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Faulpelz mit Charakter

Schultheiss zeichnet Bukowski: Der Klassiker „Kaputt in der City“ feiert ein Comeback in Farbe - und ist womöglich die Wiederentdeckung des Jahres

Illustration: Matthias Schultheiss/Charles Bukowski - Splitter Verlag

Was für ein Wiedersehen! Was für eine Gelegenheit! Was für eine Neuentdeckung! Oder hat der Splitter Verlag einfach nur mal den Gebraucht-Comicmarkt angeguckt? Denn dort sieht man, dass ein Comic namens „Kaputt in der City“, schwarz-weiß, Softcover, Neupreis einst 30 Mark, inzwischen für das Doppelte gehandelt wird. In Euro. Und völlig zu Recht.


Jeder bescheißt jeden


„Kaputt in der City“ ist einer der Glücksfälle, bei denen so viele günstige Einzelteile zusammenkommen, dass etwas einmalig Gutes entsteht. Vorausgesetzt, man mag Charles Bukowski und seine zynisch-bissig-miesepetrig-versoffenen Erzählungen aus dem Amerika von ziemlich weit unten. Die ihren besonderen Witz daraus ziehen, dass der Erzähler einerseits weiß, dass in diesem Amerika jeder jeden bescheißt, ausbeutet, beklaut, dass er andererseits auch jederzeit zugibt, dass er keine Lust hat, sich groß anzustrengen. Ein Faulpelz mit Charakter, könnte man sagen.


Illustration: Matthias Schultheiss/Charles Bukowski - Splitter Verlag

Diese Kurzgeschichten wählte sich in den 80er Jahren der aufstrebende Comic-Star Matthias Schultheiss als Vorlage. Was deshalb so ideal passt, weil Schultheiss kein USA-Basher ist. Schultheiss liebt Amerika glühend, aber mit offenen Augen: Er leidet daran, dass die unbegrenzten Möglichkeiten oft mit grenzenloser Rücksichtslosigkeit einhergehen. Vermutlich wählte Schultheiss deshalb einen Stil, der sich von seinen opulenten Bänden wie „Die Haie von Lagos“ deutlich unterscheidet: Kaum Flächen, nur Striche und Schraffuren, recht nahe an Robert Crumb, aber mit schultheiss-typischem Sinn für Licht und Schatten. Ein drittes Element macht jedoch die Mischung erst perfekt.


Amerika, gesehen mit offenen Augen


Es ist die Sicherheit, mit der Schultheiss, der seine Szenarien sonst selbst schreibt, den Fremdtext behandelt. Wie souverän er ihn zu wortlosen Panels und aufregend geschnittenen Seiten umkomponiert, wie präzise er den Dialog umsetzt, wie treffsicher er Erzähltext aus dem Off einsetzt und wie oft er (was für einen Fan ja noch viel schwieriger ist) diesen Erzähltext weglässt. Wer mit Bukowskis Version startet, wird bei Schultheiss nichts vermissen. Wer mit Schultheiss‘ Version beginnt, wird bei Bukowski alles wiederfinden. Die Frage ist, ob es eine gute Idee ist, die Storys zu kolorieren.

Illustration: Matthias Schultheiss/Charles Bukowski - Splitter Verlag

Aber auch hier macht Schultheiss nichts falsch: Er färbt einfühlsam. Es wird nirgends poppig bunt, er unterstreicht nur, was in seinen Zeichnung angelegt ist. Die Farben sind oft gedeckt, fahl, düster, staubig, dreckig und so stimmig, dass man sich im Nachhinein wundert, wie präzise die Schwarzweiß-Variante bereits die jetzt gewählten Farben suggerierte. Das Weißgelb der glühenden Sonne, das Dreckbraun der verklebten Theken, das Nachtviolett der New Yorker Hochbahn. Das Besondere ist nicht, was die Farbe den Zeichnungen hinzufügt, sondern wie gelassen sie auf deren Wirkung vertraut und sie nur sanft betont.


No Country for Frauen


Zuguterletzt: Wie ist das mit Bukowski und den Frauen? Ungeschönt. In einer Welt, in der jeder konsequent nach unten tritt, haben Frauen schlechte Perspektiven. Aber wer mit (frauenlosen) Storys wie „Kid Stardust im Schlachthof“ oder „New York für 95 Cents am Tag“ beginnt, ahnt rasch, dass Leute aus dieser Welt ihre Mitmenschen ähnlich behandeln wie sie selbst behandelt werden. Bukowskis Antihelden raffen sich manchmal zu einer eigenwillig verdreht-verlotterten Sorte von Ritterlichkeit auf, mehr ist nicht drin. Man mag das bedauern, aber überraschend ist es nicht. Schultheiss setzt diese Zustände 1:1 um, mit Körpern, die auch beim Sex so unansehnlich sind wie die Zimmer, in denen all das stattfindet. nein, schön ist all das nicht. Aber verdammt gut!






 


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