„Asterix in Italien“ entpuppt sich als Hülle ohne Herz: Warum der neue Band eine Enttäuschung ist – und warum die Reihe dem Original auf Umwegen vielleicht wieder näher kommen könnte
Asterix besprechen ist gefährlich, besonders wenn einem die letzten zwei Bände fehlen. Ich hab „Der Papyrus des Cäsar“ nicht gelesen und auch nicht „Asterix bei den Pikten“. „Asterix in Italien“ ist mein erster, nicht von Albert Uderzo gezeichneter Band. Und wer mit Asterix aufgewachsen ist, muss doppelt aufpassen: Nachfolgern wird gerne übelgenommen, dass sie nicht die Originalschöpfer sind, also verdienen Szenarist Jean-Yves Ferri und Zeichner Didier Conrad besondere Sachlichkeit. Was zeichnet also die guten und besten Asterix-Bände aus? Entschlüsseln wir’s und legen wir diesen Maßstab bei „Asterix in Italien“ an.
Punkt1 : Die Geschichte
Asterix ist dank Zaubertrank unbesiegbar. Gute Bände geben Asterix also ein Problem, bei dem Kraft allein nicht hilft. Er muss Empfindliches schützen (1 spanisches Kind, 1 Fass Zaubertrank, 1 kleiner Architekt), er muss Geld verdienen (ohne jede Ahnung von Wirtschaft). Er muss Aberglauben bekämpfen und Neid. Diesmal muss er – nichts. Er begleitet Obelix, der Rennwagen-Lenker werden will. Warum? Weil es in einem Glückskeks steht, Ben Hur grad im Fernsehen war, irgendeine Seherin es Obelix sagt (der Wunsch hält exakt bis Seite 46). Das Rennen veranstaltet ein römischer Senator, um zu zeigen dass seine maroden Straßen nicht marode sind. Zahl der Schlaglöcher im gesamten Band: zwei. Ein witzloses Rennen, bei dem Asterix nur teilnimmt, damit die Seiten voll werden. Für den Anfang schon gar nicht mal so gut.
Punkt 2: Die Charaktere
Asterix classic ist clever, ironisch, fokussiert, aber zugleich entspannt, weil er sich auf seinen Witz verlässt. Obelix classic ist das Gegenstück: Schlicht, leicht abzulenken, geradezu kindlich lustbetont (Essen! Prügeln!), genussfreudig. Aus den unterschiedlichen Zielen entwickelte Goscinny zahllose Gags, noch mehr Konflikte und überraschende Lösungen. Und Obelix 2017? Der ist jetzt plötzlich so ehrgeizig, dass er sinnlos einen Rennwagen kauft. Asterix 2017 meiert ihn humorlos ab, er sei „nun mal Hinkelsteinlieferant“, und ist im Rennen plötzlich total sieggeil. Sein Einfallsreichtum besteht im Beobachten von Verdächtigem, penetrant wie Detektiv Micky Maus in den Lustigen Taschenbüchern. Asterix, der noch in Band XVIII ein doppelbödiges Plädoyer für die eigene Hinrichtung hielt, schwallt jetzt platt wie ein IOK-Funktionär: „Vergesst nie: Wir sind Konkurrenten, keine Feinde. Unser Ziel ist dasselbe: Cäsar und seinen Favoriten zu schlagen.“ Einen dieser Nichtfeinde hat er übrigens in Bild zuvor komplett grundlos verprügelt – eine Premiere nach 58 Jahren. Spätestens auf Seite 21 haben wir also auch beide Hauptdarsteller an die Wand gefahren. Respekt.
