- 7. Juni
Birgit Weyhes „Schweigen“ zeigt Argentiniens mörderische Militärdiktatur aus einem besonderen Blickwinkel: dem der dorthin geflohenen Juden

Comics von Birgit Weyhe sind hervorragend gezeichnet, stets für eine aufwühlende Geschichte gut, aber .. naja... hm... häufig etwas anstrengend. Da, jetzt isses raus, ich hab's gesagt. Das a-Wort. Aber stimmt das denn? Wenn ich ehrlich bin: Beim neuen Band „Schweigen“ nur abschnittweise. Ich hab ihn recht schnell weggelesen, vor allem, weil er eine richtig empörende Story aufbereitet.
Mörderischer Irrsinn spezial
„Schweigen“ verknüpft die Länder Deutschland und Argentinien über eine spezielle Gruppe von Einwohnern – deutschstämmige Juden. Weyhe dröselt auf, wie in den 30er Jahren viele Juden ihre Kinder retteten: Sie schickten sie nach Argentinien. 45.000 Juden wanderten dorthin aus, viele davon Kinder und Jugendliche. Was in all dem mörderischen Irrsinn zu einer mörderischen Besonderheit führte.

Viele dieser Kinder blieben nämlich in Argentinien, bekamen selbst Kinder. Die – als dort das Militär putschte – es geradezu für ihre Pflicht hielten, den Mund aufzumachen: Weil sie ja wussten, was in den 30ern mit ihren Eltern geschehen war. Die Junta schlug zurück, folterte und ließ Menschen verschwinden, weil das Angehörige noch mehr verunsichert als ein sichtbarer Staatsmord. Eine Spezialität, die sie wo nochmal gelernt hatte? Richtig, bei den Nazis, bei Hitlers „Nacht- und-Nebel-Erlass“.
Rechtsstaat nutzt Unrechtsstaat
Die bundesdeutsche Außenpolitik übte sich jahrzehntelang in unterlassener Hilfeleistung. Bis zu 30.000 Menschen verschwanden in Argentiniens Junta-Jahren, mindestens 100 waren deutsche Staatsbürger. Das weiß man, weil diese Fälle um 2000 in Deutschland angezeigt wurden. Aber die Gerichte lehnten bestimmte Fälle auch konsequent ab. Welche? Die der Juden, weil die Nazis denen ja weiland die Staatsbürgerschaft entzogen hatten. Damit konnte man behaupten, man sei nicht zuständig, der Rechtsstaat beruft sich auf den Unrechtsstaat – da geht einem das Messer in der Tasche auf.

Weyhes erklärende „Kontext“-Kapitel sind extrem stark: Eine Gruppe, die erst die Eltern, dann die Kinder verliert – und von der Gesellschaft allein gelassen wird. Weil alle lieber schweigen: Als man die Juden deportiert, als nach dem Krieg die Verantwortlichen gesucht werden. Als man mit Argentinien so schönes Geld verdienen kann, als man als amtierender Weltmeister 1978 zur Fußball-WM fahren darf. Als Opfer und Angehörige wahlweise wie Störenfriede behandelt werden, wie Nervensägen oder wie Terroristen vom RAF-Kaliber. Weyhe schlüsselt auf, stellt Zusammenhänge her, und wenn sie die Folter bebildert, schnürt es einem die Kehle zu.
Dialoge á la Lindenstraße
Leider flicht Weyhe immer wieder Dialogszenen ein, und die sind richtige Durchhänger. Leute erklären sich gegenseitig, was sie schon wissen und deklamieren Streitgespräche wie dereinst in der Lindenstraße, weshalb zwischen den „Kontext“-Knüllern die heiße Wut des Lesers jedes Mal wieder abkühlt. Auch, weil Weyhe beim Bebildern hier weniger als sonst ihre klugen Assoziationen spielen lässt, sondern meist das arg didaktische Gerede 1:1 abfilmt.

