- 19. Juni 2023
MAD-Legende I. Astalos findet die perfekte Spielwiese für seinen Krakelstil: „Going Mad“ ist zugleich die eigene Biographie und die des Satirehefts

Manchmal entpuppen sich Dinge, die lange nicht recht überzeugten, in anderem Zusammenhang als erstaunlich gut. Uschi Glas etwa: in den Rollen oft nervtötend anständig, aber jetzt beim Verein brotZeit aufrichtig überzeugend. Oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann: vorher gefühlt gar nicht da, mit dem Ukrainethema plötzlich aufblühend wie ein neuentdecktes Politiktalent. Oder eben: Ivica Astalos.
Im Schatten der Stars
Wer ihn kennt, ist wahrscheinlich schon älter: Astalos war, stets mit dem abgekürztem Vornamen „I.“, die Allzweckwaffe der deutschen Ausgabe von MAD, dem Satiremagazin schlechthin für Jugendliche in den 70er und 80er Jahren. Mein Favorit war er nie, er stand häufig im Schatten der großen US-Zeichenstars, der Filmparodien von Mort Drucker, der Gagsammlungen von Paul Coker, der mäßig komischen, aber besser aussehenden Cartoons von Al Jaffee, von Don Martin, Spion & Spion, was auch immer. Doch Astalos hatte, was die deutschen MAD-Hefte dringend brauchten: Ideen.

Denn nachdem die MAD-Macher in den USA nicht nur insgesamt weniger Hefte pro Jahr produzierten als die Deutschen, sondern in diesen Heften auch immer weniger Material lieferten, das man 1:1 in Deutschland übernehmen konnte, kam der nimmermüde I. Astalos immer häufiger zum Einsatz. Weil er Einfälle hatte, eigene Geschichten erfand, weil sich seine (unterschiedlich treffsicheren) Märchenparodien als schier endlose Cartoonquelle erwiesen. Und auch, weil er sich überraschenderweise als zeichnerisch ungeahnt vielseitig erwies.
Tatsächlich ist sein fragwürdiger Stil, den er (mit seinem Ex-Chefredakteur Herbert Feuerstein) selbstironisch als „gut gemeint, aber unsicher im Strich, mit falschen Proportionen und ohne jeden Schwung“ beschreibt, nur eine Seite. Astalos konnte und kann als „Hans Tischler“ auch ganz anders, und als Don Martin täuschend echt: Den Superstar (und manche andere) hat er (mit Wissen aller Beteiligten) auch öfter mal fürs Heft gefälscht, ohne dass es ein Leser gemerkt hätte.
Berichte aus dem Porno-Paradies
Das und vieles mehr lässt sich jetzt nachlesen im außerordentlich unterhaltsamen Band „Going MAD!“, der Cartoon-Autobiografie von Astalos. Abgefasst und gezeichnet in dem Stil, der mich als Kind immer ein wenig genervt hat, der jetzt aber geradezu wunderbar angemessen ist, um die ruhmreiche, absünderliche Vergangenheit aufzubereiten. Mit vielen Details zum Hintergrund des „vernünftigsten Magazins der Welt“, der Verwertung zweitklassigen Materials in „Kaputt“ oder auch zum Verlagssitz im Porno-Paradies der Olympia-Press (lechz). Selbstverständlich zum Traditionspreis von „Nur noch 25,00 Euro“, der sich auch als direkte Künstlervermarktung versteht: Den Band gibt es nur auf der Homepage des Künstlers: www.astaltoons.de
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- 15. Juni 2023
Manuele Fiors „Hypericum“ mixt das alte Ägypten mit dem Berlin der 90er. Ergebnis: Traumhaft, wenn man auf eine Kleinigkeit verzichten kann ...

Los geht's schon mal gut: mit der Tut-Anch-Amun-Sache. Manuele Fior erzählt sie in „Hypericum“ aus der Perspektive des Archäologen Howard Carter. In der staubigen, heißen Wüste Ägyptens hat er fast schon aufgegeben, seine Geldgeber glauben nicht mehr an einen Erfolg, dann findet er plötzlich diese Treppe im Sand.
Ungewohnt: Blick aus dem Grab
Die Geschichte ist nicht neu, aber Fior erzählt sie in wundervollen warmen Farben langsam, mit allen Ängsten und Hoffnungen, als Carter die Siegel an den Türen unversehrt vorfindet. Er zeigt den eigentlich unmöglichen Blick aus der Grabkammer, in die durch ein kleines Loch Licht von außen fällt, dann Carters Ehrfurcht, Staunen. Sehr schön.

