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Rosemarys Baby made in Brüssel

Ein junger Mieter in einem bizarren Haus: Daniel Hulets „L'état morbide“ kriegt nach 30 Jahren eine Neuauflage. Besteht die Gruseltrilogie den "Test of time"?


Illustration: Daniel Hulet - Splitter Verlag

Es hat was Bestätigendes: Der Splitter-Verlag hat die drei Bände von „L’état Morbide“ wieder ausgegraben. Dahinter verbirgt sich eine Grusel-Serie des 2011 verstorbenen Belgiers Daniel Hulet, deren ersten Teil ich so um 1990 in die Finger bekam und ziemlich gut fand - aber, wie die Neuauflage zeigt, eben nicht nur ich. Schön!

Die Story: Der junge Comic-Zeichner Charles Haegeman zieht in ein merkwürdiges altes Haus mit seltsamen Mietern, die Atmosphäre ähnelte sehr der in „Rosemarys Baby“, wenn auch das Haus etwas moderner wirkt. Und das Ganze endete auch nicht sauber aufgeräumt, sondern mit einer gruselig-verwirrenden Schlusspointe, nach der man sich die Teile zwei und drei kaum noch vorstellen konnte.

Diese Teile fand ich aber lange nicht.


Das heißt: Teil drei schon, irgendwann mal in einer Ramschkiste. Aber den hab ich nie genauer angesehen, weil ich ja Teil zwei noch nicht hatte. Jetzt also gibt’s bei Splitter alle drei auf einmal. Und ich erfahre endlich wie’s ausgeht!


Der Anfang: beunruhigend gut


Aber irgendwie ist diese Begegnung mit der Vergangenheit ziemlich zwiespältig. Anfangs ist noch alles im grünen Bereich. Hulet lässt Charles das alte Haus mit der eigenwillig modernen Fassade entdecken (das es übrigens tatsächlich gibt, am Boulevard d’Ypres 34 in Brüssel). Hulet hat es in ein anderes Viertel versetzt, zeigt es an einem düsteren blaugrüngrauen Nachmittag, und das Bewerbungsgespräch bei der Hausverwalterin mit ihren Katzen, der Gang durch die finstere Bude, das alles funktioniert heute schon immer noch so bedrückend gut, wie ich es in Erinnerung habe.


Illustration: Daniel Hulet - Splitter Verlag

Aber schon beim Besuch von Charles‘ Freundin zeigen sich erste Mängel, die sich garnicht mehr so mit meiner Erinnerung decken: Der Dialog ist arg mau. Da reden nicht zwei miteinander, sondern halten sich Vorträge. Die Sprechblasen sind gigantisch und randvoll gestopft, weil sich die beiden ständig alles erklären müssen – und trotzdem leuchtet nicht ein, warum Charles in ein derart ungemütliches Haus zieht und die Freundin mit ihm in einem Zimmer schläft, in dem die Kakerlaken aus der Wand kommen. Viel stärker als das Gelaber wirken Hulets Bilder, die Unbehaglichkeit des Zimmers und immer wieder der Blick auf die Hausfassade mit der großen, stehengebliebenen Uhr.


Ab hier versinkt Charles zunehmend in diesem düsteren Haus, es hätte genügt, das alles zu zeigen – aber stattdessen denkt er endlose Selbstgespräche und liest dann auch noch das Tagebuch eines geheimnisvollen Selbstmörders vor. Wir erfahren Mysteriöses aus der Brüsseler Vergangenheit, aber es wirkt nicht so aberwitzig wie William Gulls London-Führung in Alan Moores „From Hell“, sondern ziemlich geschwätzig. Als auch noch Charles‘ Kumpels dazukommen, wird wieder im XXXL-Format geschwafelt. Doch wegen dreier nach wie vor sehr überzeugend funktionierender Elemente breche ich den nostalgischen Horror-Trip nicht vorzeitig ab.


Manches floppt: drei Elemente bleiben wirksam


Element Nummer eins ist das Entdecken des Hauses von innen: Die alten Wohnungen in schwarzgrünlicher Finsternis, das Forschen nach den anderen Mietern ist schön spooky, vor allem auch deshalb, weil hier alle einfach mal die Klappe halten und Hulet stattdessen die Augen des Lesers im verunsichernden Halbdunkel unkommentiert herumführt.


Element Nummer Zwei ist die Bild-Aufteilung. Es gibt auf den kompletten 140 Seiten praktisch kein einziges rechtwinklig angelegtes Panel, permanent wechselt der Ausschnitt, jede Doppelseite ist zersplittert wie ein heruntergefallener Spiegel, der noch dazu sehr unorthodox zerbrochen ist. Und der permanente Zwang, sich neu orientieren zu müssen, unterstützt tatsächlich das Unheimliche der Geschichte.

Element drei ist natürlich die Neugier auf Band zwei.


Das Unerklärliche bekommt eine Erklärung


Der wechselt etwas die Richtung: Hulet liefert einen Verantwortlichen für die Vorgänge im Haus, der weiterhin sein Unwesen treibt. Hulet fallen dazu auch viele einschüchternde Momente und Varianten ein. Leider bestätigt sich auch diesmal, dass die Ungewissheit vorher erschreckender war. Was Hulet wiederum zwingt, in Teil drei immer mehr fantastische Elemente aufzufahren, und das alles wird wieder gründlich erklärt und ist nur noch sehr, sehr mittelgut. Schade.


Aber ein guter Anfang ist besser als nix. Und wer bei Dialogen nicht so empfindlich ist wie ich, hat vermutlich nicht nur mit dem ersten Band auch heute noch seine dunkle Freude.


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