- 8. Apr. 2019
Mit dem Jammern fängt es an: Riad Sattoufs vierter Band des „Arabers von morgen“ erzählt – einseitig und doch universell – die Geschichte einer alltäglichen Radikalisierung

Ist das jetzt rassistisch? Es ist jedenfalls lange her, dass ich einen unsympathischeren Moslem in einem Buch oder Comic entdeckt habe. Und das ist kein Zufall, denn dieser Moslem ist nicht nur deshalb Moslem, weil irgendein Drehbuchautor fand, dass die Rolle noch Fleisch braucht: Bei Abdel hängen die negativen Eigenschaften und seine Herkunft, sogar sein Glaube unmittelbar zusammen. Abdel ist einer der Hauptcharaktere aus dem exzellenten vierten Teil der Serie „Der Araber von morgen“.
Große Träume auf kleiner Grundlage
Riad Sattouf zeichnet darin seine eigene Kindheit zwischen den Welten, zwischen Frankreich und verschiedenen arabischen Kulturen. Abdel ist sein Vater. Man hat schon in den ersten drei Bänden eine gewisse Distanz Sattoufs zu ihm vermuten können, aber so heftig wie jetzt war das noch nicht. Zur Erinnerung: Abdel, ein Syrer, studiert in Frankreich, lernt dort Riads bretonische Mutter kennen und zieht nach dem Doktortitel mit seiner Familie erst nach Libyen, dann nach Syrien, um als Dozent zu arbeiten. Denn Abdel hängt nicht nur an seiner Familie, er träumt auch von einer Zukunft für die islamische, die arabische Welt, er möchte diese Zukunft seiner Heimat mit aufbauen.
Leider ist diese Heimat nicht sehr aufbaufähig. Der kleine Riad beobachtet in den ersten Bänden immer wieder, dass große Teile der Gesellschaft archaisch geprägt sind, grade auf dem Land. Abdel müsste sich gegen die Traditionen stellen, aber so modern ist er eben doch nicht. Er will Karriere machen, aber Ziel dieser Karriere ist ein „Palast“ und Anerkennung als großer Wissenschaftler – innerhalb der kaum belesenen Dorfgemeinschaft. Dass Abdel diesen unauflösbaren Widerspruch nicht zu erkennen vermag, ist die Wurzel einer Menge Konflikte. Doch während das in den ersten Bänden noch naiv, skurril oder idealistisch wirken konnte, schildert Sattouf seinen Vater jetzt als unsympathisch, reaktionär, inkompetent und sogar verschlagen.
Reichtum in der Billigvariante
Irritierend dabei ist, dass all das in Sattoufs freundlichem, niedlich-kindlichem Zeichenstil erzählt wird. Riad ist jetzt zwölf, es kommt ihm komisch vor mit seinen Spielsachen zu spielen. Mädchen sind auf einmal nicht mehr nur Mädchen. Außerdem sieht er seinen Vater inzwischen seltener: Die Familie lebt in Frankreich, Abdel doziert in Saudi-Arabien und kommt nur in den Ferien. Er versucht, die Familie nachzuholen, aber seine Frau will nicht. Abdel schwärmt vom Reichtum Arabiens, erzählt von seiner märchenhaften Karriere. Aber die Realität sieht so aus, dass die Ferien im heruntergekommenen Haus im syrischen Dorf verlebt werden müssen, und dass die goldene, diamantenbesetzte Uhr, die ihm die Scheichs aus Respekt geschenkt haben, sich beim Juwelier als preiswerte glasbesetzte Silbervariante entpuppt. Den Aufenthalt in Saudi-Arabien hat er für eine Wallfahrt nach Mekka genutzt – was ihm fatalerweise im Heimatdorf mehr Anerkennung einbringt als jegliche Bildung. Abdel genießt das und inszeniert sich jetzt mehr als Glaubensexperte. Das wiederum entfremdet ihn dem westlichen Teil seiner Familie.
