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Vom Betthasen zur Künstlerin

Schlichte Zutaten geschickt zubereitet: Lizzy Stewarts „Alison“ zaubert aus einem Frauenschicksal fesselnden Lesestoff für Jedermann

Illustration: Lizzy Stewart - Helvetiq

Im Grunde kann man jede Geschichte erzählen – wenn man’s kann. Die Engländerin Lizzy Stewart kann. Denn obwohl ihre Story „Alison“ alles hat, um mich zu langweilen, tut sie’s seltsamerweise nicht. Ich rate daher dringend zum Ausprobieren, auch wenn sich manche Leser möglicherweise einen kleinen Schubs geben müssen. Glauben Sie mir, es ist's wert.


Karrierestart als Gschpusi


Die Titelheldin Alison kommt aus dem britischen Dorset, vom Lande also. Sie heiratet früh, ist früh vom Leben gelangweilt, und beginnt dann (zufällig/nicht zufällig?), sich für Kunst zu interessieren. Was in diesem Fall so aussieht, dass sie einen Kurs besucht, dabei einen Künstler kennenlernt, ihren Mann verlässt und Gschpusi des Künstler wird. Das nach und nach versucht, sich aus seinem Schatten rauszuarbeiten und auf eigenen Beinen zu stehen. Und obwohl all das überhaupt nicht mein Ding ist, fängt sie mich ein. Bloß wie?

Illustration: Lizzy Stewart - Helvetiq

Zunächst: sie vertraut ihren Fähigkeiten. Stewart zeichnet, schreibt und erzählt souverän. Sie wählt einen Stil, der an Posy Simmonds erinnert, die oft mit Fließtext arbeitet und ihn mit vielen, gern stummen Panels ergänzt. Dann: Stewart trödelt nicht. „Alison“ beginnt zwar mit ihrer Geburt, aber schon auf Seite zwei ist sie verheiratet und auf Seite drei im Zeichenkurs, bei dem der Kursleiter sie sich angelt.


Ruckzuck rein in die Handlung


Hier trickst Stewart ein bisschen im Dienst der Story: Der Kursleiter ist kein Dorfpinsler, sondern ein arrivierter Maler. So kann er die 25 Jahre jüngere Alison erst nach London holen, dort zutexten und ihr seine Weisheiten eintrichtern. Sie begegnet seinen Künstlerfreunden, ist geblendet, beeindruckt, eingeschüchtert und versucht allmählich sich abzunabeln. Das klingt nicht nach viel, aber jede Wette: Hier ist Ihnen Alison mit ihrer tapferen Unsicherheit schon so ans Herz gewachsen, dass Sie weiterlesen. Und Stewart macht es Ihnen leicht!

Illustration: Lizzy Stewart - Helvetiq

Ihr Zeichenstil fängt mit wenigen Strichen und Farben die Figuren ein, lässt dabei viel Raum für eigene Interpretation, schildert aber Emotionen und Reaktionen um so präziser. Variantenreich breitet sie mit Fließtext, Comicpassagen, Tagebüchern, Kladden, Fotos ein authentisches Leben aus. Zugleich zeigt sie all die Ängste, die Selbstzweifel einer jungen Frau in dieser erdrückenden Welt voller Leute, die’s geschafft haben. Voller Männer, die mit ihrem Ego durch die Welt spazieren und offenbar überhaupt nie nur mit Wasser kochen. Naja, und der große Maler gehört sowieso dazu, ein richtiges Schwein ist er nicht, aber ein mittleres Halbferkel schon, das Alison gern im Betthasen-Stadium konservieren möchte.


Sensible Wärme ersetzt Bosheit


Im Unterschied zu Simmonds leuchtet Lizzy Stewart aber nicht boshaft die Schwächen aller Beteiligten aus. Sie bleibt bei Alison, die nüchtern und leicht nostalgisch ihre Geschichte analysiert und das inzwischen auch entspannt tun kann: Denn Stewarts Alison ist inzwischen um die 60 und tatsächlich eine professionelle Künstlerin geworden. So kann sie ihren Weg mit einer gewissen Gelassenheit und Nachsicht schildern. Das Ergebnis macht nicht weniger nachdenklich, ist aber versöhnlicher. Vielleicht verfolge ich als Mann die Geschichte auch deshalb leichter, vielleicht solidarisiere ich mich auch deshalb leichter mit Alison. Vielleicht aber auch, weil Stewart mich so geschickt an der Hand nimmt und einfach bis zum Schluss nicht mehr loslässt.

 

 


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