Lang nicht so gelacht: Blutchs bezaubernd brillante Episoden aus einem heranwachsenden Bubenkopf
In unlustigen Zeiten käme was zu lachen recht. Und mir ist tatsächlich was sehr Spaßiges in die Hände gefallen. Mit (zugegeben) Verspätung, aber was soll's: ein würdiger Nachfolger des „Kleinen Nick“. Nein, nicht Riad Sattoufs „Araber von morgen“, auch nicht „Esthers Tagebücher“. Sondern der 15 Jahre alte (aber noch lieferbare!) Band „Der kleine Christian“ eines Herrn namens Blutch.
Aus dem Donjon gebuddelt
Auf Blutch kam ich, weil ich locker den „Donjon“ verfolge. Jene Endlos-Fantasy-Parodie von Lewis Trondheim und Joann Sfar, die für alle empfehlenswert ist, die Fantasy nicht total ablehnen. Sie ist oft sehr gut und (noch wichtiger und schwieriger): praktisch nie schlecht. Sfar und Trondheim texten und lassen einen dritten Mann (bisher nur einmal eine Frau) zeichnen, weshalb man en passant eine Menge Zeichner mit ihren Stilen kennenlernt. Wie etwa in „Der Sohn der Drachenfrau“ jenen Blutch, der eigentlich Christian Hincker heißt.
Die Story erkundet die Kindheit eines „Donjon“-Hauptcharakters, sie ist niedlich, sentimental, absurd und auch sehr brutal. Und sie wirkt so gut, weil Blutch sie geradezu champagnertrocken zeichnet. Weshalb ich ihn sofort als einen guten Blain-Epigonen einsortierte, was aber nicht ganz stimmen kann: Blutch hat sich am Comicmarkt früher etabliert als Blain.
Burt Lancaster muss nicht ins Bett
Egal: Weil Blutchs Umsetzung so gut war, suchte ich mehr von ihm und fand „Der kleine Christian“. Ich habe tatsächlich lang nicht mehr mit einem Band so viel Spaß gehabt. Dabei ist das Erfolgsrezept denkbar einfach. Blutch erzählt Episoden seiner Kindheit in den 70/80ern. Klein-Christian sieht fern, liest Comics und misst sein Leben an dem seiner Helden. Was würde Farah Fawcett tun, wie würde Steve McQueen gehen, stehen und dreinsehen, und sitzen die Haare so wie die von Rahan, dem Sohn der Vorzeit? Was gezeichnet so aussieht: Christians Familie sitzt beim Abendessen, Mutti sagt zu Christian, er soll seinen Teller leer essen. Aber da sitzt nicht Christian, sondern John Philip Law in seiner Rolle als „Dr. Justice“. Banal, oder? Aber brüllkomisch, weil Blutch alles richtig macht.
Erstens nimmt er alles so todernst wie es nur Kinder können. Weshalb Dr. Justice den Weisheiten seines Kampfsport-Lehrers folgend glaubt, durch das Leeren des Tellers auch den späten Kriegsfilm im Fernsehen gucken zu dürfen. Klappt natürlich nicht. Zweitens überdreht Blutch den Einsatz seiner Filmstars und Helden nicht: Sie bekommen ihren Auftritt genau im richtigen Moment: Christian ist nur zwei Panels lang Burt Lancaster (s.o.), in denen er vor seinen Mitschülern behauptet, er dürfte abends ins Bett, wann er wolle und obendrein Filme ab 18 sehen. Und drittens hat Blutch auch sonst sein Handwerk im Griff: Etwa das schnelle Übersetzen einer Situation in eine absurd andere, weshalb beispielsweise die erste alleinige Flugreise zur Reise auf den Mars wird.
