- 18. Jan. 2023
Enorm witzig, verblüffend einfühlsam: Josephine Marks Krankheits-Comic „Trip mit Tropf“ mischt extreme Härte mit extremer Niedlichkeit

Manche Comics sind so gut, dass man einfach sofort was dazu schreiben muss. Dieser Comic ist einer davon. Ich hab reingesehen, weil ich mal wieder was zum Thema Kindercomics machen will. Aber so lange kann Josephine Marks „Trip mit Tropf“ nicht warten. Und überhaupt: Wenn das ein Kindercomic ist, dann sind auch die „Peanuts“ Kinderkram…
Zwischen Krückenfuchs und Halswehhirsch
Wir befinden uns im Wald, in der Ambulanz für Tiere. Der Krückenfuchs kommt grade rein, der Halswehhirsch sitzt auf dem Wartebaumstamm, und die Maulwurfschwester sucht eine passende Vene für die Infusion des Kaninchens. All das ist so absurd wie niedlich, dass man’s sofort akzeptiert. Und noch was hilft ungemein: lakonische Dialoge. Sparsamst gefüllte Sprechblasen, die den darunter lauernden Humor so trocken machen wie einen Martini.
Dazu kommen ziemlich erwachsene Bitterstoffe. Am Tropf des Kaninchens hängen drei Infusionsbeutel, kein Schelm, wer Chemo dabei denkt. Kann das gut gehen? – und schon schmeißt der Wolf aus dem Nachbarabteil die Krankenschwester durchs Bild und näht sich supercool seine Schusswunde selber zu. Aber als er sich gerade ums leckere Kaninchen kümmern will, überfallen Jäger die Ambulanz.
Perfekt getimter Roadtrip
Wolf und Kaninchen fliehen, und weil eine Kugel vom Karnickel-Tropf abprallt und dem Wolf das Leben rettet, müssen beide zusammenbleiben, bis der Wolf seinerseits das Kaninchen gerettet hat. Indem er dafür sorgt, dass das Kaninchen nicht von Jägern erschossen wird. Und die ganzen mitgenommenen Medikamente ordnungsgemäß einnimmt.
Ein Roadtrip also. Gibt’s öfter. Was macht ihn so gut? Zum einen die geschickt kombinierten Charaktere. Das Kaninchen ist sanft, ängstlich, wehrlos. Der Wolf ist hart, rüde, reaktionsschnell. Aber er sorgt sich ums Kaninchen, und das macht ihn seltsam verletztlich. Zum anderen die Optik, der souverän leichte Umgang mit Farben und Licht: Egal, ob Herbstwald, Schneelandschaft, Nachtwanderung, man würde gern länger die Seiten anschauen – obwohl die rasante Geschichte mit den knappen Dialogen einen so verführerisch nach vorne zieht. Aber das Beste an „Trip mit Tropf“ ist das Timing.
Schlucken beim Lachen. Oder umgekehrt
Sagen wir, ein Kaninchen verheddert sich in den Schläuchen seines Tropfers. Wie lange soll der Wolf dabei genervt zusehen? Ein Bild? Zu kurz. Zwei Seiten? Zu lang. Mark entscheidet sich für vier Panels übereinander, aber alle seitenbreit – links der allmählich schäumende Wolf, rechts das Kaninchen-Knäuel. Bis er im letzten Bild endlich das Karnickel befreit. Und was sagt er dabei?
„Herrgott noch mal!“
Mehr nicht. Wozu auch? Da ist alles drin.
Oder: Nacht, Schneetreiben. Der Wolf kämpft sich mit dem Tropfer bergauf. Wie er schon fast rechts aus dem dritten Bild hinausverschwindet, taucht ganz links das Kaninchen auf. Man sieht kaum den Kopf. Wolf sieht zu, wie sich das Kaninchen hochkämpft. Im sechsten Bild kommt es noch nicht mal bis zur Bildmitte.