Punkt 3: Die Philosophie
Hat Asterix eine Philosophie? Aber sicher: Ähnlich wie in „Futurama“ geht es darum, dass die Menschen und ihre Probleme immer gleich bleiben. Es gibt immer Bürokraten (Römer), Vorgesetzte, es gibt immer die Zivilisation mit ihren Regeln und den Wunsch, sich zu widersetzen, den die Gallier ausleben dürfen. Wenn Asterix im Legionshauptquartier (Band X) auf der Suche nach einer Auskunft der Kragen platzt, fühlen wir bis heute mit. „Asterix in Italien“ hat davon Null. Und schreddert nebenher munter weiter das Personal: Methusalix, zeitloses Symbol der zeternden Generation aus dem letzten Krieg, hat 2017 erst Angst vorm Zahnarzt (der ist vierschrötig, Arme wie Taue, zwei Rohrzangen in der Hand, wie eben Zahnärzte so sind), hinterher ist er auf einmal notgeil und will „was aufreißen“. Methusalix hat man mal um Rat gefragt. Heute ist er eine Witzfigur, Kategorie „Paukerfilm“.
Punkt 4: Der Gegenspieler
Wir erinnern uns an den karrieresüchtigen Architekten aus der Trabantenstadt? Den Hassmotor Tullius Destructivus? Den Seher? Und natürlich Julius Cäsar, der kompetente Feldherr, der skrupellose Politiker, der mit mühsam gewahrter Haltung gewinnen und verlieren konnte? Das war einmal. Der Gegenspieler 2017 ist erst der römische Wagenlenker, dann der sinnlose Senator, und dann ein Cäsar, der lässig über ein Terrassengeländer springt wie Terence Hill aus dem Sattel, der dauernd droht und unablässig brüllt, weil sich bis zu Ferri/Conrad noch nicht herumgesprochen hat, dass Gebrüll weder souverän noch gefährlich wirkt, sondern nur überfordert. Angesichts dieser Resterampe wirkt sogar der Berlusconi-Lookalike bedrohlich: prompt liefert er auf seinen fünf Panels geradezu lebensbedrohliche Langweile.
Punkt 5: Der Humor
Ganz schweres Kapitel. Ganz schwere Bürde: Denn Goscinny/Uderzo gelangen mit verblüffender Leichtigkeit sensationelle Szenen. Unscheinbar eingeleitet, raffiniert aufgebaut. Slapstick, Wortwitz, Running Gags, perfektes Timing, Missverständnisse (“Darf ich liebenswürdig zu ihm sein, Asterix?”), und das praktisch nie einfach so, sondern immer im Dienst der Handlung. Dieses nahezu perfekte Vorbild könnte für Ferri/Conrad sehr belastend sein. Aber entweder haben sie’s nicht verstanden oder es ist ihnen einfach scheißwurscht. Wo ein Witz gebraucht wird, lassen sie ihn fallen wie einen Pferdeapfel: Parmaschinken isst man in Scheiben – Obelix isst ihn im Stück: Wirt glotzt dumm. Obelix sagt „Bleib ruhig, Asterix“ – und rastet aus, weil er ein gebratenes Wildschwein sieht. Bild 1: Vorbereitung, Bild 2: Pointe, Zack, Bumm, so scherzt man von der Hand in den Mund, weil der Vorrat so klein ist.
