originalgetreuen) Hinweis, dass die Tiere so begeistert sind, dass sie das Lied fünfmal hintereinander singen. Es sind solche sarkastischen Details, die einem die Tiere, aber auch die literarische Vorlage näherbringen.
Wer kürzt wie – und wo?
Interessant ist auch die unterschiedliche Kürzung. Als das idealistischere Schwein Schneeball verjagt und vom verbliebenen Oberschwein Napoleon ab sofort für alle Fehlschläge verantwortlich gemacht wird, kann das kräftige Pferd Boxer die verordnete Kehrtwende von Schneeball als Held zum Verräter nicht glauben. Boxer wird zurechtgewiesen. Kurze Zeit später veranstaltet Napoleon Schauprozesse und lässt die Verurteilten von seinen Hunden zerreißen. Auch Boxer wird angegriffen, kann sich aber dank seiner Kraft durchsetzen. Odyr kürzt den Angriff auf Boxer weg, behält aber die blutigen Schauprozesse. Nachvollziehbar: Napoleon wird sich später ja noch an Boxer für dessen öffentlich geäußerte Zweifel rächen. Rodolphe hingegen behält Boxers Sieg, streicht dafür die brutalen Schauprozesse. So triumphiert bei Odyr und Orwell Napoleon, aber bei Rodolphe ist es Boxer. Ohne jede Not.
Das macht einen dann ein wenig misstrauisch, ob Rodolphe sich noch weitere, ähnliche Freiheiten nimmt. Was er tut, in mindestens einem Fall, dem der Farm-Verfassung der Sieben Tiergebote. Die sind anfangs klar und eindeutig, werden aber allmählich von den Schweinen verwässert. Was Rodolphe so attraktiv findet, dass er das Original-Ende gleich doppelt variiert. Der bekannte Satz „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“ ziert bei ihm munter das Ende der Sieben-Gebote-Liste – und das ist dann das Ende des Comics. Im Buch hingegen ist dieses Gebot als einziges überhaupt noch übrig.
Was verstand schon Orwell von Büchern?
Odyr vertraut hingegen dem Original. Und findet danach auch noch Platz für Orwells tatsächlichen, effektvolleren, eindringlicheren Schluss, der bitter den Wandel der Schweine von Revolutionären hin zu einer anderen Sorte Mensch bilanziert. Rodolphe sieht den Gedanken schon auch, verlegt ihn aber vor und unterschätzt ihn, weil er kaum erwarten kann, seine Gebotstafel-Idee zu präsentieren. Was wusste schon Orwell vom Bücherschreiben?
Fazit: Die Variante von Rodolphe/Le Sourd funktioniert schon auch, wenngleich etwas hektisch und holprig. Dem Original deutlich näher kommt Odyr, nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Wirkung. Weshalb ich wohl die fünf Euro mehr ausgeben würde.
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Karriere im Heim: Mit geschickt dosiertem Humor illustriert Paco Rocas Demenz-Schocker „Kopf in den Wolken“ die Erträglichkeit des Unerträglichen
Sorry, das hier ist nicht neu, aber ich kannte es bislang nicht: Und zum Comicverführen braucht man nicht immer den neuesten heißen Scheiß, sondern den besten. Dazu gehört dieser Comic fraglos, er ist zehn Jahre alt und entsetzlich gut. Und zwar im Wortsinn, er ist entsetzlich und er ist gut. Die Rede ist von Paco Rocas „Kopf in den Wolken“.
Blick in die Hölle
Das Cover täuscht noch ein wenig: Man sieht drei ältere Herrschaften im versonnenen Gespräch und fühlt sich ungut an die Hallervordensche Altersverbrämung erinnert. Aber schon der Einstieg fegt derlei Bedenken hinweg: Ein junges Paar sitzt in einer Bank, wo der besonnene Sachbearbeiter Emilio den beiden bedauernd einen Kreditwunsch abschlägt. Der junge Mann schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, aber nicht aus finanzieller Verzweiflung: „Du bist nicht bei der Bank!“, brüllt er den konsternierten Emilio an, „du arbeitest doch schon seit Jahren nicht mehr! Ich will nur, dass du endlich dein Abendessen isst!“ Nur neun Panels braucht Paco Roca, bis wir einen überforderten alten Mann im Bett sitzen sehen, vor seinem komplett überforderten Sohn: fortschreitende Demenz.