Abdels Französisch wird schlechter, dafür wettert er gegen Juden im Fernsehen, die ständige Benachteiligung der Araber. Saddam Hussein erlebt er als starken Mann, der endlich alle Ungerechtigkeiten geraderückt, sich Kuwait zurückholt und durch weitere westliche Ungerechtigkeiten aufgehalten wird. Obendrein hat ihn sein Spott über die US-freundlichen Saudis den Job gekostet. Abdel sitzt jetzt also zuhause und hat nichts zu tun. Weil Riad mit Mädchen und Pickeln kämpft, in Frankreich von den Mitschülern nicht für schwul gehalten werden will und in Syrien von den Araberkindern nicht für einen Juden, bekommt er genau so wenig mit wie der Leser, dass sich Abdel radikalisiert.
Peinliche Parallelen
Es ist nicht ganz unverständlich, dass in gewöhnlich rechts unterrichteten Kreisen beim „Araber von morgen“ mitunter die Korken knallen. Nach dem Motto: So isser, der Araber, und da haben wir’s mal aus erster Hand, denn der Sattouf, der muss es wissen, ist ja alles autobiographisch. Man muss sich allerdings das rechte Auge schon mit zwei Händen zuhalten, um peinliche Parallelen zu übersehen: die Denkmuster sind erstaunlich ähnlich.
Es sind immer die anderen, die schuld sind. Juden. Amerikaner. Liberale. Die EU. Frauen. Neumodische Geschlechter mit ihrem Extraklo. Brillant beobachtet ist Abdels wiederholtes, gebetsartiges Aufzählen aller Ungerechtigkeiten, es hat deutlich auch etwas Wohliges, Tröstliches, dieses Frei- und Lossprechen von aller Schuld und Verantwortung für die eigene Situation. Das ist es, was den Vorgang so attraktiv macht, nicht nur für Abdel. Denn genau dieses Modell, dieses berechnende und wehleidige Suhlen in der Opferhaltung, all das offerieren – mit anderen Schuldigen – Heulsusen-Vereine wie Fidesz, IS, FPÖ oder AfD. Doch nicht nur Abdels überraschendes Finale zeigt, dass es sich hier allenfalls anfangs bloß um Sprüche und gedankenlose Rituale handelt: Die Betonung der Opferrolle ist stets Vorprogramm für das, was sich anders nicht rechtfertigen lässt, sie dient dem konstanten Abbau der Hemmschwellen, gerade bei professionellen Vorjammer-Lappen wie Orban, Salvini, Strache, Höcke. Ob Christchurch oder Berliner Weihnachtsmarkt, die mentale Munition ist stets die gleiche. Was den „Araber von morgen“ so unterhaltsam und elegant einleuchtend macht: Riad Sattouf weiß, dass es genügt, diesen Mechanismus einseitig zu schildern, um universell zu wirken.
Riad Sattouf, Der Araber von morgen, Penguin, Bd. 4, 26 Euro.
Erstmals erschienen 2019 bei Spiegel Online .
- 21. Feb. 2019
Gute Nachrichten für „Babylon Berlin“-Fans: Jason Lutes' Mega-Epos „Berlin“ ist dem Serienhit mehr als ebenbürtig – wenn man auf die Krimizutaten verzichten kann

Bis zur dritten Staffel „Babylon Berlin“ ist’s ja noch lange hin: Mai 2019 soll sie abgedreht sein. Was soll man da machen, in der Zwischenzeit? Zu Weihnachten habe ich noch „Berlin 1931“ empfohlen, was zugegebenerweise nicht ganz dieselbe Kerbe trifft. Aber jetzt ist mir was in die Hände gefallen, also – ich bin ganz baff: Es heißt, noch kürzer: „Berlin“. Und ist fast stärker als die TV-Serie. Dabei mag ich nicht mal den Stil.
Atmosphäre schlägt Action
Autor Jason Lutes zeichnet schwarz-weiß, sehr ligne claire, man denkt an Charles Burns, und das hat dann gerade in den Bewegungen immer auch was Hölzernes. Wenn man beispielsweise in „Der nasse Fisch“ reinguckt, Arne Jyschs Comic-Version von Volker Kutschers Bestseller, dann findet man dort ruckzuck die eleganteren Action-Szenen, die moderneren Bildaufteilungen. Bei Lutes hingegen stauben immer diese komischen Hergé-artigen, altbackenen Kringel hinter rennenden Personen oder fahrenden Autos her, mit denen ich mich noch nie anfreunden konnte. Schlechte Voraussetzungen also, und trotzdem hat mich Lutes überzeugt, mehr noch als der auch recht ordentliche Jysch. Warum?
