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Comicverfuehrer

Die Outtakes (22): Mit einer bizarren Lebensgeschichte, einem ostdeutschen Kummer-Comic und einer ansehnlichen Trantüte

Illustration: Daniel Clowes - Reprodukt
Illustration: Daniel Clowes - Reprodukt

Meisterwerk in Billigoptik


Rätselhaft, sehr gut – und dennoch nicht uneingeschränkt empfehlenswert: Daniel Clowes‘ in den USA als Meisterwerk gefeierter Band „Monica“ ist exzellent gemacht, aber dennoch anstrengend. In neun Abschnitten erzählt Comic-Star Clowes Monicas Lebensgeschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln, manchmal auch als Horror-Story verfremdet – was nicht so recht auffällt, weil die ganze Geschichte in der Optik alter US-Billig-Comics daherkommt: Die Zeichnungen sind leicht trashy, sehr viel Erzähltext in den Kästen verbreitet eine „Gespenster Geschichten/EC-Horror“-Atmosphäre, die jedoch über die ganze Strecke mehr beklemmend als gruslig/splatterig wird. Und obwohl Clowes exzellent mit dem Medium, den Genre-Eigenheiten der Billigst-Comics seiner Jugend spielt: Es ist gut möglich, Monicas Werdegang vom ungewollten Kind zur Unternehmerin zum Sektenmitglied auch als eher zäh zu beurteilen.

 


No Future auf Ost

Illustration: Schwarwel - Glücklicher Montag
Illustration: Schwarwel - Glücklicher Montag

Ein guter Ruf eilt Schwarwels „Gevatter“ voraus, ich kann nur nicht so ganz nachvollziehen, weshalb. Wohlgemerkt: beim „Gevatter“, die Verdienste von Schwarwel selbst sind unstrittig. Der Mittfünfziger, der eigentlich Thomas Meitsch heißt, war Art Director der „Ärzte“, drehte Videos für Top-Bands und arbeitet in „Gevatter“ offenbar seine Jugend in der DDR auf. Wie nahe er da an der eigenen Geschichte ist, kann man schwer sagen, der Protagonist erzählt jedoch über 160 Seiten hinweg in streng-düsteren Schwarz-weiß-Zeichnungen von Alkohol, Scheidungen, Depressionen und Selbstmordgedanken in den 70er/80er Jahren. Das alles ist zwar stilistisch schlüssig, doch der Erkenntnisgewinn ist dünn: Die begrenzten Möglichkeiten in der DDR sind bekannt, depressiv war die No-Future-Generation im Westen auch. Und weil die Story gleich im doppelten Sinne tod-ernst ist und sich dann auch noch furchtbar todernst nimmt, ist das Ergebnis in etwa so unterhaltsam wie eine laange, laaange Bahnfahrt neben einer entsetzlich schwermütigen Rentnerin.

 


Zauberlehrling auf Kräutersuche

Illustration: Gipi/Luigi Critone - Carlsen
Illustration: Gipi/Luigi Critone - Carlsen

Ein kleine Nachtrag zu Gipi auf Abwegen: Für die sehr zugängliche Mittelaltergeschichte „Aldobrando“ hat der (auch von mir) Oftgelobte vor knapp vier Jahren nur das Skript verfasst, die ansehnlichen Zeichnungen stammen von Luigi Critone. Das Ergebnis überzeugt trotzdem nur halb. So hübsch die Saga vom naiven Titelhelden auch aussieht, so hölzern-gutmenschlich ist sie zusammengenagelt. Der Zauberlehrling Aldobrando wird losgeschickt, um für seinen verletzten Meister ein lebenswichtiges Kraut zu finden. Auf seiner Suche wird Aldobrando übertölpelt, eingesperrt, begegnet bösen Bösen, guten Guten und stellt allen so unbeirrt immer die superrichtigen Fragen, dass man sich wundert, warum er nicht rafft, dass sein Meister längst tot sein muss. Was soll also noch die trantütige Sucherei? Aber das Ganze sieht gut aus, der blöde König ist als Insidergag dem großen Charles Laughton wie aus dem Gesicht geschnitten, man schaut sich gerne durch die Seiten. Nur: richtig gut ist halt was anderes.