Punkt 6: Die Zeichnungen
Uderzos Zeichnungen hatten immer etwas Wertiges, etwas ungeheuer Plastisches. Das lag am Detail und an der Überfülle von Ideen: An den (verbeulten!) Rüstungen der Legionäre, dem Fett auf den Wildschweinen, den riesigen Wäldern, wechselnden Einstellungen, Tageszeiten. Conrad hat all das kräftig reduziert: Wo Uderzo einen Strich mehr machte, macht Conrad zwei weniger. Das ist noch zu verschmerzen, leider spart er auch bei den Ideen. Wenn eine Geschichte viele Rennwagen zeigt, ist es dann zuviel verlangt, die Wagen wenigstens einmal von einer anderen Seite zu zeigen als von vorne links? Für Menschenmengen hatte Uderzo Hunderte Gesichter, Conrad liefert Standardvisagen, Hintergründe enden bei ihm gerne beim nächsten Busch. Hund Idefix, der bei Uderzo zu jeder Szene von Asterix und Obelix eine eigene Reaktion zeigt, verkommt völlig und wird seitenlang vorne in Obelix‘ Hose gestopft wie ein lästiges Einstecktuch. Doppelt schlimm: Es fehlt auch der Sinn für Choreographie. Uderzo hat gezeigt, wie man eine Rauferei inszenieren kann. Dass man – ähnlich wie bei der Geschichte – wissen muss, wer wann in welcher Reihenfolge wen schlägt, wer wo steht und warum. Auf Seite 32 zeigt Didier Conrad seine Sichtweise: Man malt so lange, bis alle Ecken schön voll sind. Warum eine zaubertranklose Amazone plötzlich Legionäre verkloppen kann? Egal. Aber da könnte man sich ja über Vieles aufregen: Asterix, den früher beim Zaubertranktrinken die Energie hochfedern ließ, sieht jetzt aus, als würde er beim Trinken auf Zehenspitzen die Luft anhalten. Ach, ach, man mag eigentlich gar nicht mehr hinsehen.
Und jetzt?
Tja. Das ist eigentlich kein Asterix-Band, das ist die Mumie eines Asterix-Bands. Ein Fake Asterix, der einen noch sehnsüchtiger nach einem guten, schönen wahren Asterix zurücklässt. Der die Frage aufwirft, wie sinnvoll dieser Weg des lustlosen Aufwärmens ist und ob man nicht mit einem komplett anderen Weg dem Original wieder näher käme: Wie es Frank Miller vor über 30 Jahren mit Batman gemacht hat. Oder vor kurzem Lewis Trondheim mit Micky Maus.
Jean-Yves Ferri (Text), Didier Conrad (Zeichnungen), Asterix 37: Asterix in Italien, Egmont Ehapa Verlag
Erstmals erschienen bei SPIEGEL Online am 19.10.2017.
Ist Donald Trump mit Satire beizukommen? Zwei Comic-Bände nehmen den Kampf auf - das Resultat ist zwar unterhaltsam, doch leider auch ernüchternd
Gern wird ja darüber diskutiert, was Satire darf. Wesentlich sinnvoller könnte jedoch die Antwort auf die Frage sein, was Satire überhaupt kann, also: bewirken kann, und ob angesichts dessen die Diskussion über ihre Befugnisse überhaupt den Aufwand wert sind. Zum Beispiel: Trump.
Zwei Beispiele sind jetzt im Comic-Bereich auf dem Markt, beide auf ihre Weise renommiert, sie geben unterschiedliche Antworten, aber richtig Zuversicht können sie alle beide nicht verbreiten, leider.
Das erste Beispiel ist eine schöne Gelegenheit wieder mal bei einem alten Bekannten vorbeizugucken: MAD hat ein Trump-Special herausgegeben, inklusive Minicartoons am Seitenrand, „nur noch“-Preis und Faltblatt ganz hinten. Trump ist eine umfangreiche Aufgabe, und gerade für MAD eine harte Nuss.
MAD-Leser sind keine News-Junkies
MAD hat ein junges Publikum, die Standardzielscheiben sind neben Popstars und Konsumwelt vor allem Eltern und Lehrer, Politiker sind es allenfalls als Eltern-Lehrer-Verlängerung. Helmut Kohl etwa war in diesem Raster der alte Doofe, Strauß der alte Nazi und Schmidt der alte Spießer.
Da liegt denn auch die Haupthürde für MAD: Mehr aus Trump zu machen als 50 Seiten Donald-ist-doof – für Leser, bei denen man ein breites Wissen aus dem US-Politikbetrieb nicht voraussetzen kann. Das gelingt gelegentlich gut, wie auf drei Seiten Bibelzitate vs. Trumpzitate: Da entlarvt ein ziemlich anständiges altes Buch einen abgrundtief unanständigen Menschen. Oder wie Trump sämtliche vier Präsidentenköpfe des Mount Rushmore gegen vier Versionen seinen eigenen austauscht.