Vielleicht, weil ich irgendwann gemerkt habe, dass ich den Gereon Rath eigentlich nicht brauche. Weil ich die erste Babylon-Staffel stärker fand als die zweite. Da wohnt Charlotte noch in erbärmlichsten Verhältnissen, arbeitet tagsüber im Polizeidienst und schmuggelt sich abends in dieses erstaunliche Nachtleben, in dem alles, aber auch alles nicht nur möglich ist, sondern auch ausprobiert wird.
Die Freizügigkeit des Internets – aber analog
Man stelle sich vor: Die Freizügigkeit des Internets, aber analog – die Leute damals haben das wirklich gemacht, nicht nur angeklickt. Eine Stadt, über die eine zügellose Neuzeit hereinbricht, eine schwindelerregende Flut an Möglichkeiten, Millionen Menschen zwischen Herausforderung und Überforderung. Und genau das, diese schillernde, anziehend-abstoßende Charlotte-Welt schildert Jason Lutes, über 500 Seiten lang. Kein Wunder, dass er damit weit vor Volker Kutscher angefangen hat (Kutscher, der für die Gesamtausgabe ein bewunderndes Vorwort geschrieben hat, macht auch kein Geheimnis draus).

Seit 1996 hat Lutes das Epos heftchenweise herausgegeben. Seine Erzählung erstreckt sich über die Jahre von 1928 bis 1933, aber anders als Kutscher wählt er eine geradezu Lindenstraßen-artige Bandbreite von Personen. Sicher, er lässt am Anfang schnell die (rath-artig aus Köln kommende) Kunststudentin Marthe Müller dem Journalisten Kurt Severing begegnen. Aber er verlässt beide auch so immer wieder so leicht, dass man beide erst nach und nach als Hauptcharaktere identifiziert. In schneller Folge kommt die Proletarierfamilie von Gudrun und Otto hinzu, die jüdische Familie Schwartz, der Obdachlose Pavel, die Lesbe Anna, der alte Polizist Lemke und, und, und, ständig erweitert Lutes das Personal. Dennoch führt der Reigen nicht dazu, dass man den Faden verliert: Die Szenen funktionieren meist, ohne dass man die Protagonisten kennt, weshalb die Figuren wie beiläufig eingeführt werden können.
Man begegnet Wessel, Goebbels, dem Berliner Blutmai
Dazwischen gibt’s historische Begebenheiten (jawohl, auch hier den Berliner Blutmai) und Personen, Künstler und Politiker. Erfreulicherweise wirkt das nur selten so zwanghaft, als müsste Lutes alles und jedes mitnehmen. Im Gegenteil, normalerweise lässt Lutes das geschmeidig und elegant einfließen, wie bei dem heruntergekommenen Nazi, der seine Miete nicht zahlt. Die Vermieterin, selbst nicht gerade reich, lässt kommunistische Kontakte spielen, um die Miete einzutreiben – allerdings wird der Mann daraufhin erschossen. Später erlebt man Joseph Goebbels, der ein Begräbnis nutzt, um den Verstorbenen zum Märtyrer zu machen. Der Tote heißt Horst Wessel. Erst beim Googlen hab ich gemerkt: Wessel war eben jener erschossene Mietpreller.
Armut, Jazz, Hitler, von nichts rührt Lutes zu viel in seinen Bilderbogen, alles ist drin und vermischt sich in seinen Händen zu einer strudelartigen Komposition, in der die von ihrer Offenheit berauschte Gesellschaft allmählich im Chaos versinkt. Die Menschen wissen nicht, was sie zu verlieren haben, sie suchen die Sicherheit der Vergangenheit und wählen dafür die der Zukunft in den beiden Utopien, die damals noch nicht durch die Praxis widerlegt sind – Faschismus und Kommunismus.