Demnächst: der Ritterschlag
Was letztlich dazu führt, dass ich sofort nach mehr von Blutch suchen muss. Gibt auf deutsch gar nicht mal so viel, aber im April wird’s vielversprechend: Blutch darf – wie zuvor schon Mawil und andere Stars – einen Lucky Luke Band gestalten. Gewissermaßen ein Ritterschlag. Ich freu mich drauf.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Doppelcheck: Der Erfolg des Fanlieblings und Artist's Artist Christophe Blain findet Nachahmer – was deren Comics leider nicht immer hilft
In letzter Zeit werde ich öfter ein bisschen enttäuscht, und ich habe das Gefühl, als wäre daran ein gewisser Christophe Blain schuld. Obwohl gerade dieser Blain selber meistens nichts dafür kann, sondern die Leute, die ihn imitieren. Und davon gibt es gerade ziemlich viele.
Flugwurst mit Zahnstochern
Christophe Blain ist einer der ziemlich Großen der letzten zehn, 15 Jahre. Seine Geschichten sind lakonisch und übertrieben zugleich, Parodie und Hommage in einem: Das Comicverführer-Logo auf diesem Blog ist von ihm. Das Pferd ist eindeutig „Pferd im Sprung“, aber eben auch „Flugwurst mit Zahnstochern“, und ungefähr so porträtiert Blain auch Menschen.
Das finde nicht nur ich prima, sondern auch noch eine Menge Zeichner. Weshalb Blains Stil immer mehr Nachahmer findet (kürzlich etwa schon Zanzim). Einer der ersten und besten, die mir damit auffielen, war Mikael Ross, vor allem mit seinem „Umfall“. Aber jüngst sind zwei dazugekommen, bei denen die Blain-Elemente eher hinderlich sind als hilfreich.
„Coming of H“: Blain als Bremsklotz
Kandidat Nummer 1: Hamed Eshrat mit seiner ausgesprochen unterhaltsamen Graphic Novel „Coming of H“. Eshrat erzählt seine eigene Geschichte, die einer iranischen Einwandererfamilie in Deutschland, seinen Kampf um Anerkennung, eine normale Jugend, erste Liebe, erste Drogen, erster Alkohol, erste Erfolge als Zeichner.
Das sind lauter Themen, die gleichzeitig normal und bedeutungsschwer sein können – was eigentlich fürs Blainen spricht: Denn das besteht darin, dass man lächerliche Momente sehr gewichtig betont. Und sehr bedeutende Momente verhunzt. Bei beidem zeigt man aber die handelnden Personen in tiefem, heiligen Ernst mit einer ausdruckslosen Mimik á la Buster Keaton – „deadpan“ lautet der Fachbegriff für diese Mimik einer Bratpfanne.
Die Mimik einer Bratpfanne
Eshrat gelingt das anfangs gut, aber allmählich weniger. Der Grund: Man muss zum Blainen mit diesen Momenten skrupellos umgehen. Blain fällt das leicht, weil er meist Erfundenes erzählt. Eshrats Leben ist aber nicht erfunden, und je länger er erzählt, desto mehr liegen ihm die Episoden sichtlich am Herzen. Für sehenswerte Bilder reicht das zwar immer noch, aber die Leichtigkeit des Anfangs gehen verloren. Jetzt wird der Blain-Stil zur Hürde.
Blainlos kann es leichter fallen, wie man bei Helena Baumeister sehen kann, die in „Oh, Cupid“ gerade eben Selbstironie, Autobiographisches, Schweres und Leichtes stimmiger unter einen Hut brachte – im eigenständigen Bleistiftstil. Aber erstens muss nicht immer alles klappen, zweitens hat „Coming of H“ trotzdem (zu Recht) eine Menge Lob eingesammelt, und drittens blaint Eshrat deutlich besser als Kandidat 2.
Blainen heißt: Kürzen, nicht dehnen
Der heißt Pierre-Henry Gomont und startet gerade die Serie „Die neuen Russen“. Wir sind in den 90ern. Der bedenkenlose Alleshändler Dimitri und sein Partner, der etwas sanftmütigere Ex-Künstler Slava, verhökern die Reste der Sowjetunion, indem sie leerstehende Partei-Immobilien plündern. Sie begegnen anderen Gangstern, enttäuschten Arbeitern, da steckt viel drin, das aber nicht konsequent rausgeholt wird.