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Die Outtakes (21): Mit einer rosa Alptraumfrau, Mangas für die Kurzstrecke und erfundenen Western von gestern

Illustration: Claus Daniel Herrmann - Reprodukt
Illustration: Claus Daniel Herrmann - Reprodukt

Heilsteinreich


Viel Gutes zieht mich in Claus Daniel Herrmanns „Pinke Monster“: Die schön simplen, zugleich kräftigen Zeichnungen aus Bleistift, Grau und Pink als Signalfarbe. Die Einfamilienhaus-Siedlungs-Location. Die reduzierten Figuren und die schlicht-gute Story: Teenie Frank lebt mit seiner Mutter und seinem depressiven Vater, er hat Liebesprobleme, und all das verkompliziert sich dadurch, dass er ahnt, dass schwul ist. Als Zündstoff gibt es eine matronige Wunderheilerin, die zu Papas Rettung gerufen wird und die Familie sofort mit Heilsteinen versorgt. Ab hier könnte alles exzellent werden, wird’s aber nicht: Zu sehr, zu schnell, zu eindeutig wird die Zauberbrumme als suspekt gezeigt, zu schnell ihre Macht eingeführt und ausgespielt, zu sehr ihre Ent-Machtung dann als Lösung präsentiert. Oder scheint mir das nur aus Erwachsenensicht so? Ist das womöglich für junge Menschen grade das Richtige? Oder soll man auch junge Leute nicht unterfordern? Müssen Sie wohl selber rausfinden.

 


Häppchenweise

Illustration: Naoki Urasawa - Carlsen Manga
Illustration: Naoki Urasawa - Carlsen Manga

Genervt von ewig langen Manga-Serien? Hier ist eine Gelegenheit für kurze Häppchen aus berufener Hand: „Hatschi!“ versammelt einige von Naoki Urasawas Kurzgeschichten. Da ist recht ulkiges Material darunter, etwa seine musikalischen Erinnerungen an Rockkonzerte seiner Helden (McCartney! Dylan!), auch eine nette Persiflage auf Japans Monster-unter Berücksichtigung der Eigenheit, dass all diese Monster immer ausgerechnet Japan heimsuchen müssen. Obendrein ist der Farbanteil im meist schwarz-weißen Genre unerwartet hoch. Aaaber: All das speist sich eher aus dem Interesse an Urasawa, und wer ihn nicht durch „Asadora!“ oder die „20th Century Boys“ kennt, dem kommt das Ganze womöglich weniger bedeutsam vor.

 


Canifflig einen an der Klatsche

Illustration: Ivan Kordej/Darko Macan - avant-verlag
Illustration: Ivan Kordej/Darko Macan - avant-verlag

Metaebene nennt man das wohl: „Texas Kid, mein Bruder“ ist ein Comic über Comics und ihre Zeichner, zugleich aber auch ein Vater-Sohn-Drama. In dem sich der Sohn mit seinem Übervater quält, der als berühmter Zeichner den Held „Texas Kid“ erschuf. Und dann: Mieser Vater, hat den Sohn nie lieb, ist immer streng, und plötzlich wird Texas Kid real und verdrängt den Sohn, kritisiert dessen mediokre Schöpfungen und Zeichnungen, kann alles viel besser, hmm. Die Story von Darko Macan und Ivan Kordej knarzt arg, hat zwar gelegentlich Momente, aber viel öfter leider nicht. Weil beide zu viel reinrühren: Zuviel Vatergeschichte, zu viel Sohngejammer, und die real gewordene Comicfigur ist weder brutal noch lustig genug, dass man darüber hinwegsehen könnte, dass sie eben erfunden ist. Weshalb der Sohn halt entweder einen an der Klatsche hat oder auf sehr hochgekünstlertem Niveau langatmig vor sich hin leidet. Und weshalb Kordejs canifflige Zeichenorgien den Verhau auch nicht retten können.