Das kann aber auch Geschmackssache sein: Weyhes für mich eher unnötige Dialogstrecken treffen nämlich einen derzeit sehr erfolgreichen Tonfall genau, den der anspruchsvollen Dokumentation mit eingeflochtenen Spielszenen. Wenn Sie das mögen, haben Sie statt einem Kritikpunkt sogar ein Sahnehäubchen vor sich.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
- 17. Mai
Ein Schiff voller Leichen, eine Nation vor dem Neuanfang: „Aale und Gespenster“ erzählt urlaubsfrisch von einer zwielichtigen Vergangenheit

Es weht ein frischer Wind durch die Vergangenheitsbewältigung. Erst kürzlich hat Hannah Brinkmann die Opferperspektive durch die mindestens genauso spannende Täterperspektive fruchtbar ergänzt, jetzt verlässt mit „Aale und Gespenster“ schon wieder ein Titel die so ausgetretenen Pfade der allgemein üblichen Standard-NS-Berichterstattung. Schön!
Debüt vor starkem Hintergrund
Der Band stammt vom Berliner Graphic-Novel-Debütanten Marius Schmidt. Der 42-Jährige strickt rund um ein historisches Ereignis einen Krimi, aber der Krimi bringt es grade mal zur Rahmenhandlung – Gottseidank. Denn das Eingerahmte ist viel besser.

1945 wird in der Lübecker Bucht das ehemalige Kreuzfahrtschiff „Cap Arcona“ bombardiert und versenkt. Das Schiff ist vollgestopft mit Tausenden von KZ-Häftlingen. Die Rettungswege und Rettungsboote sind von den Deutschen unbrauchbar gemacht, denn die ahnen oder hoffen, dass die Engländer ihnen mit einem Bombardement die Arbeit abnähmen, die unliebsamen Zeugen des Massenmords selbst versenken zu müssen. Genau weiß man’s nicht, zum Zeitpunkt des Untergangs sind jedoch erstaunlich wenige Deutsche an Bord. Aber das ist nur der Hintergrund der eigentlichen Geschichte, die direkt nach dem Krieg spielt.
Plünderfahrten zum Gespensterschiff
Casimir ist um die 20, aus Danzig geflohen, er arbeitet als Fischer und freundet sich mit dem ehemaligen Zwangsarbeiter Rimsky an. Gemeinsam beginnen sie, mit dem Boot zum nur halb versunkenen Wrack der „Cap Arcona“ zu fahren und sie auszuplündern. Trotz Gefahr und Gespenstergrusel ernten sie gut verkäufliches Blech, Besteck, Drähte, Kupfer – Schmidt breitet ein lebensnahes Bild von Deutschland unmittelbar nach dem Krieg aus.

Denn der ist noch überall gegenwärtig. In den Kriegsversehrten mit den Einschussnarben, in den Bildern vom Afrikakorps. Immer wieder tauchen Knochen im Boden auf, gibt es traumatisierte Veteranen. Jeder dreht was, jeder macht was, jeder nutzt seine Kontakte, alles ist halb illegal, halb geduldet, und von Hitlerporträts nutzt man nur noch den Rahmen. Selbstverständlich verlieben sich auch die beiden jungen Männer. Casimir in die Tochter seiner Vermieter, die erst spitzkriegt, womit die beiden Jungs ihr Geld verdienen – und dann mit an Bord will.
Schöne Legende statt Massenmord
Sie will ihren Vater reinwaschen, denn die Altnazis streuen bereits eine Legende, die viel schöner ist als die Sache mit den ermordungsbereit eingedosten KZ-Häftlingen: Die ganze Regierung hätte mit viel Nazigold nach Norwegen fliehen wollen, um den Kampf fortzusetzen – und die KZ-Häftlinge hätte man dort ja zum Festungsbau noch dringend gebraucht…

