- 26. Sept. 2024
Die Outtakes (19): Ein schlagkräftiger Nachfolger, ein geduldiger Gruselmanga und eine umständliche KI

Vererbter Job als Hauptfigur
Die Serie um den „Donjon“ hab ich schon mehrfach empfohlen: Sie ist witzig, ironisch, und das für Fantasy-Freunde und -Skeptiker zugleich. Außerdem lernt man immer neue Zeichner kennen. Trotzdem ist nicht jeder der bisher rund 60 Bände gleich gut. Ein prima Band funktioniert (für mich) auch ohne dass man die ganze lange Geschichte kennt (weshalb die Serie anfangs auch kreuz und quer durch die Erzählzeit springen konnte). Der neue Band „Programmänderung“ schafft das nicht. Ist auch schwer, weil der Band am bisherigen Ende des Zyklus spielt. Obendrein wird die Story durch einen Trugschluss geschwächt: Serienhauptfigur Herbert mochte man wegen seiner verschrobenen Schwächen, aber deswegen wird doch nicht gleich dessen Neffe, Sohn, Enkel oder sonstwas ebenfalls gleich als Hauptfigur interessant. So kann der Band trotz aufgeweckter, knallbunter Action leider die Erwartungen nicht recht erfüllen.
Lovekräftig

Also: Das hier mag garantiert jemand, nur ich bin’s leider nicht. Gou Tanabe macht derzeit aus dem Horror von H.P. Lovecraft sehenswerte Mangas – beispielsweise das hier abgebildete „Grauen von Dunwich“. Tanabe serviert das Ganze erfreulich düster und vor allem sehr, sehr geduldig, mit geschickten Verzögerungen und ausgesuchtem, aber nicht zu starkem Splattereinsatz. Ich habe allerdings leider oft ein Problem mit Lovecrafts Schwurbelhorror (auch wenn ich „Die Farbe aus dem All“ recht gut fand). Doch deshalb sollte man Tanabes atmosphärisch sehr passende Adaptionen hier keinesfalls unter den Tisch fallen lassen, gerade als Lovecraft-Fan. Ausprobieren!
Verpasste Vorteile

Ein ehrgeiziges Projekt, mit Tücken. IT-Unternehmer Laurent Daudet und Zeichner Appupen greifen das aktuelle Thema KI auf. Und weil Daudet aus der Branche kommt, stricken sie die einfachstmögliche Geschichte um sich selber: Ein junger KI-Unternehmer steht kurz vor der Übernahme durch einen der Big Player und diskutiert unter anderem mit einem Comic-Zeichner über die Zukunft. Ist KI gut oder schlecht, was kann schiefgehen, wer wird sie nutzen und wie? All das wird debattiert, die einzige Frage, die offenbleibt, ist: Warum als Comic? Denn die Vorteile des Mediums bleiben weitgehend ungenutzt, Appupen illustriert recht brav dem Text hinterher, und weil dieser auch die Richtung vorgibt, wird prompt sehr viel geredet und wenig gezeigt. Was dazu führt, dass man für diese Comicversion mehr Zeit braucht als für einen fundierten Essay desselben Inhalts. Aber, zugegeben: So gibt’s mehr Bilder.
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- 19. Sept. 2024
Zweimal werden wir noch wach, dann ist Gratis-Manga-Tach: 30 Titel gibt's am Samstag zu entdecken. Falsch machen geht nicht, trotzdem: fünf Tipps

Heute wieder: Comics umsonzt. Diesmal: Mangas. Und wo ist der Haken? Nirgends, denn anders als Google und Android, die fürs vorgeblich kostenlose Gucken Ihre Daten wollen, möchten die Manga-Verlage nur Ihre unbeobachtete Aufmerksamkeit. 30 Titel gibt es beim Gratis Manga Day am Samstag, 21. September, thematisch quer durch den Gemüsegarten. Nicht komplett, aber doch so viele Kapitel, dass man entspannt beurteilen kann, ob Weiterlesen lohnt. Und im Manga gilt ja eh mehr denn je: Geschmackssache. Weil von zuckrig bis zombig für jeden was dabei ist.
Wo’s die Titel in Ihrer Nähe gibt, finden Sie hier. Und wenn Sie Ihren Wunschmanga nicht kriegen, schauen Sie einfach in einen anderen. Denn gerade beim Manga kann jederzeit hinter einem trashigen Titel ein cleveres Konzept stecken – und umgekehrt.
Bauherrenmodell