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Craig Thompsons Autobio-Sach-Reise-Essay „Ginsengwurzeln“ wird als große „amerikanische Saga“ bejubelt: Was ist dran am Wurzel-Werk?

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Saga-Hype im Comic-Land. „Ginsengwurzeln“ heißt die neueste „große amerikanische Saga“ (SZ, unisono mit der 3sat-Kulturzeit), die taz jubelt über „akribische Recherche“, und da klingeln bei mir schon alle Alarmglocken, denn „Saga“ ist oft nur journalistisch für „Oh, so ein dickes Buch“. Aber diesmal? Der Autor ist immerhin Craig Thompson, gefeierter Meister des autobiographischen Comics, und autobiographisch wird’s diesmal auch – also: wo soll das Problem sein?


„Oh, so ein dickes Buch“

 

Tatsächlich gibt es zunächst auch keines. Thompsons Zeichnungen sind hochwertig, mild karikierend, stilistisch nah an Will Eisner. Die Panels sind oft nicht eingekastelt, sondern geschickt konstruiert, alles ansehnlich und einladend. Thompson erzählt die Geschichte seiner Jugend in der US-Provinz in Wisconsin, wo (für mich überraschend) jeder Ginseng anbaut, wohl so ähnlich wie Hopfen in der Hallertau.

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Thompson jobbt von klein auf mit und erarbeitet sich so seine Comichefte. Ein hartes, freudloses Geschäft, durch Comics versüßt, so weit, so gut. Ein bisschen nervt, dass in einem Sachcomic dauernd ein Ginsengwurzelchen mit Niedlich-Augen durchs Bild springt, Ginselchen sozusagen. Was so seriös wirkt wie ein Richter mit Clownsnase, aber das ist wohl Geschmackssache. Viel nerviger ist etwas anderes.


Allgegenwärtiges Ginselchen


Etwa ab Seite 50 des 450-seitigen Wälzers fällt erstmals auf, dass man eine Menge lernt und zugleich doch nicht. Ginseng hat offenbar ein Problem: Wo man einmal Ginseng angebaut hat, wächst er kein zweites Mal. Was sofort die Frage aufwirft: Wie kann man dann dauerhaft Ginseng in ein- und derselben Region anbauen?

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Seit Jahrhunderten wird er doch in Wisconsin gezogen, und das nicht für zwei kleine Ökoshops, sondern für den weltweiten Export. Also müsste er sich durchs Land fressen wie Braunkohletagebau, eine Schneise von Feldern zurücklassend, die für Ginseng nutzlos sind. Und die Farmen müssten ihm folgen. Aber Ginseng und Farmer sind immer am selben Fleck. Wie geht das?? Kann es sein, dass ich hier nach „akribisch recherchierten“ 450 Seiten erst mal ein richtiges Buch brauche? Nee, oder?


Argumente wie aus dem Reformhaus


Aber der Verdacht bestätigt sich. Gleich doppelt enthüllt Thompson, dass Ginseng „das Metall scheut“, dass die Wurzel „Angst vor Metall“ hat. Wie sich das äußert? Keine Ahnung, ist halt so. Thompson schildert auch, wogegen Ginseng hilft – „womöglich“. Er zeigt, was Farmer mit dem Ginseng machen, begründet es aber mehr oder weniger mit deren Bauernregeln. Das ist nicht „akribisch recherchiert“, sondern Information auf Reformhausniveau. Was besonders enttäuscht, weil sich Thompson erkennbar viel Mühe macht.

