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Action vom Körperklaus

Poetisch, brutal und boshaft brillant: Ein Band mit Kurzgeschichten des Franzosen Baru macht Lust auf das „Grand Theft Auto“ des Comics

BARU: ZERKNAUTSCHTE GESICHTER, REALISTISCHE TECHNIK Illustration: Baru/Reprodukt

Letztes Jahr hab ich seinen 70. Geburtstag verpennt, aber damals hab ich ihn ja auch noch nicht gekannt: Baru. Der Franzose hat gerade „Hier und dort“ rausgebracht, einen neuen Band mit Kurzgeschichten, er sei ein „Ausnahmekünstler“, steht hinten drauf. Und mir fiel dazu nichts Schlaueres ein als: „Wer?“ Also hab ich, weil um Weihnachten rum Zeit war, ein bisschen was von ihm nachgelesen, um herauszufinden, ob er wirklich so gut ist. Antwort: Ja, sogar noch besser – wenn man mit seiner Art klarkommt, Figuren zu zeichnen.


Nahe an der Karikatur


Das mögen ja viele Leser nicht so sehr, wenn es krakelig wird. Und Barus Protagonisten sind eigenwillig nahe an der Karikatur: Ungelenke Kinder mit spindeldürren Beinen, geltungsbedürftige junge Männer mit naiv-dummen Gesichtern, Rentner mit enormen Bäuchen, geschmackfrei aufgedonnerte Blondinen, eine interessante Sammlung von Körperkläusen und Körperclaudias tummelt sich da. Bei Baru gibt es eigentlich nur zwei Sorten Menschen: Solche, die versuchen, nach mehr auszusehen – und scheitern. Und solche, die den Versuch längst aufgegeben haben. Was zu seinen Geschichten passt.

Baru zeichnet nicht die Welt der Schönen und Reichen. Baru wühlt weiter unten in der Gesellschaft, bei den Arbeitslosen, den Alten, den Ausländern. Erstklassig ist hingegen, wie er diese schwer verkäuflichen Zutaten für exzellente Erzählungen nutzt.


Langsam köcheln – brutal explodieren


„Die Sputnik-Jahre“ etwa spielen in einem ärmlichen Industriestädtchen der Nachkriegszeit, Baru macht daraus ein anrührend-witziges „Fliegendes Klassenzimmer“. Der Schauplatz von „Elende Helden“ ist aussichtsloses Kaff, in dem nur noch Vergreiste und Vergessene leben. Als ein Kind verschwindet, wittern die Verlierer die Chance zum Heldentum – Baru lässt alles schön hochköcheln und dann so brutal wie grandios explodieren.


„Der Champion“ und „Wut im Bauch“ sind Aufsteiger- und Einwandererdramen, aber Baru erzählt sie aus dem Boxermilieu – schon hat dieselbe Story einen ganz anderen Wumms. Genau hier liegt der Unterschied, der Baru so empfehlenswert macht: Er würzt seine Geschichten aus dem Milieu mit Witz, Sex, Gewalt, das Ergebnis ist leicht konsumierbar und aussagekräftig zugleich, wie man es sonst nur von der Sitcom „Roseanne“ kennt oder von der boshaften Computerspielreihe „Grand Theft Auto“.


Baru beherrscht das Licht


GTA passt eigentlich sogar noch besser, weil Barus Optik vergleichbar verführerisch ist. Wenn man hinter seine verzerrten Menschen schaut, findet man plötzlich einen faszinierenden Fotorealismus. Sein bekanntestes Werk „Autoroute du soleil“ leitet er mit der mühsamen Sprengung eines alten Hochofens ein: Wie er das Stahlmonster auf einer Doppelseite mit viel Krawall umlegt, ist schlichtweg überwältigend. Der Rest der Graphic Novel spielt in einem wundervollen französischen Sommer, den Baru in schwarz-weiß derart heiß hinlegt, dass man hinterher schwören könnte, es wäre in Farbe gewesen.


Mit derselben Nichtfarb-Palette skizziert Baru in „Schönes neues Jahr“ die französischen Vororte der nahen Zukunft: Von der Politik aufgegeben, mit Mauern abgeriegelt, feindselig, kalt und nachts verwaist. Das klappt deshalb, weil Baru das Licht beherrscht. Er kann es so dunkel werden lassen, dass man verzweifelt mit der Nase ans Papier rückt, um ein bisschen mehr zu sehen. Lichtreflexe setzt er hingegen ähnlich gekonnt wie der Altmeister Mathias Schultheiss: gleißend, flackernd, blendend, funkelnd. Am faszinierendsten sieht man das bei Barus Autos.


Schäbige Peugeots, schraddelige Renaults


Er hat eine Vorliebe für sie, aber auch hier sind es nur selten schöne, bemerkenswerte Autos. Er zeichnet schäbige Peugeots wie den 204, schraddelige Renaults wie den R4 oder R5, von Mercedes die 190er und 200er, hässliche Fiats, vorzugsweise die schlimmen Endsiebziger-, Anfang-Achtziger-Schachteln mit dem Charme einer Auto-Dachbox. Der Lichtschein auf der Motorhaube, die Verläufe von Lack und Kanten, Reflexe in der Windschutzscheibe, all das ist nicht nur unglaublich präzise – es erzählt auch unendlich viel über die Tageszeit, das Wetter, die Temperatur. In „Autoroute du soleil“ etwa findet sich ein R4 bei Sonnenaufgang, von hinten auf einer Landstraße fahrend, und wer das sieht, der fühlt sich, als hätte er selbst die Nacht durchmacht und führe jetzt ins tröstlich verheißungsvolle Morgenlicht.


Auch in „Hier und dort“ findet man solche Kunststücke: Eine Panne mit dem Motorroller bei strömendem Regen etwa, so triefnass, dass man einen Lappen unter den Band legen möchte. Hauchzarte Gardinen, oder die Reflexionen der Straßenseite gegenüber in einem Schaufenster. Aber unterm Strich ist der neue Baru vor allem eine gute Gelegenheit, eine Menge alter Barus zu entdecken: Wer’s düster mag, startet mit „Elende Helden“, wer sich zum Popcorn-Kino bekennt, mit dem Gaunerspektakel „Hau die Bässe rein, Bruno!“


Baru, Hier und Dort, Edition 52, 18 Euro

Baru, Wieder unterwegs, Reprodukt, 20 Euro

Baru , Elende Helden, Edition 52, 18 Euro

Baru, Die Sputnik Jahre, Reprodukt, 29 Euro

Baru, Schönes neues Jahr, Edition 52, 15 Euro

Baru, Autoroute du soleil, Carlsen, 29,90 Euro

Baru, Hau die Bässe rein, Bruno, Edition 52, 22 Euro



Dieser Text erschien erstmals am 19. Januar 2019 bei SPIEGEL Online.

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