Wolf kehrt um. Trägt das Kaninchen.
Ganz schwer, da nicht zu schlucken.
Tragikomisch bis zum Anschlag
Mehrfach liest man, Josephine Mark hätte in „Trip mit Tropf“ ihre eigene Krebserkrankung verarbeitet. Wichtiger für den (zurecht mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichneten) Comic ist, dass sie dem inzwischen recht abgegriffenen Erzählstandard des unkonventionellen Kranken („Knocking on Heaven‘s Door“, „Der geilste Tag“) was Originelles und zugleich wesentlich Authentischeres entgegensetzt: die tapfer-bizarre Wehrlosigkeit und Leidensfähigkeit des Kaninchens, die sie mit dem schnoddrigen Wolf extrem komisch ausbalanciert. Und dass mit Josephine Mark endlich mal jemand nicht Tragödie und Komödie miteinander bis zur völligen Harmlosigkeit neutralisiert, sondern sie im Gegenteil bis zum Anschlag ausreizt. Im Wissen, dass man dem Kaninchen nur wünschen kann, dass es für immer bei dieser einen Chemo-Runde bleiben wird. Garantieren kann man's nicht.
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- 11. Dez. 2022
Ab hier testen Sie auf eigene Gefahr - heute: „King Of Spies “ und „Lucky Luke - Rantanplans Arche“
Lauwarme Fleischbrühe

Warum der neue „Lucky Luke“ nicht gut ist? Es hilft zu überlegen, was der Goscinny/Morris-Lucky Luke aus Band 101 gemacht hätte. In „Rantanplans Arche“ begegnet Luke dem Tierschützer Byrde . Früher hätte er Byrde für einen eigenwilligen Vogel gehalten, kurz begleitet und dafür gesorgt, dass er leben kann, wie er möchte. Luke hätte nicht Stellung bezogen, nur schmunzelnd den Schwächeren verteidigt, weil Morris und Goscinny wussten, dass sich der Leser seinen Teil denkt: War sicher nicht leicht, als 1866 der erste Tierschutzverein gegründet wurde – die waren ihrer Zeit halt voraus und ihr Trinkwasser noch nicht gülleverseucht.
Achdé und Jul genügt das aber nicht. Als erstes machen sie den Tierschützer auch noch zum Veganer, was ja nicht zwingend zusammengehört. Dann lassen sie ihn reich werden, Revolverhelden anheuern und eine vegane Ökodiktatur errichten, inklusive Todesstrafe bei Fleischkonsum. Wie bitte?!?!?
Lucky Luke rettet jetzt bedrohte Steaks
Sorry, aber selbst ich als Freund der fränkischen Bratwurst sehe, dass hier zwei Typen, die um ihr Steak zittern, den Comic-Cowboy benutzen, um Veganern mal eine einzuschenken. Beim Galgen bleibt's ja nicht: Tierschützer Byrde ist nicht nur der Strick egal, sondern auch dass die Gangster das Volk ausplündern. Seinen Irrweg erkennt er erst, als der Topschurke auf ein Tier schießt. So sind sie, die Tierschützer.
Diese Humorarbeit mit dem Holzhammer kommt allerdings nicht überraschend. Der Großteil der Pointen von Achdé/Jul ist entweder ungenau oder langsam. Dass sich Byrde etwa beim Teeren und Federn über die Hühnerfedern ärgert, kann sich jeder denken – dennoch zieht sich der Gag über vier Panels.
Eine Überraschung ist zu wenig
Kann freilich auch sein, dass Achdé/Jul das Ganze eher routiniert-gedankenlos abnudeln. Denn tatsächlich kriegt Byrde auch den einzigen überraschenden Satz des ganzen Albums. Als Lucky Luke bezweifelt, dass die Amerikaner „bereit sind, auf das Steak zu verzichten“, verweist Byrde auf die reale Entwicklung der Comicfigur: „Sie haben es doch auch geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören.“
Mehr hätte es nicht gebraucht.