Peinlicher Rundumschlag
Meist geht’s allerdings in die Hose: Trump steht zwar als Rüpel da, der jedoch – was besonders kontraproduktiv ist – gerade dadurch Erfolg hat. Besonders ärgerlich: ein deutscher Beitrag, bei dem Medien, Trump, AfD, CSU und SPD letztlich alle gleich unzumutbar wirken. Genau dieser Anstrich der Normalität (und damit seriöser Wählbarkeit) würde Trump, AfD & Co. so passen.
Umgekehrt fehlen viele ergiebige Ansatzpunkte: Die kurzsichtige Gefälligkeitspolitik. Die rüssellangen Krawatten. Die Umweltpolitik, die zu Industrieprodukten führt, die international noch weniger gefragt sind. Die Idee, reaktionäre Trump-Wähler mit freiwerdenden Immigranten-Jobs zu beglücken: als Bulettenbrater (ächz), Erntehelfer (stöhn) und Tellerwäscher (kotz). Chance verpasst, könnte man sagen – wenn sicher wäre, ob es die Chance je gab. Denn das passiert auch den Polit-Profis.
Eine Präsident gewordene Dreckschleuder
Der zweite Satire-Band vom Splitter-Verlag, er heißt „Trump!“ Er beinhaltet sämtliche Strips, die der vielfach preisgekrönte Cartoonist Garry Trudeau in seiner Serie „Doonesbury“ über Donald Trump gezeichnet hat. Und das sind bestürzend viele.
„Doonesbury“ erscheint seit 1970 täglich in zahlreichen US-Tageszeitungen, auch in der Washington Post. Vier Panels, als fortlaufende Erzählung, mit einer aberwitzigen Vielzahl unterschiedlicher Charaktere. Das erste Mal taucht Trump im Strip des Pulitzer-Preisträgers 1987 auf. Und tatsächlich ist schon damals der komplette Irrsinn dieser Präsident gewordenen Dreckschleuder vorhanden.
Skandale sind sein Standard
Es beginnt mit Trumps Manie, Reichtum vorzuzeigen, was daran liegt, dass er „gut“ und „teuer“ gleichsetzt. Schon 1988 lässt Trump Wohnungen zwangsräumen, bedient sich schmierigster Charaktere, verachtet Menschen ohne Geld und Macht. Der Band lässt 30 Jahre Trump im Zeitraffer aufblitzen, seine Pleiten, seine vorgebliche Universität, seine schaufensterpuppenartigen Vorzeigefrauen vom Typ „vergoldeter Wasserhahn mit Brüsten“. Wer Doonesbury verfolgt hat, kann von dem Wahlkampfskandal unter vielen („Grab them by the pussy“) nicht überrascht gewesen sein, es ist alles da, wirklich alles.
Trudeau hat sein Bestes getan um Trump als das zu präsentieren, was er ist, inklusive des bizarren Konstrukts, mit dem er vollen Haarwuchs nachzuweisen versucht, weil ihm volles Haar wichtiger ist als die Fähigkeit zu einer Gesundheitsreform. Trudeau hat es versucht, indem er Trump zitierte und dabei wenig bis nicht übertrieb. Trumps winziger Wortschatz, die Wiederholungen von „sehr“, „großartig“, „unglaublich“, man mag es einfach nicht fassen, wie lange ausgerechnet dieser Körperklops und Mentalfladen schon Gegenspieler und ganz normale Menschen diskreditiert, indem er behauptet, sie würden schwitzen, stinken, wären krank oder zu dick.