Zwar ist die Story recht munter, zwar gelingen Gomont in seinem verschneiten Russland immer wieder sehr schöne Panels mit kräftigem Schwarz, entschlossenen Farben, gerne in stalinistisch-faschistischer Faszinationsarchitektur. Aber dann redet Gomont erst zu viel und dann zu wenig.
Zuviel, weil: „Deadpan“ bedeutet auch, dass man nicht alles zerquatscht – Pfannen reden nicht. Und zu wenig, wenn Gomont wieder einen typischen Blain-Gag überstrapaziert: Die Bildblase, die den Gedanken in ein Symbol übersetzt. Eshrat macht es einmal mustergültig vor, als sein Vater irritiert ein deutsches Kastenbrot heim bringt. Der fladenbrotverwöhnte Jung-Eshrat denkt: Ziegelsteine (s. Bild). Gut geblaint.
Gomont hingegen lässt Dimitri sich im Schnee verirren, und füllt nacheinander vier Blasen (s. Bild) mit „Steinschlag“-Verkehrsschild, „Einfahrt verboten“-Verkehrsschild, Wenden-Zeichen, Russischfluch. Das ist zu viel und wirkt auch noch zu schwach, weil alles zu nahe am eigentlichen Gedanken ist. Kann allerdings auch daran liegen, dass Gomont generell zu viel Platz hat: Es sind auch die 95 Seiten, die Pointen und Handlung langatmig machen.
Aber okay: „Die neuen Russen“ haben ihre Momente, Hamed Eshrat hat sie sowieso. Und soll man schimpfen, weil gute Leute sich an (bislang noch) besseren Leuten orientieren?
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Entdecken leicht gemacht: Ein neues Abenteuer des „Leutnant Blueberry“ ermöglicht den sanften Einstieg in die absurd-wunderbare Welt des Christophe Blain
Obacht! Das ist eine echte Gelegenheit! Eine Einstiegsdroge. In eine Sucht namens Christophe Blain. Denn es ist ja oft so, dass Süchte gar nicht so leicht fallen. Der erste Kaffee, die erste Zigarette, die erste Folge von Germany’s Next Topmodel. Auch Blain-Comics sind etwas gewöhnungsbedürftig. Diesmal aber nimmt Blain sich zurück, aus Respekt: Mit Joann Sfar liefert er eine Hommage an einen Klassiker, „Leutnant Blueberry“. Leidenschaftliche Blainer könnten das für zahm halten, aber für Neueinsteiger ist es eine echte Chance.
Das Erbe des Italo-Western
Die Serie „Blueberry“ war in den 60er/70er Jahren hochmodern, zeigte abgerissene, fragwürdige Helden, nutzte die neuen Elemente des Italo-Western. Sie verwöhnte optisch mit aufregenden Perspektiven, geschickten Schnitten, naturalistischen Zeichnungen. Und erzählerisch, etwa durch eine lustige Nebenfigur, den Säufer McClure, sozusagen Blueberrys Kapitän Haddock. Man kann das auch Pampering nennen – heute reagieren Fans oft allergisch darauf, wenn Kreative diese Vorzugsbehandlung durch neue Elemente beeinträchtigen. Blain und Sfar respektieren das in erstaunlichem Umfang.
Die Geschichte ist das Ironiefreiste, was ich von Sfar kenne: Ein Junge erzählt seinem Kumpel, dass seine Schwester auf ihn steht. Alle drei reiten in die Prärie, der Junge lässt beide allein, um versteckt zuzusehen, wie der Kumpel eine Ohrfeige kassiert. Der zieht frustriert ab, sieht in der Nähe zwei badende Apachinnen, will sie vergewaltigen, und als sie sich mit Messern wehren, rettet ihn die Schwester mit zwei gezielten Schüssen. Blueberry wird zufällig Zeuge. Ein Mord aus Geilheit und Blödheit, da bleibt auch für Sfar kaum noch Platz für Humor. Blain verkneift sich jede Karikatur, jede Parodie. Das ist die Einstiegsdroge.