Die „Honig-im Kopf“-Welt löst das Problem bekanntlich, in dem die Frau zuhause bleibt, ein bisschen Care-Arbeit leistet, woraufhin der Patient so versonnen wie zügig in die Grube fährt und alle alles mit einem guten Gefühl abhaken und weitermachen. Paco Roca aber geht dahin, wo „Honig im Kopf“ sich aus der Verantwortung stiehlt: Er zeigt den Normalfall: der Patient stirbt nicht. Und nun? Emilio braucht einen Pflegeplatz, sein Sohn findet ihn. Einen guten Platz, wohlgemerkt, das Heim ist völlig in Ordnung. Das Leben ist es nicht.
Roca geht da hin, wo's wehtut
Vor Emilio liegt eine Heimkarriere: Er kommt als einer der Fitteren, und er sieht an den anderen Bewohnern seine Zukunft – obwohl er sie noch nicht als seine Zukunft erkennt. Er sieht Leute, die immer dasselbe erzählen, die Zucker- und Ketchuptütchen horten. Eine Frau, die mit ihrem dementen Mann ins Heim gezogen ist: Sie liebt ihn, aber er, so der zynische Mitbewohner Miguel, „könnte genauso gut neben einem Salatkopf sitzen.“ Die Frau, die immer ein Telefon sucht, um ihre Kinder anzurufen, die alte Sportskanone, die ewig dieselben Geschichten erzählt, die Frau, die immer im Zug nach Istanbul sitzt. Wie bei ihr wechselt Roca oft die Perspektive, zeigt erst die elegante Vorstellung, dann die bittere Realität.
Vorbildlich klappert Roca dabei nicht nur die erzählerisch attraktiven Ticks ab. Über Miguel analysiert er, dass für alle der Tag aus Essen und Schlafen besteht, dass der Besuch der Angehörigen selten, aber schön ist. Dass man an Frisur und Kleidung erkennt, wer mental der einstigen Normalität noch am nächsten steht. Aber da hat Emilio schon begonnen, gelegentlich den Pullover übers Jackett zu ziehen. Auch er versitzt bereits ganze Tage im Aufenthaltsraum.
Erkenntnis durch Zufall
Dass diese Heimkarriere vom rüstigen Neueinsteiger zum alteingesessenen Dämmerer auch seine sein wird, begreift Emilio zufällig, als er erfährt, dass er dieselben Medikamente bekommt wie der Ehemann des Salatkopfs. Vielleicht hat es ihm auch schon jemand vorher gesagt, und er hat es vergessen, aber jetzt will Emilio den ersten Stock sehen: Dort landen die Dementen, und wiederum nicht aus Bosheit oder als Strafe, sondern weil die Bedürfnisse der Bewohner unterschiedlich sind.
Zu viel gespoilert? Garantiert nicht, denn Roca schildert das alltägliche Entsetzen des Alters in unglaublich vielen exzellent beobachteten, scheinbar harmlosen, dafür umso furchtbareren Details. Denn natürlich hofft man als Leser, dass es diesmal anders sein wird, bei Emilio, dem eleganten Herrn aus der Bank. Aber es wird nicht, kann nicht anders sein. Neue Medikamente werden kommen, sie werden diese Lebensphase für viele Menschen nach hinten verschieben, aber sie bleibt eine Realität.
Schuld ist niemand, nur das lange Leben
In seiner Schonungslosigkeit ist Paco Roca ganz nahe an Roz Chasts „Können wir über was anderes reden“, sehr nahe an Michael Hanekes „L’Amour“, Florian Zellers „The Father“. Weniger deutlich wird sein Anliegen. Sterbehilfe? Unwahrscheinlich: keine Figur findet ihr Dasein so unerträglich, dass sie den Tod sucht. Auch, weil die Hölle immer wieder erträgliche Momente hat, die man allerdings umso weniger erträglich findet, je näher man sich dem früheren, „echten“ Leben fühlt.
Einzigartig ist der Fokus der Heimrealität. Geht es Roca um eine Verbesserung? Kaum, Emilio ginge es auch mit mehr Pflegern nicht besser. Niemand kann ihn heilen, und das Heim ermöglicht, dass er und sein Sohn an Weihnachten zusammen feiern statt sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Roca klagt niemanden an, allenfalls dieses lange Leben.