Vieles ist erfreulich an diesen munter-düsteren 200 Seiten. Die frische Erzählung mit den vielen Neuanfängen der Verliebten und Verlierer, die eigenwillig formbare Nachkriegswelt, die vielen kleinen und großen Lügen und Geheimnisse. Schön ist auch, dass Schmidt weder moralinsauer predigt noch irgendwen reinwäscht. Seine Optik unterstützt das: Obwohl sein Meer oft düster ist, zwischen blauschwarz und feldgrau, bläst Schmidt die Szenen mit jeder Menge Sandgelb und vor allem viel Weiß geradezu urlaubsfrisch auf. Scheinbar schludrige Linien, sorglose Farbflächen – im ganzen Band ist kein einziger gerader Strich, die Welt erscheint so gründlich verbogen wie das ganze Land nach zwölf Jahren selbstgewählter NS-Diktatur. Weshalb sich die Frage von selbst stellt: Wurden die Fehler 1945 gemacht? Oder nicht eher doch schon 1933?
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
- 2. Apr.
Die Outtakes (26): Mit einem redefreudigen Kater auf Abwegen, einem Werbe-Bestschenker und Blutsaugern vom Lande

Übersehene Geschichte
Er macht es einem wieder einmal nicht leicht, der maxundmoritzbepreiste Joann Sfar: Der inzwischen fünfte Teil der „Katze des Rabbiners“ ist zwar zuverlässig munter und ansehnlich, aber zunehmend nutzt Sfar den kratzbürstigen Kater, um alle Themen abzuhandeln, die ihm so durch den Kopf gehen. In der ersten Hälfte ist das die Suche nach Gott und den Wundern, die ihn beweisen sollen, das wird dann schon sehr theoretisch. In Teil zwei stolpern wir hingegen in einen häufig übersehenen Teil der Geschichte: Nach dem ersten Weltkrieg wurden Teile der französischen Armee nicht in den Frieden entlassen, sondern gleich zur Bekämpfung der russischen Revolution weitergeschickt (und zur Eintreibung der russischen Auslandsschulden). Den barbarisch-blutigen Horror des russischen Revolutionschaos schildert Sfar bizarr, brachial, dämonisch gut, Literaturhinweise inklusive, so dass nicht nur historisch Interessierte was davon haben.
Vernünftiges von der Versicherung

Nach „Alex der Rabe“ folgt hier ein weiterer Blick in die Werbevergangenheit: „Max & Luzie“ entstand 1983-2002 im Auftrag der Allianz-Versicherung, in tadelloser „Knax“-Qualität – mit allen Vorzügen und Nachteilen. So merkt man durchweg Zeichner Franz Gerg sowie dem Autorentrio Monika Sattrasai/Doris Ertel-Zellner/Reinhold Zellner die Gewissenhaftigkeit und die Liebe zum Produkt an. Doch das Ergebnis ist hm, sehr vernünftig. Die optischen Vorbilder von „Asterix“ bis „Boule & Bill“ schimmern jederzeit auf, die Personenkonstellationen verschrecken weder Leser noch Investor, und der erklärende Textteil sorgt für allgemeines und vor allem erwachsenes Wohlwollen. Bis zu 500.000 Hefte druckte die Allianz, genug, dass sich „Max & Luzie“ offenbar ganzen Generationen ähnlich ins Kindheitsgedächtnis brannten wie das von den Sparkassen spendierte „Knax“. Was in beiden Fällen nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Serien weder mit religiösem Eifer gesammelt wurden noch am Kiosk jemals konkurrenzfähig gewesen wären. Heißt: Nostalgische Erinnerungen machen den Lesespaß vermutlich größer und nicht zuletzt auch wahrscheinlicher.
Cousine mit Biss

Grusel-Comedy auf dem Level von „Tanz der Vampire“ ist schwer und selten. Daran ändert auch „Vampircousinen“ von Alexandre Fontaine Rousseau und Zeichnerin Cathon nichts. Die geschwätzige Camillia wird von ihrer Cousine Friederike ins Schloss ihrer Jugend eingeladen. Untern im Dorf reden alle finster über das Schloss, im Supermarkt gibt’s nur Knoblauch, aber Camillia glaubt nicht an Vampire – obwohl doch gerade eben jene Friederike (und da kommen Sie nie in diesem und auch nicht im nächsten Leben drauf) selber ein Vampir ist! Ausgerechnet Friedrike! Potzblitz! Und weil man sich den Rest exakt genauso wenig denken kann, erwartet Sie jetzt also ein Füllhorn an Überraschungen oder ein müdes Schmunzelchhrrr.