Sparsame Ideen, unlogische Action

Ich bin Mark Millar ausgesprochen dankbar für „Kick Ass“, diese exzellente „Superheld-in-echt“-Studie. Aber so gut durchgereift sind seine Stories seither leider selten. So ist auch bei „König der Spione“ die Idee knalliger als das Ergebnis. Ein alternder Agent/Killer erfährt, dass er nur noch sechs Monate zu leben hat und beschließt, in diesem halben Jahr zur Wiedergutmachung endlich die umzubringen, die es verdienen. Naja, warum nicht?
Der erfahrene Spion, der alle Sicherheitsmaßnahmen aushebelt, das hat ja auch was. Alle wissen, wer dahintersteckt, aber keiner kann’s verhindern, weil er so viele Tricks im Ärmel hat. Was macht Millar? Schnitt zu: Killer ist drin, bringt Opfer um. Und wieder, und wieder. Tricks: Fehlanzeige. Hm.
Aber gut, vielleicht ging’s ihm um was anderes? Vielleicht sind die Opfer überraschend ausgewählt? Russische Milliardäre, ein anderer Killer, ein nichttrumpiger US-Präsident, der Papst. Gähn. Aber mit guter Action könnte man ja…
Der Papst kriegt einen Lynchtermin
Leider ist auch noch die Action stellenweise arg unlogisch. Ein Scharfschütze kann wie oft auf einmal schießen? Genau, und wieso sehen wir dann gleichzeitig zwei Kugeln in zwei Köpfe einschlagen? Unser Superspion springt von einem Hochhausdach, landet in einem (zufällig vorbeifahrenden!) Rettungswagen und hat keinen Kratzer? Zwei Männer kämpfen im freien Fall um einen Fallschirm, A gewinnt, indem er beim Fall auf einen (zufällig gerade vorbeifliegenden!) Hubschrauber den anderen im Rotor zerschreddert und selbst superheil durchkommt? Da hat doch einer bei der Suche nach besseren Lösungen sichtlich die Lust verloren, oder?
Den Papst schleppt der Killer in einen dunklen Wald, um ihn dort von allen Angehörigen missbrauchter Kinder lynchen zu lassen. Wo kriegt er die Angehörigen her? Telefoniert er die einzeln zusammen? Und die warten dann stundenlang im Wald und sind sowieso alle begeisterte Mörder? Himmelnocheins!
Pluspunkt: Sex im Alter
Auf der Habenseite verbuchen wir: Eine recht überraschende und gar nicht schlechte Sex-im-Alter-Szene, ein ungewöhnliches Killerpaar, das an Originalität gewinnt, wenn man „Mad Max 3“ nicht kennt, und Matteo Scaleras grundsolide Zeichnungen.
Das ist mehr als nichts, aber nicht genug. Leider.
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- 2. Dez. 2022
Aus „ordentlich“ wird „richtig gut“: Die erstaunliche Wandlung der 80er-Persiflage „Shooting Ramirez“

Die Werbung ist schuld. Komplett erlogen. Von hinten bis vorne kein wahres Wort. Aber sie blieb mir im Kopf – weil sie so gut war. Gefunden habe ich sie im ersten Band von „Shooting Ramirez“, einer Geschichte, die ich irgendwie okay fand und unterschätzt habe.
Sie wirkte wie eine gute Kopie von Robert Rodriguez‘ „El Mariachi/Desperado“: Ein Killer geht um, ein Musiker kommt in die Stadt – und wird mit dem Killer verwechselt. Nur, dass diesmal der Musiker ein stummer Staubsaugervertreter ist und die Handlung in den USA der 80er spielt. Naja. Und tatsächlich war die Story randvoll mit Klischees. Was nicht schlimm sein muss, aber das Problem war: Für eine Parodie war es nicht witzig genug, aber dennoch wurde so viel gealbert, dass man die Figuren nicht richtig ernst nahm. Aber man konnte dem Zeichner und Autor Nicolas Petrimaux einfach nicht böse sein. Weil so viel grandioser handwerklicher Krimskrams drinsteckte.