Humor sorgt für Atempausen
Bewundernswert ist, wie Roca seine Leser vom Aufhören abhält: Zum einen nutzt er den Reiz des Entsetzlichen, wie ein geschickter Horror-Autor. Dazwischen erzeugt er aber Atempausen mit schwer nachahmlichem Humor: respektvoll, aber trotzdem bitterböse und frech, so dass man im erstickenden Grauen immer wieder Luft bekommt. Was letztlich auch die Erträglichkeit des Heimlebens gut imitiert.
Ist „Kopf in den Wolken“ ein Problemcomic? Ein Debattenbeitrag? Bringt er den Leser irgendwie voran? All das eher nicht, aber es ist eine verändernde Erfahrung: Danach sieht niemand mehr das Altern mit den gleichen Augen. Und man sieht Filme wie „Honig im Kopf“ als das, was sie sind: hochdosierte Beruhigungsmittel.
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MAD-Legende I. Astalos findet die perfekte Spielwiese für seinen Krakelstil: „Going Mad“ ist zugleich die eigene Biographie und die des Satirehefts
Manchmal entpuppen sich Dinge, die lange nicht recht überzeugten, in anderem Zusammenhang als erstaunlich gut. Uschi Glas etwa: in den Rollen oft nervtötend anständig, aber jetzt beim Verein brotZeit aufrichtig überzeugend. Oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann: vorher gefühlt gar nicht da, mit dem Ukrainethema plötzlich aufblühend wie ein neuentdecktes Politiktalent. Oder eben: Ivica Astalos.
Im Schatten der Stars
Wer ihn kennt, ist wahrscheinlich schon älter: Astalos war, stets mit dem abgekürztem Vornamen „I.“, die Allzweckwaffe der deutschen Ausgabe von MAD, dem Satiremagazin schlechthin für Jugendliche in den 70er und 80er Jahren. Mein Favorit war er nie, er stand häufig im Schatten der großen US-Zeichenstars, der Filmparodien von Mort Drucker, der Gagsammlungen von Paul Coker, der mäßig komischen, aber besser aussehenden Cartoons von Al Jaffee, von Don Martin, Spion & Spion, was auch immer. Doch Astalos hatte, was die deutschen MAD-Hefte dringend brauchten: Ideen.
Denn nachdem die MAD-Macher in den USA nicht nur insgesamt weniger Hefte pro Jahr produzierten als die Deutschen, sondern in diesen Heften auch immer weniger Material lieferten, das man 1:1 in Deutschland übernehmen konnte, kam der nimmermüde I. Astalos immer häufiger zum Einsatz. Weil er Einfälle hatte, eigene Geschichten erfand, weil sich seine (unterschiedlich treffsicheren) Märchenparodien als schier endlose Cartoonquelle erwiesen. Und auch, weil er sich überraschenderweise als zeichnerisch ungeahnt vielseitig erwies.
Tatsächlich ist sein fragwürdiger Stil, den er (mit seinem Ex-Chefredakteur Herbert Feuerstein) selbstironisch als „gut gemeint, aber unsicher im Strich, mit falschen Proportionen und ohne jeden Schwung“ beschreibt, nur eine Seite. Astalos konnte und kann als „Hans Tischler“ auch ganz anders, und als Don Martin täuschend echt: Den Superstar (und manche andere) hat er (mit Wissen aller Beteiligten) auch öfter mal fürs Heft gefälscht, ohne dass es ein Leser gemerkt hätte.
Berichte aus dem Porno-Paradies
Das und vieles mehr lässt sich jetzt nachlesen im außerordentlich unterhaltsamen Band „Going MAD!“, der Cartoon-Autobiografie von Astalos. Abgefasst und gezeichnet in dem Stil, der mich als Kind immer ein wenig genervt hat, der jetzt aber geradezu wunderbar angemessen ist, um die ruhmreiche, absünderliche Vergangenheit aufzubereiten. Mit vielen Details zum Hintergrund des „vernünftigsten Magazins der Welt“, der Verwertung zweitklassigen Materials in „Kaputt“ oder auch zum Verlagssitz im Porno-Paradies der Olympia-Press (lechz). Selbstverständlich zum Traditionspreis von „Nur noch 25,00 Euro“, der sich auch als direkte Künstlervermarktung versteht: Den Band gibt es nur auf der Homepage des Künstlers: www.astaltoons.de
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