Die Zermürbung der Vernunft
Wie die Vernunft zwischen diesen beiden Fronten zermürbt und zerrieben wird, chancenlos und ohne Rückhalt in Staat und Gesellschaft, kann und konnte man schon oft lesen – aber Jason Lutes macht es spürbar. Verblüffend ist, wie europäisch das Werk des Amerikaners geraten ist. Lutes erzählt geduldig, dabei rauher, kantiger als man es vom US-Comic kennt. Das ist kein „Stauffenberg“ mit Tom Cruise, auch nicht wie „Schindler’s Liste“, die Mischung ist eher umgekehrt geworden, wie ein Western nach einem Hartwaschgang von Sergio Leone. Die deutsche Übersetzung hat dabei zum Original den zusätzlichen Vorteil, mit ihrem stellenweise eingefügten Berliner Dialekt noch authentischer, dabei aber weicher und derber zugleich wirken zu können.
Tja. Ich hab den kantigen Zwei-Kilo-Wälzer nicht an einem Tag geschafft, aber doch in dreien, er war so schwer aus der Hand zu legen wie eine Tüte Kartoffelchips. Wenn Sie’s nicht stört, dass Sie grob wissen wie die Geschichte ausgeht, wenn Sie die Kutscher’sche Krimi-Würzung nicht unbedingt benötigen – zugreifen!
Jason Lutes, Berlin, Carlsen, 45 Euro
Arne Jysch, Volker Kutscher, Der nasse Fisch, Carlsen, 20 Euro.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
- 9. Feb. 2019
Jacques Tardi beendet mit Teil 3 die Erinnerungen seines Vaters: Sie liefert neben Details aus einem vernachlässigten Kapitel des Krieges vor allem eine Erkenntnis

Ehrlich gesagt: Ich war zunächst etwas enttäuscht. Jacques Tardi hat jetzt seine „Stalag IIB“-Trilogie abgeschlossen, und ich hatte mir mehr versprochen. Da bin ich aber auch selbst schuld: Ich war so überrascht von den ersten beiden Bänden, weil ich mit Tardi nicht so recht warm werde.
Extrem unaufgeregt, wohltuend sachlich
Dabei ist seine Herangehensweise im Prinzip sehr sympathisch – dezent, unprätentiös, nüchtern, geradezu wohltuend sachlich. Farben sind Raritäten, meist zeichnet er auch noch in schwarz-weiß, die Figuren sind meist statisch und (bis auf die Hauptcharaktere) mitunter kaum zu unterscheiden. Deshalb gucke ich jedes Mal bei Tardi zuerst, als käme ich hungrig ins Lokal und es gibt nur noch Käsebrot.
Aber ich unterschätze ihn immer wieder. Tardi zeichnet vor allem: extrem unaufgeregt. Es ist kein Zufall, dass er dem tiefenentspannten, pfeiferauchenden Detektiv Nestor Burma den idealen Look verliehen hat. Die Geschichte von „Stalag IIB“ ist eine ähnlich gute Wahl.
Tardi schildert die Erinnerungen seines Vaters René aus dem zweiten Weltkrieg. Methodisch, noch nüchterner als sonst, jede Seite hat drei gleich große, seitenbreite Panels, macht sechs pro Doppelseite. Diese Erinnerungen sind auch deshalb ungewöhnlich, weil sie nicht erzählen, wie einer fünf Jahre lang durch den Dreck robbt. Sondern von einem, der nach dem ersten deutschen Blitzkrieg gefangengenommen wurde – und gefangen blieb.
Die ersehnte Flucht findet nie statt
Denn obwohl Tardi sich selbst als zuhörenden Buben dazu zeichnet, der alles kommentiert und stets auf Papas grandiose Flucht wartet, findet diese Flucht nie statt. Die wenigsten Menschen sind fliehende Helden, und Papa Tardi war offenbar ein normaler Mann.
Umso gründlicher schildert Tardi die Eintönigkeit der Gefangenschaft.