Dann ist da die italienische Ägyptologin Teresa, die im Berlin der späten 90er bei der Organisation einer Tut-Anch-Amun-Ausstellung hilft. Die superkontrollierte junge Frau trifft den Künstler Ruben und taucht mit ihm in diese Stadt voller hochschießender Neubauten und leerstehender Altbauten, voll aufregender Möglichkeiten und aufregendem Sex. Schwer zu sagen, was Fior besser gelingt: Die grandiose Schilderung des wachsenden Berlin, die liebevollen Blicke auf das alte und alternative Berlin, oder seine sensiblen, einfühlsam-anregenden Sexszenen. Toll.
Sind wir alle Metzger? Ist die Welt die Wurst?

Aber was nicht da ist, ist: eine Geschichte. Oder, wenn, dann habe ich sie jedenfalls nicht entdeckt. Fior schneidet beides, Ägypten und Berlin, gegeneinander, Carters Entdeckung, Teresas Entdeckung, ja, da kann man natürlich irgendwie eine Parallele ziehen. Aber man muss schon wollen, weil man genauso gut auch sagen kann: So richtig zwingend hängt das nicht zusammen. Und selbst, wenn’s zusammenhängt: Was sagt uns das? Ist jede Stadt irgendwie unter Sand verschüttet? Gräbt jeder irgendwo an irgendwas? Sind wir dann auch alle Metzger und machen aus der Welt unsere Wurst?
Ratlos? Ja. Lustlos? Nein!

Das Erstaunliche ist, dass ich Fior wegen der Storyschlamperei nicht richtig böse sein kann: Ich bleibe ratlos zurück, aber ich habe mich nicht gelangweilt, und wunderbar anzusehen war’s auch. Irgendwie sollte ich vielleicht mal nach Ägypten. Und auf jeden Fall mal wieder nach Berlin!
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- 7. Juni 2023
Kate Beatons „Ducks“ sorgt als Tipp des früheren US-Präsidenten für Furore – und verstört durch eine eigenwillige Erzählhaltung

Okay, das war eine harte Nuss: der Lieblingscomic von Barack Obama, nämlich „Ducks“ von der kanadischen Cartoonistin Kate Beaton. Und „harte Nuss“ heißt nicht „schwer zu lesen“, aber zu beurteilen. Kann am deutschen Blickwinkel liegen: Beaton erzählt von ihren zwei Arbeitsjahren in der kanadischen Ölsandindustrie – aber es geht kaum um die Umwelt.
Allein unter Männern
Die Story: Beaton schließt 2005 die Uni ab und will ihren Studiumskredit abzahlen. Sie sucht dazu einen gut dotierten Job und findet ihn in den kanadischen Frackingcamps in Alberta, in der Mitte des Nichts. Sie schildert kurz die Oberflächlichkeit der Sicherheitsvorkehrungen, die Scheinheiligkeit des Umweltschutzes, die Langeweile und die Problematik mit der indigenen Bevölkerung. Aber vor allem ist Kate praktisch allein unter Männern. Männer jeder Altersgruppe, sehr viele Männer mit geringer Bildung, die genau wie Kate bereit sind, für gut bezahlte Jobs in die Einöde zu kommen.

Kate wird begafft und beglotzt, die Männer machen idiotische Bemerkungen, reden Scheiße, benehmen sich wie Arschlöcher. Nicht alle, aber sehr viele, womöglich die meisten. Kate ist jung, lässt viel über sich ergehen, hält zunehmend dagegen, aber man merkt, wie anstrengend das ist. Zwei Mal wird sie vergewaltigt (bzw. zum Sex gedrängt, aber das macht’s kaum besser). Kate schweigt, legt sich „ein dickes Fell“ zu. Sie verlässt das Camp, verdient aber anderswo nicht genug, kehrt zurück. Sie zahlt ihren Kredit ab, beschwert sich abschließend bei ihrem Boss und geht dann endgültig. Und nun? Warum lässt mich die Story so ratlos zurück?
Die fehlende Wut
Vor allem, weil die Empörung fehlt. Beaton bremst sie sogar. Sie erzählt vieles beinahe distanziert, als beobachtete sie sich aus dem sicheren Abstand von fast 20 Jahren. Sie zeigt eine junge Frau, die rational zu bleiben versucht, ein „tough cookie“ sein möchte, sie heischt kein Mitleid. Am auffälligsten aber ist: Beaton nennt kaum Schuldige.