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Er redet mit vielen Leuten, er zeichnet sich die Finger wund – im Wortsinne, ein Teil der Geschichte besteht darin, dass seine Zeichenhand erkrankt, also erzählt er auch über Medizin und über chinesische Medizin, und erzählt und erzählt und erzählt. Über laotische Einwanderer, die eigentlich aus China stammen, und warum sie dort nicht mehr sind und über den Vietnamkrieg und den Koreakrieg, über den christlichen Glauben und, wo wir schon dabei sind, auch noch seine über eigene christliche Familie. Detailversessen, aber völlig ziellos.


Detailversessen, aber ziellos


Denn Thompson geht keiner Frage nach: Er will nur irgendwas über Ginseng erzählen. Er kann das Equipment eines chinesischen Ginseng-Jägers aufdröseln, vom Knochenspaten bis zu den geteerten Schweinslederstiefeln. Aber er kann nicht sagen, wozu man genau dieses Zeug braucht. Es ist, als würde einem ein gewaltiger Sack voll Krempel auf den Tisch geleert. Und wenn man fragt, was das soll, sagt Thompson: „Moment!“ und holt einen weiteren Sack voll Krempel.

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Sorry, Krempel, man kann es nicht anders nennen, denn „Infos“ sind es nicht, weil Thompson offenbar NICHTS aussortiert. Legenden, Gerüchte, Fakten, Zahlenmystik, alles wird reingeschmissen und schöngezeichnet. Wie es in ihn hineinfließt, so strömt es in den Comic. Und je deutlicher das wird, desto mehr nervt es: Weil man bei jedem neuen ausufernden Kapitel merkt, dass man bei aller Langatmigkeit nichts wirklich erfährt. Mit einer Ausnahme.


Der Bruder braucht 'ne Auszeit


Manchmal schildert Thompson, wie ihm andere Leute ihre Lebensgeschichte erzählen. Das ist dann halbwegs verlässlich, etwa so, als würde man selber zuhören. Über zig Seiten arbeitet ein chinesisch-stämmiger Ginsengfarmer hart. Und erinnert sich an seinen hart arbeitenden Vater. Und dessen Beerdigung. Und das Ritual, und wie alle Schiffchen falten, und Thompson malt auch noch eine (nicht funktionierende) Faltanleitung, es hört und hört nicht auf. Irgendwann, als Thompson mit seinem Bruder nach Korea fährt, seilt sich der Bruder ab, und man hat eine sehr laute leise Ahnung, warum.

Illustration: Craig Thompson - Reprodukt

Der Plan war ein anderer: In Interviews sagt Thompson beispielsweise, er wollte zeigen, wie sich aus einer kleinen Farmwirtschaft ein gewaltiges Business entwickelt hat. Tatsächlich liefert er dann wenig anderes als Farmer, die sagen: Du musst eben immer größer werden. Und wie geht das in einer Region, die man nie zweimal nutzen kann? Aber Thompson sagt: „Guck mal, noch ein Sack Krempel.“ Ähnlich läuft das mit den Pestiziden: Immer und immer wieder weist Thompson auf sie hin. Aber wozu, Herrgottnochmal? Sind sie schlimm, was sind die Folgen, haben alle Krebs, haben’s alle nicht? „Guck mal, noch mehr Krempel!“


Abgemilderte Geschwätzigkeit


Erstaunlich ist, dass man sich dann doch durch den ganzen Sums wühlt: Thompson ist ein recht sympathischer Plauderer, der seine Geschwätzigkeit mit attraktiven Bilder mildert. Aber hier ist weder eine große „amerikanische Saga“ noch eine Chance, Gelerntes irgendwann mal nutzen zu können: So gut wie alles in diesem Wurzel-Werk müsste man sicherheitshalber woanders präzisieren. Wo genau, steht in einigen Fällen im Anhang. Das ist vielleicht nicht akribisch, aber immerhin tröstlich.

 




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