Das graue Lager, das Essenholen, den Hunger, das Auswiegen der Brotscheiben. Die bizarre Hierarchie der Kriegsgefangenschaft: Sie werden werden nur gut behandelt, damit ihre Heimatländer ihrerseits deutsche Kriegsgefangene gut behandeln. Entsprechend schlecht stehen die Franzosen da, die keine Deutschen mehr als Faustpfand halten und Milde nur im angloamerikanischen Windschatten erwarten können.
Wie Ohrfeigen aus dem Nichts
In absurd realistischen Details zeigt Tardi, wie daraufhin Menschen in solchen Zeiten ihre Macht ausleben: Wenn in der Poststelle des Stalag ein deutscher „Dreckskerl“ die Lebensmittelpakete prüft, „machte er sich einen Spaß daraus, alles zusammenzuschütten – Leberpastete, Marmelade, Margarine und Würste.“ Keine deutsche Exklusivität übrigens, mit Sieg und Macht kommt die Verrohung auf allen Seiten so sicher wie das Amen in der Kirche, und Tardi serviert sie immer wieder hart und schnell, wie Ohrfeigen aus dem Nichts.
Französische SS-Männer verteidigen Berlin
Die französische Perspektive macht das Projekt zusätzlich interessanter, denn in der vier Jahre dauernden deutschen Besetzung ist Frankreich ja nicht nur misshandelt worden, es hat sich auch vier Jahre lang arrangiert, teilweise sehr bereitwillig. Tatsächlich gibt es sogar eine französische SS-Division („Charlemagne“), und es sind irritierenderweise sogar eben diese SS-Franzosen, die bis in die letzten Kriegstage hinein Berlin (!) verteidigen.
Band 2 widmet sich der Heimreise ähnlich schonungslos: Die verbliebenen Bewacher werden aufgehängt, und die neuen Verhältnisse machen auch die Sieger nicht zu besseren Menschen. US-Truckfahrer, bei denen Vater Tardi mitfährt, brettern deutsche Fußgänger absichtlich um. René schildert es achselzuckend: Es ist Krieg, was habt ihr erwartet? Ritterlichkeit? Band 3 konzentriert sich nun auf die Nachkriegszeit, in der Vater Tardi als Besatzer in Deutschland arbeitete.
Häme von den Vätern – und den Deutschen
Gerade hier wird eine weitere Facette der französischen Kriegsverarbeitung deutlich: Die Deutschen verachten die französischen Besatzungstruppen als Besatzer, die das Besetzen nicht verdienen, die ohne die USA nichts geschafft hätten. Und sie ernten damit perfiderweise genau jene Häme, die sie zuhause von der Großvatergeneration bekommen.
Sie sind die Verlierer des Blitzkriegs, während ihre Väter auf ihren siegreichen Widerstand im Ersten Weltkrieg verweisen. Ziemlich viele eigene Kindheitserinnerungen sind Tardi da reingerutscht, man kann auch quengeln, dass er Platz mit historischen Daten füllt, die – wie die Atombombe von Hiroshima – hier nicht wirklich entscheidend sind. Dennoch ist das Projekt beispielhaft, aus einem weiteren Grund.
Tardi entdeckt immer wieder Widersprüche
Tardis Vater starb in den 1980ern. Dies ist auch ein Versuch, den eigenen Vater zu verstehen. Tardi rekonstruiert die Geschichte mit dessen Aufzeichnungen und stößt auf ein Problem: Immer wieder ergeben sich Widersprüche. Vieles ergibt plötzlich keinen Sinn mehr. Zeugen gibt es nicht mehr. Man hätte früher fragen müssen, mehr und öfter nachbohren, aber nachholen lässt es sich nicht mehr. Und wer jetzt meint, das wäre keine besondere Erkenntnis, dem sei versichert: Auch wenn es nicht um Kriegserinnerungen geht, wird der Tag kommen, an dem man sich vorwirft, man hätte nicht genug nachgefragt. Dagegen hilft nur eins: Losziehen und jedes Familienmitglied löchern, das älter ist als man selbst.
Ja, Sie sind gemeint!
Und keine Zurückhaltung bitte. Jede Frage, die Sie weglassen, werden Sie später bereuen.
Jacques Tardi, Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB, Edition Moderne, Band 1-3, je 32 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