„The Strange House” von Uketsu arbeitet zwar mit der Brechstange, die ist allerdings recht originell. Ein Mann will ein Haus kaufen und stößt beim Studieren des Grundrisses auf einen nicht zugänglichen Raum. Warum er dazu eine Okkultismusfachfrau befragen muss, weiß ich nicht, aber die wiederum fragt einen Architekten, und wie die beiden (zusammen mit dem miträtselnden Leser) nur anhand des Grundrisses auf seeehr Wunderliches stoßen, das ist ausgesprochen unterhaltsam. Und so einleuchtend illustriert wie man es in Kunst- und Architekturführern gerne öfter sähe.
Uketsu (Text), Kyo Ayano (Zeichnungen), Claudia Peter (Üs.), The Strange House, panini manga
Monströser Putztrupp

Tipp zwei ist thematisch eindeutig japanische Kernkompetenz – Monster. „Kaiju No. 8“ widmet sich dabei der Frage nach dem danach: Wenn man eines der „Kaiju“ genannten Ungetüme umgelegt hat, muss man ja die stadtteilgroßen Kadaver irgendwie loswerden. Kafka Hibino ist einer derjenigen, die sich dann darum kümmern müssen: Er wäre lieber Monsterjäger geworden, landete aber in der Putztruppe. Ergebnis: actiongeladene Monsterkämpfe, aber auch derbe „Iiih, Monsterkacke!“- und „Iih, Monsterhirn“-Gags. Naoya Matsumotos Gruselsplattercomedy ist ansehnlich, wenn auch reichlich over the top. Seltsamerweise kommt niemand auf die Idee, die gigantischen Fleischmengen einfach zu essen und so die Fischfang- oder Fleischindustrie zu entlasten (den Manga zum Thema Monsteressen finden Sie hier). Aber Monsterfleisch ist wahrscheinlich auch irgendwie „iiih!“
Brachial mit Bauchfett

„Sakamoto Days“ bietet Actioncomedy mit einem sehr soliden Action-Anteil, dafür Humor mit der Abrissbirne: Sakamoto war der beste Auftragskiller der Unterwelt, dann verliebte sich und wurde ein dicker Supermarktbesitzer. Tja. Das war’s. Das ist tatsächlich der gesamte Humoranteil: Der Killer ist dick und grauhaarig. Aber trotzdem noch gut. Was die Sache nicht lustiger macht, aber die Actionsequenzen sehr unterhaltsam.
Yuto Suzuki, Martin Gericke (Üs.) Sakamoto Days, Carlsen Manga
Unerhört

Achtung, Zuckerschock: Klavierschülerin Saki trifft in „Der Mond in einer Regennacht“ eine geheimnisvolle Fremde, die bald darauf neben ihr in der Klasse sitzt. Saki soll sich ein wenig ihrer annehmen, denn die Neue ist – hörbehindert! Tja: „Was für ein cooles Mädchen, aber … warum zieht sie sich so jungenhaft an und hat gleichzeitig so wunderschöne lange Haare?“ So brachial wird da herumgeseufzt, aber diesmal sag‘ ich okay, weil dafür recht sanft und sachkundig über Hörbehinderungen erzählt wird. Den Zuckeranteil hätte man trotzdem ruhig etwas reduzieren können…
Kuzushiro, Dorothea Überall (Üs.), Der Mond in einer Regennacht, Egmont Manga
Baby an Bord

Oh, eine kleine Perle: „My Girlfriend’s Child“. Sachi ist verträumt und mag ihre Katze, und sie ist mit dem sehr fürsorglichen Takara zusammen, und dann wird sie schwanger! Warum ist das ziemlich gut? Weil ganz wenig gesagt wird, viel gezeigt und der häufige Manga-Holzhammer in der Werkzeugkiste bleibt. Es wird über Sex und Kondome geredet, über Penisgrößen und Schwangerschaftstests, und all das könnte viel, viel schlimmer sein, ist aber sehr einfühlsam. Ein bisschen Dr. Sommer als Comic.
Mamoru Aoi, Nana Umino (Üs.), My Girlfriend’s Child, Carlsen Manga
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- 21. Juli 2024
Manu Larcenets Comicumsetzung des dystopischen Bestsellers „Die Straße“: erbarmungslos, verstörend und alptraumhaft gut