Blain reduziert Girauds Vorlage geschickt: Landschaft, Charaktere, Action, alles ist da, aber wo Giraud kleinteilig wird, deutet Blain nur an oder arbeitet mit Freistellungen. Es ist ein bisschen wie Theater und Film: Wo Giraud die ganze Szene(rie) lieferte, nutzt Blain Close ups und sein Talent, mehrere Bewegungen und Abläufe in einem Moment zusammenzufassen. Wann springt man auf ein Pferd auf, wie zieht man einen Revolver beim Sich-Umdrehen, wie überschlägt sich ein getroffener Indianer samt Pferd, das ist alles ganz nah am Original und zugleich so typisch Blain, dass man wünscht, es gäbe mehr davon und mehr und noch mehr.
Gibt es.
Mit Blueberry beginnen – und dann ab zu Gus!
Zum Weiterentdecken Blains empfiehlt sich „Gus“, weil’s auch im Western spielt. Die schwarzhumorige Geschichte der drei Räuber Gus, Clem und Gratt ist optisch noch eingedampfter. Die Landschaft ist noch reduzierter, die Räuber sind liebevoll karikiert, und ihre Bewegungen zum Slapstick überdreht. Gerade im Vergleich mit „Blueberry“ fasziniert, wie Blain dieselben Beobachtungen absurd verdichtet, bis etwa galoppierende Pferde nur noch ganz präzise verwischte Formen sind. Erstaunlich ist, dass neben dem Witz auch noch Action und berührende Geschichten möglich sind: Wie Clem zwischen seiner Frau seiner vergötterten Tochter und seiner Affäre liebt und leidet, schildert Blain geradezu magisch ausbalanciert, das Ergebnis ist komisch und bewegend zugleich.
Wer nun genug vom Western hat: Es gibt fünf Bände „Isaak der Pirat“. Die Geschichte eines Malers, der zur See fährt und dort Piraten in die Hände fällt. Die mögen seine Bilder, bringen ihm dafür das Diebeshandwerk bei, es geht um Gold, Frauen, Abenteuer, die Dummheit junger Männer, alles eine Spur erwachsener als die „Gus“-Abenteuer, weil Blain seine Zutaten unendlich stufenlos regeln kann. Gerade in Liebesdingen: Die Reise dauert ja viel länger als erwartet, die daheimgebliebene Malersfrau verliebt sich neu, seine Flirts in der Fremde sind so aufregend wie ungeschickt, und alle diese Zerrissenheiten sind sehr traurig und doch sehr, sehr lustig. Und da geht noch mehr.
Filmreifer Abstecher in die Außenpolitik
Zusammen mit dem Diplomaten Antonin Baudry hat Blain den Alltag im französischen Außenministerium unter Dominique de Villepin zu der rasch verfilmten Hintergrundsatire „Quai d’Orsay“ verarbeitet: Eitelkeiten, Befindlichkeiten, ein wahnsinniger Chef, eine entnervte Bürokratie und natürlich eine kleine Liebesgeschichte an der Schwelle zum Irakkrieg. Zu realistisch? Okay: „Das Getriebe“ erzählt eine kafkaeske Geschichte über drei Matrosen an Bord eines gigantischen Schlachtschiffs. Und „Der Hop-Frog-Aufstand“ erzählt von einer bizarren Revolte der Alltagsgegenstände unter Führung einer Kaffeekanne. Natürlich haben Sfar und Lewis Trondheim auch Blain in ihren aberwitzigen „Donjon“-Fantasyzyklus eingebunden, vier Bände stammen von ihm. Und dann wäre noch der Ausflug ins alte Griechenland mit „Sokrates, dem Halbhund“, einen vierten „Gus“-Band könnte man dringend mal ins Deutsche übersetzen, und das Faszinierendste an dem ganzen Werk: Nichts, wirklich nichts davon ist schlechter als gut. Man muss nur noch reinfinden.
Etwa mit einer Einstiegsdroge namens „Blueberry“.
Christophe Blain, Joann Sfar, Sokrates der Halbhund, Reprodukt, Bd.1-3, je 12 Euro