Die 80er: cleveres Requisit statt nur Verarsche
Erstens klappte die Zeitreise ausgezeichnet. Obwohl Petrimaux, Ende 1982 geboren, sich eigentlich nur gerade eben noch für das Spielzeug dieser Dekade interessiert haben kann. Aber er hat ein Auge für die Architektur, das Design, die Mode, dass jeder Filmausstatter neidisch werden könnte. Noch wichtiger: er liefert diese Details nicht nur ab nach dem Motto „Guck-mal-Schulterpolster-haha-80er“, sondern er bindet sie in einen rundum stimmigen 80er-Jahre Tagesablauf.

Zweitens geht Petrimaux wundervoll verschwenderisch mit Platz um. Eine meiner Lieblingsseiten ist ein doppelseitiges Splash zu Beginn: die Staubsaugerfirma von oben. Eine hässliche Firma, so stilvoll Ihre örtliche Geschäftsstelle der AOK, aber plattgedrückt, wir sind ja in Amerika, wo man Platz hat. Es ist ein heißer Sommermorgen, rund um die Firma sind weitere Firmen, genauso hässlich, in der staubdunstigen Ferne sind Palmen und breite Straßen und noch mehr hässliche Gebäude, soweit das Auge reicht. Das ist nicht schön, aber man kann dennoch kaum aufhören, das Auge auf dieser Doppelseite spazieren zu führen, weil alles so gut passt. Die Firma heißt - Achtung, kleines Wortspielchen - „Robotop“. Drittens aber imitiert Petrimaux Werbung. Und da tobt er sich richtig aus.
Kurios inszenierte Kugelmuffe
Schon für den Buchvorsatz, also gleich auf der Innenseite des Covers, erfindet er ein altes Staubsaugerhandbuch. Es gibt eine Geräte-Garantie, er zerlegt akribisch die Einzelteile und erklärt die Montage von Seitenklammern (h.) und Kugelmuffe (k.). Und ganz hinten im Buch gibt nicht dasselbe nochmal, sondern zwei weitere Seiten vom Handbuch. Im Band gibt’s ganzseitige Annonce für den „Harrison Splendid“ (standardmäßig mit Kassettendeck) oder Michael Jacksons Lederjacke, dazu eine Seite der fiktiven „Falcon Today“. All das sieht auf den ersten Blick völlig normal aus, nur wenn man sich durch den ganzen kleinen Text wühlt, findet man die kleinen Pointen und den grotesken Werbe-Unfug. Und deswegen hab ich den zweiten Band in die Finger genommen. Gottseidank!
Denn Petrimaux ist jetzt auch erzählerisch besser geworden. Er lässt seinen Protagonisten die Zeit, ziemlich normale Gespräche zu führen, damit man sie allmählich ins Herz schließt. So dass man jetzt in den spektakulären Actionsequenzen richtig mit ihnen fiebert. Dazu hat er die immer wieder wirkungsvolle Option entdeckt, einige dieser aufwändig nahegebrachten Figuren zu opfern.
Spott und Spannung arbeiten Hand in Hand
Spott und Spannung geraten sich nicht mehr in die Quere, die Einzelteile rasten ein und plötzlich funktioniert alles: Es gibt wunderbare Gegenschnitte, weniger Dialog und mehr Bild, mehr Werbung, ganze imitierte Klatschmagazin und endlich, endlich engagiert sich „Robotop“ ethisch und druckt den neuen Kundenkatalog „aus total verantwortungsvolle Weise in 12 Millionen Exemplaren“.
Was man natürlich nur erfährt, wenn man den ganzen kleingedruckten Wutzifutzikram liest.