Ich habe die Hölle gesehen, und gezeichnet hat sie Manu Larcenet. Man kann es wirklich nicht anders nennen, obwohl „Die Straße“ (nach dem gleichnamigen Roman von Cormac McCarthy) natürlich auf furchtbare Art unterhaltsam ist. Aber man liest den Comic fassungslos, fühlt sich danach verstört, schockiert, auch deprimiert. Kann man sowas empfehlen?
Nein. Man muss.
„Resident Evil“, „Walking Dead“: alles Pipifax
Die Story ist denkbar einfach: Ein Vater wandert mit seinem Sohn durch eine zerstörte Welt, vermutlich in Amerika. Und „zerstört“ bedeutet in diesem Fall nicht die „Soylent Green“-Welt mit ihrem Rest an Zivilisation. Auch nicht die „Mad Max“-Welt mit ihrem noch kleineren, aber aufregend motorisierten Rest Zivilisation. Oder die attraktiv aufgemonsterte „Resident Evil“-Welt, nein, all das ist Pipifax.

Diese Welt ist unbewohnbar, es ist kalt und regnet Asche, und die „Walking Dead“-Gemeinde kann sich ihre Selbstversorger-Träume in die Haare schmieren: Hier wächst nichts mehr. Die Städte sind im Zustand von Deutschland ’45. Vater und Sohn wollen nach Süden, weil sie „noch einen Winter“ nicht überstehen werden und hoffen, im Süden sei es wohl wärmer. Und so ziehen sie los, in Lumpen gewickelt schieben sie irgendwas Einkaufswagenartiges durch den Schutt.
Das Essbarste: andere Leute
Welche Katastrophe das ausgelöst hat, ist so unklar wie der Zeitpunkt. Fest steht: Er muss einige Jahre zurückliegen. Denn es findet sich kaum noch Essbares, obwohl praktisch keine Menschen mehr unterwegs sind. Das Essbarste sind: andere Menschen. Und weil Vater und Sohn das nicht machen wollen, müssen sie von der Straße, sobald sie von ferne näherkommende Menschen sehen. Jeder Andere ist eine Bedrohung, selbst die Nicht-Kannibalen berauben sich gegenseitig – und es ist schwer zu sagen, was entsetzlicher ist: das komplette Fehlen von Mitgefühl oder das armselige Diebesgut in Form einer Lampe oder einer halbwegs wasserdichten Plane.

Action gibt es wenig. Womit auch? Vater und Sohn haben einen Revolver mit zwei Patronen, die Menschenfresser Messer, Latten, Keulen mit Nägeln, Schusswaffen sind rar (weshalb als Schauplatz die USA eigentlich ausscheiden). Konflikte löst man durch Verstecken und Davonlaufen. Der Gegner sind die anderen Menschen und die Welt, die so unbewohnbar ist, dass man die wenigen brauchbaren Verstecke schnell wieder verlassen muss, weil sie gerade wegen ihrer Brauchbarkeit binnen Kürze andere Menschen anziehen würden. Faustregel: „Man darf nicht an einem Ort bleiben.“
Beiläufiger Horror
Manu Larcenet, der schon „Brodecks Bericht" kongenial bebilderte, illustriert diesen hoffnungs- und ausweglosen Horror mit geschickter Beiläufigkeit. Die Spuren der Gewalt, des Todes, der wiederholten Plünderung bis zum letzten essbaren Krümel sind zwar allgegenwärtig, aber Larcenet erhöht ihre Wirkung mit einem simplen Trick: Er betont stattdessen die menschenfeindliche Umwelt, die ewige Dunkelheit und Kälte, bis das Auge selbst die abstoßendste Spur von Menschen beinahe erholsam findet. Farbe gibt es allenfalls in homöopathischen Dosen, und bei besonderen Anlässen: etwa einer Dose Cola.

Und dann, nach etwas über 150 entsetzlich guten Seiten? Man rätselt beeindruckt. Als feuchter Traum der Prepper-Szene taugt der Comic nicht, die angelegten Vorräte finden bestenfalls andere Überlebende und sind auch sonst viel zu attraktiv für tödliche Konkurrenz. Eine Öko-Mahnung? Weil der Mangel im Menschen nur das Schlimmste hervorbringt? Aber die Menschen reagieren ja schon jetzt heftig, wenn man nur ein Schnitzel weniger pro Woche andeutet. Und trotzdem: „Die Straße“ lässt einen unmöglich kalt. An der Lehre daraus knabbere ich selber noch:
Auf die Welt aufpassen?
Keine Leute töten?
Keine Leute essen?
Finden Sie's raus!