Die Tweets enthüllen nichts
Geholfen hat es nicht. Cross-Cult wird Ende August sein Glück mit gesammelten Original-Tweets versuchen, tapfer angereichert um Cartoons, aber es gibt einfach nichts zu entdecken. Dieser Mann, der sich bei nüchterner Betrachtung zu nichts weiter eignet als zum Geteert-und-gefedert-werden, ist heute US-Präsident. Und er ist noch nicht mal das Hauptproblem: In den USA (und offenbar auch in Polen, Ungarn oder der Türkei) gibt es inzwischen eine mehrheitsfähige Wählerschaft für rücksichtsloses Gesindel.
Ob Satire dagegen die wirksamste Waffe ist, muss man angesichts der Bestandsaufnahme wohl anzweifeln. In letzter Zeit ertappe ich mich öfter beim Wunsch nach schlichten Signalen, sagen wir: Die Waltons haben Donald Trump zu Gast. Bis es Oma reicht: „Mr. Trump, bitte essen Sie jetzt auf und verlassen Sie unser Haus.“ Wer sich bis dahin über das Ausmaß der Katastrophe informieren möchte: beide Bände zeigen auf ihre Weise ein durchaus zutreffendes Bild davon.
MAD Trump Special, Panini Verlag, nur noch 3,99 Euro Garry Trudeau, Trump!, Splitter, 18,80 Euro Shannon Wheeler, Tump twittert, Cross-Cult, 15 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Neu übersetzt: Reprodukt legt Robert Crumbs „Fritz the Cat“ wieder auf. Ein Comeback des Katers, der Miezen schon 1965 behandelte wie Donald Trump heute
Was für eine willkommene Neuauflage: Reprodukt hat soeben „Fritz The Cat“ neu herausgebracht, vollständiger than ever, und im großformatigen Hardcover. Was eine sehr schöne Erleichterung darstellt: Die meines Wissens letzte, von der FAZ herausgegebene Sammlung deutscher Sprache ist nicht nur längst vergriffen, sondern im Taschenbuchformat erschienen: eine Menge Kleingags sind selbst mit Lesebrille nur noch winziges Gefutzel. Die Frage ist allerdings, ob es sich heute noch lohnt, über 50 Jahre nach der ersten Veröffentlichung. Die Antwort: Mehr denn je. Ende der 60er war Fritz ein Skandal. Heute ist er der Normalfall.
Klarer Blick, schmutzige Fantasie
Fritz The Cat ist das Geschöpf des Comiczeichners Robert Crumb, Jahrgang 1943, ein unscheinbarer Typ mit Brille, einem bestechend klaren Blick und erfrischend schmutzigen Fantasien. Indem er beides gekonnt vermischte, zeichnete sich Crumb seit den 60ern vom Insidertipp zum Weltruhm. Von all seinen Figuren ist dabei „Fritz The Cat“ zweifellos die vermarktbarste (und darum auch 1972 verfilmte) – nicht zuletzt, weil Fritz sich vorrangig auf Sex konzentriert, von Anfang an. Schon in seiner ersten Geschichte, in der er seine Mutter und seine kleine Schwester auf dem Land besucht.
Seinen Job hat er da hingeschmissen, es wird klar, dass er nur heimkommt, weil Mutti ihm gerührt was zu essen macht, kostenlos. Und als er sieht, dass seine Schwester ansehnlich gewachsen ist, wird klar, dass er ihr erst den großen Macker aus der Stadt vorspielen und sie dann vögeln wird. Nichtstun, schmarotzen, ficken – das ist das Prinzip Fritz: Aber diese erste Geschichte ist noch etwas zu bitter, weil die Mutter so nett ist und die eigene kleine Schwester –, also, das ist schon reichlich skrupellos. Richtig explosiv wird die Mischung erst, als Crumb diesen Fritz auf die linksliberale Szene einer fiktiven Großstadt der 60er loslässt.