Sie urteilt bedächtig, berücksichtigt die schwere Arbeit in den Camps. Und sie lässt sogar eindeutige Mittäter unbehelligt: Die zweite Vergewaltigung passiert auf einer Party, bei der sie benommen/betrunken von der Toilette kommt und plötzlich alle Gäste weg sind – bis auf den Täter. Der sie bedrängt, bis sie den Sex geschehen lässt. Es kann kein Zufall sein, dass plötzlich alle Gäste, Männer und Frauen, gleichzeitig weg sind. Mit ihrem Verschwinden gaben sie nicht weniger als das Startsignal zur Tat. Beaton scheint das weder damals aufgefallen zu sein noch jetzt erwähnenswert. Wieso?
Wer nicht dabei war, versteht's nicht?
Näher kommt man der Antwort, wenn man Interviews mit Beaton sieht. Beaton scheint die Camps als eine Art abgeschlossene Außenwelt, eine Sondererfahrung zu betrachten. Was zu einer Formel führt, die in etwa besagt, dass der Abbau des Ölsands der Schuldige ist – und dass eigentlich keiner das richtig beurteilen könnte, der nicht dort war. Sowas hört man sonst nur von Opa aus dem Krieg.
Tatsächlich entsteht sogar der bizarre Eindruck, als würde sich Beaton auf seltsame Art mit den Tätern solidarisieren. Etwa wenn sie anführt, dass die Städter mit den guten Jobs, die im Bioladen einkaufen, keine Ahnung haben, wie es für Leute in der Provinz gewesen sei: Man habe keine Wahl, man gehe eben dort hin, wo die Jobs sind. Da ist man dann Firmen und Regierung ausgeliefert, und alle schliddern ins Unglück. Heißt: Die braven anständigen Männer werden zu Schweinen, die Frauen werden missbraucht, und Opfer sind sie alle zusammen.
Echt jetzt?

Man muss zurückspulen, weil man kaum glauben mag, was man da hört: Manche der Angestellten würden eben die Arbeitsbedingungen nicht gut verarbeiten. Was (gerade angesichts von Beatons Erfahrungen) kaum anders auslegbar ist als: Kein Wunder, wenn einige Männer dann rabiat Sex einfordern. So legt die Kombination Interview/Comic den Schluss nahe, dass da jemand erstaunliche Wege geht, um Schuldige zu entlasten. Wege, die man normalerweise nur bei Co-Abhängigen findet: „Mein Mann ist sonst nicht so. Nur, wenn er trinkt.“ Oder aufm Ölfeld arbeitet.
Zuhause ist Papa ganz anders
Aufzufallen scheint diese Co-Abhängigkeit nicht. Im erwähnten Interview wird Beaton auf ihre fehlende Wut im Comic zwar angesprochen. Aber Beaton sagt, dass alle den Druck gespürt hätten, und wenn jemand sie als Ventil belästigt hätte, hätte sie das zwar gehasst, aber eben auch die großen Zusammenhänge gesehen. Da seien eben „eine Menge Leute in einem System, das jeden verletzt.“ Worauf die Interviewerin beruhigt antwortet: „Das hast du gut ausgedrückt.“ Und dann freuen sich beide über einen Moment, in dem einer der Arbeiter ein Spielzeugauto von seinem Kind sieht und schön gerührt ist. Zuhause ist Papa ganz anders.
„Ducks“ ist eine eigenwillige Erfahrung. Und ich fürchte, das Verstörendste daran sind nicht die geschilderten Zustände. Übrigens: Wer heute die Website der Ölsand-Firma Suncor besucht, liest von ihren Bemühungen, den Frauenanteil in diesen Camps zu erhöhen.
Ist das jetzt eine gute Nachricht?
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