Sagenhafte Phrasenschleuder
Fritz studiert jetzt, aber tatsächlich interessiert ihn nur, wo man Drogen herbekommt, wer ihm das nächste Bier bezahlt und mit wem er als nächstes poppt. Zu diesem Zweck hat sich die Katze zu einer sensationellen Phrasenschleuder gemausert, die alles von sich gibt, was man sagen muss, um in der Szene Erfolg zu haben: Mal der Revoluzzer, mal der Künstler/Dichter/Schriftsteller, mal der einfühlsame Frauenversteher. Was auch deshalb so lustig ist, weil seine Umgebung dasselbe macht.
Fritz beschwallt Schwallbacken, befaselt Faselfrauen, die ganze Szenerie ist so durchschaubar, dass man sich andauernd fragt, warum sich die Beteiligten nicht alle gegenseitig durchschauen? Schließlich ist Fritz alles andere als einfallsreich: Als einmal vier Miezen nacheinander in seiner Bude auftauchen, erzählt er ihnen ungerührt allen denselben Schmarrn.
Man muss jedoch sagen: Fritz ist nicht nur Schmarotzer, er verbindet das Schnorren mit ausufernder Selbstdarstellung. Er will bewundert werden und die geilste Zeit haben. Tatsächlich erinnert Fritz daher auch gelegentlich an niemand geringeren als den frühen Andreas Baader, der die Studentenbewegung als Star-Vehikel kaperte.
Lebensziel: Auto kaufen, Gas geben
In einer Szene etwa entfesselt Fritz aus dem Moment heraus einen Schwarzen-Aufstand, grinsend. Die Schwarzen interessieren ihn keinen Pfifferling, was ihm stattdessen wichtig ist, erzählt er kurz darauf seinem Kumpel: „Ich will endlich wieder leben und lieben, alter Junge. Ich bin grad dabei, mir ein Auto zu besorgen… dann tret ich das Gaspedal voll durch und verschwinde in ’ner Riesenstaubwolke.“
Während Fritz’ Freunde wissen, dass man notfalls eben doch ab und zu lernen oder arbeiten muss, glaubt Fritz hingebungsvoll seinen eigenen Unfug. Er glaubt, dass „Nichtstun“ und „Freiheit“ dasselbe sind. Dass ein Künstler nicht jemand ist, der Kunst fabriziert, sondern jemand, der für einen Künstler gehalten wird. Das Amüsante war damals, zu Fritz' Entstehungszeit, dass der Leser zwar wusste, dass es diese Überschneidungen tatsächlich gibt, aber dass sich ein normaler Mensch ihrer nie so rücksichtslos und dummdreist bedienen würde wie Fritz. Heute ist das anders. Das Fritztum hat sich ausgebreitet.
Das Fritztum hat sich ausgebreitet
Tatsächlich ist der Alltag längst voll mit solchen Hülsen-Früchtchen. Youtube beheimatet zu Dutzenden und Hunderten Blogger, die zu den Nachrichten aus Zeitungen und Fernsehen ihren Senf geben und sich deshalb für Journalisten halten – und für Journalisten gehalten werden. Wir haben Castingprodukte, die sich für Musiker halten – und als solche gelten. Online-Stars, die ihr Leben längst zur Dauerwerbesendung umgestaltet haben – und Hunderttausende Zuschauer, die glauben wollen, sie bekämen dort Tipps von Freunden.
Und man kann darüber streiten, was für die jeweilige Umgebung gefährlicher ist: Fritz, der seine Uni-Notizen verbrennt und dabei das komplette Mietshaus abfackelt, oder seine real existierenden Epigonen, die in einer Flut der Selbstdarstellungen den Schwachsinn so gründlich normalisieren, bis so etwas wie Donald Trump Präsident werden kann.
Die Pose ist alles, der Inhalt ist nichts. Heute, nach über 50 Jahren, hat „Fritz the Cat“, das Original, tatsächlich eher entspannende Wirkung: Hier ist wenigstens nach dem Sex kurz Ruhe.
Robert Crumb, Fritz the Cat, Reprodukt, 29 Euro
Dieser Text erschien zuerst bei SPIEGEL Online.